TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/18 W185 2240376-1

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Veröffentlicht am 18.05.2021
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Entscheidungsdatum

18.05.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz1
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W185 2240376-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.02.2021, Zl. 126823600-200823794, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Syrien, stellte nach irregulärer Einreise in das Bundesgebiet am 05.09.2020 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz. Es liegen Eurodac-Treffermeldungen der Kategorie „2“ mit Griechenland (31.10.2019) sowie der Kategorie „1“ mit Rumänien (28.08.2020) vor.

Im Zuge der Erstbefragung am 06.09.2020 gab der Beschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Wesentlichen an, gemeinsam mit seinem Neffen, XXXX , nach Österreich gereist zu sein. Der Beschwerdeführer könne der Einvernahme ohne Probleme folgen und benötige keine Medikamente. Er habe sich seit dem Jahr 2012 bis zu seiner Ausreise Ende 2019 im Libanon aufgehalten. In der Folge sei er über die Türkei, Griechenland, Albanien, den Kosovo, Serbien, Rumänien und Ungarn nach Österreich gelangt. In Griechenland habe er sich etwa 3 Monate lang aufgehalten und sowohl Behördenkontakt als auch eine erkennungsdienstliche Behandlung gehabt. In Griechenland sei es nicht gut gewesen; es habe dort überhaupt keine Unterstützung gegeben. In Serbien habe sich der Beschwerdeführer etwa acht Monate lang aufgehalten. Weder in Rumänien noch in Ungarn habe der Beschwerdeführer Behördenkontakt gehabt noch sei er dort erkennungsdienstlich behandelt worden. Außer in Österreich habe er nirgendwo um Asyl angesucht. Er wolle nunmehr in Österreich bleiben, um hier in Sicherheit leben und arbeiten zu können. Der Beschwerdeführer habe die Reise für sich und seinen Neffen selbst organisiert und etwa Euro 8.000,-- für die Schlepper bezahlt. Am 04.09.2020 habe er mit seinem Neffen dann Rumänien verlassen. Sie seien in Rumänien in einem Wald in einen LKW gestiegen und am nächsten Tag in Wien angekommen. Im Anschluss seien er und sein Neffe mit dem Zug nach Salzburg gefahren, wo sie um Asyl angesucht hätten. Der Beschwerdeführer und sein Neffe hätten sich nur 2 Tage in Rumänien aufgehalten; sie seien an der serbisch-rumänischen Grenze erwischt und gezwungen worden die Fingerabdrücke abzugeben. Die dortige Polizei sei gewalttätig gewesen; dem Beschwerdeführer seien ein oder zwei Rippen gebrochen worden. Um Asyl angesucht hätten sie dort nicht. Sie seien dann nach Serbien zurückgebracht worden und in der Folge über Rumänien und Ungarn nach Österreich gelangt. Nach Rumänien zurückkehren wolle er nicht.

Am 23.09.2020 richtete das Bundesamt ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Rumänien. Dies unter Hinweis, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem minderjährigen Neffen gereist sei. Für den angesprochenen Neffen werde in separates Gesuch auf Wiederaufnahme an Rumänien ergehen (AS 71f).

Am selben Tag erging auch ein Informationsersuchen nach Art 34 Dublin III-VO an Griechenland.

Mit Schreiben vom 06.10.2020 stimmte Rumänien dem Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO ausdrücklich zu. In dem Schreiben der rumänischen Dublin-Behörde wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer am 28.08.2020 in Rumänien um Asyl angesucht habe; aufgrund Untertauchens sei das Verfahren beendet worden.

