TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/12 W124 2147885-1

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Veröffentlicht am 12.07.2021
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Entscheidungsdatum

12.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W124 2147885-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN über die Beschwerde von XXXX , XXXX , StA. INDIEN, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger der Republik Indien, welcher der Volksgruppe der Punjabi angehört, ist Sikh und stellte am XXXX mit dem Namen XXXX , geb. XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX begründete er seinen Antrag damit, dass er eine Affäre mit einem Mädchen gehabt habe. Die Familie des Mädchens sei ihnen auf die Schliche gekommen und sei der BF verprügelt worden. Die Familie der Freundin habe den BF dann noch einmal verprügeln lassen. Aus Angst vor dieser Familie habe der BF Indien verlassen.

2. In der mit dem BF vor dem BFA am XXXX aufgenommenen Niederschrift führte dieser zu seinen persönlichen Verhältnissen aus, dass er mit seinen Eltern und einem Bruder bis zu seiner Ausreise aus Indien in seinem Elternhaus gewohnt habe. Der Lebensunterhalt sei aus der elterlichen Landwirtschaft bestritten worden.

Zehn Jahre habe er die Schule besucht und habe später als angelernter Elektriker zwei Jahre gearbeitet.

Mit den Behörden habe er in Indien keine Probleme gehabt und sich wegen seiner Probleme nicht an die Polizei gewandt. Politisch oder religiös aktiv sei er in Indien nicht gewesen.

Zu seinem Fluchtgrund führte er zunächst dazu folgendes aus:

„[…]

F: Schildern Sie mir möglichst konkret und mit allen Details warum Sie Indien verlassen und in Österreich einen Asylantrag gestellt haben?

A: Ich war in der Schule und habe dort ein Mädchen kennengelernt. Später waren wir sehr verliebt und jemand hat uns gesehen. Dann hat ihr Bruder von uns erfahren, ich wusste aber nicht, dass der Bruder von uns weiß. Eines Tages am Abend, als ich gearbeitet habe, ihr Bruder hat 5 Leute geschickt um mich zu schlagen, aber irgendwie bin ich weggelaufen.

Dann habe ich alles unserem Dorfobmann erzählt.

Nach 10 Tagen hat ihr Bruder wieder Leute geschickt, sie waren sehr stark, sie haben mich mit einer Eisenstange attackiert (AW zeigt eine Narbe am Kopf und Narbe an der linken Hand bzw. Krümmung eines Fingers). Es war so dunkel, dass ich die Leute nicht sehen konnte.

Nach ein paar Tagen hat mir ein Freund erzählt, dass ihr Bruder die Leute geschickt hat, er (ihr Bruder) war nicht dabei.

Dann habe ich mit meiner Freundin nicht mehr gesprochen.

Dann habe ich mit meiner Familie gesprochen und meine Familie ist zum Dorfobmann gegangen und hat ihm alles erzählt.

Ihr Vater hat gesagt, dass sein Sohn so etwas nicht macht.

Meine Familie hat dann entschieden, dass ich nicht in Indien bleiben solle. Meine Mutter hat mit ihrem Bruder gesprochen und er hat alles vorbereitet.

Dann habe ich Indien verlassen.

[…]“

Das Mädchen selbst habe er in der Schule kennen gelernt. Ein oder zweimal habe er dieses draußen, meistens in der Schule getroffen. Bis zur achten Klasse sei er an einer anderen Schule gewesen und habe danach die Schule gewechselt. Dadurch sei er in der gleichen Schule wie das Mädchen gewesen und habe sie dort kennengelernt. Sie hätten selten miteinander telefoniert, hätten aber in der Schule jeden Tag Kontakt gehabt. Auf die Frage, wann der BF den letzten Kontakt zu dem Mädchen gehabt habe, gab dieser nach längerem Überlegen an, dass dies im XXXX gewesen sei.

Die Beziehung habe von der neunten bis zur zehnten Klasse, ein Jahr und sechs Monate, gedauert. Die Frage, wie der BF die Beziehung geheim gehalten habe, beantwortete dieser damit, dass sie sich meistens in der Schule getroffen hätten, weshalb niemand darauf gekommen sei.

Im Dezember, im XXXX , habe er am Abend gearbeitet und hätten Leute, vor denen er irgendwie weggelaufen sei, auf ihn gewartet. 5 bis 6 Leute hätten ihn angegriffen und hätte der BF zurückgeschlagen. Er glaube sie wären betrunken gewesen und hätte er deswegen weglaufen können. Er sei dann nach Hause gegangen. Von den Leuten sei er nicht verfolgt worden. Im Anschluss daran habe er mit seinen Eltern und dem Dorfobmann gesprochen. Dabei sei die Familie des BF und jene des Dorfobmannes anwesend gewesen. Insgesamt seien vier Personen (der BF, dessen Mutter, Dorfobmann und dessen Frau) anwesend gewesen. Der Dorfobmann habe gemeint, dass sie die Leute suchen würden und er sich keine Sorgen machen müsse. Der Obmann würde die Polizei fragen, ob es noch weitere solche Fälle geben würde. Der Obmann habe gesagt, dass man am Abend selber kontrollieren werde.

Die Frage, weshalb ihn die Familie des Mädchens nicht gewollt habe, beantwortete dieser damit, dass sie nicht so reich sein würden. Die Familie des Mädchens hätte auch in der Landwirtschaft gearbeitet, hätte aber sehr viel Land ca. 30-35 Kila gehabt. Sie hätte auch mehrere landwirtschaftliche Geräte gehabt und der Vater des Mädchens habe gute Beziehungen zu Politikern gepflogen.

Die Treffen hätten in der Schule stattgefunden und hätten sie sich manchmal geküsst. Die Familie des BF habe gemeint, dass der BF die Beziehung beenden solle, weil die Leute sehr einflussreich sein würden. Das erste Mal habe er den Vorwurf nicht ernst genommen, aber nach dem zweiten Mal habe er bei seinem Onkel gewohnt.

Die Frage, ob der BF zur Polizei gegangen sei, verneinte dieser. Er begründete dies damit, dass diese Familie sehr einflussreich gewesen sei und gute Beziehungen zur Polizei und Politikern gehabt habe, weswegen sie nicht zur Polizei gegangen seien. Einmal habe er sogar einen Anruf von jemanden erhalten und habe ihn dieser erzählt, dass er noch mehr Probleme haben würde, wenn er zur Polizei gehen würde. Er wisse nicht, wo seine Freundin nunmehr leben würde, weil er nach Österreich gekommen sei.

Auf die Aufforderung hin den zweiten Vorfall möglichst konkret und ausführlich zu schildern, gab dieser an:

„[…]

F: Schildern Sie mir bitte möglichst konkret und ausführlich den zweiten Vorfall mit allen Details?

A: Ich war von der Stadt nach Hause unterwegs, und diese Leute habe auf mich gewartet, weil sie meinen Zeitplan kannten.

AW wird aufgefordert konkrete Angaben zu machen.

AW: Ich war unterwegs und dort sind Leute gestanden. AW korrigiert sich, eine Person ist da gestanden. Diese Person gab mir ein Handzeichen, ich sollte anhalten und er meinte, sein Moped habe Problem, ob ich ihm helfen könne. Danach bin ich zu seinem Moped gegangen und weitere 4 Personen sind gekommen und die haben mit einer Eisenstange auf meinen Kopf geschlagen und mich überall geschlagen. Dann war ich bewusstlos und die Leute sind weggegangen. Zwei Personen waren unterwegs, die haben gesehen, dass ich bewusstlos bin, haben mein Handy rausgenommen und angerufen. Diese beiden Personen haben mich nach Hause gebracht. Am nächsten Tag habe ich mein Moped bekommen.

