TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/29 W164 2175052-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.06.2021
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Entscheidungsdatum

29.06.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W164 2175052-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, ehemals vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, nun vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Nadja Lorenz, Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Zl. 1159345701/170800497, vom 06.10.2017 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 07.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab anlässlich der am selben Tag durchgeführten Befragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, er sei am 17.05.2000 geboren, sei afghanischer Staatsbürger, habe jedoch noch nie in Afghanistan gelebt. Er sei im Iran geboren und aufgewachsen und habe dort fünf Jahre die Schule besucht. Der BF habe zwei jüngere Brüder und eine ältere Halbschwester. Sein Vater habe eines Tages beschlossen, nach AFG zurückzukehren und habe den Plan gehabt, die Familie nach AFG nachzuholen. Der Vater sei seit damals verschollen. Die Mutter habe zwei Jahre später einen neuen Mann geheiratet. Der BF habe zu diesem Stiefvater eine problematische Beziehung gehabt. Der Stiefvater habe verlangt, dass der BF öfter beten solle. Der BF habe im Iran keine reguläre Aufenthaltsberechtigung gehabt, sondern nur eine Karte. Er habe als Afghane befürchten müssen, in den Krieg nach Syrien geschickt zu werden. Der BF habe in Salzburg einen Onkel mütterlicherseits, der österreichischer Staatsbürger sei.

Durch ein medizinisches Sachverständigengutachten von August 2018 wurde festgestellt, dass der BF spätestens am XXXX geboren wurde.

Am 03.10.2017 wurde der BF beim BFA befragt und gab an, er gehöre zur Volksgruppe der Hazara und sei schiitischen Glaubens. Er sei in Iran, Mashad geboren und aufgewachsen. Afghanistan habe er nie gesehen. Als der BF 13 Jahre alt war, habe sein Vater den Plan gehabt, die in seinem Eigentum stehenden Grundstücke in Maydan Wardak, Afghanistan, zu verkaufen. Der Vater sei nicht mehr zurückgekommen. Der BF habe daraufhin nicht weiter zur Schule gehen können und habe zu arbeiten begonnen. Eine Arbeitserlaubnis habe der BF im Iran nicht gehabt. Der BF habe im Iran als Schneider, auf Baustellen und als Verkäufer gearbeitet. Die Mutter habe einen Bruder des Vaters geheiratet. Die iranischen Behörden hätten den älteren Bruder des BF nach Syrien in den Krieg geschickt. Dieser sei dort verschollen. Die Familie habe für seinen Einsatz Geld bekommen. Mit dem Stiefvater habe der BF viel Streit gehabt. Die Mutter habe ihn daraufhin nach Teheran zu einem Cousin geschickt. Dort habe der BF ein Jahr gearbeitet. Als er genug Geld beisammen hatte, sei er nach Europa gereist. Die Geschwister seines Vaters würden im Iran leben und ab und zu nach Afghanistan fahren, um die Schwiegereltern zu besuchen. Es gäbe auch einen Cousin in Amerika, den die Verwandten in Kabul, bei der Tante des Cousins treffen würden. Die Geschwister der Mutter würden in Deutschland, Österreich und im Iran leben. Der Großvater mütterlicherseits führe einen Supermarkt in Teheran. Zu seinem in Österreich wohnhaften Onkel mütterlicherseits habe der BF telefonischen Kontakt.

Mit Bescheid vom 06.10.2017, Zl. 1159345701/170800497, hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 07.07.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt und es wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Begründend wurde ausgeführt, der BF habe keine asylrelevante Gefährdung für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan glaubhaft gemacht. Seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und zum schiitischen Glauben seien per se nicht geeignet, eine für den BF asylrelevante Verfolgungsgefahr darzutun. Dem BF würden die Städte Kabul und Herat als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehen. Der BF sei jung und arbeitsfähig. Er verfüge über fünf Jahre Schulbildung und über Berufserfahrung. Er beherrsche eine der in Afghanistan gesprochenen Sprachen und habe im Iran in einem afghanischen Umfeld gelebt. In Österreich habe der BF kein schützenswertes Privatleben.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine damalige Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde und führte aus, er habe seine Sozialisierung und persönliche Entwicklung im Iran erfahren. In Afghanistan würde er über kein soziales Netzwerk verfügen. Er hätte es im Fall seiner Rückkehr ungleich schwerer als solche Afghanen, die ihr ganzes bisheriges Leben in Afghanistan verbrachten. Der BF hätte im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ferner mit sozialerer Ablehnung durch Afghanen zu rechnen.

