TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/15 W163 2015037-2

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Veröffentlicht am 15.07.2021
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Entscheidungsdatum

15.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §56
BFA-VG §18
BFA-VG §21 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


W163 2015037-2/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn XXXX , alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.12.2019, Zahl XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 21 Abs. 5 BFA-VG wird festgestellt, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig war.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe :

I. Verfahrensgang

1.       Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), hat am 22.11.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs 1 Z 12 AsylG gestellt.

2.       Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung und am 29.11.2010 vor dem Bundesasylamt (im Folgenden BAA) im Asylverfahren die niederschriftliche Einvernahme des BF statt.

3.       Am 21.06.2011 beantragte der BF beim Amt der Wiener Landesregierung die Erteilung eines „Aufenthaltstitels unbeschränkt (§ 43/2)“.

4.       Das BAA wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 29.11.2010, Zl. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Indien nicht zukomme (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

5.       Gegen den unter 1.4. genannten Bescheid des BAA richtete sich die beim BAA fristgerecht eingebrachte Beschwerde an den Asylgerichtshof, welcher die Beschwerde mit Erkenntnis vom 19.04.2011, Zahl C13 416.705-1/2010/4E, rechtskräftig zugestellt am 02.05.2011, als unbegründet abwies.

6.       Am 13.07.2011 beantragte die rechtsfreundliche Vertretung des BF die Unterbrechung des eingeleiteten Maßnahmenverfahrens. Mit Bescheid vom 08.11.2011, Zl. III- XXXX , wies die Bundespolizeidirektion Wien den Antrag gemäß § 6 Abs. 1 iVm § 8 iVm § 73 Abs. 1 AVG den Antrag als unzulässig zurück.

7.       Am 14.07.2011 wurde der BF im Zuge des Verfahrens zur Erlangung eines Heimreise-zertifikates von der Bundespolizeidirektion Wien einvernommen. Dabei gab er an, nicht freiwillig in den Herkunftsstaat zurückkehren zu wollen und erklärte, die Unterschrift im Formular zur Erlangung eines Heimreisezertifikates zu verweigern.

8.       Am 09.09.2011 ersuchte das BMI bei der indischen Botschaft um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF.

9.       Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 08.11.2011 wurde der Antrag des BF vom 13.07.2011 auf Unterbrechung des eingeleiteten Maßnahmenverfahrens gemäß § 6 Abs 1 iVm § 8 iVm § 73 Abs 1 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

10.      Am 06.03.2012 wurde der BF wegen des Verdachts des unrechtmäßigen Aufenthalts nach § 120/1a FPG angezeigt.

11.      Am 04.06.2012 und am 13.11.2012 urgierte das BMI bei der indischen Botschaft hinsichtlich der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF.

12.      Am 15.10.2014 beantragte die rechtsfreundliche Vertretung die Überprüfung der Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Ausweisung beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA). Mit Bescheid vom 28.10.2014 wurde der Antrag gemäß § 6 Abs. 1 iVm § 8 iVm § 73 Abs. 1 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

13.      Die gegen den unter Punkt 1.9. genannten Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (im Folgenden: BVwG) vom 19.07.2016, GZ: W220 2015037-1/2E, als unbegründet abgewiesen.

14.      Am 17.03.2015 stellte die rechtsfreundliche Vertretung des BF erstmals einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gem § 56 Abs. 1 AsylG. Als Nachweis für seine Integration legte der BF ein Zertifikat über die Deutschprüfung in A2 an der Wiener Volkshochschulen GmbH sowie einen Vorvertrag für einen Dienstvertrag unter der Bedingung der Vorlage des Nachweises der Erwerbstätigkeit als Kraftfahrer/Botendienst mit einem Monatslohn von ca. 1.110,-- Euro, vor. Zudem wurden die Kopie eines auf den BF ausgestellten indischen Reisepasses, gültig vom 16.03.2010 bis 15.03.2020, vorgelegt.

15.      Mit Eingabe vom 30.10.2015 übermittelte die rechtsfreundliche Vertretung die Kopie eines Antrages auf Neueintragung einer Firma beim Handelsgericht Wien.

16.      Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 10.12.2015 forderte das BFA den BF auf zum Antrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG zur Vorlage von Urkunden auf und räumte ihm im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit einer Stellungnahme ein.