Im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt am 23.10.2020 gab der Beschwerdeführer, im Beisein eines Rechtsberaters und nach durchgeführter Rechtsberatung, im Wesentlichen an, sich physisch und psychisch in der Lage zu fühlen, die Befragung zu absolvieren. Er habe bisher im Verfahren die Wahrheit gesagt. In Deutschland habe der Beschwerdeführer sechs Neffen, mit denen er in regelmäßigem telefonischen Kontakt stehe. In Österreich befinde sich sein Neffe, mit welchem der Beschwerdeführer seit einem Jahr „auf dem Weg“ sei. Sein Neffe sei hier mit ihm auch im selben Camp untergebracht. Der angesprochene Neffe, XXXX , sei vom Beschwerdeführer abhängig; der Beschwerdeführer habe die ganze Flucht bezahlt. Im Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer mit seinem Bruder, dessen Frau und 4 Kindern in einem Haus gelebt; eines dieser vier Kinder sei der angesprochene Neffe, mit dem er geflüchtet sei. Die Eltern des Neffen würden sich seit ihrer Flucht im Jahr 2012 im Libanon aufhalten. In Rumänien habe der Beschwerdeführer die Fingerabdrücke abgeben müssen, um Asyl habe er dort aber nicht angesucht. Die rumänische Polizei habe den Beschwerdeführer, seinen Neffen und etwa 20 andere Flüchtlinge in einem Wald aufgegriffen. Die Polizisten hätten Masken getragen und die Flüchtlinge geschlagen. Er selbst sei auf den Mund geschlagen und anschließend in die Rippen getreten worden. Er habe dann das Bewusstsein verloren. Sein Neffe habe versucht, den Beschwerdeführer zu schützen, worauf hin Polizisten diesen mit einem Schlagstock geschlagen und seine Brille zertreten hätten. Dem Beschwerdeführer seien in der Folge auch sein Handy und € 250,-- weggenommen worden. Diese Brutalität hätten die Beschwerdeführer nicht erwartet. Dann seien sie in ein Auto gesetzt und in einen anderen Ort gebracht worden. Aufgrund der Ereignisse in Rumänien sei sein Neffe nun in ärztlicher Behandlung. Über Vorhalt der beabsichtigten Zurückweisung des Asylantrags und der Ausweisung nach Rumänien erklärte der Beschwerdeführer, dort zur Asylantragstellung gezwungen worden zu sein. Rumänien sei ein rassistisches Land. Er sei von Polizisten geschlagen und bestohlen worden. Sein Neffe sei aufgrund der Vorfälle in Serbien und Rumänien „unter psychischem Druck“ und Sein könne daher nicht nach Rumänien zurückkehren.

Nach einem Erinnerungsschreiben des Bundesamtes vom 29.10.2020 gab Griechenland am 04.11.2020 bekannt, dass der Beschwerdeführer und sein minderjähriger Verwandter in Griechenland nicht um Asyl angesucht und auch keine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Rumänien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Rumänien zulässig sei.