Eine gegen den BF erhobene Strafanzeige wegen wissentlich falscher Angabe seines Geburtsdatums führte zur Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen des Vergehens nach § 228 Abs 1 StGB (Urteil des BG XXXX , Zl. XXXX vom 12.09.2018).

Beim Bundesverwaltungsgericht wurde am 26.05.2021 eine mündliche Verhandlung abgehalten, an der der BF im Beisein seiner nunmehrigen Rechtsvertretung und unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahm.

Der BF machte zusammengefasst folgende Angaben: Er habe gute Erinnerungen an seinen Vater. Dieser sei Fliesenleger gewesen und habe dem BF und seinen Brüdern nichts aufgezwungen. Der BF habe fünf Jahre die Schule besucht und Lesen und Schreiben in der Sprache Farsi gelernt. Vor Zeit zu Zeit habe er seinem Vater bei der Arbeit auf Baustellen geholfen. Der BF habe ferner bereits als Kind mit acht oder neun Jahren eine Waage auf der Straße betreut und von Menschen, die sich abwiegen ließen einen kleinen Betrag erhalten. Als er etwa 13 oder 14 Jahre alt war, sei der Vater nach Afghanistan gefahren, um die dort befindlichen Grundstücke der Familie zu verkaufen. Der Vater sei nicht zurückgekehrt und sei und seither verschollen. Damals habe der ältere Bruder des BF noch gelebt und habe - ohne Arbeitserlaubnis - als Schneider gearbeitet. Der BF habe den Bruder nun – ebenfalls ohne Arbeitserlaubnis - in die Fabrik begleitet und habe diesem geholfen. Etwa zwei Jahre später habe die Mutter den Onkel väterlicherseits geheiratet. Der ältere Bruder sei dann nach Syrien gefahren und habe sich für den Krieg ausbilden lassen. Dafür habe die Familie viel Geld erhalten. Jedoch sei der Bruder aus dem Krieg nicht zurückgekommen. Der BF habe als Verkäufer in einem Laden gearbeitet. Er habe Kopftücher, Wanduhren und Bilder zum Aufhängen verkauft. Der Stiefvater sei streng religiös gewesen und habe vom BF verlangt, mehr zu beten.Er habe den BF nicht gut behandelt. Schließlich habe die Mutter den BF zu einem anderen Onkel nach Teheran geschickt. Dort habe der BF wieder als Schneider gearbeitet. Er habe bereits zugeschnittene Stoffteile zusammengenäht. Eine Lehre habe der BF im Iran nicht abschließen können. Seine in Kabul lebende Tante väterlicherseits habe der BF selbst nie gesehen. Auch ihre Kinder kenne er nicht. Ihm sei jedoch bekannt, dass sein Cousin nicht in den Iran einreisen könne und der Onkel väterlicherseits deshalb von Zeit zu Zeit nach Afghanistan gefahren sei, um den Cousin dort zu treffen.

In Österreich habe der BF die Deutsch A1 und die Deutsch-A2-Prüfung abgelegt. Der BF legte entsprechende Zertifikate des ÖSD vor. Der BF habe sich ferner ehrenamtlich betätigt, einen Deutsch B1 Kurs und einen Basisbildungskurs besucht. Auch diesbezüglich legte der BF schriftliche Unterlagen und weitere Empfehlungsschreiben vor und gab an, dass er in Österreich gerne als Dachdecker oder Mechatroniker arbeiten würde.

Bezüglich seines Vornamens merkte der BF an, dass sein korrekter Vorname XXXX laute. Der BF ersuchte dies zu berücksichtigen.

Mit Stellungnahme vom 07.06.2021 verwies die nunmehrige Rechtsvertretung des BF auf die aktuelle Country Guidance des EASO, die die für die Personengruppe afghanischer Staatsangehöriger, die nicht in Afghanistan geboren wurden oder über einen langen Zeitraum außerhalb Afghanistans lebten, besondere Kriterien für die Zumutbarkeit ihrer Rückkehr nach Afghanistan aufgestellt habe (Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnisse sowie sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund ).Der BF würde im Fall einer Niederlassung in Afghanistan über kein familiäres oder soziales Netzwerk verfügen, welches unterstützungsfähig und unterstützungswillig wäre. Er habe in Afghanistan keine Kernfamilie. Seine dort lebende Tante sei bereits verwitwet und bestehe keine familienähnliche Beziehung zu dieser Tante. Das Verhältnis zum Stiefvater sei nachhaltig zerrüttet. Vater und Bruder seien verschollen.

