TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/1 G313 2215164-1

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Veröffentlicht am 01.06.2021
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Entscheidungsdatum

01.06.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3

Spruch


G313 2215164-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX geb. XXXX , StA. Slowenien, vertreten durch RA Mag. Thomas Klein, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2019, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.04.2021 zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Sprucheinleitungssatz angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG iVm. § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 20.09.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) mit Beschwerdevorlage-Schreiben vom 19.09.2020 die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

4. Am 30.03.2021 wurde vor dem BVwG, Außenstelle Graz, mit der BF und ihrem Rechtsvertreter im Beisein einer Dolmetscherin für die rumänische Sprache eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

5. Am 07.04.2021 langte beim BVwG die von der verhandelnden Richterin in der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2021 angeforderte und vom Rechtsvertreter der BF übermittelte Wiedereinstellungszusage des ehemaligen Dienstgebers der BF vom 31.03.2021 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die BF ist slowenischer Staatsangehöriger wurde in Österreich geboren und ist zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt 21 Jahre alt.

1.2. Er hat in Österreich seine Eltern und vier Geschwister – eine ältere Schwester und einen älteren Bruder und zwei jüngere Brüder, und in Slowenien nur seine 82 Jahre alte Großmutter, die die Familie des BF öfter besuchen kommt, ansonsten jedoch keine Bezugspersonen.

1.3. Der BF wohnt mit seinen Eltern in einer 100 m² großem Wohnung in gemeinsamem Haushalt zusammen, ist mit seinen Eltern krankenversichert und wird von seinen Eltern finanziell unterstützt. Für die Miete und Haushaltskosten kommen auch die Eltern des BF auf. Der BF beschrieb in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 27.04.2021 die Beziehung zu seinen Familienangehörigen als „sehr gut, (…)“, und fügte an: „(…), wir sind sehr verbunden miteinander. (…).“ (VH-Niederschrift, S. 8)

1.4. Die Mutter des BF, die selbstständig gewerbsmäßig erwerbstätig ist, und sein Vater, der bei ihr angestellt ist, kommen für die Mietkosten in Höhe von EUR 760,21 monatlich und die anfallenden Haushaltskosten auf, und unterstützen den BF finanziell.

1.5. Der BF wurde im September 2018 von einem inländischen Straflandesgericht wegen absichtlich schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig strafrechtlich verurteilt.

1.5.1. Dieser strafrechtlichen Verurteilung lag Folgendes zugrunde:

Der BF hat am 29.11.2017 in seiner Heimatstadt eine im Urteil namentlich genannte Person durch Versetzen zweier Stiche gegen den Oberkörper mit einem Messer mit ca. 20 cm Klingenlänge eine an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB), und zwar zwei Stichwunden, davon eine an der rechten Flanke und eine weitere am Rücken rechts, sowie einen Bruch der 12. Rippe rechts, absichtlich zugefügt.

1.5.2. Er bereut dies getan zu haben und gab in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG glaubhaft reuig Folgendes an:

„Ich kann diese Tat auf keinen Fall gutheißen, ich bereue es natürlich. Gott sei Dank ist nicht mehr passiert.“ (VH-Niederschrift, S. 8)

Der dem BF beigegebene Bewährungshelfer schätzte in einer Stellungnahme die Zusammenarbeit mit dem BF als äußerst produktiv und konstruktiv ein.

Wie aus einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich ersichtlich, wurde die dem BF mit Strafrechtsurteil von September 2018 angeordnete Bewährungshilfe vom Straflandesgericht am 23.11.2020 aufgehoben.

1.6. Der BF hat im österreichischen Bundesgebiet folgende Integrationsschritte gesetzt:

Er hat in Österreich die Schule besucht und eine Lehre als Kraftfahrzeugtechniker bis zur dritten Klasse Berufsschule absolviert. Der BF möchte im Herbst die vierte Klasse Berufsschule wiederholen und die Berufsschule abschließen.

Nach einer Angestelltenlehrzeit vom 10.08.2015 bis 26.08.2015 und Arbeiterlehrzeiten vom 01.09.2016 bis 01.08.2017, vom 06.11.2017 bis 01.12.2017 und vom 03.04.2018 bis 09.12.2020 bei verschiedenen Dienstgebern war er zwei Tage im November 2020 und zwei Tage im Dezember 2020 bei dem Dienstgeber, bei welchem er zuletzt einer Arbeiterlehre nachgegangen ist, beschäftigt. Im Zeitraum von 22.07.2016 bis 31.03.2021 hat er immer wieder Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Nunmehr geht der BF seit 23.04.2021 einer neuen Beschäftigung nach.

