Entscheidungsdatum
04.05.2021Norm
BBG §40Spruch
I414 2235652-1/9E
I414 2235652-2/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Vorsitzender und den Richter Dr. Harald NEUSCHMID sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerden der XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, XXXX (SMS) vom 17.08.2020, Zl. XXXX , betreffend den Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung und Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, in nicht öffentlicher Senatssitzung zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde betreffend Neufestsetzung des Grades der Behinderung wird stattgegeben und festgestellt, dass ein Grad der Behinderung von 70% vorliegt.
II. Die Beschwerde betreffend Vornahme der Zusatzeintragung wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin ist seit dem Jahr 1994 in Besitz eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 60% und beantragte am 05.02.2020 beim Sozialministeriumservice (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) die Neufestsetzung des Grades der Behinderung. Zugleich wurde ein Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gestellt.
Mit angefochtenem Bescheid wurden beide Anträge abgewiesen. Das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von Dr. K. habe eine koronare Herzerkrankung (Pos.Nr. 05.05.03, GdB 60%), eine cerebrale Lähmung (Pos.Nr. 04.01.01, GdB 40%) und eine Funktionseinschränkung der weiblichen Geschlechtsorgane (Pos.Nr. 08.03.02, GdB 10%) ergeben. Der Gesamtgrad der Behinderung liege weiterhin bei 60%. Das Gutachten habe außerdem ergeben, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.
Nach erhobenen Beschwerden gegen beide Entscheidungen wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein ergänzendes Sachverständigengutachten eingeholt. Mag. Dr. G., Facharzt für Unfallchirurgie und Allgemeinmedizin untersuchte die Beschwerdeführerin persönlich und es langte sein Gutachten am 29.01.2021 beim erkennenden Gericht ein. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurden den Verfahrensparteien zur Kenntnis gebracht. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme wurde von keiner Seite Gebrach gemacht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zunächst wird der soeben dargestellte Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt.
Ferner werden folgende Feststellungen getroffen:
Die Beschwerdeführerin leidet an einer koronaren Herzkrankheit, Pos. Nr. 05.05.03 mit einem Grad der Behinderung von 60% (Leiden 1), einer cerebralen Lähmung leichten Grades, Pos. Nr. 04.01.01 mit einem Grad der Behinderung von 30% (Leiden 2), einer Coxarthrose Hüftgelenke beidseitig, Pos. Nr. 02.05.08 mit einem Grad der Behinderung von 30% (Leiden 3) und an einem Zustand nach Hysterektomie, Pos. Nr. 08.03.02 mit einem Grad der Behinderung von 10% (Leiden 4).
Das führende Leiden 1 wird durch die Leiden 2 und 3 um eine Stufe erhöht. Leiden 4 erhöht nicht weiter. Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 70%. Es liegt ein Dauerzustand vor.
Die Beschwerdeführerin kann eine Wegstrecke von 300-400 Meter ohne Unterbrechung und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Sie ist auf keine Hilfsmittel angewiesen. Das Überwinden von Niveauunterschieden ist etwas erschwert, aber möglich. Der sichere Transport im Verkehrsmittel ist gegeben. Es bestehen keine erheblichen Einschränkungen der unteren Extremitäten, auch nicht der körperlichen Belastbarkeit oder der psychischen, neurologischen oder intellektuellen Fähigkeiten.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in die Akten der belangten Behörde, in die Gutachten von Dr. K., in den bekämpften Bescheid sowie in den Beschwerdeschriftsatz und das ergänzende Gutachten des Mag. Dr. G. nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin.
Die Feststellungen zur Person, zum Antrag und zum bisherigen Behindertenpass ergeben sich aus dem Veraltungsakt der belangten Behörde und sind unstrittig.
Den festgestellten Funktionseinschränkungen wurde letztlich nicht mehr entgegengetreten und ergeben sich diese aus dem Gutachten des Mag. Dr. G., dass das Vorgutachten von Dr. K. sowie alle vorliegenden Befunde berücksichtigt.
Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem erhobenen klinischen Befund und den vorgelegten medizinischen Beweismitteln und entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen nach der Einschätzungsverordnung. Der Sachverständige konnte sich auch durch persönliche Untersuchung der Beschwerdeführerin ein Bild vom aktuellen und ganzheitlichen Gesundheitszustand machen.
