TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/25 W103 2195457-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.05.2021
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Entscheidungsdatum

25.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
IntG §10 Abs2 Z4
IntG §9
NAG §81 Abs36
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W103 2195463-1/7E

W103 2195457-1/4E

W103 2195472-1/4E

W103 2195468-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX und 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Ukraine und vertreten durch Dr. Martin Dellasega. Dr. Max Kapferer Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.04.2018, Zlen: 1.) 1096067606-151810216, 2.) 1096068908-151810267, 3.) 1096069600-151810275 und 4.) 1096069709-151810305, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. bis III. werden gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG idgF iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm §§ 9, 10 Abs. 2 Z 5 Integrationsgesetz, jeweils idgF, wird 1.) XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ und 2.) XXXX , 3.) XXXX sowie 4.) XXXX jeweils der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV. Die Spruchpunkte V. und VI. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Ukraine, der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) führen eine Lebensgemeinschaft und sind die Eltern sowie gesetzliche Vertreter der mittlerweile volljährigen Drittbeschwerdeführerin (BF3) und des minderjährigen Viertbeschwerdeführers (BF4). Der BF1 und die BF2 stellten infolge illegaler Einreise am 19.11.2015 für sich und ihre Kinder die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Der BF1 gab anlässlich seiner am selben Tag abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, er gehöre der Volksgruppe der Armenier an, bekenne sich zum christlichen Glauben, stamme aus dem XXXX in der Ostukraine und spreche gut Armenisch, gut Russisch sowie mittelmäßig Ukrainisch. Sein Vater sei bereits verstorben und seine Mutter sei aufgrund des Krieges unauffindbar, Geschwister habe er keine. Zum Fluchtgrund führte der BF1 aus, ihr Haus sei im Zuge des Krieges zerbombt bzw. zerstört worden. Sie hätten die Ortschaft verlassen müssen, weshalb sie ein Jahr lang in XXXX bei Freunden und Bekannten leben hätten müssen. In XXXX hätten sie dann ein Haus gemietet, doch seien dann Nationalisten gekommen und hätten ihnen ihre Dokumente weggenommen. Dabei sei ihr Haus gestürmt worden und der BF1 sowie die BF2 seien geschlagen worden. Alle Dokumente seien ihnen weggenommen worden und sei ihnen mitgeteilt worden, sie müssten das Land verlassen, da sonst etwas Schlimmes passieren würde. Aus Angst hätten sie sich entschlossen das Land zu verlassen. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, gab der BF1 an, in seinem Land herrsche Krieg und er fürchte um sein Leben sowie das Leben seiner Familie.

Die BF2 gab anlässlich ihrer ebenfalls am selben Tag abgehaltenen Erstbefragung gleichlautende Angaben zu ihrer Volksgruppe, ihrer Religion und Herkunft an und erklärte gute Armenisch und gute Russischkenntnisse zu haben. Zum Grund ihrer Flucht, führte sie aus, sie hätten ihre Heimat nicht verlassen wollen und, dass sie alles versucht hätten, um in ihrer Heimat zu bleiben. Sie hätten sogar ein neues Haus angemietet, doch seien eines Tages Nationalisten gekommen und hätten ihnen ihre Dokumente weggenommen sowie sie aufgefordert das Land zu verlassen. Dabei seien die BF2 sowie ihr Lebensgefährte, der BF1 geschlagen worden. Ihnen sei mitgeteilt worden, sie würden umgebracht, würden sie bleiben. Bei einer Rückkehr fürchte die BF2 den Tod. Sie habe Angst um ihr Leben sowie das Leben ihrer Familie.

Die BF3 führte im Rahmen ihrer Erstbefragung am selben Tag zu ihrem Fluchtgrund befragt aus, dass sie das Land mit ihrer Familie verlassen habe wegen des dort herrschenden Krieges. Ihr Haus sei zerstört worden und sie seien von ukrainischen Nationalisten bedroht worden. Sie befürchte bei einer Rückkehr, dass sie und ihre Familie aufgrund ihrer armenischen Abstammung umgebracht würden.

Der BF4 wurde aufgrund seines kindlichen Alters nicht einvernommen.

Am 29.11.2017 wurden die BF1-BF3 im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen.

Der BF1 gab zusammengefasst an, er fühle sich psychisch und physisch in der Lage Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen. Es gebe Fehler im Ersteinvernahmeprotokoll und zwar, sei der Geburtsmonat seines Sohnes falsch protokolliert worden und ihr Haus sei 2014 und nicht 2015 zerstört worden. Der BF1 sei derzeit in ärztlicher Behandlung, wobei er medizinische Befunde vorlegte. Die Identitätsdokumente des BF1, sein Reisepass und sein Führerschein, seien von Rechtsextremisten beschlagnahmt worden.