17.      Mit Eingabe vom 07.01.2016 beantragte die rechtsfreundliche Vertretung eine Fristerstreckung.

18.      Mit Eingabe vom 18.01.2016 übermittelte die rechtsfreundliche Vertretung des BF die Kopie eines österreichischen Führerscheins, die Kopie eines Mietvertrages sowie einer Wohnrechtsvereinbarung zwischen dem Mieter und dem BF, einen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2014 sowie die Kopie des ÖSD-Zertifikates Niveau A2 vom 31.03.2012.

19.      Mit Eingabe vom 18.01.2016 übermittelte die rechtsfreundliche Vertretung eine Stellungnahme sowie die Kopie des Reisepasses des BF.

20.      Mit Eingabe vom 02.03.2016 übermittelte die rechtsfreundliche Vertretung den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 02.06.2016, mit dem der Antrag auf Eintragung der „Dashmesch Kleintransport KG“ abgewiesen wurde.

21.      Mit Eingabe vom 02.03.2016 übermittelte die rechtsfreundliche Vertretung die Kopie eines nicht datierten Vorvertrages für einen Dienstvertrag unter der Bedingung der Vorlage des Nachweises der erlaubten Erwerbstätigkeit als Kraftfahrer/Botendienst mit einem Monatslohn von ca. 1.110,-- Euro.

22.      Mit Eingabe vom 28.10.2016 beantragte die rechtsfreundliche Vertretung die Aufhebung der Ausweisung des BF beim BFA.

23.      Mit Bescheid des BFA vom 06.07.2017, zugestellt am 10.07.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen.

24.      Mit Bescheid des BFA vom 06.07.2017, zugestellt am 10.07.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag vom 31.10.2016 auf Aufhebung der Ausweisung gemäß § 6 Abs. 1 iVm § 8 iVm § 73 Abs. 1 AVG als unzulässig zuückgewiesen.

25.      Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 31.01.2017 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, mit welchem der Antrag vom 28.07.2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte“ gemäß § 41 Abs. 2 NAG iVm § 24 AuslBG abgewiesen wurde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

26.      Am 15.06.2018 erhob die Finanzpolizei einen Strafantrag gegen eine näher genannte Person, weil der BF bei einer Kontrolle am 16.05.2018 als Kraftfahrer eines Paketzustelldienstes betreten wurde und nicht im Besitz eines arbeitsmarktbehördlichen Dokuments noch zur Sozialversicherung gemeldet war.

27.      Am 25.06.2019 wurde der BF im Beisein seiner rechtsfreundlichen Vertretung vor dem BFA zum Gegenstand der Überprüfung der Aufenthaltsgrundlage, der Prüfung eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung, erweiterte Befragung zur Identität und Sicherung der Ausreise niederschriftlich einvernommen.

28.      Mit Eingabe vom 05.07.2019 übermittelte die rechtsfreundliche Vertreterin des BF eine Stellungnahme und beantragte die Einstellung sämtlicher aufenthaltsbeendender Verfahren. Der Stellungnahme angeschlossen wurde die dem BFA bereits vorgelegene Kopie des ÖSD Diplom A2 sowie die Kopie eines Formulars, das die Überschrift „Schlüsselkraft (selbständig)“ trägt und an die Magistratsabteilung 35 adressiert ist.

29.      Am 25.07.2019 stellte die rechtsfreundliche Vertretung des BF den verfahrensgegenständlichen Antrag gem. § 56 Abs. 1 AsylG auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen.

30.      Mit Schreiben vom 25.07.2019 erging ein Verbesserungsauftrag an die rechtsfreundliche Vertretung des BF.

31.      Mit Schriftsatz vom 13.08.2019 der rechtsfreundlichen Vertretung des BF erfolgte die aufgetragene Antragsbegründung.

32.      Am 17.10.2019 wurde der BF im Beisein seines rechtsfreundlichen Vertreters vor dem BFA zum Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung niederschriftlich einvernommen. In der Einvernahme wurden Einkommens- sowie Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2012, 2014, 2016 und 2017 sowie die bereits in den Vorverfahren vorgelegten Identitätsdokumente in Kopie vorgelegt. Zusätzlich wurde eine Bestätigung des KSV1870 sowie Kopien des indischen Führerscheines und ein Versicherungsdatenauszug sowie Lohn und Gehaltsabrechnungen für die Monate Juli und August sowie Kontoauszüge in Kopie vorgelegt.

33.      Mit Schriftsatz vom 25.10.2019 der rechtsfreundlichen Vertretung des BF erfolgte eine Stellungnahme.

34.      Mit Schriftsatz vom 30.10.2019 legte die rechtsfreundliche Vertretung des BF die Kopie einer Patenschaftserklärung gemäß § 2 Abs. 1 Z 18 NAG sowie Empfehlungsschreiben von Privatpersonen vor.