Der BF hat viele Freunde und eine Freundin in einem anderen Bundesland. Er ist zudem Mitglied bei einem Fußball- und einem Fischereiverband.

Der in Österreich gebürtige BF spricht ausgezeichnet Deutsch. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG wurde Folgendes festgehalten (im Folgenden „D“ für „Dolmetscherin“ und „RV“ für rechtliche Vertretung):

„Die D teilte mit, dass seitens der RV angemerkt wurde, dass der BF der slowenischen Sprache nicht mächtig sei, sie jedoch auch in den Sprachen Bosnisch und Serbisch dolmetschen könnte. Nach Befragung des BF wirf festgestellt, dass dieser ausgezeichnet Deutsch spricht und keine weitere Übersetzung in der mündlichen Verhandlung nicht notwendig erscheint.“ (VH-Niederschrift, S. 2)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Zur Person des BF und seinen individuellen Verhältnissen

Die im Sprucheinleitungssatz angeführte Identität und slowenische Staatsangehörigkeit des BF beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt, ebenso, dass der BF in Österreich geboren wurden und zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt 21 Jahre alt ist.

Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des BF beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (VH-Niederschrift, S. 6) bzw. dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

Der BF konnte in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 27.04.2021 zudem glaubhaft machen, dass der BF ein sehr gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat (VH-Niederschrift, S. 8), mit ihnen in einer 100 m² großen Wohnung in gemeinsamem Haushalt zusammenlebt (VH-Niederschrift, S. 6) und von ihnen finanziell unterstützt wird (VH-Niederschrift, S. 7).

Glaubhaft war zudem das Vorbringen des BF vor dem BVwG, dass der BF mit seinen Eltern krankenversichert ist (VH-Niederschrift, S. 5) und seine Eltern für die Monatsmiete und die anfallenden Haushaltskosten aufkommen (VH-Niederschrift, S. 7).

Die Feststellungen zu den Lehrzeiten des BF, seiner paartägigen Beschäftigung im November und Dezember 2020, sein Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung im Gesamtzeitraum vom 22.07.2016 bis 31.03.2021 und seiner nunmehr seit 23.04.2021 nachgegangenen Beschäftigung beruhen auf einem AJ-WEB Auskunftsverfahrensauszug.

Der BF konnte mit seinem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG glaubhaft machen, in Österreich die Schule besucht, bis einschließlich dritter Klasse Berufsschule die Lehre als Kraftfahrzeugtechniker absolviert zu haben und im Herbst 2021 die vierte Klasse der Berufsschule wiederholen und die Berufsschule abschließen zu wollen (VH-Niederschrift, S. 4, 5).

Die Feststellung zur rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des BF von September 2018 beruht auf einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich. Die Feststellungen zu den dieser Verurteilung zugrunde gelegenen strafbaren Handlungen beruhen auf dem, dem Verwaltungsakt einliegenden Strafrechtsurteils (AS 70).

Dass die Bewährungshilfe mit Strafrechtsurteil von September 2018 angeordnet und vom Straflandesgericht am 23.11.2020 aufgehoben wurde, ergab sich aus einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Sicherheit.

Der ehemalige Bewährungshelfer des BF teilte im Zuge einer Stellungnahme vom 25.04.2021 Folgendes mit (dabei „BF“ statt Name und Geburtsdatum des BF):

„Ich, (…), betreute den BF einige Jahre als Bewährungshelfer. Die Zusammenarbeit war äußerst produktiv. Der BF arbeitete aktiv mit und es gab auch in dieser Zeit keine einschlägigen Straftaten mehr. Ich hatte auch den Eindruck, dass er sich sehr bewusst ist, dass er unrecht gehandelt hat und ihm das auch leid tut.

Ich kenne ihn schon zufällig seit seiner Volksschulzeit, da ich ihn auch in der (…-)schule unterrichtete. Mir fiel er auf, als arbeitsamer, bemühter Schüler. Er war in der Klassengemeinschaft gut integriert und beliebt.