Der BF1 habe im Herkunftsland nie Probleme mit den dortigen Behörden gehabt, sei nie politisch tätig gewesen und sei wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines Religionsbekenntnisses von keinen Schwierigkeiten betroffen gewesen. Probleme mit der Polizei habe er im Herkunftsstaat ebenso wenig gehabt. Geboren sei der BF1 in XXXX in Aserbaidschan, dort sei er von der 1. Bis zur 7. Klasse in die Schule gegangen. Dann seien sie nach XXXX umgezogen, wo er die 8. Klasse im Oblast XXXX besucht habe. Beruflich habe er seinem Vater mit seinem Geschäft geholfen, dieser habe einen Marktstand mit Männerkleidung gehabt. Seine finanzielle Situation sei durchschnittlich gewesen und habe er zuletzt in XXXX in der Ukraine gewohnt. Dieses Haus hätten sie anfangs gemietet und dann, 1996, habe sein Vater es gekauft. Der BF1 habe dort mit seinen Eltern gewohnt, es sei ein normales Haus gewesen, sie hätten gut gelebt und das Haus selbst renoviert. Der BF1 sei mit der BF2 nicht verheiratet, sie würden eine Lebensgemeinschaft führen und hätten zwei gemeinsame Kinder, die BF3 und den BF4. Der Vater des BF1 sei bereits seit 1999 verstorben und seine Mutter sei seit dem Jahr 2015 vermisst. Wegen des Krieges sei der BF1 mit seiner Familie von ihrem Dorf nach XXXX umgezogen. Dort hätten sie bei einem Freund namens XXXX gelebt. Die Mutter des BF1 sei einkaufen gegangen und sei seitdem vermisst, er habe seine Mutter seit diesem Zeitpunkt nicht mehr gesehen. Der BF1 habe keine weiteren Verwandten im Herkunftsland.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF1 aus, alles habe 2014 mit dem Krieg in XXXX angefangen. Zunächst hätten im März Demonstrationen stattgefunden, im Mai sei ihr Dorf schon bombadiert worden. Am 04.08.2014 sei Hr. XXXX gekommen, der Vorsitzende der XXXX volksrepublik). Bei ihm seien mehrere bewaffnete Männer in militärischer Uniform gewesen und er hätte den BF1 aufgefordert am Krieg gegen die Ukraine teilzunehmen. Er hätte als Soldat mitkämpfen oder als Spion arbeiten sollen. Der BF1 sei an diesem Tag nicht mitgekommen, weil er habe überlegen müssen. Er sei nach Hause gegangen und habe mit seiner Frau geredet, sie hätten nicht gewusst, was sie machen sollten und seien unter Schock gestanden. Am 05.08.2014 sei der BF1 auf den Markt gegangen und habe seine Ware sehr günstig verkauft. Am 06.08.2014 sei er wieder zum Markt gegangen, um sein Geld abzuholen, weil viele Kunden nicht sofort bezahlt hätten. Nachdem der BF1 sein Geld gehabt habe, hätte er wieder gehen wollen, doch sei Hr. XXXX gekommen, habe ihn festgenommen und zur Kommandantur gebracht. Dort sei der BF1 brutal geschlagen worden, er habe sogar sein Bewusstsein verloren. Als er wieder zu sich gekommen sei, sei er auf dem Markt am Boden gelegen und ganz nass und voller Blut gewesen. Einige Bekannte hätten für den BF1 ein Taxi bestellt, das den BF1 nach Hause gebracht habe. Danach habe er beschlossen so schnell wie möglich das Dorf zu verlassen. Sie hätten die nötigsten Sachen gepackt und seien zu einem Bekannten, XXXX , nach XXXX gegangen. Das sei am 10.08.2014 gewesen. Dort hätten sie ein ganzes Jahr gelebt, wobei sie immer zu Hause gewesen und nicht hinausgegangen seien. Der BF1 habe Angst gehabt festgenommen zu werden. Einmal habe er einen Bekannten, der auch auf dem Markt gearbeitet habe, angerufen, er habe ihm zuvor schon versprochen ihm im Falle einer Ausreise zu helfen. Am 30.08.2015 sei der Bekannte mit seinem Auto gekommen und habe sie nach XXXX gebracht. Dort habe der Bekannte ein Haus gehabt, wo sie mit ihm ein Monat gelebt hätten, bis sie selbst ein passendes Haus gefunden hätten. Im September seien sie in ein eigens gemietetes Haus gezogen. Am 30.09.2015 seien Rechtsextremisten gekommen und hätten ihn sowie die BF2 geschlagen. Sie seien beschimpft worden und ihnen sei gesagt worden, dass sie nicht hierhergehören würden und den Ort verlassen sollten. Die Kinder seien im Kinderzimmer gewesen und die Rechtsextremen hätten die Türe mit einem Regenschirm versperrt, damit diese nicht aus dem Zimmer kommen würden. Ihnen seien dann ihre Reisepässe und der Führerschein des BF1 abgenommen worden. Ihnen sei gesagt worden, die Polizei könne ihnen nicht helfen, dann seien sie gegangen. Der BF1 sei mit seiner Familie zu seinem Freund gegangen, sie hätten nicht gewusst, was sie tun sollten bzw. wohin sie gehen sollten. Der Freund des BF1 habe Bekannte gehabt, die ihnen geholfen hätten nach Europa zu fliehen. Am 17.11.2015 seien sie ausgereist. Das sei die einzige Chance für seine Familie gewesen. Als der BF1 noch im Dorf gewesen und geschlagen worden sei, sei er gewarnt und sei ihm gesagt worden, wenn er nicht kämpfe, würde seine Familie ein Leben lang im Gefängnis sitzen. Dort gebe es keine Demokratie.