Diese Moped gehört nicht mir, sondern meinem Chef und der hat es von mir geholt.

Mein Chef hat gefragt was los gewesen sei und ich habe ihm alles erzählt.

Mein Chef meinte, er würde mit dem Dorfobmann reden. Er hat mit ihm gesprochen und der Dorfobmann hat mit der Polizei gesprochen und die Polizei hat gesagt, wir werden alle Straßen kontrollieren. Sie haben sogar kontrolliert und haben 5 Leute verhaftet. Das waren aber nicht die gleichen Leute. Dann hat mein Freund mir erzählt, ihr Bruder habe attackiert.

Dann habe ich meiner Familie erzählt, dass ihr Bruder mich attackiert hat.

[…]“

Der zweite Vorfall habe sich im dritten oder vierten Monat des XXXX zugetragen. Die Frage, was der Dorfobmann nach dem zweiten Vorfall gesagt habe, beantwortete dieser damit, dass er den Dorfobmann vom Bruder des Mädchens erzählt und er ihre Familie eingeladen habe. Die Familie habe aber gemeint, dass sie mit diesem Fall nichts zu tun gehabt habe.

In einem anderen Land habe er sich nicht niederlassen können, weil er sonst keine Verwandte gehabt und nicht gewusst hätte, wohin er solle. Wegen den Problemen und dem Anrufer, der ihn bedroht habe, sei er ausgereist. Bei einer Rückkehr nach Indien würde er gesucht werden und sei dies keine gute Nachricht.

Die Frage, weshalb der BF gesucht werden würde, wenn seine Freundin schon verheiratet sein würde, beantwortete dieser damit, dass sie auch mit dem Land Probleme haben würden. Sie seien mit der Familie des Mädchens auch am Feld benachbart. Normalerweise würde es einen Randstreifen geben und habe diesen die Familie des Mädchens entfernt. Er habe ihren Bruder gefragt, weshalb er dies machen würde. Dies sei im XXXX gewesen. Er habe dem Bruder des Mädchens gesagt, er solle aufhören und sei daraufhin bedroht worden. Deswegen hätten sie keine gute Beziehungen gehabt.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dem Vorbringen des BF zu seinen Angaben, wonach er in Indien einer Verfolgung wegen einer Beziehung zu einer Frau ausgesetzt gewesen sei, unglaubwürdig sein würde. Auch eine „refoulementschutzrechtlich“ relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Es seien im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten, die die Vermutung einer besonderen Integration seiner Person in Österreich rechtfertigen würden, zumal der BF kaum Deutsch sprechen noch einen Nachweis über seine Integration vorlegen könne. Der BF befinde sich seit relativ kurzer Zeit im österreichischen Bundesgebiet, sei illegal eingereist und habe kein Aufenthaltsrecht, welches nicht auf dem Asylgesetz fußen würde. Die Angehörigen des BF würden sich in dessen Herkunftsstaat befinden und habe der BF auch den überwiegenden Teil seines Lebens dort verbracht. Es seien im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten, die die Vermutung einer besonderen Integration der Person des BF in Österreich rechtfertigen würden.

Eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG habe zu unterbleiben, da die Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer unzulässig sei. Da dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werden würde und die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 1 -3 BFA-VG zulässig sei, sei gemäß § 10 Abs. 1 AsylG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und wurde ausgeführt, dass die Erhebung der gegenständlichen Beschwerde innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 16 Abs. 1 BFA-VG zu erfolgen habe. Die im gegenständlichen Fall präjudizielle Norm des § 16 Abs. 1 BFA-VG sei verfassungswidrig. Es ergehe daher die Anregung das BVwG möge die Aufhebung der Norm beim VfGH beantragen.