Die Sicherheitslage in Kabul habe sich stetig verschlechtert. In Mazar-e Sharif und Herat hätte der BF keine Angehörigen. Er verfüge ferner nicht über die notwendigen Ortskenntnisse, um sich im Fall eines erstmaligen Zuzuges zurecht zu finden. Er habe zu keinem Zeitpunkt seines Lebens auch nur kurze Zeit in einer afghanischen Großstadt verbracht. Der BF sei im Iran in der Sprache Farsi unterrichtet worden. Er habe ohne vorherige Berufsausbildung zu arbeiten begonnen und habe Hilfsarbeiten verrichtet. Eine Arbeitsbewilligung habe er nicht erlangen können. Der BF könnte im Fall einer erstmaligen Niederlassung in Afghanistan nicht aus eigener Kraft für sich sorgen bzw. auf dem ihm gänzlich fremden Arbeitsmarkt Fuß fassen. Infolge der COVID 19 Pandemie habe sich die Situation am Arbeitsmarkt dramatisch verschlechtert und die Konkurrenz vor allem unter jungen Männern spürbar zugenommen. Auch die aktuell schlechte Grundheits- und Versorgungslage in Afghanistan würde sich auf die Lage des BF im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan besonders nachteilig auswirken. Ferner lasse der beabsichtigte Abzug amerikascher Truppen befürchten, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage in ganz Afghanistan weiter verschlechtern würde und das staatliche Gewaltmonopol weiter geschwächt würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt den Namen XXXX , wurde am XXXX im Iran als Kind afghanischer Eltern geboren und ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum shiitischen Glauben. Seine Muttersprache ist Dari. Der BF ist ledig und kinderlos. Während seiner Kindheit im Iran hatte der BF einen älteren und zwei jüngere Brüder. Der BF hat im Iran fünf Jahre die Schule besucht. Bereits neben der Schule hat er von Zeit zu Zeit seinem Vater auf Baustellen beim Fliesen legen geholfen. Nach dem der Vater des BF von einer Reise in die Heimatprovinz Maydan Wardak in Afghanistan, wo er die familieneigenen Grundstücke verkaufen wollte, nicht mehr zurückkehrte, brach der BF die Schule ab und begann regelmäßig zu arbeiten. Zunächst begleitete er seinen älteren Bruder auf dessen Arbeitsplatz, eine nicht legal betriebene Schneiderei, und half diesem. Später arbeitete der BF als Verkäufer in einem Laden. Eine Lehre konnte der BF nicht abschließen. Zwei Jahre, nachdem der Vater verschollen war, heiratete die Mutter den Onkel väterlicherseits, der eine Tochter hatte. Der BF bekam auf diesem Weg eine Halbschwester. Das Verhältnis des BF zu seinem streng religiösen Stiefvater gestaltete sich sehr schwierig. Der ältere Bruder wurde nach Syrien in den Krieg geschickt und kam nicht wieder. Der BF wollte sich dem Diktat seines Stiefvaters nicht beugen. Seine Mutter schickte ihn deshalb nach Teheran zu einem Verwandten. Dort arbeitete der BF in einer Schneiderei als Hilfsarbeiter bis er genug Geld beisammen hatte und ließ sich dann nach Europa schleppen. Seine Mutter, sein Stiefvater, seine jüngeren Brüder und die Halbschwester leben weiterhin im Iran. Der BF weiß von einer bereits verwitweten Tante väterlicherseits, die in Kabul lebt und mit ihren Brüdern (also u.a. dem Stiefvater des BF) Kontakt pflegt. Der BF selbst hat diese Tante nie kennen gelernt.

Der BF verfügt über keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Der Status bzw. der Aufenthaltsort seines Vaters ist unbekannt. Seine Mutter lebt Onkel väterlicherseits (Stiefvater) im Iran. Der BF ist mit den örtlichen und sozialen Gegebenheiten in Afghanistan nicht vertraut und hat – abgesehen von seiner Staatsbürgerschaft – keine Berührungspunkte mit seinem Herkunftsstaat.