Als Hr. XXXX den BF1 aufgesucht habe, habe dieser im Dorf XXXX gewohnt. Rajon XXXX sei ein Bezirk vom Oblast XXXX , in diesem Bezirk sei sein Dorf. Es sei ca. 13 km von XXXX entfernt. Warum Hr. XXXX genau zu ihm gekommen sei, wisse er nicht, auch nicht, ob er der einzige gewesen sei. Vielleicht, weil der BF1 Armenier sei. Am 20.08.2014 habe ihn ein Freund, XXXX , angerufen, er sei auch Armenier. Er habe dem BF1 erzählt, er habe gehört, dass ihr Haus gesprengt werde, weshalb sie sehen sollten, dass sie nicht zu Hause seien. Sein Freund habe nicht gewusst, dass sie bereits in XXXX gewesen waren. Der BF1 habe sich bedankt und am 25.08.2014 sei ihr Haus in die Luft gesprengt worden, das habe ihm ein Nachbar erzählt. XXXX sei Fahrer bei der Kommandantur gewesen, weshalb er das bei einem Gespräch mitbekommen habe. Zwischen wem dieses Gespräch gewesen sei, habe XXXX dem BF1 nicht gesagt. Hr. XXXX habe gewusst, wo der BF1 arbeite. Warum er erst am 06.08.2014 zu ihm gekommen sei, wisse er nicht. An diesem Tag habe der BF1 nur das Geld vom Markt abgeholt und nicht gearbeitet. Zwischen dem 06.08.2014 und der Reise zu XXXX , habe der BF1 2-3 Tage im Bett verbracht, er habe seine Augen nicht öffnen können und habe sich nicht bewegen können. Hr. XXXX habe gewusst, wo der BF1 wohne, glaube er. Am 30.08.2015 seien sie nach XXXX gegangen und hätten bei XXXX gelebt, in dieser Zeit sei es zu keinen Vorfällen gekommen. Am 23.09.2015 seien sie in ihr eigenes Haus gezogen. XXXX sei der rechtsextremste Ort der gesamten Ukraine, doch das habe der BF1 nicht gewusst, XXXX habe nie etwas gesagt. Die Rechtsextremisten hätten gesagt, dass dieses Land nicht zu ihnen gehöre und sie müssten es verlassen. Sie hätten hier nichts verloren. Mit den Rechtsextremisten sei es nur zu einem Vorfall gekommen. Von 30.09.2015 bis zum 17.11.2015 hätte der BF1 mit seiner Familie wieder bei XXXX gelebt, dort sei es zu keinen Vorfällen gekommen.

Befragt, ob der BF1 die Möglichkeit hätte in einem anderen Teil seines Heimatlandes, beispielsweise Kiew, zu leben, gab er an, dass Maidan gewesen sei, als er noch in der Ukraine gewesen sei. Es habe Unruhe geherrscht und sei zu mehreren Vorfällen gekommen, bei denen sehr viele Menschen von Snipern getötet und erschossen worden seien. Der BF1 könne nicht an einem anderen Ort leben, weil er keine Bekannten habe. Er habe XXXX und XXXX , bei diesen habe er versucht sich niederzulassen. In Österreich habe er sich niederlassen können, weil er gewusst habe, dass er hier nicht verfolgt werde. Ihm sei egal gewesen wohin er komme, er habe nur Sicherheit für seine Familie gewollt. Bei einer Rückkehr erwarte ihn den Tod und er habe sein Heimatland illegal verlassen. Der BF1 habe keine Dokumente gehabt.

In Österreich arbeite der BF1 im Altersheim. Ihm sei wichtig, dass seine Kinder in Sicherheit aufwachsen. Seine Tochter sei im Gymnasium und sein Sohn in der Mittelschule, er spiele auch sehr gut Schach. Sein Chef im Altersheim frage ihn ständig, wann er einen Status bekomme. Er würde den BF1 übernehmen, das stehe auch in seinem Empfehlungsschreiben. Der BF1 bitte ihm diese Möglichkeit zu geben. Er lebe im Bundesgebiet von der Grundversorgung und seiner gemeinnützigen Arbeit.