Die belangte Behörde habe es unterlassen eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens des BF vorzunehmen, indem es ohne nachvollziehbare Begründung zum Schluss gelangt sei, dass das Vorbringen des BF unglaubwürdig sei und der BF mit seinem Vorbringen keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können. Bei näherer Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen des BF hätten sich die vom BFA als solche bezeichneten Widersprüche leicht auflösen lassen.

Der Bruder der ehemaligen Freundin des BF würde diesem einerseits noch auf Grund seiner außerehelichen Beziehung zu dessen Schwester zürnen und andererseits würde sich die Bedrohung darüber hinaus auch auf Grundstückstreitigkeiten mit der Familie seiner Ex-Freundin gründen. Der vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsgrund sei daher nicht einfach ab Ende der Beziehung zu seiner Ex-Freundin bzw. ab dem Zeitpunkt ihrer Hochzeit mit einem anderen Mann weggefallen, wie vom BFA angenommen. Zum Vorhalt der belangten Behörde, der BF habe keine genauen Angaben zu seiner Beziehung mit seiner ehemaligen Mitschülerin und Nachbarin machen können, sei festzuhalten, dass es Aufgabe der Behörde im Rahmen derer Ermittlungspflicht gewesen sei, allfällige aus Sicht der Behörde unklare Themenbereiche durch gezielte Fragen näher zu beleuchten.

Die belangte Behörde berücksichtige nicht, dass der BF nicht nur wegen der Beziehung zu seiner Ex-Freundin, sondern auch wegen Grundstückstreitigkeiten mit deren Familie bedroht und verfolgt worden sei. Es liege somit ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Bedrohungssituation und der erzwungenen Ausreise des BF vor.

Dem BF würde vorgehalten werden, dass er im Rahmen der Erstbefragung angegeben habe zwei Mal verprügelt worden zu sein, während er diesen Sachverhalt im Rahmen der Einvernahme anders geschildert habe. Der BF habe im Rahmen der Erstbefragung keine Gelegenheit gehabt ausführliche Angaben zu seinen Fluchtgründen zu machen und sei von den anwesenden Personen angehalten worden, seinen Fluchtvorbringen grob komprimiert darzustellen. Aus diesem Grunde sei es ihm nicht möglich Details zu seiner Verfolgung zu schildern, was er bei der Einvernahme vor dem BFA nachgeholt habe.

Es würden sich entgegen der Ansicht des BFA keine Widersprüche aus den Angaben des BF zur Polizei ergeben. Der BF habe sich nicht selbst an die Polizei wenden können, da seine Verfolgerfamilie über großen Einfluss und gute Beziehungen zur Polizei verfügen würde. Nach der zweiten Attacke auf den BF sei die Polizei durch Vermittlung über den Chef des BF, der dem Dorfobmann über den Vorfall berichtet habe, eingeschaltet worden. Die Polizei habe zwar Personen festgenommen, es habe sich dabei aber nicht um die Angreifer des BF gehandelt, wie dieser erfahren habe. Aus diesem Grund habe der BF nachvollziehbar vorgebracht, dass er keinen Schutz durch die Polizei an seinem Herkunftsort erhalten würde.

Der BF habe sein Vorbringen entgegen der Ansicht des BFA detailliert und lebensnah gestaltet und über die drohende Verfolgung und über die Erlebnisse in Indien freigesprochen. Die Behörde habe den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß ermittelt und das Vorbringen des BF nicht entsprechend gewürdigt. Bei einer mangelfreien Würdigung hätte das BFA zu einer anderen rechtlichen Beurteilung, nämlich einer hinsichtlich Spruchpunkt I. bzw. Spruchpunkt II. stattgebenden Entscheidung geführt.

Das Asylrecht sei als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert und komme es nicht nur darauf an, ob die Verfolgungsgefahr vom Staat bzw. Trägern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen ausgehe, sondern vielmehr darauf, ob im Hinblick auf eine bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender Schutz bestehe (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, 99/20/0483; 14.10.1998, 98/01/0262). Der indische Staat sei nicht in der Lage den BF vor der geschilderten Verfolgung zu schützen. Dem BF stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Eine Ansiedelung in einer anderen Region Indiens sei dem BF mangels familiärer oder sonstiger sozialer Anknüpfungspunkte nicht zumutbar, weil er dadurch in eine existenzbedrohende Situation gelangen würde.