Die Identität des Beschwerdeführers stehe aufgrund des vorgelegten Reisepasses fest. Der Beschwerdeführer leide nicht an schweren psychischen Störungen oder schweren bzw ansteckenden Krankheiten. Der Beschwerdeführer sei in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden und habe am 28.08.2020 in Rumänien um Asyl angesucht. Rumänien habe sich mit Schreiben vom 06.10.2020 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO zur Führung seines Asylverfahrens für zuständig erklärt. Eine besondere Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich bestehe nicht. In Rumänien seien zum Stichtag 24.02.2021 448.371 Fälle von mit Corona infizierten Personen und 8.434 Todesfälle zu verzeichnen gewesen. Die sehr schweren Krankheitsverläufe würden am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen auftreten. Die Feststellungen zur Pandemie seien notorisch, die Zahlen würden von der Johns Hopkins University stammen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Rumänien systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese dort zu erwarten hätte. Zu Rumänien wurden Länderfeststellungen der Staatendokumentation mit Stand vom 14.06.2019 zugrunde gelegt (auf den Abdruck wird verzichtet). Aus den Angaben des Beschwerdeführers seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass dieser tatsächlich konkret Gefahr laufen würde, in Rumänien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass diesem eine Verletzung seiner durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach dieser von rumänischen Polizisten misshandelt und bestohlen worden sei, sei nicht geeignet, die Integrität Rumäniens in Zweifel zu ziehen. Sollten die Behauptungen tatsächlich zutreffend sein, so stelle dies ein Fehlverhalten einer Einzelperson dar, das nicht dem Staat zuzurechnen sei und somit keine Art 3 EMRK Verletzung aufzeige. Eine Anzeige des Vorfalls seitens des Beschwerdeführers sei nicht erfolgt. Übergriffe einzelner Beamter seien jedenfalls zu verurteilen. Der Beschwerdeführer sei mit seinem Neffen XXXX , illegal in das Bundesgebiet eingereist. Der Neffe befinde sich zurzeit im inhaltlichen Asylverfahren. Der Beschwerdeführer sei mit den angeführten Neffen gemeinsam in einer Betreuungseinrichtung des Bundes untergebracht. Es bestünden jedoch offensichtlich keine Abhängigkeiten zueinander und es liege auch keine besondere Beziehungsintensität vor. Im Verfahren hätten keine Personen festgestellt werden können, mit denen der Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt leben würde oder zu denen ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis bestünde oder mit welchen ein iSd Art 8 EMRK relevantes Familienleben geführt würde. Die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers stelle daher insgesamt keinen Eingriff in das in Art 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens dar. Ein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis könne die Behörde nicht erkennen. Eine Anwendung des Art 16 Dublin III-VO komme nicht in Betracht, da sich diese Sonderregelung nicht auf Verwandtschaftsverhältnisse ersten Grades beziehe. Darüber hinaus befinde sich der Neffe des Beschwerdeführers nicht rechtmäßig im Bundesgebiet; diesem komme lediglich ein auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht in Österreich zu. Auch die Voraussetzungen des Art 17 Abs 2 Dublin III-VO würden gegenständlich nicht vorliegen. Auch wenn der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Neffen in das Bundesgebiet eingereist und derzeit gemeinsam mit diesem in einer Betreuungseinrichtung untergebracht sei, ergebe sich daraus kein intensives bzw maßgebliches Abhängigkeitsverhältnis iSv Art 17 Dublin III-VO, woraus ein Selbsteintritt Österreichs geboten erscheinen würde. Eine Bedrohung von Grundrechten im Fall einer Überstellung könne nicht erkannt werden. Es habe keine Veranlassung bestanden, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. In Gesamtbetrachtung würden die Voraussetzungen des Art 16 und Art 17 Abs 2 Dublin III-VO nicht vorliegen, da einerseits das geforderte besondere Abhängigkeitsverhältnis bzw andererseits die humanitären Gründe iSd genannten Bestimmungen nicht vorliegen würden. Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen falle nur dann unter den Schutz des Art 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten würden, die über die üblichen Bindungen hinausgehen würden. Eine gelegentliche gegenseitige Unterstützung im Krisenfall oder allgemeine Unterstützungsleistungen bei alltäglichen Angelegenheiten würden jedenfalls keine über die üblichen Bindungen hinausgehenden Abhängigkeiten begründen. Analog dazu sei bei der Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Neffen zweifelsfrei von keinem iSd Art 8 EMRK schützenswerten Familienleben auszugehen. Insbesondere gehe die Beziehung zu dem Genannten nicht über ein übliches verwandtschaftliches Maß hinaus und würden auch keine gegenseitigen Abhängigkeiten vorliegen. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG treffe zu; ein zwingender Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art 17 Abs 1 Dublin III-VO habe sich nicht ergeben.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und darin im Wesentlichen vorgebracht wird, dass das Verfahren des minderjährigen Neffen des Beschwerdeführers in Österreich zugelassen worden sei; dieser befinde sich zurzeit im offenen inhaltlichen Asylverfahren. Der Beschwerdeführer sei vom Obsorgeberechtigten des mj Neffen mit der Pflege und Erziehung seines Neffen betraut worden. Der Neffe befinde sich in psychologischer Behandlung; es bestehe ein sehr großes Abhängigkeitsverhältnis zum Beschwerdeführer. Es wäre ein Familienverfahren nach § 34 AsylG zu führen gewesen. Familienangehörige iSd AsylG seien nämlich auch gesetzliche Vertreter minderjähriger Asylwerber, sofern die Vertretung bereits vor Einreise bestanden habe. Der Beschwerdeführer sei gemeinsam mit seinem mj Neffen in Österreich eingereist und habe demnach die Vertretung des Beschwerdeführers für seinen mj Neffen bereits vor der Einreise bestanden. Gemäß § 2 Abs 1 Z 22 AsylG handle es sich daher um Familienangehörige und seien somit die Asylanträge gemeinsam zu führen. Es sei jedenfalls unzulässig, dass über den Antrag des Beschwerdeführers entschieden worden sei, obwohl das Verfahren seines Neffen noch offen sei. Zudem bestehe aufgrund der psychischen Erkrankung des Neffen ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zum Beschwerdeführer; dieser sei die einzige Bezugsperson des Neffen in Österreich. Der gegenständliche Bescheid sei nach dem Gesagten rechtswidrig; die Behörde hätte das Verfahren des Beschwerdeführers als Familienverfahren gemeinsam mit dem Verfahren des mj Neffen zu führen. Gemäß Art 7 Dublin III-VO sei die Zuständigkeit in der in der Verordnung genannten Reihenfolge zu prüfen. Gemäß Art 10 Dublin III-VO sei Österreich für das Verfahren des Beschwerdeführers zuständig, da der mj Neffe, mit dessen Pflege und Erziehung der Beschwerdeführer betraut sei, sich in Österreich im erstinstanzlichen Verfahren befinde. Diese Information sei nach dem Wissen der Rechtsberatung nicht an Rumänien weitergeleitet worden und werde auf diese Tatsache im angefochtenen Bescheid nicht eingegangen. Aus Art 10 Dublin III-VO ergebe sich eine eindeutige Zuständigkeit Österreichs für das Asylverfahren des Beschwerdeführers.