Die BF2 gab bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am selben Tag im Wesentlich an, sie sei am heutigen Tag psychisch und physisch in der Lage Angabe zu ihrem Asylverfahren zu machen und bei der Ersteinvernahme sei das Geburtsdatum ihres Sohnes falsch protokolliert worden sowie sei der Vorfall 2014 und nicht 2015 gewesen. Die BF2 leide an keinen Krankheiten, sie habe jedoch manchmal Rücken- und Schulterschmerzen. Sie sei auch beim Frauenarzt gewesen, dieser habe ihr auch gesagt, dass sie einige Probleme habe. Sie sollte weiter in Behandlung gehen, weil sie auch jeden Tag Kopfschmerzen habe, aber sie gehe nicht zum Arzt. Die BF2 mache ihren Pflichtschulabschluss und habe Deutschkursbestätigungen. Die BF2 habe einen ukrainischen Inlandsreisepass gehabt, dieser sei ihr von ukrainischen Rechtsextremisten weggenommen worden. Sie habe Probleme aufgrund ihres Religionsbekenntnisses und ihrer Volksgruppenzugehörigkeit gehabt und glaube es sei überall sei. Sie seien ukrainische Staatsbürger, doch Armenier. In Österreich gebe es auch ausländerfeindliche Menschen. In der XXXX würden sie die Armenier nicht mögen. Davor hätten sie ganz normal gelebt und gearbeitet, sie hätten ein Haus gehabt und gearbeitet. Mit der Polizei, Behörden und Gerichten habe die BF2 persönlich nie Probleme gehabt. Sie sei nie in Haft oder politisch tätig gewesen. Die BF2 sei ebenfalls in XXXX in Aserbaidschan geboren und ihre Muttersprache sei Armenisch, sie spreche auch gut Russisch. Bis zur 5. Klasse sei sie in XXXX gewesen, die nächsten 5 Klassen habe sie in der Ukraine besucht. Die BF2 sei Friseurin, sie habe im Herkunftsstaat als Friseurin privat gearbeitet. Außerdem habe sie gebacken und die Backwaren dann verkauft. Ihre letzte Wohnadresse sei im Dorf XXXX gewesen und ihre finanzielle Situation im Herkunftsstaat sei normal gewesen. Die BF2 habe niemanden mehr in der Ukraine, ihre Schwiegermutter sei vermisst. Die Eltern der BF2 seien bereits verstorben, sie seien getötet worden, als die BF2 11 Jahre alt gewesen sei. Die Tante bei der die BF2 aufgewachsen sei und die sie in die Ukraine gebracht habe, sei 1998 verstorben. In Österreich habe die BF2 nur ihren Lebensgefährten, den BF2, und ihre Kinder, die BF3-BF4. Die BF2 legte Unterlagen zu ihrer Integration vor.

Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte sie aus, dieselben Fluchtgründe wie ihr Mann zu haben. Sie habe keine weiteren Fluchtgründe und wolle ihre Familie nicht verlieren. Sie habe sehr viel im Leben verloren, aber sie sei nicht bereit ihre Familie zu verlieren. Die Möglichkeit in einem anderen Teil der Ukraine zu leben, habe sie nicht. Sie würden dort sterben. Sie hätten es mit einem Umzug versucht, doch das habe nicht funktioniert. Wenn es keine Probleme gebe, wäre es möglich sich in einem anderen Teil der Ukraine niederzulassen, sie hätten ihr ganzes Leben dort verbracht. Was sie bei einer Rückkehr erwarte, wisse die BF2 nicht.

In Österreich arbeite der Mann der BF2 und sie lerne Deutsch. Ihre Kinder seien in der Schule, ihr Sohn spiele auch Schach, ihre Tochter sei im Gymnasium. Die BF2 wolle hier als Konditorin arbeiten und mache deswegen ihren Pflichtschulabschluss. Sie würden von der Grundversorgung leben und den Verdiensten ihres Mannes. Freiwillig würde die BF2 nicht zurückkehren wollen.

Die BF3 gab bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am selben Tag an, sie sei psychisch und physisch in der Lage heute Angaben zu ihrem Asylverfahren zu machen. Auch sie gab an, bei ihrer Ersteinvernahme sei das Geburtsdatum ihres Bruders falsch protokolliert worden und der Vorfall habe sich 2015, nicht 2014 ereignet. Die BF3 leide an keinen Krankheiten, doch sie habe Probleme mit ihrer monatlichen Periode und nehme Medikamente, wenn sie ihre Periode habe. Sie habe keine Identitätsdokumente. Als sie einen Personalausweis hätte bekommen sollen, habe Krieg geherrscht, weshalb sie keinen erhalten habe. Die BF3 habe nie Probleme aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder ihres Religionsbekenntnisses gehabt. Sie habe persönlich auch nie Probleme mit der Polizei, Behörden oder Gerichten gehabt und sei nie in Haft oder politisch tätig gewesen. Die BF3 sei in XXXX geboren und spreche muttersprachlich Armenisch. Sie beherrsche Russisch, Deutsch, Englisch, Latein und ein bisschen Ukrainisch. Derzeit besuche sie die 6. Klasse Realgymnasium, ihre finanzielle Situation sei normal. Die Großmutter der BF3 sei seit 2015 vermisst, sonst habe sie keine weiteren Verwandten in der Ukraine. Die BF3 legte ebenfalls Unterlagen zu ihrer Integration vor.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte die BF3 aus, dieselben Fluchtgründe wie ihre Eltern zu haben. Sie sei mit ihnen und ihrem Bruder ausgereist. Die BF3 hätte keine eigenen Fluchtgründe, sondern beziehe sich auf die Fluchtgründe ihrer Eltern. Sie gehe in Österreich in die Schule und habe Russischunterricht. Da sie maturieren wolle, sei es notwendig, dass sie drei Jahre diesen Unterricht besuche. Die BF3 wolle studieren, sie wolle Dolmetscherin oder Rechtsanwältin werden. Sie würden von der Grundversorgung und den Verdiensten ihres Vaters leben.

2. Mit den im Familienverfahren ergangenen angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine (Spruchpunkte II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die beschwerdeführenden Parteien eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für deren freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte VI.).

Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, Religion und Volksgruppenzugehörigkeit sowie den letzten Wohnort der beschwerdeführenden Parteien fest. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die beschwerdeführenden Parteien in der Ukraine einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen wären oder eine solche künftig zu befürchten hätten. Der BF1 habe keine gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht. Der BF1 und die BF2 hätten widersprüchliche Angaben zur Zerstörung ihres Hauses gemacht und sei es unglaubhaft, dass die tatsächlichen Misshandlungen durch den Vorsitzenden der XXXX stattgefunden hätten, zumal der BF1 das Krankenhaus oder einen Arzt aufgesucht hätte, wären seine Verletzungen tatsächlich so schwer gewesen, wie angegeben. Im Übrigen hätten der BF1 und die BF2 diesen Vorfall bei ihrer Erstbefragung nicht erwähnt. Bei dem Überfall durch Rechtsextremisten in XXXX handle es sich um einen Vorfall von Privatpersonen, den der BF1 nicht zur Anzeige gebracht habe, weshalb den staatlichen Behörden nicht die Möglichkeit der Strafverfolgung gegeben worden sei. Außerdem hätten sie dann noch weitere 2 Monate dort unbehelligt gelebt. Die BF2 habe bezogen auf ihre eigene Person sowie hinsichtlich des von ihr vertretenen minderjährigen BF4 keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, sondern sich auf die ihres Mannes bezogen. Auch die BF3 bezog sich auf die Fluchtgründe ihres Vaters. Es habe bei Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland dort einer realen Gefahr für ihr Leben oder ihre Unversehrtheit ausgesetzt wären.

Der BF1 und die BF2 seien aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes in der Lage, am Erwerbsleben teilzunehmen. Diese würden die Amtssprache beherrschen und seien auch vor ihrer Ausreise in der Ukraine einer Beschäftigung nachgegangen. Zudem seien sie in die ukrainische Gesellschaft integriert und hätten bekanntschaftliche Anknüpfungspunkte im Heimatland. Es habe nicht festgestellt werden können, dass diesen die notdürftigste Lebensgrundlage im Falle einer Rückkehr entzogen sein würde. Selbst wenn eine Rückkehr nach XXXX nicht möglich wäre, sei es ihnen zuzumuten, sich in einem anderen Teil der Ukraine niederzulassen.

Da keinem der Familienmitglieder der Status eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden wäre, sei die Ableitung eines entsprechenden Status im Wege des Familienverfahrens jeweils nicht in Betracht gekommen. Ebenso wenig seien Gründe für die amtswegige Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 zu Tage getreten.

Die beschwerdeführenden Parteien seien lediglich vorübergehend im Rahmen des Asylverfahrens zum Aufenthalt berechtigt gewesen und spreche der BF1 kaum Deutsch, weshalb er in seinem Fortkommen massiv eingeschränkt sei. Der BF1 habe stundenweise als Beifahrer bei der Auslieferung für Schüleressen gearbeitet. Die BF2 hätte zwar Deutsch gelernt und spreche gut Deutsch, doch sei sie illegal eingereist und bis dato keiner gemeinnützigen Tätigkeit nachgegangen. Die BF3 gehe ins Gymnasium, der BF4 besuche ebenfalls die Schule und spiele Schach. Die BF1-BF4 würden von der Grundversorgung leben und hätten den Großteil ihres Lebens in der Ukraine verbracht. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung würden daher gegenüber den privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, sodass sich der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung als verhältnismäßig erweise.