Eine inländische Fluchtalternative sei nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden könne (vgl. VwGH 19.10.2006, 2006/19/0297, mwN). Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art 3 EMRK erscheinen lassen würden, so sei die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534 und VwGH 16.12.2010, 2007/20/0913).

Die wirtschaftliche Situation des BF nach Indien würde äußerst prekär sein, sollte er nach Indien zurückkehren müssen. Der BF verfüge in keinem anderen Landesteil Indiens außerhalb seines Herkunftsdorfes über Familienangehörige oder sonstige Anknüpfungspunkte.

Aus den Länderberichten gehe hervor, dass dem BF im Falle einer Abschiebung nach Indien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK i.V.m Art 2 und 4 GRC garantierten Rechte drohen würde. Für den Fall, dass das BVwG die gegenständliche Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. abweise, wäre dem BF daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Bei der Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens und entsprechender Berücksichtigung der aktuellen Länderberichte zu Indien hätte das BFA feststellen müssen, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft zukomme oder in eventu der Status des subsidiär Schutzberechtigten.

5. Am XXXX fand vor dem BVwG eine öffentlich mündliche Verhandlung statt. Dem BF wurden zu seinen behaupteten Fluchtgründen noch einmal ausführliche Fragen gestellt, gleichzeitig wurde dem BF die Möglichkeit eingeräumt seine Fluchtgründe noch einmal ausführlich darzulegen und wurde dieser ausführlich zu seinem Privat-, und Familienleben in Österreich befragt. Dabei kam hervor, dass der BF seit einem Jahr als XXXX arbeiten würde und davor ein Gewerbe als Essenslieferant angemeldet gehabt habe. Mittlerweile habe er dieses aber zurückgelegt. Für die Tätigkeit als XXXX würde er weder über eine arbeitsrechtliche noch über eine gewerberechtliche Bewilligung verfügen. Im Durchschnitt würde er mit seiner nunmehrigen Arbeit 600.- Euro pro Monat erwirtschaften. Einen Deutschkurs habe er bis dato nicht besucht, weil er nicht wissen würde, wo er dafür hingehen solle.

Er würde weder verheiratet sein noch in einer Beziehung leben. Ebenso würde er keine Kinder haben. Verwandte des BF würden weder in Österreich noch in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union leben. Der BF sei in keiner ärztlichen Behandlung und müsse auch keine Medikamente einnehmen. Bisher habe der BF keine anderweitigen Fortbildungskurse in irgendwelcher Art und Weise absolviert.

6. Mit Schreiben vom XXXX wurden dem BF mit der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von 10 Tagen die aktuellen Länderberichte zu Indien (Generiert am 02.06.2021, Version 4) übermittelt. Eine Stellungnahme langte bis dato nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist Staatsangehöriger von Indien aus dem Bundesstaat Punjab, gehört der Religionsgemeinschaft der Sikhs und der Volksgruppe der Punjabi an. Seine Identität steht nicht fest. Er spricht die Sprachen Punjabi und Hindi. Im Herkunftsstaat besuchte er zehn Jahre die Grundschule. Er hat in der elterlichen Landwirtschaft und zwei Jahre als angelernter Elektriker gearbeitet, indem er Propeller und „Wassermotoren“ auf den Feldern montiert hat. Mit der Tätigkeit als Elektriker hat er ca. 3.000-4.000 indische Rupien monatlich verdient und damit seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Der BF lebte mit seinen Eltern und seinem Bruder im Elternhaus. Die Eltern und der Bruder bestreiten ihren Lebensunterhalt aus der elterlichen Landwirtschaft. Der BF ist ledig, kinderlos und gesund.