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im Jahr 2017 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er ist gesund und arbeitsfähig. In Österreich absolvierte der BF am 07.02.2018 die Deutsch-A1-Prüfung nach GER, ferner am 18.06.2018 die Deutsch-A2-Prüfung nach GER; er besuchte einen Basisbildungskurs beim XXXX , ferner einen Deutsch B1 Kurs in einem Bildungszentrum XXXX und engagierte sich in seiner Wohngemeinde ehrenamtlich.

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Quellen: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 11.06.2021, EASO Leitlinien zu Afghanistan von Juni 2019:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, S 23).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, S 34).

Drei Behörden sind für die Sicherheit in Afghanistan zuständig: Das afghanische Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das Nationale Direktorat für Sicherheit (NDS). Die dem Innenministerium unterstellte Afghanische Nationalpolizei (ANP) trägt die Hauptverantwortung für die innere Ordnung und für die Afghan Local Police (ALP), eine gemeindebasierte Selbstverteidigungstruppe, die rechtlich nicht in der Lage ist, Verhaftungen vorzunehmen oder Verbrechen unabhängig zu untersuchen. Im Juni 2020 kündigte Präsident Ghani Pläne an, die afghanische Lokalpolizei in andere Zweige der Sicherheitskräfte einzugliedern, vorausgesetzt, die Personen können eine Bilanz vorweisen, die frei von Vorwürfen der Korruption und Menschenrechtsverletzungen ist. Ende 2020 war die Umsetzung dieser Pläne im Gange. Die Major Crimes Task Force, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt ist, untersucht schwere Straftaten, darunter Korruption der Regierung, Menschenhandel und kriminelle Organisationen. Die Afghanische Nationalarmee (ANA), die dem Verteidigungsministerium untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, ihre Hauptaufgabe ist jedoch die Aufstandsbekämpfung im Inneren. Das NDS fungiert als Nachrichtendienst und ist für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, die die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 30.3.2021). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (USDOD 1.7.2020). (LIB S 266)

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB S 239).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (LIB S 37)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88. Angriffe auf hochrangige Ziele setzen sich im Jahr 2021 fort.

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten ’green-on-blue-attack’: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet. Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt.

Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte – wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein.

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB S 27f).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt, was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (LIB S 34f).

UNHCR: Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), unterstützt von den internationalen Streitkräften, mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) gegenüberstehen.

Dem UN-Generalsekretär zufolge steht Afghanistan weiterhin vor immensen sicherheitsbezogenen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Sicherheitslage soll sich insgesamt weiter verschlechtert und zu einer sogenannten „erodierenden Pattsituation“ geführt haben. Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlassen.

Von dem Konflikt sind weiterhin alle Landesteile betroffen. Seit dem Beschluss der Regierung, Bevölkerungszentren und strategische ländliche Gebiete zu verteidigen, haben sich die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) und der afghanischen Regierung intensiviert. Es wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte immer öfter bewusst auf Zivilisten gerichtete Anschläge durchführen, vor allem durch Selbstmordanschläge mit improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und komplexe Angriffe. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen ihre groß angelegten Angriffe in Kabul und anderen Städten fort und festigen ihre Kontrolle über ländliche Gebiete. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit und Effektivität der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) geäußert, die Sicherheit und Stabilität in ganz Afghanistan zu gewährleisten.

Trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der afghanischen Regierung, ihre nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, ist der durch sie geleistete Schutz der Menschenrechte weiterhin inkonsistent. Große Teile der Bevölkerung einschließlich Frauen, Kindern, ethnischer Minderheiten, Häftlingen und anderer Gruppen sind Berichten zufolge weiterhin zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt.

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die (teilweise) von regierungsnahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Etablierung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass besonders schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten weit verbreitet sind.

Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.

Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung.

Gemäß der Verfassung darf niemand ohne ordentliches Gerichtsverfahren festgenommen oder inhaftiert werden. Die Verfassung enthält außerdem ein absolutes Verbot des Einsatzes von Folter. Der Einsatz von Folter stellt nach dem Strafgesetzbuch eine Straftat dar, während die harte Bestrafung von Kindern durch das Jugendgesetz untersagt ist. Darüber hinausverabschiedete das Oberhaus der Nationalversammlung im Januar 2018 den konsolidierten Wortlaut eines neuen Anti-Folter-Gesetzes.

