TE Bvwg Beschluss 2021/7/20 W261 2244363-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.07.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W261 2244363-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Maga Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , vertreten durch den KOBV – Der Behindertenverband für Wien, NÖ & Bgld., gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 18.05.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Begründung:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer war seit 12.10.215 Inhaber eines bis zum 31.01.2021 befristeten Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 100 von Hundert (v.H.).

2. Der Beschwerdeführer stellte am 22.09.2020 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde).

3. Die belangte Behörde forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 23.09.2020 und vom 23.10.2020 auf, aktuelle medizinische Befunde vorzulegen. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung am 13.11.2020 nach und legte – neben einem neuen Antrag – auch eine Reihe von medizinischen Befunden vor.

4. Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grund der Aktenlage erstatteten Gutachten vom 05.01.2021 stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen Zustand nach Triple-Kolonkarzinom ED 4/2105, mittelgradige Aortenklappen Stenose, arterielle Hypertonie bei Zustand nach paroxysmalen Vorhofflimmern und Schlafapnoesyndrom und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest. Es liege eine deutliche Besserung des Leidens 1 nach Ablauf der Heilungsbewährung vor.

5. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 08.01.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

6. Der Beschwerdeführer führte in seiner handschriftlichen Stellungnahme ohne Datum, eingelangt am 20.01.2021 aus, dass er wegen der Chemotherapie an einer Gehstörung leide und stuhlinkontinent sei. Befunde würden ca. Ende März 2021 vorgelegt werden. In weiterer Folge bevollmächtigte der Beschwerdeführer den KOBV – Der Behindertenverband für Wien, NÖ & Bgld. (KOBV) mit seiner Vertretung. Der KOBV führte in der Stellungnahme vom 22.01.2021 aus, dass der vom medizinischen Sachverständigen festgestellte Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. nicht dem tatsächlichen Leidenszustand des Beschwerdeführers entspreche. Der Beschwerdeführer leide durch seine Darmkrebserkrankung nach wie vor an höhergradigen Funktionseinschränkungen und Folgeschäden durch die durchgeführten Therapien. Er leide insbesondere an erhöhten Stuhgängen von mindestens 15 innerhalb von 24 Stunden mit gestörter Nachtruhe. Eine Stuhlregulierung sei bislang nicht erfolgreich gewesen und müsse der Beschwerdeführer bei Auftreten von Stuhldrang unmittelbar die Möglichkeit haben, eine Toilette aufzusuchen. Infolge der Operationen im Zuge der Entfernung des gesamten Dickdarms, der Stoma Rückoperation sowie der Chemotherapie leide der Antragsteller an einen sensomotorischen Neuropathie Syndrom an den unteren Extremitäten mit Gangunsicherheit und sei die Mobilität eingeschränkt. Es würden Befunde nachgereicht werden. Es werde auch der Antrag gestellt, dass der Grad der Behinderung aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers beurteilt werde. Es werde daher beantragt, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einer neuerlichen Überprüfung zu unterziehen. Mit Stellungnahme vom 03.03.2021 legte der Beschwerdeführer durch den KOBV - wie avisiert - eine Reihe von medizinischen Befunden vor.

7. Die belangte Behörde ersuchte den befassten medizinischen Sachverständigen um die Abgabe einer Stellungnahme. In seiner Stellungnahme vom 20.04.2021 führte der medizinische Sachverständige zusammenfassend aus, dass auch die neu vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Befunde keine relevanten zusätzlichen Erkenntnisse bringen würden. Eine Depressio mit fatigue sei in den Befunden nicht dokumentiert, bewirke aber auch, mangels vorhandener Verlaufsdokumentation ebenso wie ein geringer Beckenschiefstand, Senk-/Spreizfüße ohne dokumentierte Funktionseinschränkungen und ein Zustand nach Sinusitis frontalis, keine Änderung des Gesamtgrades der Behinderung. Insgesamt würden die nachgereichten Einwendungen daher keine ausreichend relevanten Sachverhalte beinhalten, welche eine Änderung des Gutachtens bewirken würden. Die Absenkung des Gesamtgrades der Behinderung sei insbesondere deshalb gerechtfertigt, da nach mehr als 5-jähriger Heilungsbewährung kein Rezidiv des Tumorleidens aufgetreten sei und eine erfolgreiche Tumorentfernung erfolgt sei.