Die Verfolgungsbehauptungen des BF sind nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Er hatte keine persönlichen Probleme mit den Behörden im Heimatland.

Der BF hält sich seit der Stellung seines Antrages auf internationalen Schutz vom XXXX durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf. Es steht nicht fest, dass er diese Zeit zur Integration genützt hat.

Der BF lebt in Österreich in keiner Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Gemeinschaft. Er verfügt weder in Österreich noch in einem anderen Staat der Europäischen Union über verwandtschaftliche Beziehungen. In Österreich verfügt der BF über keinen Freundeskreis.

Der BF bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Es kann jedoch nicht hinreichend festgestellt werden, aus welchen Mitteln er seinen Lebensunterhalt in Österreich bestreitet. Seit seiner Einreise in Österreich hat er im XXXX einen Gewerbeschein für die Zustellung als Essenslieferant angemeldet und diese Tätigkeit bis zum Jahr XXXX ausgeübt, bevor er dann die gewerberechtliche Bewilligung als solche zurückgelegt hat. Für diese Tätigkeit hat er monatlich durchschnittlich 700 bis 800 Euro erwirtschaftet. Seit einem Jahr arbeitet er als XXXX und verdient damit etwa 600-, monatlich. Er verfügt weder über eine diesbezügliche arbeitsrechtliche oder gewerberechtliche Bewilligung. Es steht nicht fest, dass der BF sich zur Sozialversicherung gemeldet hat und regelmäßige Beiträge leistet. Er war sohin während seines gesamten Aufenthaltes in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF verfügt über keine nennenswerten Deutschkenntnisse, engagiert sich nicht ehrenamtlich und nimmt auch nicht auf sonstige Weise am gesellschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich teil.

1.2. Auszüge aus der Länderinformation der Staatendokumentation aus dem COI-CMS (generiert am 02.06.2021, Version 4):

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 04.09.2020

Hinweis:

Das Länderinformationsblatt geht nicht oder nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese ein - wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur Selbst-Quarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit nicht absehbar sind. Diesbezüglich darf jedoch auf die regelmäßigen Kurzinformationen der Staatendokumentation zur aktuellen COVID-19 Lage in bestimmten Ländern hingewiesen werden.

Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

COVID-19

Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Quellen:

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021

?        FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021

?        GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021

?        HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

?        HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021

?        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021

?        TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 21.05.2021

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).

Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis "National Democratic Alliance (NDA)", mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).

Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (11.2.2021): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 6.5.2021

?        BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 23.3.2021

?        CIA - Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 6.5.2021

?        DS Der Standard (3.5.2021): Indien: Regionalwahl-Schlappe für Modi inmitten steigender Corona-Zahlen, https://www.derstandard.at/story/2000126330932/indienregionalwahl-schlappe-fuer-modi-inmitten-steigender-corona-faelle, Zugriff 6.5.2021

?        DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 6.5.2021

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.5.2021

?        KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626, Zugriff 14.2.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 20.2.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf, Zugriff 11.5.2021

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf, Zugriff 18.2.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/, Zugriff 16.1.2020

?        TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-project-bjp-citizenship-law, Zugriff 28.2.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff am 6.5.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.05.2021

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Indien und Pakistan

Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten "Line of Control (LoC)" haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).

In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel "einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" ab dem 25. Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).

Indien und China

Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten "Line of Actual Control" (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).

Indien und Bangladesch

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).

Indien und Nepal

Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kratographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).

Indien und Sri Lanka

Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE ("Tamil Tigers") in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw12-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 11.5.2021

?        BBC – British Broadcasting Corporation (3.7.2020): Locals remain anxious amid India-China border stand-off, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-53020382, Zugriff 22.7.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile – Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 29.1.2019

?        BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 23.3.2021

?        bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (29.4.2021): Kaschmir, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54616/kaschmir, Zugriff 7.5.2021

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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