Dadurch lernte ich auch seine Eltern kennen. Sie bemühten sich auch sehr um das Fortkommen ihres Sohnes. Die Zusammenarbeit war konstruktiv.

Der BF schätzt Österreich und ist gerade dabei, sich eine gute Lebensgrundlage zu schaffen. Er will eine eigene Wohnung und seinen Lebensunterhalt durch Arbeit sichern. (…).“ (Beilage./23 zur schriftlichen Stellungnahme des Rechtsvertreters des BF vom 26.04.2021).

Die Feststellungen zu den Integrationsschritten des BF im österreichischen Bundesgebiet ergaben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 27.04.2021 bzw. dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Aufhebung des Bescheides:

3.1.1. Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 lautet in Abs. 1 und Abs. 2 wie folgt:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(…)

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet in Abs. 1 und Abs. 2 wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergab sich Folgendes:

Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde gegen den BF ein für die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

In der Begründung dafür wurde auf die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des BF von September 2018 hingewiesen.

Der BF wurde im September 2018 wegen absichtlich schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig strafrechtlich verurteilt.

Zunächst wird darauf hingewiesen, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen unabhängig und eigenständig, von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen hat (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6. Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 08.07.2004, 2001/21/0119).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0062, Rn. 9, mwN).

Bei der nach § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose ist es nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden, (vgl. VwGH 19.5.2015, Ra 2015/21/0001; 19.5.2015, Ra 2014/21/0057, mwN). Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter aber auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüberhinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können (vgl. VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014).

Der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des BF von September 2018 lag Folgendes zugrunde:

Der BF hat am 29.11.2017 in seiner Heimatstadt eine im Urteil namentlich genannte Person durch Versetzen zweier Stiche gegen den Oberkörper mit einem Messer mit ca. 20 cm Klingenlänge eine an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB), und zwar zwei Stichwunden, davon eine an der rechten Flanke und eine weitere am Rücken rechts, sowie einen Bruch der 12. Rippe rechts, absichtlich zugefügt.

Er bereut dies getan zu haben und gab in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG glaubhaft reuig Folgendes an:

„Ich kann diese Tat auf keinen Fall gutheißen, ich bereue es natürlich. Gott sei Dank ist nicht mehr passiert.“ (VH-Niederschrift, S. 8)

Festgehalten wird an dieser Stelle, dass der dem BF mit Strafrechtsurteil von September 2018 beigegebene Bewährungshelfer in einer Stellungnahme vom 25.04.2021 die Zusammenarbeit mit dem BF als äußerst produktiv und konstruktiv einschätzte.

Der BF hat sich nach den seiner strafrechtlichen Verurteilung von September 2018 zugrundeliegenden strafbaren Handlungen nicht mehr strafbar gemacht.

Er hat in Österreich seine Eltern und Geschwister und zu ihnen ein sehr gutes Verhältnis bzw. eine starke Bindung, in Slowenien jedoch nur mehr seine 82 Jahre alte Großmutter, die den BF und seine Familie öfter besuchen kommt, ansonsten jedoch keine (familiären) Bezugspersonen.

Der BF wohnt mit seinen Eltern, die ihn finanziell unterstützen, in einer 100 m² großem Wohnung in gemeinsamem Haushalt zusammen. Die Mutter des BF, die selbstständig gewerbsmäßig erwerbstätig ist, und sein Vater, der bei ihr angestellt ist, kommen für die Mietkosten in Höhe von EUR 760,21 monatlich und die anfallenden Haushaltskosten auf.

Aus dem der Beschwerde beigelegten Unterstützungsschreiben seiner Mutter (Beilage ./B, AS 169) konnte ein von seinen Eltern auf ihn positiv ausgeübter Einfluss erkannt werden, und zwar vor allem aus den im Folgenden wiedergegebenen Zeilen:

„(…) Mein Mann ist seit Jahren selbständig, er hat eine eigene Firma und egal wie es finanziell bei uns aussah, unsere Priorität waren immer unsere Kinder. Wir haben unser Leben unseren Kindern gewidmet, die Erziehung war uns sehr wichtig, aus ihnen Menschen zu machen die man im Leben gerne trifft. Alle Sportarten auszuprobieren, von Skifahren im Winter bis Fischen und Ballspielen im Sommer war alles dabei. Sie nie faul werden lassen und ihnen zeigen, dass man für die Ziele und Erfolge im Leben die man erreichen möchte, aufstehen muss. Wir müssen auch mit (Anmerkung: an dieser Stelle Vorname des BF im Genetiv) Fehler leben, wir sind die Eltern des Täters, aber er bleibt unser Sohn und wir stehen ihm bei, wie man das in einer Familie macht, weil wir wissen es war nie seine Absicht. (…)“