Das Selbsteintrittsrecht gem Art 17 Dublin III-VO könne auch zu einer Selbsteintrittspflicht werden, wenn dies im Hinblick auf individuelle Rechte der Beschwerdeführer – insbes auch dem Recht auf ein Familienleben gem Art 8 EMRK – als geboten erscheine. Die belangte Behörde begründe die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts nicht. Diese führe weiters aus, dass der Beschwerdeführer kein Privat- und Familienleben in Österreich hätte und auch hier keinen Personen wären, zu denen ein Naheverhältnis bestünde. Dabei werde aber die Tatsache, dass der Beschwerdeführer mit seinem mj Neffen über ein Jahr unterwegs gewesen und gemeinsam mit diesem in Österreich eingereist sei, hier mit diesem lebe und das inhaltliche Verfahren des Neffen offen sei, nicht gewürdigt. Zwischen dem Beschwerdeführer und seinem mj Neffe bestehe ein extremes Abhängigkeitsverhältnis; dies nicht nur in finanzieller, sondern auch in psychischer Hinsicht. Wie aus den Befunden ersichtlich sei, leide der Neffe des Beschwerdeführers aufgrund traumatischer Erlebnisse unter starken psychischen Problemen. Der Beschwerdeführer sei die einzige Bezugsperson des Genannten in Österreich. Eine Außerlandesbringung des Beschwerdeführers würde den Gesundheitszustand des Neffen drastisch verschlechtern. Der Beschwerdeführer sei von der Behörde nicht näher zur Beziehung zu seinem Neffen befragt worden; der Beschwerdeführer sei nicht nur mit der Pflege und der Erziehung seines Neffen betraut, sondern bestehe auch ein intensives Abhängigkeitsverhältnis zwischen den beiden Personen.

Trotz eines entsprechenden Vorbringens zu massiver Polizeigewalt und Verstößen gegen Art 3 EMRK habe die Behörde nähere Ermittlungen hiezu unterlassen. Es wäre auch zu untersuchen gewesen, ob im konkreten Einzelfall das Risiko einer Kettenabschiebung bestehe. Eine Einzelfallprüfung zur Beurteilung der Frage, ob dem Beschwerdeführer in Rumänien eine Verletzung seiner durch Art 3 EMRK geschützten Rechte drohe, wäre erforderlich gewesen, sei jedoch unterlasen worden, was das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belaste. Die herangezogenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise einseitig. Die Versorgungslage für Schutzsuchende sei mangelhaft. Es würden systemische Mängel im rumänischen Asylwesen vorherrschen. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurden beantragt.

Der Beschwerde angeschlossen waren eine Stellungnahme einer Bezirkshauptmannschaft vom 02.11.2020 sowie ärztliche Schreiben den Neffen des Beschwerdeführers betreffend.

Aus der angesprochenen Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft vom 02.11.2020 als regionale Organisationseinheit des Landes als Kinder- und Jugendhilfeträger ergibt sich, dass hinsichtlich des minderjährigen Neffen – nach Rücksprache mit diesem und dem Beschwerdeführer – der Beschwerdeführer (seitens des Obsorgeberechtigten) mit der Pflege und Erziehung betraut wurde. Es wurde dem Beschwerdeführer empfohlen, die Übertragung der Obsorge beim zuständigen Bezirksgericht zu beantragen (AS 239).

Den vorgelegten Befunden des Neffen des Beschwerdeführers betreffend ist Folgendes zu entnehmen:

-        Aus einem Kurzarztbrief eines Landesklinikums, Abt. für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie vom 01.11.2020 ergibt sich Folgendes:

Stationärer Aufenthalt im Zeitraum vom 29.10.2020 bis 01.11.2020:

Diagnose: F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung

Verordnete Medikamente: Mirtabene 30mg, Seroquel 50mg; Bedarfsmedikation bei Flashbacks/Anspannung: Seroquel 25mg

-        Aus einem Kurzarztbrief des o.a. Landesklinikums, Abt. für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie vom 06.11.2020 ergibt sich darüber hinaus Folgendes:

„Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht ist eine Trennung vom Onkel unter allen Umständen zu vermeiden und droht den Patienten suizidal zu dekompensieren. Die Angst vor Trennung und die damit einhergehende Katastrophe ist rglm. Thema in den Gesprächen mit dem Pat.“

-        Aus dem Ärztlichen Entlassungsbrief des o.a. Landesklinikums, Abt. für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie vom 06.11.2020 ergibt sich darüber hinaus Folgendes:

Aufnahmegrund: Krisenaufnahme aufgrund akuter Suizidalität zur Stabilisierung

Zusatzmedikation: Abilify 10mg

Der Anamnese zufolge sei der Neffe des Beschwerdeführers in Rumänien von Polizisten sexuell missbraucht worden und habe dieser daraufhin mehrere Suizidversuche unternommen; auch heute sei er nicht distanziert von Suizidalität. Vor 4 Tagen habe ihn der Beschwerdeführer davon abhalten können aus dem Fenster zu springen. Ein weiterer Suizidversuch durch Einnahme von Tabletten sei gescheitert. Ein starker sozialer Rückzug sei zu beobachten. Bei generell erhöhtem Suizidrisiko im Rahmen der PTBS werde der Neffe auf eigenen Wunsch entlassen.

-        Aus einem „Ambulanten Zwischenbericht im Verlauf“ eines LKH, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie vom 15.02.2021 ergibt sich Folgendes:

Diagnose: V.a PTBS, Z03.2

Dzt von Fremd- und Selbstgefährdung distanziert; der Patient benötigt dringend eine muttersprachliche traumaspezifische psychotherapeutische Anbindung (evl Verein XXXX ). Wiederbestellung 02.04.2021

-        Aus einem „Ambulanten Zwischenbericht im Verlauf“ eines LKH, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie vom 25.02.2021 ergibt sich Folgendes:

…der Onkel des Patienten stellt für ihn derzeit die wichtigste psychische Ressource und einzige familiäre Bezugsperson dar. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht ist eine Trennung vom Onkel unter allen Umständen zu vermeiden, weil der Patient suizidal zu dekompensieren drohe. Der Patient kann aus der ambulanten Behandlung in die Obhut des Onkels entlassen werden……

-        Einer Stellungnahme des Vereins XXXX , vom 08.ß3.2021 ist Folgendes zu entnehmen:

Der Neffe des Beschwerdeführers sei im Februar 2021 in dessen Begleitung zur Erstvorstellung gekommen. Es sei von schwerwiegenden Symptomen einer PTBS berichtet worden (intrusive Gedanken untertags, Schlafstörungen, panische Zustände). Während des Gesprächs sei der Eindruck entstanden, dass der Onkel die zentrale Bezugsperson des Minderjährigen sei. Aus klinisch-psychologischer Sicht würde eine Trennung von seinem Onkel destabilisierend auf den Minderjährigen wirken und dessen Situation erneut verschlimmert. Für die Stabilisierung und Genesung sei eine zuverlässige Aufenthaltsperspektive für dessen Onkel wünschenswert.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2021, GZ W185 2240376-1/4Z, wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger aus Syrien, reiste gemeinsam mit seinem minderjährigen Neffen, XXXX , irregulär in das Bundesgebiet ein, wo die Genannten am 05.09.2020 um Asyl ansuchten.

Eurodac-Treffermeldungen zufolge wurden die Genannten am 31.10.2019 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt und suchten in weiterer Folge am 28.08.2020 in Rumänien um internationalen Schutz an.

Im Verfahren des Beschwerdeführers erging am 23.09.2020 seitens des Bundesamtes ein Wiederaufnahmegesuch nach Art 18 Abs 1 lit b Dublin III-VO an Rumänien. Hingewiesen wurde ua. darauf, dass der Beschwerdeführer mit seinem (namentlich angeführten) mj Neffen unterwegs sei; für diesen würde ein separates Ersuchen seitens des Bundesamtes ergehen.

Mit Schreiben vom 06.10.2020 stimmte Rumänien dem Wiederaufnahmeersuchen den Beschwerdeführer betreffend gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Mit Bescheid des Bundesamtes wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Rumänien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Rumänien zulässig sei.

Der Beschwerdeführer ist seit Oktober 2019 gemeinsam mit seinem minderjährigen Neffe XXXX unterwegs und letztlich am 05.09.2020 nach Österreich gelangt; der Beschwerdeführer hat die Reise organisiert und die Schleppungen bezahlt. In Österreich sind die Genannten gemeinsam in einer Betreuungseinrichtung des Bundes untergebracht.

Das Verfahren des Neffen des Beschwerdeführers wurde in Österreich zugelassen und ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts in erster Instanz anhängig.

Der Beschwerdeführer ist seit Verlassen des Libanons im Oktober 2019 bis dato in Österreich die einzige, enge (verwandtschaftliche) Bezugsperson des mj XXXX . Der Beschwerdeführer wurde mit Schreiben des Kinder- und Jugendhilfeträgers vom 02.11.2020 mit der Pflege und Erziehung seines Neffen betraut.

Nach eigenen Angaben wurde der Neffe des Beschwerdeführers in Rumänien von einem Polizisten sexuell missbraucht. Der Genannte leidet seitdem an psychischen Problemen, hat in Österreich zwei Suizidversuche unternommen und war vom 29.10.2020 bis 01.11.2020 in stationärer Behandlung in einem Klinikum, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie.

Der Neffe des Beschwerdeführers leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung F43.1 bzw V.a PTBS, Z03.2. Er befindet sich in Österreich nach wie vor in medizinischer/medikamentöser Behandlung und psychosozialer Betreuung und benötigt zur Stabilisierung ein vertrautes (familiäres/verwandtschaftliches) Umfeld (siehe hiezu auch Pkt. I. Verfahrensgang).

Zwischen dem Beschwerdeführer und seinem minderjährigen Neffen bestand bereits im Herkunftsstaat ein gemeinsamer Haushalt und - aufgrund der lange dauernden gemeinsamen Flucht und va auch der glaubhaft berichteten Vorfälle in Rumänien - seit nunmehr etwa eineinhalb Jahren eine besonders enge Beziehung, die jedenfalls über das übliche verwandtschaftliche Maß hinausgeht. Während der Flucht waren die Genannten stets gemeinsam unterwegs und sind diese auch nunmehr in Österreich seit ihrer Einreise gemeinsam in einer Betreuungseinrichtung des Bundes untergebracht.

Der Beschwerdeführer ist, wie bereits aufgezeigt, die einzige Bezugsperson des mj XXXX in Österreich und ist dessen (weitere) Anwesenheit ein wesentlicher Faktor der Stabilisierung und Verbesserung der psychischen Probleme seines mj Neffen. Eine Trennung des XXXX vom Beschwerdeführer ist tunlichst Umständen zu vermeiden.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich des Verfahrensgangs ergeben sich aus dem vorliegenden Akt des Beschwerdeführers bzw XXXX betreffend insbes. auch auf Erhebungen seitens des Bundesverwaltungsgerichts beim Bundesamt.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Neffen des Beschwerdeführers basieren auf den oben angeführten, unbedenklichen medizinischen Stellungnahmen/Befunden, die im Rahmen der Beschwerde im Verfahrens des Beschwerdeführers vorgelegt wurden. Die Feststellungen zu den Suizidversuchen des Beschwerdeführers in Österreich und der stationären Aufnahme in einer Klinik im Zuge einer „Krisenaufnahme zur Stabilisierung aufgrund akuter Suizidalität“, ergeben sich aus den vorgelegten ärztlichen Schreiben.