3. Gegen diese, den beschwerdeführenden Parteien am 13.04.2018 zugestellten, Bescheide brachte der nunmehr bevollmächtigte Vertreter der beschwerdeführenden Parteien mit – für alle Beschwerdeführer gleichlautendem – Schriftsatz vom 09.05.2018, eingelangt am 11.05.2018, fristgerecht Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und inhaltlicher Rechtswidrigkeit ein. Begründend wurde darin im Wesentlichen ausgeführt, der belangten Behörde sei eine Verletzung ihrer Ermittlungspflicht iSd Rechtsprechung des VfGH, VwGH und des BVwG vorzuwerfen, indem sie eine antizipierende Beweiswürdigung durchgeführt habe. In ihrer Beweiswürdigung habe die belangte Behörde nicht ausgeführt, wieso sie davon ausgehe, dass die geschilderte Verfolgung von Privatpersonen ausgehe bzw. diese keine asylrelevante Verfolgung darstelle. Der BF1 habe nämlich vorgebracht, er sei vom Vorsitzenden der „Volksrepublik XXXX “ und seinen Soldaten bedroht worden. Nach den Länderberichten hätten ukrainische Sicherheitskräfte keinerlei Kontrolle über XXXX . Die Soldaten würden dem BF1 eine feindliche politische Gesinnung unterstellen, da er sich diesen nicht habe anschließen wollen. Außerdem würde diese staatliche Kontrolle ausüben, weshalb die geschilderte Verfolgung asylrelevant sei. In weiterer Folge hätte die belangte Behörde ausführen müssen, ob sich die BF dieser Verfolgung durch Niederlassung in der Westukraine entziehen hätten können und hätte prüfen müssen, ob diese innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar und möglich sei. Die belangte Behörde unterlasse eine Auseinandersetzung mit dem Länderinformationsblatt, sondern vermute, dass das gesamte Vorbringen unglaubwürdig sei. Der Konflikt in der Ostukraine habe zu massiver Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur geführt. Auch der BF1 habe vorgebracht, sein Haus sei zerstört worden. Davon seien auch Schulen, medizinische Einrichtungen, die Strom- und Wasserversorgung betroffen. Die belangte Behörde habe trotzdem festgestellt, dass eine Rückkehr für zulässig erachtet werde und verweise in der Beweiswürdigung pauschal auf die Länderfeststellungen. In den Länderberichten werde auch bestätigt, dass sich die BF wegen der Verfolgung durch die Nationalisten nicht an ukrainische Sicherheitsbehörden hätten wenden können, da diese in den Oblasten XXXX und Lugansk keine Möglichkeit hätten ihre Befugnisse wahrzunehmen. Für Personen aus der Ostukraine sei auch eine Flucht in die Westukraine nicht gefahrlos, weil der SBU Spione entlarve und illegal inhaftiere sowie foltere. Den BF wäre mit außerordentlicher Wahrscheinlichkeit unterstellt worden im Auftrag der Separatisten zu handeln, weswegen ihnen illegale Haft und Folter gedroht hätte. Zwar habe der BF1 keine Probleme mit westukrainischen Behörden vorgebracht, doch hätte die belangte Behörde dies bei Berücksichtigung der Länderfeststellungen zu den Folgen der Flucht ermitteln müssen, weil es sich beim BF1 um einen ukrainischen Staatsbürger im wehrfähigen Alter handle. Die Tatsache, dass er sich nicht freiwillig zum Dienst gemeldet hat, werde ihm wahrscheinlich negativ ausgelegt und im eine pro-russische Gesinnung unterstellt. Ebenso würde die Behörde keinerlei Begründung hinsichtlich der Feststellung ausführen, wonach die BF keine Art. 3 verletzende Lage geraten würden, obwohl sie aus XXXX stammen. Die BF würden in der gesamten Ukraine über keine innerstaatliche Fluchtalternative verfügen. Den BF wäre aus diesem Grund der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen. Neben der momentanen Sicherheitslage, sei die Versorgung von Binnenvertriebenen nicht gewährleistet, weshalb die BF im Falle einer Überstellung einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK zu rechnen hätten und ihnen subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei. Bei der erlassenen Rückkehrentscheidung, hätte sich die belangte Behörde mehr mit dem Kindeswohl beschäftigen müssen, weil die mj. Kinder bereits einen Großteil ihres Lebens in Österreich verbracht hätten. Hätte die Behörde die vorgelegten Beweise berücksichtigt, hätte sie aufgrund der hervorragenden Integration, der Deutschkenntnisse, der sozialen Kontakte, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Unbescholtenheit sowie des Behördenverschuldens an der Aufenthaltsdauer zumindest einen humanitären Aufenthaltstitel zuerkennen müssen.