Trotz dieser Rechtsgarantien bestehen Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gegenüber Häftlingen, insbesondere von im Zusammenhang mit dem Konflikt verhafteten Personen, denen Unterstützung von regierungsfeindlichen Kräften zur Last gelegt wird und die in Gefängnissen des Inlandsgeheimdienstes (NDS), der afghanischen nationalen Polizei (ANP) (einschließlich der afghanischen nationalen Grenzpolizei ANBP), der afghanischen nationalen Streitkräfte (ANA) und der afghanischen lokalen Polizei (ALP) inhaftiert sind. UNAMA berichtete 2017, dass in vom Inlandsgeheimdienst (NDS) betriebenen Gefängnissen in fünf Provinzen „systematisch oder regelmäßig und weitverbreitet“ gefoltert wird und dass „ausreichend glaubhaften und verlässlichen Berichten zufolge in 17 anderen Provinz- oder staatlichen Einrichtungen des Inlandsgeheimdienstes gefoltert wird“. UNAMA dokumentierte außerdem „systematische Folterung und Misshandlung” in Haftanstalten der afghanischen nationalen Polizei (ANP) oder der afghanischen nationalen Grenzpolizei (ANBP) in den Provinzen Kandahar und Nangarhar sowie „Berichte über Verstöße in 20 anderen Provinzen, wobei die Behandlung von Häftlingen durch die ANP in den Provinzen Farah und Herat” besondere Sorge bereitet. Unter den Inhaftierten, bei denen die Anwendung von Folter festgestellt wurde, befanden sich auch Kinder.

UNHCR ist der Auffassung, dass Personen, die einem oder mehreren der folgenden Risikoprofile entsprechen, abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles möglicherweise internationalen Schutz benötigen:

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).

Ad 6: Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben. In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters tätig sind, in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder Tabak konsumieren. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft, ja sogar getötet. Die Taliban haben öffentlich versucht, die Ermordung religiöser Persönlichkeiten zu rechtfertigen, indem sie die Opfer als Regierungsspione bezeichneten und beschuldigten, „die Regeln des Islams zugunsten der Regierung abzuändern.“ Im Mai 2017 entführten regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) einen vierzehnjährigen Jungen im Distrikt Darah Suf-e-Payin in der Provinz Samangan, nachdem er in einem Hochzeitsvideo, das auf einem sozialen Netzwerk geteilt wurde, auf eine Art und Weise getanzt hatte, die von AGEs als ‚unmoralisch‘ erachtet wurde. Die Taliban überwachten auch weiterhin die sozialen Gewohnheiten der lokalen Bevölkerung in von ihnen kontrollierten Gebieten und bestraften die Einwohner gemäß deren Auslegung islamischen Rechts. Dem Islamischen Staat zugehörige Aufständische waren auf ähnliche Weise aktiv. Im Jahr 2016 sprachen die Taliban und andere aufständische Gruppen Religionsführern gegenüber Todesdrohungen aus, da sie Botschaften predigten, die der Auslegung des Islam oder der politischen Agenda der Taliban widersprachen. Ebenso warnten die Taliban Mullahs davor, Gebete bei Beerdigungen von Sicherheitsbeamten der Regierung zu sprechen. Zwischen Juni und September 2016 töteten die Taliban Berichten zufolge in den Bezirken Rodat und Momand Dara (Provinz Nangarhar) einige Geistliche, darunter auch zwei Imame. Infolgedessen erklärten Imame laut dem Leiter der Abteilung für Medresen (Koranschulen) des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten (MOHRA), dass sie Angst davor hatten, Bestattungsrituale für Mitglieder der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) und andere Regierungsbeamte durchzuführen. Die Taliban überwachten auch weiterhin die sozialen Gewohnheiten der lokalen Bevölkerung in von ihnen kontrollierten Gebieten und bestraften die Einwohner gemäß deren Auslegung islamischen Rechts. Dem Islamischen Staat zugehörige Aufständische waren auf ähnliche Weise aktiv. Ab Ende 2017 führt die Sittenpolizei in Gebieten Afghanistans und Pakistans, über die die Taliban die territoriale Kontrolle wiedererlangen konnten, Strafen für Verbrechen ein, die das MPVPV [Ministerium zur Förderung von Tugend und Vermeidung von Lastern] unter der Kontrolle der Taliban durchgesetzt hat. Die Taliban haben eine Schattenregierung und bestrafen all jene durch öffentliche Prügel, die beispielsweise durch Tabakkonsum oder eine Bartrasur gegen die Sitten verstoßen.