35.      Am 02.12.2019 erging ein Festnahmeauftrag des BFA gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG zum Zwecke der Abschiebung des BF.

36.      Mit Bescheid vom 03.12.2019, zugestellt am 04.12.2019, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 56 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Gem. § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG FPG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 4 wurde eine Frist für eine freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 IVm Abs. 2 Z 6 und 7 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

37.      Mit Information vom 02.12.2019, dem BF ausgefolgt am 04.12.2019 wurde der BF über die bevorstehende Abschiebung am 05.12.2019 informiert.

38.      Am 05.12.2019 wurde der BF nach Indien abgeschoben.

39.      Mit Schriftsatz vom 23.12.2019 wurde Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 03.12.2019 an das BVwG erhoben und beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

40.      Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 14.01.2020 vom BFA vorgelegt.

41.      Mit Beschluss vom 16.01.2010, Zl. W163 2015037-2/4Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

42.      Das BVwG führte am 05.03.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die rechtsfreundliche Vertreterin des BF sowie Vertreter des BFA teilnahmen.

43.      Mit Schriftsatz vom 09.03.2020 erfolgte eine Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des BF, die der belangten Behörde im Rahmen des Parteiengehörs am 10.03.2020 übermittelt wurde.

44.      Mit E-Mail vom 26.06.2020 teilte die rechtsfreundliche Vertretung des BF auf Anfrage mit, dass sich der BF noch in Indien befinde und die Kanzlei sowohl mit dem BF als auch seiner Lebensgefährtin in Kontakt stehe.

45.      Mit Verfahrensanordnung vom 16.07.2020 räumte das BVwG dem BF und der belangten Behörde erneut Parteiengehör im Ermittlungsverfahren ein. Aufgrund der zwischenzeitlichen Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des BFA zu Indien (sowie der COVID-19 Pandemie) wurden dem BF und der belangten Behörde die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zur Lage im Herkunftsland eingeräumt. Der BF wurde außerdem aufgefordert bekannt zu geben, wenn mittlerweile - über die im bisherigen Verfahren vorgebrachten Gründe hinaus – weitere Gründe vorliegen würden, die seiner Ausweisung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden (insb. solche des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK).

46.      Mit Schriftsatz vom 28.07.2020 erfolgte eine Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des BF. Der Stellungnahme angeschlossen wurde eine Einladung der Verlobten des BF zur Hochzeit in Österreich.

47.      Mit Eingabe vom 03.08.2020 übermittelte die Lebensgefährtin des BF ein Schreiben.

48.      Mit Verfahrensanordnung vom 20.01.2021 räumte das BVwG dem BF und der belangten Behörde erneut Parteiengehör im Ermittlungsverfahren ein. Aufgrund der zwischenzeitlichen Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des BFA zu Indien wurden dem BF und der belangten Behörde die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zur Lage im Herkunftsland eingeräumt. Der BF wurde außerdem aufgefordert bekannt zu geben, wenn mittlerweile - über die im bisherigen Verfahren vorgebrachten Gründe hinaus – weitere Gründe vorliegen würden, die seiner Ausweisung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden (insb. solche des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK).

49.      Mit Schriftsatz vom 22.02.2021 erfolgte eine Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des BF. Der Stellungnahme angeschlossen wurde eine Einladung der Verlobten des BF zur Hochzeit in Österreich.

50.      Das BVwG führte 17.03.2021 eine weitere mündliche Verhandlung durch, in der die Lebensgefährtin des BF als Zeugin einvernommen wurde. Im Vorfeld gab die rechtsfreundliche Vertreterin die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1.       Feststellungen

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a)       Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in Shahabpur Nawanshahr, Punjab. Der BF ist Staatsangehöriger der Republik Indien.

Der BF spricht eine Landessprache Indiens (Punjabi) als Muttersprache.

Der BF hat in Indien die Ausbildung zum Mechaniker gemacht.

Der BF ist ledig und kinderlos. Seine Mutter sowie sein Bruder leben in Indien. Der BF hatte während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet regelmäßig Kontakt mit seiner Mutter.

Der BF verfügte über einen bis zum 15.03.2020 gültigen indischen Reisepass.

Der Antrag auf internationalen Schutz des BF wurde mit Bescheid des BAA vom 29.11.2010 sowohl bezüglich des Status des Asylberechtigen als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen und er aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 19.04.2011 als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis erwuchs am 02.05.2011 in Rechtskraft.