8. Nachdem der Beschwerdeführer die Begutachtung aufgrund einer persönlichen Untersuchung beantragt hatte, ersuchte die belangte Behörde eine Ärztin für Allgemeinmedizin um Erstattung eines Sachverständigengutachtens aufgrund einer persönlichen Untersuchung.

In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 17.05.2021 erstatteten Gutachten vom selben Tag stellte die medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen Zustand nach Triple-Kolonkarzinom, ED 4/2015, Position 13.01.02, Grad der Behinderung 30%, mittelgradige Aortenklappen Stenose, Position 05.06.02, Grad der Behinderung 30 %, arterielle Hypertonie bei Zustand nach paroxysmalem Vorhofflimmern, Position 05.01.02, Grad der Behinderung 20 %, Schlafapnoesyndrom, Position 06.11.01, Grad der Behinderung 10 % und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Position 02.01.01, Grad der Behinderung 10 % und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest.
9. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18.05.2021 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid die eingeholten Sachverständigengutachten in Kopie bei.

10. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer bevollmächtigt vertreten durch den KOBV fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass die belangte Behörde bei der Beurteilung des Leidens 1 übersehen habe, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Entfernung des Dickdarms nach wie vor an mindestens 15 Stuhlgängen binnen 24 Stunden leide. Diese seien breiig bis flüssig und müsse der Beschwerdeführer dann unverzüglich eine Toilette aufsuchen. 2 bis 3 Stuhlgänge würden auch in der Nacht liegen, weswegen die Nachtruhe des Beschwerdeführers immer wieder unterbrochen werde. Die Toilettengänge würden auch eine überdurchschnittliche Länge haben, was den Beschwerdeführer zusätzlich im Alltag belaste. Diese erhöhte und therapiefraktäre Stuhlfrequenz sei auch bereits in den Sachverständigengutachten des Invaliditätspensionsverfahrens 2017 festgehalten worden. Diese Problematik habe auch zur Zuerkennung der Invaliditätspension geführt. Es sei damals auch festgehalten worden, dass mit einer weiteren Verbesserung nicht mehr zu rechnen sei. Dazu werde auch ein aktueller Befund des Krankenhauses der XXXX vom 26.01.2021 vorgelegt. Im Verlauf zeige sich, dass sich der Zustand seit dem Jahr 2017 nicht geändert habe. Dieser Zustand sei nicht ausreichend berücksichtigt worden und hätte mindestens ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt werden müssen. Auch seien die beim Beschwerdeführer vorliegenden rezidivierenden depressiven Episoden sowie das chronische Fatigue-Syndrom, welches sich aufgrund der schweren Erkrankung, der Operationen und der Chemotherapie entwickelt habe, bisher nicht berücksichtigt worden. Schließlich liege – entgegen der Feststellungen im Gutachten – eine gegenseitige negative Leidensbeeinflussung vor, jedenfalls zwischen der Darmproblematik und der depressiven Erkrankung. Es werde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung ebenso beantragt, wie die Untersuchung durch einen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Psychiatrie. Der Beschwerde möge Folge gegeben werden, der erstinstanzliche Bescheid sei aufzuheben und dem Antrag auf Ausstellung eines Behindertenasses sei stattzugeben. Der Beschwerdeführer legte der Beschwerde weitere Unterlagen bei.

11. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 14.07.2021 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.

12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.07.2021 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer serbischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1.       wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Der Beschwerdeführer leidet unter anderem an psychischen Erkrankungen, welche von der Ärztin für Allgemeinmedizin in keiner Weise beurteilt wurden. Es findet sich im medizinischen Sachverständigengutachten vom 17.05.2021 kein Hinweis darauf, weswegen die medizinische Sachverständige das mit Befund einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 15.02.2021 diagnostizierte Leiden der rezidivierenden depressiven Episoden und das chronische Fatigue Syndrom keinen Grad der Behinderung erreicht. Diese Leiden wurden, trotz des Umstandes, dass der genannte medizinische Befund in der Zusammenfassung der relevanten Befunde im Gutachten dezidiert angeführt ist, nicht in die Liste der Funktionseinschränkungen des genannten Gutachtens aufgenommen, wie dies der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde zurecht rügt. Selbst wenn diese durch eine Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie medizinisch objektivierten Leiden keinen Grad der Behinderung erreichen sollten, so wäre dies auch entsprechend im Gutachten zu begründen gewesen, was ebenfalls unterblieb.