Ad 13: Die Bevölkerung Afghanistans besteht aus mehreren unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die traditionell ein hohes Maß an Autonomie gegenüber der Zentralregierung besitzen. Infolge verschiedener historischer Bevölkerungsbewegungen in der Vergangenheit – freiwilliger und erzwungener Art – wohnen einige Angehörige ethnischer Gruppen mittlerweile außerhalb der Gebiete, in denen sie traditionell der Mehrheit angehörten. Daher können Personen, die einer der größten ethnischen Gruppe des Landes angehören, tatsächlich an ihrem Wohnort zu einer ethnischen Minderheit gehören und dementsprechend aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit mit Diskriminierung oder Misshandlungen an ihrem Wohnort konfrontiert sein. Hingegen besteht möglicherweise für ein Mitglied einer ethnischen Gruppe oder eines Clans, der bzw. die auf nationaler Ebene eine Minderheit darstellt, kein Risiko aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in Gebieten diskriminiert zu werden, in denen diese ethnische Gruppe bzw. dieser Clan lokal die Mehrheit bildet.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen ethnischen Gruppen nicht notwendigerweise homogene Gemeinschaften bilden. Unter Paschtunen können beispielsweise starke Rivalitäten zwischen verschiedenen Untergruppen Spannungen und Konflikte verursachen. Es sei ferner darauf hingewiesen, dass ethnische Zugehörigkeit und Religion oftmals untrennbar miteinander verbunden sind, insbesondere in Bezug auf die ethnische Gruppe der Hazara, die vorwiegend schiitisch ist. Daher ist es nicht immer möglich, zu unterscheiden, ob Religion oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe als primärer Grund für Vorfälle oder Spannungen anzusehen ist. Da die politische Zugehörigkeit wiederum oftmals von der ethnischen Zugehörigkeit abhängt, können (vermeintliche) politische Überzeugungen und ethnische Zugehörigkeit untrennbar miteinander verbundene Elemente in Konflikten und Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen sein.

Es bestehen weiterhin starke Trennlinien zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen in Afghanistan. Im „Peoples under Threat”-Index von Minority Rights Group International ist Afghanistan als fünftgefährlichstes Land der Welt für ethnische Minderheiten aufgeführt, insbesondere aufgrund der gezielten Angriffe auf Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe und Religion. Der Index weist insbesondere Hazara, Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und Belutschen als gefährdete ethnische Gruppe in Afghanistan aus.

Die Verfassung garantiert die „Gleichheit aller ethnischen Gruppen und Stämme“. Dennoch klagen Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen über Diskriminierung von staatlicher Seite auch in Form von ungleicher Behandlung bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst und beim Zugang zu medizinischer Versorgung in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde weiters durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 26.05.2021.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit des BF, ferner zu seiner Schulbildung und Berufserfahrung beruhen auf seinen unbedenklichen, im gesamten Verfahren – soweit hier wesentlich - gleichbleibenden Angaben. Sein Geburtsdatum wurde auf Grundlage eines medizinischen Gutachtens festgelegt. Sein aktueller Wohnort ergibt sich aus dem zentralen Melderegister der Republik Österreich. Die strafrechtliche Verurteilung wegen eines Vergehens nach § 228 Abs 1 StGB ergibt sich aus dem österreichischen Strafregister und aus dem Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zu den individuellen Verhältnissen des BF, v.a. hinsichtlich des Fehlens eines familiären oder sozialen Netzes in Afghanistan, beruhen auf seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben, zuletzt in der mündlichen Verhandlung. Da der BF nie in Afghanistan gelebt hat, erscheint es nachvollziehbar, dass kein Kontakt zu Personen in Afghanistan besteht. Es war daher festzustellen, dass der BF über keine familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan verfügt. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des BF ergeben sich aus seinem eigenen Vorbringen, zuletzt in der mündlichen Verhandlung.

Zwar hat der BF anlässlich seiner Erstbefragung nachweislich ein falsches Geburtsdatum angegeben und wurde deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt; seine Glaubwürdigkeit betreffend seine sonstigen hier wesentlichen Angaben ist jedoch nicht zu bezweifeln, da der BF dazu auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung spontan nähere Angaben machen, die insgesamt ein schlüssiges Bild ergeben.