Der BF verblieb in weiterer Folge bis zu seiner Abschiebung am 05.12.2019 unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet.

Der BF wurde im Jahr 2012 einmal wegen unrechtmäßigen Aufenthalts nach § 120/1a FPG und am 15.06.2018 angezeigt. Am 16.05.2018 wurde der BF als unerlaubt beschäftigter Ausländer durch die Finanzpolizei angehalten und sein Arbeitgeber wegen der Übertretung nach Ausländerbeschäftigungsgesetz nach § 3 Abs 1 AuslBG iVm § 28 Abs 1 Z 1 lit a AuslBG angezeigt.

Der BF hat am 31.03.2012 ein Deutsch Sprachdiplom über das Sprachniveau A2 erworben.

Zwischen Juni 2013 und November 2019 war der BF immer wieder als Arbeiter oder geringfügig beschäftigter Arbeiter beschäftigt. Zuletzt war er von 04.07.2019 bis 29.11.2019 als Arbeiter angestellt, wobei er monatlich rund 850 Euro lukrierte.

Im Bundesgebiet halten sich weder Familienmitglieder noch sonstige Angehörige des BF auf.

Der BF war mit einer österreichischen Staatsbürgerin verlobt und verbrachte mit dieser seine Freizeit im Bundesgebiet. Ein Abhängigkeitsverhältnis zur Verlobten besteht nicht.

Der BF wurde am 05.12.2019 nach Indien abgeschoben. Der Aufenthaltsort des BF ist unbekannt.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

b) Zur Lage im Herkunftsstaat

COVID-19

Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Politische Lage

Letzte Änderung: 21.05.2021

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).

Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis "National Democratic Alliance (NDA)", mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).

Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.05.2021

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Indien und Pakistan

Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten "Line of Control (LoC)" haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).

In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel "einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" ab dem 25. Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).

Indien und China

Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten "Line of Actual Control" (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).

Indien und Bangladesch

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).

Indien und Nepal

Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kratographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).

Indien und Sri Lanka

Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE ("Tamil Tigers") in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).

Punjab

Letzte Änderung: 31.05.2021

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 9.2020).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die aufständische Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Kämpfer der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West-Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der aufständischen Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Im Punjab (und anderen Konfliktzonen) haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 30.3.2021; vgl. BBC 20.10.2015). Die Menschenrechtslage im Punjab stellt sich nicht anders dar als im übrigen Indien (ÖB 9.2020).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab (sowie Uttar Pradesh und Haryana) weiterhin ein Problem dar (USDOS 30.3.2021).

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Auch stellen die Sikhs 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 9.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2018 wurden drei Personen durch Terrorakte getötet, 2019 waren es zwei Todesopfer und im Jahr 2020 wurden durch terroristische Gewalt drei Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen]. Bis zum 3.5.2021 wurden für Beobachtungszeitraum 2020 keine Opfer von verübten Terrorakten aufgezeichnet (SATP 3.5.2021).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert. In manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben (ÖB 9.2020).

Im Zuge der Bauernproteste gegen die 2020 beschlossene Liberalisierung des Agrarsektors ist ein neues, gegen die religiöse Minderheit der Sikhs gerichtetes politisches Narrativ von der hindunationalistischen BJP instrumentalisiert worden, nachdem sich Widerstand gegen die Marktrefom auch bei den Sikhs aus dem Punjab formiert hatte. Politiker der Bharatiya Janata Party (BJP) unterstellten den protestierenden Sikhs vereinzelt, für ein unabhängiges Khalistan zu kämpfen und weckten damit in der Bevölkerung Erinnerungen an die Bewegung aus den 1980er und 1990er Jahren (BAMF 12.4.2021).

Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020).

Rückkehr

Letzte Änderung: 31.05.2021

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 23.9.2020; vgl. DFAT 10.12.2020). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020).

Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Es ist strafbar, zu Terrorgruppen Kontakte zu unterhalten oder an Handlungen beteiligt zu sein, die die Souveränität, Integrität oder Sicherheit Indiens gefährden. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 9.2020). Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (Sikhs, Kaschmiris) werden von indischer Seite beobachtet und registriert (ÖB 9.2020).

Indien verfügt über kein zentrales Meldesystem, das es der Behörde ermöglicht, den Aufenthaltsort von Einwohnern im eigenen Bundesstaat zu überprüfen, geschweige denn in einem der anderen Bundesstaaten oder Unionsterritorien (DFAT 10.12.2020). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 9.2020).