Die ältere Schwester des BF teilte im Zuge eines Unterstützungsschreibens, welches der schriftlichen Stellungnahme vom 26.04.2021 als Beilage ./26 beigefügt wurde, nach Beschreibung eines guten Verhältnisses des BF zu seinen Eltern, seiner älteren Schwester, seinem älteren Bruder und seinen beiden jüngeren Brüdern unter anderem Folgendes mit (im Folgenden „BF“ statt Vorname des BF):

„(…) Sie sehen, der BF bedeutet uns mehr als wir in Worte fassen könnten, genauso wie wir ihm.

Die schlechten taten, die ich kurz erwähnt habe, kann niemand von uns gutheißen und der BF selber ist sich seiner Fehler bewusst.

Dennoch weiß ich, dass er nur ein wenig Unterstützung benötigt, um diese schwere Phase zu überbrücken und diese bekommt er nur von seiner Familie und dem Umfeld; in dem er aufgewachsen ist.“

Der zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt 21 Jahre alte BF ist in Österreich geboren und hat im österreichischen Bundesgebiet bereits viele Integrationsschritte gesetzt. Er hat in Österreich die Schule besucht und eine Lehre als Kraftfahrzeugtechniker bis zur dritten Klasse Berufsschule absolviert. Der BF möchte im Herbst die vierte Klasse Berufsschule wiederholen und die Berufsschule abschließen.

Nach einer Angestelltenlehrzeit vom 10.08.2015 bis 26.08.2015 und Arbeiterlehrzeiten vom 01.09.2016 bis 01.08.2017, vom 06.11.2017 bis 01.12.2017 und vom 03.04.2018 bis 09.12.2020 bei verschiedenen Dienstgebern war er zwei Tage im November 2020 und zwei Tage im Dezember 2020 bei dem Dienstgeber, bei welchem er zuletzt einer Arbeiterlehre nachgegangen ist, beschäftigt. Im Zeitraum von 22.07.2016 bis 31.03.2021 hat er immer wieder Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Nunmehr geht der BF seit 23.04.2021 einer neuen Beschäftigung nach.

Er ist zudem Mitglied bei einem Fußball- und einem Fischereiverband. Der BF hat in Österreich viele Freunde, und eine Freundin in einem anderen Bundesland. Sein Lebensmittelpunkt liegt eindeutig in Österreich.

Der in Österreich gebürtige und aufgewachsene BF spricht ausgezeichnet Deutsch. Die Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG konnte ohne Beiziehung der für die Sprachen Slowenisch und Bosnisch zur Verhandlung geladenen Dolmetscherin durchgeführt werden.

In Gesamtbetrachtung des persönlichen Verhaltens des nunmehr 21 Jahre alten BF und aller individuellen Umstände, vor allem aufgrund der vom BF, einem jungen Erwachsenen, in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG ehrlich gezeigten Reue hinsichtlich der von ihm im Pubertätsalter bzw. im Alter von 17 Jahren Ende November 2017 begangenen, bereits sehr lange zurückliegenden Jugendstraftat, aber auch unter Berücksichtigung seiner Nahebeziehung zu seinen Eltern, mit denen er in gemeinsamem Haushalt zusammenlebt, von denen er (finanziell) unterstützt und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit positiv beeinflusst wird, seines neuen Beschäftigungsverhältnisses seit 23.04.2021, seiner mit zunehmendem Alter zunehmenden Integration und seiner positiven Bestrebungen für die Zukunft, möchte er doch im Herbst 2021 die vierte Klasse der Berufsschule wiederholen und die Lehre zum Kraftfahrzeugtechniker abschließen, wird insgesamt von einer positiven Zukunftsprognose und keiner vom BF für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Bundesgebiet ausgehenden Gefahr ausgegangen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Zu B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung individuelle Verhältnisse Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt Privat- und Familienleben Voraussetzungen Wegfall der Gründe Zukunftsprognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G313.2215164.1.00

Im RIS seit

01.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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