Entscheidungsdatum
31.05.2021Norm
BBG §40Spruch
L511 2238512–1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Mag. HANSA, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle Oberösterreich vom 27.10.2020, Zahl: OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Neuausstellung eines Behindertenpasses, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt:
1. Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]
1.1. Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt seit 27.08.2017 über einen bis 31.10.2019 befristeten Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung [GdB] von 50 vH und den Zusatzeintragungen „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial“, „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.1).
Am 21.06.2019 stellte er einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses,, sowie für den Fall, dass die Aktenlage die Vornahme von Zusatzeintragungen rechtfertige, die Aufnahme der entsprechenden Zusatzeintragungen in den Behindertenpass (AZ 2.6). Der Beschwerdeführer legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor (AZ 2.7-2.9, 2.12, 2.13).
1.2. Er gehörte darüber hinaus zuletzt seit dem 15.11.2017 mit einem Grad der Behinderung [GdB] von 50 vH dem Kreis der begünstigten Behinderten an (hg. GZ 2238511).
1.3. Das SMS holte zunächst ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Chirurgie eingeholt. Dieses Gutachten vom 13.12.2019 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 01.10.2019 unter Einbeziehung der vorgelegten aktuellen Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 40 vH sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.21).
1.4. Im folgenden Ermittlungsverfahren nahm der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 30.12.2019 Stellung (AZ 2.11), legte am 06.02.2020 Befunde und Krankengeschichten des ihn behandelnden Krankenhauses vor (AZ 2.12, 2.13) und das SMS holte ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Orthopädie ein. Dieses Gutachten vom 15.05.2020 wurde ohne Untersuchung des Beschwerdeführers, sondern aufgrund der Aktenlage, unter Einbeziehung des Vorgutachtens und der neu vorgelegten Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 vH, sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.22). Ergänzend holte das SMS ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Orthopädie vom 04.09.2020, welches auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 10.08.2020 unter Einbeziehung der vorgelegten aktuellen Befunde erstattet wurde. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 vH, sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.23).
1.5. Mit Bescheid des SMS vom 27.10.2020, Zahl: XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 21.06.2019 gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da er mit einem Grad der Behinderung von 40 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle (AZ 2.29).
Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom 04.09.2020, welches als schlüssig erkannt wurde. Das Gutachten wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt.
1.6. Mit Schreiben vom 14.12.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid (AZ 1.2).
Darin führt der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, seit seinem Unfall im April 2017 sei keine Besserung seiner Leiden eingetreten. Er sei nach wie vor Träger von Osteosynthesematerial und benötige ein Sitzkissen, wenn er sitze. Beim Gehen und beim Stiegensteigen habe er erhebliche Beschwerden, insbesondere seien das Sprunggelenk (eingeschränktes Abrollverhalten) und das rechte Knie (erhebliche Beugeproblematik) betroffen. Auch nachts habe er Schmerzen entlang der rechten unteren Extremität. In der Ebene könne er maximal einen Kilometer weit gehen. Er nehme regelmäßig Schmerztabletten, erhalte Massagen und Lymphdrainagen und sei trotzdem nicht schmerz- und beschwerdefrei.
2. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 12.01.2021 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.3, 2.1 -2.29]).
II. Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer ist in Österreich wohnhaft und stellte am 21.06.2019 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses.
1.2. Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Funktionseinschränkung beider Beine nach Polytrauma im Rahmen eines Verkehrsunfalles am 18.4.2017 mit Bruch des linken Oberschenkels, der rechten Kniescheibe und des rechten Sprungelenkes - alle Frakturen operativ saniert.
Z.n. Entfernung des Osteosynthesematerials vom rechten Sprunggelenkes und der rechten Kniescheibe, der Oberschenkelmarknagel links ist in situ;
anhaltende Beschwerden, mäßige Mobilitätseinschränkung, einfache Schmerzmedikation
02.02.02
40
2
Z.n. Kahnbeinentfernung links 02/2017
mäßiger Bewegungseinschränkung und belastungsabhängige wechselnd stark ausgeprägte Schmerzen
02.06.22
20
3
Bluthochdruck
Unter Monotherapie
05.01.01
10
Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt 40 vH. Führendes Leiden ist die Position 1. Die übrigen Leiden wirken bei fehlender zusätzlicher erheblicher Einschränkung und Geringfügigkeit nicht stufenerhöhend.
1.3. Eine Nachuntersuchung ist für Mai 2023 vorgesehen.
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt, aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt (OZ 1 [=AZ 1.1-1.3, 2.1-2.22]). Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:
? Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Orthopädie vom 04.09.2020 (AZ 2.23)
? Bescheid des SMS vom 28.10.2020 (AZ 2.29)
? Beschwerde vom 14.12.2020 (AZ 1.2)
? Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR] (OZ 1)
2.2. Beweiswürdigung
2.2.1. Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung und dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.6, OZ 1).