2.       Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung liegen folgende Erwägungen zugrunde:

2.1.    Zum Verfahrensgang

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der Gerichtsakten des BVwG.

2.2.    Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und Herkunft) getroffen wurden, beruhen diese auf den Angaben des BF, die bereits im Asylverfahren zu seiner Identifikation angenommen wurden.

Die Feststellungen zur Muttersprache des BF beruhen auf dem Umstand, dass der BF in sämtlichen Einvernahmen in der Sprache Punjabi einvernommen wurde und es dabei zu keinen Verständigungsschwierigkeiten gekommen ist.

Die Feststellung zur Ausbildung in Indien ergibt sich aus den Angaben im Verfahren zur Erteilung einen Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot- Karte“ und dem entsprechenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien.

Die Feststellungen zum Personenstand des BF sowie den familiären Anknüpfungspunkten in Indien ergeben sich aus den Angaben den BF.

Die Feststellungen zum Ausgang des Asylverfahrens beruhen auf dem Bescheid des BAA und dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz.

Dass der BF unrechtmäßig in Österreich verblieb, ergibt sich daraus, dass der BF sich auch nach Erlass des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes im April 2011 im Bundesgebiet aufhielt, ohne eine ihn dazu berechtigenden Aufenthaltstitel innezuhaben.

Die Feststellungen zu der Anzeige wegen unrechtmäßigen Aufenthalts und der Übertretung des AuslBG ergeben sich aus den im Akt einliegenden Anzeige und dem Strafantrag.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen des BF beruhen auf dem in Vorlage gebrachten Deutschzertifikat.

Dass der BF zwischen Juni 2013 und November 2019 sowie zum Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme am 17.10.2019 erwerbstätig war, ergibt sich aus seinen glaubhaften Angaben vor dem BFA und den in Vorlage gerbachten Unterlagen (Lohn/Gehaltsabrechnungen, Kontoauszüge, Einkommen- und Umsatzsteuerbescheiden) und einem AJ-Web Auszug.

Dass keine Familienmitglieder des BF im österreichischen Bundesgebiet leben, konnte aufgrund der glaubhaften Angaben des BF getroffen werden.

Die Verlobung mit einer österreichischen Staatsbürgerin ergibt sich aus dem Vorbringen dieser in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 17.03.2021, in welcher diese als Zeugin einvernommen wurde, aus der vorgelegten Einladung, mit welchem der BF von der Zeugin nach Österreich zur gemeinsamen Hochzeit eingeladen wurde sowie aus einem Schreiben der Zeugin an das Gericht. Dass kein Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, gründet darauf, dass die Zeugin inzwischen keinen Kontakt mehr zum BF hat und auch keine Leistungen für diesen erbringt.

Aus dem Bericht über die Abschiebung des BF vom 05.12.2019 ergibt sich die Abschiebung des BF. Dass sein Aufenthalt unbekannt ist, gründet darauf, dass weder die Zeugin, welche in der Beschwerdeverhandlung am 17.03.2021 einvernommen wurde, die mit dem BF verlobt war, noch die vormals rechtsfreundliche Vertretung einen Kontakt zum BF haben und der Aufenthaltsort nicht bekanntgegeben wurde. Die Zeugin hatte den letzten Kontakt zum BF im November/Dezember 2020 und war auch in der Beschwerdeverhandlung auf konkrete Frage nicht in der Lage, den Aufenthaltsort anzugeben.

Dass der BF strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

III.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

3.1.1.  Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG lauten:

„§ 56. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, auch wenn er sich in einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vor dem Bundesamt befindet, eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige jedenfalls

1. zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist,

2. davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, seines festgestellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen ist und

3. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird.

(2) Liegen nur die Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 und 2 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

(3) Die Behörde hat den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 kann auch durch Vorlage einer einzigen Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 26) erbracht werden. Treten mehrere Personen als Verpflichtete in einer Erklärung auf, dann haftet jeder von ihnen für den vollen Haftungsbetrag zur ungeteilten Hand.“

„§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(5a) Solange aufgrund von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 getroffen werden, die Bewegungsfreiheit oder der zwischenmenschliche Kontakt eingeschränkt ist, sind Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 abweichend von Abs. 5 nicht persönlich, sondern postalisch oder auf elektronischem Wege beim Bundesamt einzubringen. Bei Stattgebung des Antrags kann der Aufenthaltstitel abweichend von Abs. 12 auch zu eigenen Handen zugestellt werden.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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