Betreffend die Integration des BF in Österreich wurden dessen Angaben im Verfahren sowie die im Laufe des Verfahrens vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen.

Da der BF in der mündlichen Verhandlung in unbedenklicher Weise vorbrachte, dass sein Vorname richtiger Weise XXXX laute - dieser Name wurde bereits anlässlich seiner Erstbefragung notiert, allerdings offenbar versehentlich als Familienname, und wurde in der Folge als alias-Name geführt, war der Vorname des BF entsprechend abzuändern.

3. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Frage der Asylberechtigung:

Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. z.B. VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; VwGH 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539).

Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:

Der BF stützt sein Asylbegehren im Wesentlichen auf seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Konkrete Anhaltspunkte für eine dem BF mit maßgebender Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgungsgefahr aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara hat dieser allerdings nicht glaubhaft gemacht. Die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt in diesem Kontext nicht. Nach EGMR (Entscheidung vom 05.07.2016, 29094/09, A.M./Niederlande), führt weder die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara noch die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan als solche zu einem derart hohen Risiko, dass bei einer Rückkehr automatisch die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestünde. Diese Judikatur wird auch vom Verwaltungsgerichtshof herangezogen (vgl Ra 2018/14/0428 vom28.03.2019).

Gleiches gilt für die vom BF ins Treffen geführt Aneignung eines „westlichen“ Lebensstils. Auch diesbezüglich kann aus dem festgestellten Sachverhalt keine konkret und gezielt gegen die Person des BF gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, abgeleitet werden. Die entfernte Möglichkeit einer solchen Verfolgung reicht für die Feststellung von Asylrelevanz nicht aus (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185).

Soweit sich der BF bei seinem Vorbringen auf Ereignisse im Iran stützt, gilt es festzuhalten, dass eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen hier schon deshalb nicht besteht, da sich die begründete Furcht vor Verfolgung auf jenes Land beziehen muss, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitzt -in diesem Fall Afghanistan (VwGH 08.11.1989, 89/01/0338).

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

Zur Frage des Anspruches auf subsidiären Schutz:
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG ist der Asylantrag bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 und § 57 Abs. 11 Z 3 AsylG) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Asylantrag auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.

Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt voraus, dass die Abschiebung des Betroffenen in seine Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat des Betroffenen mit sich bringen würde.

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

Für die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK setzt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Einzelfallprüfung voraus. In diesem Zusammenhang sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, ausgeführt hat, reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan nicht aus, bloß auf die allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu verweisen. Hinsichtlich der Sicherheitslage geht der Verwaltungsgerichtshof von einer kleinräumigen Betrachtungsweise aus, wobei er trotz der weiterhin als instabil bezeichneten Sicherheitslage eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Mazar-e Sharif, im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage als nicht grundsätzlich ausgeschlossen betrachtet (vgl. VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11).

Da der BF im Iran geboren und aufgewachsen ist, kann ihm keine „Heimatprovinz“ im eigentlichen Sinne zugewiesen werden.

Zur Frage einer innerstaatlichen Schutzalternative:

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) zur Verfügung steht (§ 8 Abs. 3 AsylG).

Für die Prüfung einer innerstaatlichen Schutzalternative ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Schutzalternative ins Auge gefassten Gebiet Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, gegeben sind. Daher scheidet das ins Auge gefasste Gebiet aus, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen. Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann, bzw. dass vom ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen.

Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es dem Asylwerber möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0154 mit Verweis auf VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).

UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.

Bei Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Die Stadt Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher.

In Mazar-e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Generell besteht in Mazar-e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keine Lebensmittelknappheit. In Mazar-e Sharif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu Sanitäreinrichtungen.

Mazar-e Sharif und die Provinz Balkh sind historisch betrachtet das wirtschaftliche und politische Zentrum der Nordregion Afghanistans. Mazar-e Sharif profitierte dabei von seiner geografischen Lage, einer vergleichsweise effektiven Verwaltung und einer relativ guten Sicherheitslage (STDOK 21.7.2020; vgl. GoIRA 2015). Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GoIRA 2015). Die Arbeitsmarktsituation ist auch in Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden (STDOK 21.7.2020) (LIB S 367f).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 23.11.2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018). Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen G

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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