4. Die Beschwerdevorlagen in den Verfahren der beschwerdeführenden Parteien langten am 16.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingaben vom 01.03.2021 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter aktuelle Unterlagen zur Integration der BF1-BF4.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Ukraine, Angehörige der armenischen Volksgruppe und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben. Der BF1 und die BF2 führen eine Lebensgemeinschaft, sind jedoch nicht miteinander verheiratet und Eltern der mittlerweile volljährigen BF3 sowie des mj. BF4. Die BF1-BF4 reisten gemeinsam illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, stellten am 19.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz und halten sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf.

Der BF1 ist in XXXX , Aserbaidschan geboren und hat dort die 1. bis 7. Klasse besucht. Danach ist er mit seiner Familie nach XXXX umgezogen, wo er die 8. Klasse im Dorf XXXX besucht hat. Der BF1 hat danach seinem Vater mit dem eigenen Marktstand geholfen, bei dem sie Männerkleidung verkauft haben. Nach dem Tod seines Vaters 1999, hat der BF1 den Marktstand weitergeführt. Die Mutter des BF1 ist seit 2015 unbekannten Aufenthalts.

Die BF2 ist ebenfalls in XXXX , Aserbaidschan, geboren und hat dort bis zur 5. Klasse die Schule besucht. Danach ist sie zu ihrer Tante in die Ukraine verzogen, wo sie weitere 5 Jahre die Schule besucht hat. In der Ukraine hat die BF2 als Friseurin gearbeitet und nebenbei selbstgemachte Backwaren verkauft. Ihre Eltern sind verstorben, als die BF2 11 Jahre alt war, weshalb sie bei ihrer Tante aufgewachsen ist, die 1998 verstorben ist.

Zuletzt haben die BF1-BF4 zusammen im Dorf XXXX , 13 km entfernt von XXXX , im Elternhaus des BF1, gewohnt.

Die BF3 hat von 2006 bis 2014 in XXXX die Grundschule besucht. Der BF4 hat ebenfalls in XXXX ab 2011 die Grundschule besucht.

Der BF1 und die BF2 sprechen muttersprachlich Armenisch und sehr gut Russisch. Der BF1 spricht etwas Ukrainisch und die BF3 versteht Ukrainisch.

1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in die Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wären. Die BF2 hat in Bezug auf ihre eigene Person sowie im Hinblick auf den minderjährigen BF4 und die damals noch minderjährige BF3 keine individuellen Rückkehrbefürchtungen geäußert. Die BF2-BF4 beriefen sich auf die Fluchtgründe des BF1.

1.3. Eine Rückkehr der BF1 bis BF4 in den Oblast XXXX ist aufgrund der dort herrschenden Sicherheitslage nicht möglich. Den BF1-BF4 steht ein zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt XXXX oder Kiew zur Verfügung. Die BF1-BF4 haben vor ihrer Ausreise in XXXX zweieinhalb Monate gelebt. Die BF1-BF4 können XXXX oder Kiew von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen und die grundlegende Versorgung der Bevölkerung ist in beiden Städten gewährleistet. Außergewöhnliche Umstände, die eine Rückkehr der Beschwerdeführer nach XXXX oder Kiew ausschließen würden, konnten nicht festgestellt werden.

Es besteht für die BF1-BF2 als leistungsfähige Personen im berufsfähigen Alter, die an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten leiden, sowie mit einem sozialen Netz im Herkunftsstaat im Falle einer Rückkehr nach Kiew oder XXXX gemeinsam mit den BF3-BF4 keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Die beschwerdeführenden Parteien liefen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die BF1-BF4 sind gesund und konnten ihren Lebensunterhalt in der Ukraine in der Vergangenheit stets problemlos eigenständig bestreiten. Darüber hinaus haben Beschwerdeführer die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Der BF1 leidet an einer depressiven Episode und Schlafstörungen, weshalb er sich in psychiatrischer Behandlung befindet und die Medikamente Trittico sowie Duloxetin einnimmt. Außerdem leidet er an FMF (familiäres Mittelmeerfieber), einer genetisch bedingten Erkrankung, weshalb er das Medikament Colchizin einnimmt. Die BF2-BF4 sind gesund.

Die beschwerdeführenden Parteien leiden jeweils an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Ukraine besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weshalb der BF1 hinsichtlich seiner psychischen Beschwerden ausreichend behandelt werden könnte.