Dass eine Trennung des Beschwerdeführers von seinem mj Neffe unter allen Umständen zu vermeiden ist, um eine suizidale Dekompensation des Minderjährigen zu verhindern, ergibt sich zweifelsfrei aus dem oa Kurzarztbrief vom 06.11.2020 sowie, übereinstimmend damit, auch aus dem „Ambulanten Zwischenbericht im Verlauf“ vom 25.02.2021.

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation des Beschwerdeführers und seines mj Neffen beruhen im Wesentlichen auf den entsprechenden Angaben des Beschwerdeführers in dessen Asylverfahren und der Aktenlage, insbesondere aus dessen nachvollziehbaren Ausführungen vor dem Bundesamt und in der Beschwerde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl § 75 Abs. 18 AsylG 2005 idF BGBGl I 2013/144).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.“

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

Art. 3 Abs. 1:

„(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaats-angehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.“

Art. 17:

„Ermessensklauseln:

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.“

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

„§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

Im gegenständlichen Verfahren ging das Bundesamt unter Zugrundelegung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens grundsätzlich zutreffend davon aus, dass gemäß den Bestimmungen der Dublin III-VO Rumänien zur Prüfung des in Rede stehenden Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zuständig ist. Rumänien hat der Aufnahme des Beschwerdeführers auch ausdrücklich zugestimmt. Dennoch wäre im konkreten Einzelfall aufgrund folgender Erwägungen der Selbsteintritt Österreichs geboten gewesen:

Zu dem im vorliegenden Fall gebotenen Selbsteintritts Österreichs:

Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-VO bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn dieser nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.

Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (aus jüngster Zeit: VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art. 17 K2).

Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10.12.2013, Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-VO) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN).

Nach der Rechtsprechung des VfGH (zB VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (zB VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0139; 17.11.2015, Ra 2015/01/0114, 02.12.2014, Ra 2014/18/0100, 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua) macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die – in Österreich in Verfassungsrang stehenden – Bestimmungen der EMRK notwendig und es ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

Zwar ist dem Bundesamt, wie gesagt, insofern zuzustimmen, dass zuständiger Mitgliedstaat zur Führung des Verfahrens des Beschwerdeführers grundsätzlich Rumänien wäre. Dennoch erscheint es fallgegenständlich angezeigt, vom Selbsteintrittsrecht Österreichs Gebrauch zu machen.

Wie sich aus den zahlreichen Befunden/Arztschreiben, welche zum Teil von einem Zeitpunkt nach Bescheiderlassung datieren, ergibt, liegt beim mj Neffen des Beschwerdeführers aufgrund sexuellen Missbrauchs im Rumänien eine schwer psychische Erkrankung in Form einer Posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) vor, welche zu zwei Suizidversuchen und einer stationären Behandlung in einem Klinikum geführt hat. Als Aufnahmegrund in die stationäre Behandlung wurde angeführt: „Krisenaufnahme aufgrund akuter Suizidalität zur Stabilisierung“.

Der Genannte befindet sich in Österreich nach wie vor in medikamentöser Behandlung (Mirtabene, Seroquel, Abilify), wird klinisch-psychologisch betreut und ist aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes als besonders vulnerabel anzusehen.

Der Beschwerdeführer ist gemeinsam mit seinem mj Neffen in einer Betreuungseinrichtung des Bundes untergebracht. Er kümmert sich nach Kräften um seinen Neffen und begleitet diesen auch zu Arztterminen bzw zu psychologischen Therapiegesprächen. Der Beschwerdeführer bietet seinem Neffen ein, wie von Ärzten und Psychiatern/Psychologen, angeraten, stabiles soziales Umfeld und trägt so einen wesentlichen Teil zu dessen psychischer Stabilisierung bei.