Der Sachverständige führt darin schlüssig und nachvollziehbar die Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten aus. Hinsichtlich Leiden 2 hielt er fest, dass aufgrund Ausfalls einzelner Muskelgruppen, Konzentrations-und Gedächtnisstörungen der mittlere Rahmensatz mit 30% heranzuziehen ist. Neu aufgenommen wurde Leiden 3. Die Coxarthorse der Hüftgelenke beidseitig besteht bereits seit 1985 und ist die damalige Diagnose auch klinisch mit endlagiger Bewegungseinschränkung nachzuweisen. Eine Einschränkung besteht sowohl in der Beugung, als auch in der Innen- und Außenrotation, sodass die Funktionseinschränkung mit 30% einzuschätzen war.
Die übrigen Leiden (koronare Herzerkrankung und Zustand nach Hysterektomie erfuhren keine Änderung im Vergleich zum Vorgutachten und wurden in der Beschwerde auch nicht explizit bestritten. Dem Gutachten des Mag. Dr. G. wurde letztlich auch nicht entgegengetreten, sodass das Bundesverwaltungsgericht von einem feststehenden und unbestrittenen Sachverhalt ausgeht.
Das Gutachten steht mit den allgemeinen Gesetzen der Logik in Einklang, ist schlüssig und vollständig. Der Gutachter ist auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausreichend eingegangen und die Beeinträchtigungen wurden im Sinne der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Hinsichtlich des Gesamtgrades führt der Gutachter schlüssig aus, dass die Leiden 2 und 3 zu einer wechselseitigen negativen Leidensbeeinflussung von Leiden 1 führen, sodass es zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung um eine Stufe kommt. Geprüft wurde auch, dass Leiden 4 aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter erhöht. Ebenfalls ergibt sich aus dem Gutachten des Mag. Dr. G., dass es sich um einen Dauerzustand handelt.
Da auch die Vornahme der Zusatzeintragung strittig war, hat sich der Gutachter auch eindringlich mit diesen Kriterien auseinandergesetzt. Die vom erkennenden Gericht explizit zum Vorbringen der Beschwerdeführerin gestellten Fragen beantwortete der Sachverständige eingehend, schlüssig und nachvollziehbar. Es wurde widerspruchsfrei dargestellt, dass eine kurze Wegstrecke ohne Hilfsmittel und Unterbrechung zurückgelegt werden kann. Der Gutachter konnte sich davon durch persönliche Untersuchung überzeugen und es wurde dieses Kriterium ihm gegenüber auch von der Beschwerdeführerin bestätigt (Gutachten S. 10). Auch der sichere Transport im Verkehrsmittel konnte bejaht werden. Aus diesen Gründen bestätigte Mag. Dr. G. aus medizinischer Sicht die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, er gab aber an, dass das Ein- und Aussteigen erschwert ist.
Dazu führte er ein Unsicherheitsgefühl beim Gehen und Treppensteigen an, welches durch Schwankschwindel aufgrund stattgehabter Hirnblutung hervorgerufen wird. Die neurologischen Fähigkeiten sind durch die Ischämie im Bereich der Stammganglien eingeschränkt. Zur Frage der Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit nannte er auch das chronische Vorhofflimmern und damit verbundene Einschränkung der Herzleistung. Dass diese Einschränkungen von erheblichen Ausmaß wären, wurde aber nicht angegeben. Vielmehr nannte der Sachverständige „gewisse Einschränkungen“ der neurologischen Fähigkeiten (Gutachten S. 12) und eine „gewisse Unsicherheit“ aufgrund der Schwindels. In Gesamtschau konnte daher die Feststellung getroffen werden, dass keine erhebliche Einschränkung einer Funktion oder Fähigkeit vorliegt und die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel möglich ist, wenn auch das Ein- und Aussteigen erschwert sind.
Insgesamt handelt es sich bei der Frage der Erheblichkeit um eine Rechtsfrage und wird hierzu in der rechtlichen Beurteilung noch einzugehen sein.
Dass keine Sehbehinderung oder Taubheit vorliegt und auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems besteht, ergibt sich bereits aus dem Gutachten der Dr. K. und ist unstrittig.