1.4. Die unbescholtenen BeschwerdeführerInnen leben in einem gemeinsamen Haushalt in einer Mietwohnung im Bundesgebiet, führen untereinander ein Familienleben und bestreiten ihren Lebensunterhalt seit Jänner 2020 unabhängig von staatlichen Grundversorgungsleistungen. Sie haben während ihres über fünfjährigen Aufenthalts eine vertiefte Integration im Bundesgebiet erlangt. Der BF1 hat von 01.12.2015 bis 30.09.2016 einen Deutschkurs auf Sprachniveau A1 besucht. Von November 2016 bis Dezember 2020 arbeitete der BF1 im Rahmen der erlaubten gemeinnützigen Tätigkeit im Wohnheim Reichenau, wobei er Schüleressen auslieferte und Reinigungsarbeiten durchführte. Durch das dadurch erwirtschaftete Einkommen verdiente sich der BF1 etwas dazu. Die BF2 hat sich Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 angeeignet und im Juni 2017 eine ÖSD-Integrationsprüfung auf diesem Niveau bestanden. Bereits zuvor hat sie die Sprachprüfung im Dezember 2016 auf Sprachniveau A2 bestanden und mehrere Deutschkurse besucht. Die BF2 hat von September bis November 2017 einen Deutschkurs auf Sprachniveau B2 und im Mai 2017 einen Erste Hilfekurs im Ausmaß von 16 Stunden besucht. Darüber hinaus absolvierte die BF2 Vorbereitungskurse zum Pflichtschulabschluss und hat die Teilprüfung Gesundheit und Soziales im Juni 2017 sowie die Teilprüfung Deutsch im Juli 2017 mit „sehr gut“ abgeschlossen. Ihren Pflichtschulabschluss erlangte die BF2 im Jahr 2018. Seit 2018 engagiert sich die BF2 ehrenamtlich im Verein XXXX wobei sie gemeinsam mit einer einheimischen Co-Organisatorin Kochkurse leitet. Außerdem unterstützt sie den Verein wann immer möglich bei verschiedenen Veranstaltungen. Seit Anfang 2020 kommt die BF2 regelmäßig donnerstags in die Spitalskirche zum Abendgebet und hilft dort auch ehrenamtlich bei den Vorbereitungen in der Kirche mit. Bei Veranstaltungen bringt sie regelmäßig Selbstgebackenes mit.

Der BF1 und die BF2 verfügen über aktuelle Einstellungszusagen als Gärtnergehilfen in einer Gärtnerei über jeweils 30 Stunden/Woche. Bereits zuvor verfügte der BF1 im Juli 2019 über eine Einstellungszusage der XXXX bei der er bis Dezember 2020 ehrenamtlich tätig war.

Die BF3 besucht derzeit die 8. Klasse eines Gymnasiums für Berufstätige. Zuvor besuchte sie ein anderes Gymnasium ab dem Schuljahr 2015/16 als außerordentliche Schülerin und war seit dem Schuljahr 2017/18 (6. Klasse) aufgrund ihrer schnellen Lernfortschritte als ordentliche Schülerin eingestuft. Das Unterrichtsfach Deutsch der 9. Schulstufe hat die BF3 mit der Note 3 abgeschlossen. Sie hat im Rahmen des Projekts „ XXXX “ vom 14.07.2020 bis 27.08.2020 zweimal wöchentlich für zwei Stunden mitgearbeitet und Kindern zwischen 10 und 13 Jahren in den Fächern Deutsch und Mathematik beim Lernen unterstützt.

Der BF4 besucht derzeit die 3. Klasse einer 4-jährigen Fachschule an einer HTL. Das Unterrichtsfach Deutsch der 9. Schulstufe hat der BF4 mit der Note 4 abgeschlossen. Zuvor hat er einen Neue Mittelschule im Bundesgebiet besucht. Er spielt Schach und hat im Jahr 2017 an zahlreichen Wettbewerben teilgenommen. Von 01.02.2018 bis 28.02.2018 hat der BF4 einen Erste-Hilfe-Kurs besucht.

Die beschwerdeführenden Parteien haben sich einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet aufgebaut, mit welchem sie regelmäßig ihre Freizeit verbringen und sind in das Gemeindeleben ihrer Wohngemeinde sehr gut integriert.

Der Lebensmittelpunkt der beschwerdeführenden Parteien befindet sich zwischenzeitlich in Österreich, wohingegen sie zu ihrem Herkunftsstaat nur mehr vergleichswiese geringe Bindungen aufweisen, zumal sie dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte mehr verfügen. Aufgrund der seitens der beschwerdeführenden Parteien gesetzten Integrationsschritte sowie des aufrechten Familienlebens zwischen den BeschwerdeführerInnen würde eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in deren Privat- und Familienleben darstellen.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

1.       Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten „Freiwilligen-Bataillone“ nehmen offiziell an der „Anti-Terror-Operation“ der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon 9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-        AA – Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-        AA – Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-        ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-        USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die „Volksrepublik Donezk“ und die „Volksrepublik Lugansk“ aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines „Sonderstatus“ für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem „vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung“, von einem „unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk“, sowie einer durch „fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen“ gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem „Kollaps von Recht und Ordnung“ in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als „Freiwillige“. 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur „offizielle Kirchen“ dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

-        -        AA – Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-        -        AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

-        -        FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017

-        -        FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017

-        -        HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

-        -        ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-        -        USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2.       Rechtsschutz/Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).

Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).

Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).

Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).

Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).

Quellen:

-        BFA/OFPRA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine

-        FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 6.6.2017

-        ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asy

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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