2.2.2. Die festgestellten Funktionseinschränkungen deren Ausmaß und medizinische Einschätzung sowie die geplante Nachuntersuchung (Punkte 1.2.-1.3) ergeben sich aus dem Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Orthopädie vom 04.09.2020 (AZ 2.20). Das Gutachten basiert auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, berücksichtigt alle vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunde (AZ 2.6-2.8, 2.12, 2.13) und steht mit diesen auch nicht in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004). Im Rahmen der Beschwerdeerhebung wurden keine neuen Befunde mehr vorgelegt. Die Feststellungen im Gutachten sind nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei. Die Einstufungen der laufenden Nummern 2 und 3 wurden vom Beschwerdeführer nicht thematisiert und erscheinen auch für den erkennenden Senat als korrekt vorgenommen. Vom Beschwerdeführer wurde ausschließlich die Einstufung der laufenden Nr. 1 (Funktionseinschränkung beider Beine) kritisiert.
2.2.3. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Einstufung von 40 vH betreffend die Funktionseinschränkung beider Beine nach einem Autounfall vom 18.04.2017 ausspricht, da diese zuvor mit 50 vH eingestuft worden seien und sich sein Zustand nicht gebessert habe, sondern konstant geblieben sei, ist Folgendes festzuhalten:
2.2.3.1. Hinsichtlich der Beweglichkeit der Knie geht aus der vom Beschwerdeführer vorgelegten Krankengeschichte vor, dass diese am 12.07.2017 bei 0-10-60° lag (Fortsetzungsblatt 34 von AZ 2.13). Am 22.08.2017 lag die Beweglichkeit des rechten Knies bei 0-0-110° und das linke Knie war frei beweglich (Fortsetzungsblatt 35 von AZ 2.13). Aus dem Endbefund des Krankenhauses (Datum nicht ersichtlich) ergibt sich eine Beweglichkeit des rechten Knies von 0-0-115° (Fortsetzungsblatt 48 von AZ 2.13). Der Entlassungsbericht der absolvierten ambulanten Rehabilitation vom 04.01.2018 gibt eine Beweglichkeit des rechten Knies von 0-0-130° an (AZ 2.6, S 4) und das nunmehr eingeholte Gutachten kam zu einer Extension/Flexion beider Knie von 0-150° (AZ 2.20). Von einem konstanten Zustand seit dem Unfall kann somit hinsichtlich der Knie nicht gesprochen werden, die Beweglichkeit verbesserte sich stetig.
2.2.3.2. Hinsichtlich der Beweglichkeit des rechten Sprunggelenks ist festzuhalten, dass diese am 12.07.2017 bei 0-0-20° lag (Fortsetzungsblatt 34 von AZ 2.13), am 22.08.2017 bei 5-0-20° (Fortsetzungsblatt 35 von AZ 2.13), am 24.10.2017 20-0-10° (Fortsetzungsblatt 36 von AZ 2.13) und am 16.11.2017 war das rechte Sprunggelenk nahezu frei beweglich und voll belastbar (Fortsetzungsblatt 36 von AZ 2.13). Der Endbefund der Krankengeschichte (Datum nicht ersichtlich) spricht von einer Beweglichkeit von 15-0-15° und einer freien Beweglichkeit des unteren Sprunggelenks (Fortsetzungsblatt 48 von AZ 2.13). Der Entlassungsbericht der ambulanten Reha enthält keine Angaben zur Beweglichkeit des rechten Sprunggelenks (AZ 2.6), das vom SMS eingeholte Gutachten vom 04.09.2020 weist eine Beweglichkeit von 5-0-5° des rechten Sprunggelenks auf (AZ 2.20). Von einem konstanten Zustand seit dem Unfall kann somit auch hinsichtlich des rechten Sprunggelenks nicht gesprochen werden, auch hier verbesserte sich die Beweglichkeit, bevor sie zuletzt wieder abgenommen hat.
2.2.3.3. Das Gangbild des Beschwerdeführers wird im Entlassungsbericht der ambulanten Rehabilitation vom 04.01.2018 als „noch etwas linkshinkend“ beschrieben, der Beschwerdeführer habe zu diesem Zeitpunkt in der Ebene gut gehen können, bei Stiegen oder schrägen Untergründen habe er noch einen Gehstock rechts verwendet (AZ 2.6, S 3, 4). Im Rahmen der Untersuchung zur Erstellung des Gutachtens vom 04.09.2020 konnte der Beschwerdeführer frei, raumgreifend und zügig gehen wobei er nicht hinkte. Der Einbeinstand war beidseits durchführbar. Der Beschwerdeführer benötigt keinen Gehbehelf und ist auch nicht sturzgefährdet.