Eine Trennung des Beschwerdeführers von seinem Neffen, welcher sich in Österreich im offenen inhaltlichen Verfahren befindet, würde dem zuwiderlaufen und ist aus fachärztlicher bzw klinisch-psychologischer Sicht unbedingt zu vermeiden. Dies ergibt sich auch zweifelsfrei aus einem Kurzarztbrief eines Landesklinikums, Abt. für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, vom 06.11.2020, wo es wörtlich heißt: „Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht ist eine Trennung vom Onkel unter allen Umständen zu vermeiden und droht den Patienten suizidal zu dekompensieren. Die Angst vor Trennung und die damit einhergehende Katastrophe ist rglm. Thema in den Gesprächen mit dem Pat.“ Einem „Ambulanten Zwischenbericht im Verlauf“ eines LKH, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie vom 25.02.2021 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer für XXXX derzeit die wichtigste psychische Ressource und einzige familiäre Bezugsperson darstellt und eine Trennung vom Beschwerdeführer unter allen Umständen zu vermeiden wäre, da der Patient suizidal zu dekompensieren drohe.

Nach Ansicht des Leiters einer Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie eines Klinikums benötigt XXXX dringend eine muttersprachliche traumaspezifische, psychotherapeutische Anbindung; eine solche wurde auch bereits begonnen.

Aus dem Gesagten ergibt sich für das Gericht unzweifelhaft - und ist dem Beschwerdevorbringen insofern zuzustimmen – dass eine besondere, relevante Abhängigkeit des minderjährigen Neffen zum Beschwerdeführer besteht, die zweifellos über die üblichen Bindungen hinausgeht. Der Beschwerdeführer ist mit seinem mj Neffen seit Beginn der Flucht aus dem Libanon vor nunmehr etwa eineinhalb Jahren auf das Engste verbunden. Die Bindungen bestehen nicht (nur), wie die Behörde vermeint, in „gelegentlichen wechselseitigen Unterstützungen“ bzw „allgemeinen Unterstützungsleistungen bei alltäglichen Angelegenheiten“, sondern - insbesondere nach den (sexuellen) Übergriffen gegen den mj XXXX in Rumänien - in einer essentiellen, psychologisch-emotionalen Stütze als einziger Beziehungsperson. Auch ist, entgegen der Ansicht der Behörde, zweifellos vom Vorliegen einer besonderen, über das übliche Maß zwischen Verwandten hinausgehenden Beziehungsintensität zwischen den Genannten auszugehen. Eine Trennung des Beschwerdeführers von seinem mj Neffen ist auch aus medizinisch bzw kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht unbedingt zu vermeiden. Nach den vorgelegten ärztlich bzw klinisch-psychologischen Schreiben stellt der Beschwerdeführer die einzige familiäre Bezugsperson seinen Neffen in Österreich dar und ist eine Trennung von diesem kontraindiziert, zumal eine solche Trennung zu einer suizidalen Dekompensation führen würde. Der weiter bestehende Kontakt zu seinem Onkel stellt einen ganz wesentlichen Faktor für die Stabilisierung des psychischen Zustandes des mj Neffen dar.

Alle betreuenden Ärzte und die involvierten (klinischen) Psychologen sprechen sich fallgegenständlich einheitlich und klar gegen eine Abschiebung und für einen Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich aus, um dem traumatisierten Neffen ein stabiles, familiäres Umfeld zu geben.

Nach dem Gesagten erscheint es in der Konstellation aus dem Vorliegen einer schweren psychischen Erkrankung des minderjährigen Neffen des Beschwerdeführers, welcher sich in Österreich im inhaltlichen Verfahren befindet, in Zusammenschau mit der als für die psychische Gesundheit des Genannten essentiell erachteten vorliegenden Nahebeziehung zu dem (noch) in Österreich aufhältigen Onkel - im Rahmen der „Ermessensklausel“ des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO im konkreten Einzelfall angezeigt, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben, zumal sämtliche verfahrenswesentliche Abklärungen eindeutig aus den vorliegenden Verwaltungsakten beantwortet werden konnten.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Familienverfahren gesundheitliche Beeinträchtigung psychische Behinderung Selbsteintrittsrecht vulnerable Personengruppe Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W185.2240376.1.01

Im RIS seit

01.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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