Im Übrigen wäre es der Beschwerdeführerin auch frei gestanden, das im Auftrag der Behörde bzw. des Gerichtes erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl zu entkräften bzw. zu widerlegen zu versuchen. Dies ist im gegenständlichen Verfahren nicht erfolgt (vgl. VwGH vom 26.02.2008, Zl. 2005/11/0210). Es erfolgte auch keine Stellungnahme mehr zum Ergänzungsgutachten und steht der maßgebliche Sachverhalt auch hinsichtlich der beantragten Vornahme der Zusatzeintragung dadurch für den erkennenden Senat zweifelsfrei fest.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht
§ 6 und 7 Abs. 1 BVwGG lauten wie folgt:
„Einzelrichter
§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Senate
§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.“
§ 45 Abs. 3 und 4 BBG lautet wie folgt:
„(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.“
Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.
Die §§ 1, 17 und 58 Abs. 1 und 2 VwGVG lauten wie folgt:
„§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 58. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2014 in Kraft.
(2) Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt.“
Zu Spruchpunkt A)
3.2. Stattgabe der Beschwerde und Neufestsetzung des Grades der Behinderung:
3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:
„§ 43 (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen.
(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpass vorzulegen.
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.“
§ 4 der Einschätzungsverordnung (EVO) in der geltenden Fassung, lautet wie folgt:
„Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.“
3.2.2. Dem vom Bundesverwaltungsgericht als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewertete Sachverständigengutachten von Mag. Dr. G., das das Vorgutachten der Dr. K. berücksichtigt hat, folgend, beträgt der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin nunmehr 70%.
Das führende Leiden 1 wurde mit einem Einzelgrad der Behinderung von 60% eingeschätzt und entspricht diese Einstufung auch jener des Vorgutachtens. Mag. Dr. G. führte aber im Vergleich ein weiteres Leiden (Coxarthrose der Hüftgelenke) an und konnte er schlüssig darlegen, dass diese Funktionseinschränkung zusammen mit Leiden 2 (cerebrale Lähmung) in negativer Wechselwirkung mit dem Hauptleiden steht.
Bei der Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist der Gutachter somit nach den Vorgaben von § 3 Abs 3 der Einschätzungsverordnung ausgegangen, wonach eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, (nur) dann vorliegt, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen. Aufgrund Vorliegens wechselseitig negativer Leidensbeeinflussung wurde daher zu Recht ein Gesamtgrad der Behinderung von nunmehr 70% festgehalten.
Da von einem Dauerzustand auszugehen ist, liegen zusammengefasst die Voraussetzungen für die Ausstellung eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 70% vor. Der Beschwerde gegen den ersten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides somit stattzugeben.
3.3. In den Behindertenpass ist aber die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht einzutragen und in weiterer Folge auch kein Parkausweis auszustellen. Dies aus nachstehenden Gründen:
3.3.1. § 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2013/495, lautet wie folgt:
„Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.“
3.3.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).
3.3.3. Nach den Ausführungen des Sachverständigen liegt keine erhebliche Einschränkung einer Funktion oder Fähigkeit vor, dass die Unzumutbarkeit schon aus einem solchen Grund zwingend zu verneinen wäre.
Zu prüfen bleibt, inwieweit sich die Einschränkungen auf die sonstigen Voraussetzungen auswirken. Im Gutachten wird festgehalten, dass eine kurze Wegstrecke ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann, keine Hilfsmittel erforderlich sind und der sichere Transport im Verkehrsmittel gegeben ist. Das Ein- und Aussteigen sind zwar erschwert, nicht aber als unmöglich angeführt und liegen keine erheblichen Einschränkungen vor, die das Überwinden von Niveauunterschieden gänzlich verunmöglichen würden. Es wurden auch keine Hinweise auf Einschränkungen der oberen Extremitäten angeführt, sodass ein Festhalten bei Schwindelgefühl auch beim Ein- und Aussteigen nicht ausgeschlossen ist.
Festzuhalten ist, dass auch in der Beschwerde weder bestritten, noch direkt Bezug auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens genommen wurde.
Insgesamt war daher der belangten Behörde zu folgen, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber/der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" im Behindertenpass nicht vorliegen, weshalb die Beschwerde gegen den zweiten Spruchpunkt abzuweisen war.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem eingeholten Ergänzungsgutachten. Zudem sind die Verfahrensparteien dem letztlich eingeholten Ergänzungsgutachten nicht (mehr) entgegengetreten. Es wurde keinerlei Stellungnahme abgegeben.
Dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Notwendigkeit der Einholung ergänzender Gutachten ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Beurteilung der Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung Neufestsetzung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I414.2235652.1.00Im RIS seit
01.09.2021Zuletzt aktualisiert am
01.09.2021