2.2.3.4. Der Beschwerdeführer ist zwar nicht beschwerdefrei, benötigt jedoch nur einfache Schmerzmedikation (Ibuprofen und Seractil) und trägt rechts einen Kompressionsstrumpf. Eine regelmäßige aktive Therapie wird nicht durchgeführt, der Beschwerdeführer erhält immer wieder Massagen und Lymphdrainagen (AZ 2.20).
2.2.4. Um die funktionellen Auswirkungen der Einschränkungen des Bewegungsapparates des Beschwerdeführers mit 50 vH einstufen zu können, hat nach der Pos.Nr. 02.02.03 (Änderung der Einschätzungsverordnung in der anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 251) eine dauernde erhebliche Funktionseinschränkung vorzuliegen sowie eine therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität sowie die Notwendigkeit einer über mindestens sechs Monate andauernden Therapie. Aus den getroffenen Feststellungen im Gutachten, im Entlassungsbericht der Rehabilitation und der vorgelegten Krankengeschichte ergibt sich nicht, dass der Beschwerdeführer erheblich in seiner Bewegungsfunktion eingeschränkt wäre. Weiters ergaben die Befunde nicht, dass die Krankheitsaktivität nur schwer beeinflussbar wäre, sondern sind durchaus Therapieerfolge feststellbar. Insbesondere wird diesbezüglich festgehalten, dass dem Entlassungsbericht der ambulanten Reha zu entnehmen ist, dass die Rehabilitationsziele – Schmerzlinderung, Verbesserung des Gangbildes und Kräftigung der geschwächten Muskulatur – erreicht wurden. Dass eine mindestens sechsmonatige Therapie erforderlich wäre, ist dem Behandlungsverlauf auch nicht zu entnehmen: Kurz nach dem Unfall wurde eine Rehabilitation in XXXX absolviert und danach eine ambulante Rehabilitation in XXXX . Seither wird keine laufende Therapie gemacht, sondern wird mit Massagen und Lymphdrainagen das Auslangen gefunden.
2.2.4.1. Dass der Beschwerdeführer nach wie vor Osteosynthesematerial im Körper hat, ein Sitzkissen verwendet, nicht beschwerdefrei und in seiner Mobilität eingeschränkt ist, wird vom erkennenden Senat nicht verkannt. Die Beschwerden des Beschwerdeführers sind aus Sicht des Senates jedoch noch nicht unter „Dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität, Notwendigkeit einer über mindestens 6 Monate andauernden Therapie“ zu subsumieren, sondern von der vorgenommenen Einstufung von 40 vH „Mäßige Funktionseinschränkungen, je nach Art und Umfang des Gelenkbefalls, geringe Krankheitsaktivität“ noch mitumfasst.
2.2.5. Da die subjektive Beurteilung des Beschwerdeführers somit keine Zweifel an der Einstufung der Leiden im aktuellen orthopädischen Gutachten hervorrufen, und auch sonst keine Hinweise dahingehend hervorgekommen sind, dass die Beurteilungen im Gutachten nicht richtig wären, legt der erkennende Senat die im Gutachten vom 04.09.2020 getroffenen Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zu Grunde.
3. Entfall der mündlichen Verhandlung
3.1. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).
3.2. Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zur Gänze aus dem Beschwerdeführer bekannten Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).
4. Rechtliche Beurteilung
4.1.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).
4.1.2. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig (§§ 7, 9 VwGVG).
4.1.3. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:
§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) […] Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn […] ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt (Z3).
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird. [...]
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
4.1.4. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (Teilstrich 1) oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen (Teilstrich 2).
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
4.2. Abweisung der Beschwerde
4.2.1. Die beim Beschwerdeführer festgestellten Funktionseinschränkungen sind nicht nur vorübergehend, weshalb eine Behinderung im Sinne des § 1 BBG vorliegt. Der Grad der Behinderung ist im verfahrensgegenständlichen gemäß § 40 und § 41 Abs. 1 BBG unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen nach der Einschätzungsverordnung eingeschätzt worden (VwGH 21.06.2017, Ra201 7/11/0040).
4.2.2. Das vom SMS eingeholte Sachverständigengutachten vom 04.09.2020 ist (wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt) richtig, vollständig und schlüssig und die aktuellen Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt zum Entscheidungszeitpunkt 40 vH und er erfüllt somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG nicht, da dieser nur bei einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 vH auszustellen ist.
4.2.3. Da die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses somit nicht vorliegen, ist die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision:
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des BBG und der EVO sind (soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich) eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zum rechtlichen Interesse an einer Feststellung des Grads der Behinderung VwGH 11.11.2015, Ra2014/11/0109.
Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2238512.1.00Im RIS seit
01.09.2021Zuletzt aktualisiert am
01.09.2021