Gegenständlich ist die von der Ärztin für Allgemeinmedizin vorgenommene Beurteilung der Leiden des Beschwerdeführers offensichtlich sachwidrig erfolgt. Das Vorbringen und die vorgelegten Beweismittel enthalten konkrete Anhaltspunkte, dass die Einholung von Gutachten der Fachrichtungen Psychiatrie erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten.

Der Beschwerdeführer leidet nach dem von ihm vorgelegten Befund vom 15.02.2021 nach wie vor an einer rezidivierend depressiven Störung. Die Einschätzungsverordnung regelt unter Abschnitt 03 sehr differenziert die Kriterien für die Einschätzung des Grades der Behinderung für psychische Störungen. Es wird jeweils das Krankheitsbild beschrieben und entsprechend der Schwere der Funktionsbeeinträchtigung eine Zuordnung zu Positionen festgelegt. Innerhalb der Positionen wird ausgeführt, welche Merkmale für die Wahl eines Rahmensatzes als maßgebend zu erachten sind. Wenn der medizinische Sachverständige in seiner Stellungnahme vom 20.04.2021 moniert, dass eine Depression mit fatigue in den bisherigen Befunden nicht dokumentiert gewesen sei, so ist dem entgegen zu halten, dass diese bereits im Jahr 2009 beim Beschwerdeführer diagnostiziert wurde, wie dies aus dem Akt aufliegenden Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin vom 22.09.2015, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag, dokumentiert ist. Es wird jedoch am Beschwerdeführer liegen, im fortgesetzten Verfahren entsprechende medizinische Befunde vorzulegen, aus welchen einerseits hervorgeht, dass er dieses Leiden seit Jahren hat und er andererseits alle Therapieoptionen im Laufe der letzten Jahre in Anspruch genommen hat.

Auch hinsichtlich des Leidens 1 erfolgte die Erstellung des Gutachtens nicht durch einen Facharzt für Innere Medizin. Wiewohl der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf die Begutachtung aus einem bestimmten Fachbereich hat, wird im fortgesetzten Verfahren in Anbetracht der Komplexität und der Schwere der ursprünglichen Krebserkrankung des Beschwerdeführers eine Untersuchung durch einen Facharzt für Innere Medizin durchzuführen sein. Dabei wird insbesondere auch zu beurteilen sein, ob der Beschwerdeführer tatsächlich inkontinent ist, wie er dies in seiner Stellungnahme vom 20.01.2021 behauptet, oder ob er (nur) vermehrte Stuhlgänge pro Tag hat. Es wird konkret festzustellen sein, ob durch die Krebserkrankung maßgebliche Funktionseinschränkungen gegeben sind, oder ob ein darüberhinausgehendes Defizit besteht, welches allenfalls nicht nach Position 13.01.03 der Einschätzungsverordnung, sondern allenfalls nach einer anderen Position des Kapitels 7 der Einschätzungsverordnung zu bewerten sein wird.

Bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung wird festzuhalten sein, ob allenfalls zwischen den psychischen Leiden des Beschwerdeführers und dem Leiden 1 eine wechselseitige negative Leidensbeeinflussung bestehen kann, oder nicht.

Im fortgesetzten Verfahren wird von der belangten Behörde im ergänzenden Ermittlungsverfahren ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen sein, wobei die Gutachtenserstellung auf Grundlage einer eingehenden persönlichen psychiatrischen Untersuchung des Beschwerdeführers zu erfolgen haben wird.

Auch die weiteren Leiden des Beschwerdeführers werden neuerlich unter Berücksichtigung der im Rahmen der Beschwerde neu vorgelegten Befunde durch geeignete medizinische Sachverständige zu beurteilen sein, wobei auch dieses Sachverständigengutachten auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers zu erstatten sein wird.

Es wird sodann ein Gesamtgutachten zu erstellen sein, in welchem der Gesamtgrad der Behinderung unter Berücksichtigung der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen festzustellen sein wird.

Dabei wird auf alle Leidenszustände des Beschwerdeführers in nachvollziehbarer Weise einzugehen sein, und werden diese entsprechend der Einschätzungsverordnung zu beurteilen und einzuschätzen sein.

Sollten Leiden festgestellt werden, welche keinen Grad der Behinderung erreichen, so sind auch diese im Gutachten anzuführen und schlüssig und auch für einen medizinischen Laien nachvollziehbar anzuführen, weswegen diese keine Grad der Behinderung erreichen.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2244363.1.00

Im RIS seit

01.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten