TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/22 W183 2236200-1

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Veröffentlicht am 22.07.2021
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Entscheidungsdatum

22.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W183 2236200-1/18E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 29.06.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.09.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.06.2021 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin verließ im Jahr 2019 Iran, stellte am 26.09.2019 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 26.11.2019 und am 07.08.2020 wurde die Beschwerdeführerin von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zu ihren Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Im behördlichen Verfahren gab die Beschwerdeführerin als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass sie Atheistin sei, gemeinsam mit Freunden den Koran verbrannt habe und hierbei von ihrem Ex-Mann heimlich gefilmt worden sei. Nach der Scheidung habe sie ihr Ex-Mann mit dem Tod sowie der Veröffentlichung des Videos bedroht.

2.       Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 18.09.2020) wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, sondern gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Iran zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Das BFA stellte der Beschwerdeführerin amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3.       Mit Schriftsatz vom 13.10.2020 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang.

4.       Mit Schriftsatz vom 16.10.2020 (eingelangt am 20.10.2020) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

5.       Mit Schreiben vom 25.05.2021 wurden die Beschwerdeführerin sowie das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.06.2021 geladen und wurde in den Ladungen darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigt, die Länderberichte gemäß dem „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, generiert am 24.03.2021, Version 2“ als Grundlage für die Feststellungen zur Situation in Iran heranzuziehen. Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben. Das BFA entschuldigte sich für die Nichtteilnahme an der Verhandlung. Schriftliche Stellungnahmen wurden von keiner der Parteien dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schriftsatz vom 24.06.2021 zum Beweis ihres Abfalls vom Islam und ihrer Integrationsfortschritte die Einvernahme einer Zeugin und legte zahlreiche Dokumente vor.

6.        Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.06.2021 unter Beiziehung eines Dolmetschs für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführerin sowie deren Rechtsvertretung teilnahmen. Die Beschwerdeführerin wurde ausführlich zu ihrer Person, ihren Fluchtgründen sowie religiösen Aktivitäten in Österreich befragt. Es wurde ihr Gelegenheit gegeben, alle Gründe umfassend darzulegen, zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung zu nehmen und ihre Situation in Österreich darzustellen. Eine Zeugin wurde einvernommen. Das BFA nahm an dieser Verhandlung nicht teil und gab keine schriftliche Stellungnahme zu der Situation im Herkunftsland ab. Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wurde dem BFA zur Kenntnis gebracht.

Das Bundesverwaltungsgericht verkündete das Erkenntnis wie im Spruch oben angeführt. Nach einer Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG verzichtete die Beschwerdeführerin auf eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof sowie auf eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Das Informationsblatt gemäß § 67 Abs. 1 AsylG 2005 betreffend Integration wurde der Beschwerdeführerin persönlich ausgehändigt.

7.       Mit Schriftsatz vom 01.07.2021 ersuchte die belangte Behörde um eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

8.       Das Bundesverwaltungsgericht führte zuletzt am 13.07.2021 eine Strafregisterabfrage durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin ist eine volljährige iranische Staatsangehörige. Sie trägt den im Erkenntniskopf genannten Namen und ist am dort angeführten Datum geboren. Ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführerin stammt aus Shiraz und lebte dort bis zu ihrer Ausreise, gehört der Volksgruppe der Perser an, spricht Farsi (Muttersprache), Englisch und Deutsch (Prüfung auf Niveau B1 positiv abgelegt), verfügt über einen Universitätsabschluss und arbeitete in Iran als Architektin sowie als Dozentin an einer Universität.

Die Beschwerdeführerin ist seit dem Jahr 2015 geschieden und hat keine Kinder. Die Ehe wurde im Herkunftsstaat geschlossen. In Iran leben die Eltern sowie zwei Schwestern der Beschwerdeführerin und hat sie zu ihnen regelmäßig Kontakt. Das Verhältnis ist gut.

Die Beschwerdeführerin reiste legal unter Verwendung ihres Reisepasses im September 2019 aus Iran aus, legal nach Österreich ein und stellte am 26.09.2019 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht besteht nicht.

Die Beschwerdeführerin leidet an keiner physischen oder psychischen (schweren oder lebensbedrohlichen) Erkrankung und ist arbeitsfähig.

In Österreich lebt der Bruder der Beschwerdeführerin, XXXX , geb. XXXX , der österreichischer Staatsbürger ist. Die Beschwerdeführerin ist in Österreich nicht Mitglied in Vereinen oder anderen Organisationen. Die Beschwerdeführerin absolviert in Österreich ein außerordentliches Studium an der XXXX und ist Mitglied des Redaktionsteams einer Zeitschrift für interkulturelle Themen.

Die Beschwerdeführerin bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Sie verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1, Prüfung bestanden. Sie ist freiwillig als Dolmetscherin für andere Asylwerber tätig.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und hat keinen Asylausschlussgrund gesetzt.

1.2.    Zum Fluchtvorbringen

Die Beschwerdeführerin war ursprünglich muslimischen Glaubens, setzte sich aber bereits in Iran kritisch mit dem Islam auseinander.

Sie erlebte sexualisierte Gewalt durch ihren Ex-Mann und beschäftigte sich in der Folge mit den Rechten der Frauen.

In Österreich trat sie aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft aus. Die Beschwerdeführerin ist nunmehr Atheistin und ihre Weltanschauung ist frei von religiösen Vorgaben.

Die Beschwerdeführerin ist ernsthaft vom Islam abgefallen und lebt nun als Atheistin. Der Atheismus wurde ein wesentlicher Bestandteil der Identität der Beschwerdeführerin.

Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Iran Verfolgung durch staatliche Akteure droht.

1.3.     Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Aus dem ins Verfahren eingeführten „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, generiert am 24.03.2021, Version 2“ ergibt sich wie folgt:

Zur Religionsfreiheit:

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2020). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2020). Selbst anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden also diskriminiert. Vertreter dieser religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 10.2020). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020, BAMF 3.2019) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 4.3.2020). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (AI 18.2.2020).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Open Doors 2021). Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha'i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 10.2020).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 18.2.2020).

Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt. Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ befanden sich 2019 mindestens 109 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion in Haft (USDOS 10.7.2020). Personen, die sich zum Atheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 18.2.2020). In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 18.12.2020

?        BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (23.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf, Zugriff 17.4.2020

?        DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 17.4.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 3.12.2020

?        Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran, Zugriff 19.1.2021

?        USDOS – US Department of State [USA] (10.7.2020): 2019 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031370.html, Zugriff 16.12.2020

Zu Apostasie und Konversion:

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2020). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS/DRC 23.2.2018).

Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2020; vgl. AA 26.2.2020). Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 26.2.2020). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (zehn und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019). Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden auch 2018 und 2019 viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2020).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 26.2.2020). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf (ÖB Teheran 10.2020).

Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 10.2020).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich „konvertierte“ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 10.2020).

Die Versammlung in – meist evangelischen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden „kontrolliert“, de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2019). Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind (DIS/DRC 23.2.2018). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen, und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet. Im Frühling und Sommer 2017 wurden mehrere evangelikale und assyrische Christen verhaftet und wegen „illegaler Kirchenaktivität“ zu langen Haftstrafen verurteilt. Nach 16 festgenommenen Christen im Jahr 2017, stieg diese Zahl im Jahr 2018 dramatisch. Im November und Dezember 2018 wurden ca. 150 Christen – die meisten kurzzeitig – festgenommen und anschließend angewiesen, sich von anderen Christen fernzuhalten. Über die genauen Zahlen der Verhaftungen/Verurteilungen gibt es keine detaillierten Informationen. Fakt ist aber, dass die Zahl der Verhaftung von Konvertierten seit einer Ansprache des obersten Führers vor einigen Jahren, als er vor der steigenden Zahl der sogenannten häuslichen Kirchen gewarnt hatte, extrem angestiegen ist. Allein im August 2020 sind 35 neu Konvertierte verhaftet worden, und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen, wie „Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen“, „Verbreitung vom zionistischen Christentum“ und „Gefährdung der inneren Sicherheit“ zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden. Einem Bericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte zufolge haben Beamte des Geheimdienstministeriums im Juli 2019 das Haus einer christlichen Familie in der Stadt Bushehr im Süden Irans gestürmt und viele Angehörige dieser Familie verhaftet (ÖB Teheran 10.2010).

Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen „Verbrechen gegen Gott“ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch „low-profile“ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen wäre, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen, vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Landinfo 16.10.2019). Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden (ÖB Teheran 10.2020), bzw. um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen (Open Doors 2020). Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen (ÖB Teheran 10.2020).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. Landinfo 16.10.2019).

Die Rückkehr von Konvertiten in den Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr nach Iran weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 10.2020).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 21.6.2019). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der „Katholischen Jerusalem Bibel“ ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den „Katechismus der Katholischen Kirche“ ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 4.1.2021

?        DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 20.4.2020

?        Landinfo [Norwegen] (16.10.2019): Iran: Kristne konvertitter – en oppdatering om arrestasjoner og straffeforfølgelse, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019853/Respons-Iran-Kristne-konvertitter-en-oppdatering-om-arrestasjoner-og-straffeforf%C3%B8lgelse-AVA-16102019.pdf, Zugriff 5.1.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 7.1.2021

?        Open Doors (2020): Weltverfolgungsindex 2020 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum: 1. November 2018 – 31. Oktober 2019), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran, Zugriff 20.4.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011176.html, Zugriff 20.4.2020

Zu Haftbedingungen:

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge im Freien untergebracht werden (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020), oder sie müssen auf Gängen oder am Boden schlafen. Es gibt ca. eine Viertelmillion Häftlinge (USDOS

11.3.2020). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung und Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung – in Einzelfällen mit tödlichen Folgen. Von mangelnden hygienischen Zuständen ist auszugehen

(ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.4.2020). In den Gefängnissen wird auch von physischer und psychischer Folter berichtet. Dies gilt auch und gerade im Zusammenhang mit Häftlingen, die unter politischem Druck stehen, zu intensive Kontakte mit Ausländern pflegen, etc. (ÖB Teheran 10.2020). Es ist nach wie vor üblich, Inhaftierte zu foltern und anderweitig zu misshandeln, z. B. in Form von Einzelhaft über lange Zeiträume hinweg. Die größte Gefahr droht Inhaftierten bei Verhören (AI 18.2.2020). Neben Elektroschocks werden u.a. Schläge, Verbrennungen, Vergewaltigungen, Scheinhinrichtungen, Verhaftung der Familie, Einzelhaft und Schlafentzug verwendet. Dazu kommt vielfach der nicht oder nur ganz selten mögliche Kontakt mit der Außenwelt. Oft ist es Angehörigen während mehrerer Wochen oder Monate nicht möglich, Häftlinge zu besuchen. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 10.2020).

Eines der berüchtigtsten Gefängnisse ist nach wie vor das im Norden Teherans gelegene, von

den Amerikanern für den Schah (und den Geheimdienst SAVAK) errichtete Evin-Gefängnis. Von außen fällt auf, dass es weniger aus Gebäuden, sondern eher aus Hügeln besteht, zumal sich ein Großteil des Gefängnisses in unterirdischen Anlagen befindet. Dies verstärkt den psychischen Druck (Mangel an Tageslicht). Manche Trakte unterstehen nicht der Justiz/Polizei, sondern direkt den Nachrichtendiensten der Revolutionsgarden. Aber auch andere Gefängnisse, wie das neue „Große Teheraner Gefängnis“ im Süden der Stadt sind für ihre Haftbedingungen berüchtigt (ÖB Teheran 10.2020).

Die Behörden gehen Foltervorwürfen grundsätzlich nicht nach und ziehen Verantwortliche nicht zur Rechenschaft. Berichten zufolge hat Folter zu mehreren Todesfällen in Gewahrsam geführt bzw. dazu beigetragen (AI 18.2.2020).

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab. Dies

betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung

grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse. Es kommt regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen (AA 26.2.2020), in der Regel entschließen sich politische Häftlinge dazu (ÖB Teheran 10.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran manchmal fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in „sichere Häuser“ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten. Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 15.4.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022677.html, Zugriff 15.4.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 3.12.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 15.4.2020

Die zu Apostasie und Konversion festgestellte Situation stellt sich im gesamten iranischen Staatsgebiet gleichermaßen dar.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Erstbefragung; EB) und durch das BFA (EV) sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (VH), der Beschwerdeschriftsatz, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, generiert am 24.03.2021, Version 2, mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Dokumente (Empfehlungsschreiben einer Redaktion, von der Beschwerdeführerin verfasste Artikel, Zeugnisse über den Abschluss von Deutschkursen auf dem Niveau B1, ÖSD-Zertifikat A2, Bestätigung der Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF vom 14.02.2020, Bestätigung des Studienerfolges an der XXXX , diverse Zertifikate über die Teilnahme an Kursen und Workshops, Leistungsbeurteilung der Fachhochschule, irankritische Beiträge bzw. Kommentare der Beschwerdeführerin auf Social Media, Bescheinigung des Austritts der Beschwerdeführerin aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Fotos, welche Verletzungen der Beschwerdeführerin im Gesicht zeigen, Heirats- und Scheidungsurkunde, Kontoauszüge, Bescheide über Unterrichtstätigkeiten der Beschwerdeführerin in Iran an einer technischen Fakultät, diverse Arbeitsbescheinigungen aus Iran, iranische Sozialversicherungsauszüge, diverse Empfehlungsschreiben von Privatpersonen, Bestätigung der Caritas über die freiwillige Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Dolmetscherin für andere Asylwerber), die Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung, der Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem für den Bruder der Beschwerdeführerin und die Strafregisterabfrage vom 13.07.2021.

2.2.    Zu folgenden Feststellungen wird näher ausgeführt wie folgt:

2.2.1.  Zur Person der Beschwerdeführerin

Aufgrund des bei der Erstbefragung vorgelegten unbedenklichen Personendokuments (Reisepass) steht die Identität der Beschwerdeführerin fest. Dies hat auch das BFA seiner Entscheidung unterstellt.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet die Beschwerdeführerin betreffend weitere Personenmerkmale (Alter, Staatsangehörigkeit, ethnische Zugehörigkeit, Herkunftsregion, Sprachkenntnisse, Ausbildung und Berufserfahrung, Familienstand, Familienverhältnisse und Gesundheitszustand) sowie ihre Situation in Österreich für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben dazu machte. Es gibt keine Gründe, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln, und war die Beschwerdeführerin diesbezüglich auch in der mündlichen Verhandlung persönlich glaubwürdig. Zusätzlich legte die Beschwerdeführerin betreffend ihre Ausbildung, Sprachkenntnisse und Berufserfahrung zahlreiche Dokumente vor.

Die Feststellung zur Einreise nach Österreich und Ausreise aus Iran ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin sowie aus dem Visum C für den Zeitraum 07.09.2019 bis 22.10.2019, welches zum Zweck der Einreise der Beschwerdeführerin nach Österreich zum Besuch ihres Bruders in Österreich ausgestellt wurde.

Die österreichische Staatsbürgerschaft des Bruders der Beschwerdeführerin ergibt sich aus ihren Angaben sowie dem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem für ihren Bruder.

Betreffend ihre Deutschkenntnisse legte die Beschwerdeführerin diverse Zeugnisse über den Abschluss von Kursen auf dem Niveau B1 vor und konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auch in der mündlichen Verhandlung ein aktuelles Bild von den guten Deutschkenntnissen der Beschwerdeführerin machen, welche Fragen der erkennenden Richterin teilweise auf Deutsch verstehen und beantworten konnte (VH, S. 6).

Die Feststellungen zur Situation der Beschwerdeführerin in Österreich ergeben sich aus den vorgelegten, unstrittigen Dokumenten und der Einvernahme in der mündlichen Verhandlung.

2.2.2.  Zum Fluchtvorbringen

Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgt, dass sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, sich das Gericht auf Grund einer ausführlichen Beurteilung der Persönlichkeit und aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, einen detaillierten Eindruck darüber verschaffen muss, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht (vgl. VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0260 unter Bezugnahme auf VfGH 27.02.2018, E 2958/2017).

Die VH vor dem Bundesverwaltungsgericht diente insbesondere dazu, einen Eindruck vom persönlichen Empfinden der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihres Atheismus zu gewinnen. Die Beschwerdeführerin legte einen emotionalen Bezug glaubwürdig dar. Ihre Erzählweise war ausführlich, initiativ, lebendig und in sich stimmig.

Bereits in der EB gab die Beschwerdeführerin an, sich 2013/14 vom Islam abgewendet zu haben und Atheistin zu sein. Als Zeichen für ihren Glaubensabfall habe sie gemeinsam mit Freunden den Koran verbrannt (EB, S. 6). Damit im Wesentlichen übereinstimmend gab die Beschwerdeführerin in der zweiten EV am 07.08.2020 an, dass sie 2012/2013 den Koran verbrannt und bereits im Jahr 2009 mit dem Gedanken gespielt habe, Atheistin zu werden. Den Höhepunkt habe es aber im Jahr 2012 erreicht, als sie den Koran verbrannt habe (EV 2, S. 13). Diese zeitlichen Angaben der Beschwerdeführerin bestätigten sich auch in ihrer Einvernahme in der VH (VH, S. 7 f.).

Nähere Fragen beantwortete die Beschwerdeführerin bereits in der zweiten EV am 07.08.2020 nachvollziehbar und detailliert. Auf die Frage, wie sie sich verhalten habe, wenn ihre Familie religiöse Feste gefeiert habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Familie zwar religiös, aber nicht extrem religiös gewesen sei, und ihre Eltern hauptsächlich für sich selbst gebetet hätten. Seitens ihrer Familie sei sie zu keinen religiösen Festen oder Traditionen gezwungen worden (EV 2, S. 14). Betreffend ihre Überzeugung zum Atheismus gab die Beschwerdeführerin an, dass sie es zwar nicht auf der Straße habe schreien wollen, aber etwa auf der Universität gerne geschrieben hätte, dass ihre Religion nicht der Islam sei, und es ihr gefallen hätte, jedem sagen zu können, dass sie keine Muslimin sei (EV 2, S. 14).

Diese Angaben wirken ehrlich und authentisch und schien die Beschwerdeführerin nicht darauf bedacht gewesen zu sein, ihren Atheismus gegenüber der belangten Behörde übertrieben und aus asyltaktischen Gründen darstellen zu wollen. Dieser Eindruck bestätigte sich auch im Rahmen der Einvernahme der Beschwerdeführerin in der VH:

Auf die Frage, warum die Beschwerdeführerin den Koran verbrannt habe, schilderte sie schlüssig, wie sie zu ihrer atheistischen Überzeugung gelangt sei. Sie gab an, dass die Veränderung während ihres Studiums begonnen und sie im Jahr 2009 ihren Ex-Mann kennengelernt habe. Durch die Fragen ihres Ex-Mannes betreffend Frauenrechte und den Islam habe ihre Veränderung zugenommen (VH, S. 7).

Die Beschwerdeführerin führte weiters aus, dass sie im Islam viel Unrechtes gesehen und Zwang erlebt habe, wie die Verschleierung und die Ungerechtigkeit betreffend Frauenrechte. Nach der Hochzeit habe sie das Gefühl gehabt, ihr persönliches Leben mit ihrem damaligen Mann zu gründen und das Recht zu haben, sich selbst etwas aussuchen und für sich selbst etwas entscheiden zu können. Die Verbrennung des Koran im Jahr 2012 sei schließlich ein Zeichen für ihren Gedankengang gewesen (VH, S. 7 f.). Die Angaben der Beschwerdeführerin in der VH stimmten auch mit ihren Angaben in der ersten EV am 26.11.2019 überein, in der sie unter anderem vorbrachte, dass sie sich mit ihrem Ex-Mann bereits kritisch über Religion unterhalten habe und diese Gespräche einer der Gründe gewesen seien, warum sie überhaupt Atheistin geworden sei (EV 1, S. 6). Ihre Angaben waren auch in zeitlicher Hinsicht kongruent mit ihren Schilderungen im Rahmen der zweiten EV (S. 13).

Ebenso waren ihre Angaben insgesamt plausibel, da die Beschwerdeführerin einen Prozess ihrer Hinwendung zum Atheismus über mehrere Jahre schilderte, wodurch ihr Vorbringen an Glaubwürdigkeit gewann. Es ist nachvollziehbar, dass eine Hinwendung zum Atheismus bzw. ein Abfall vom Islam nicht von einem Tag auf den nächsten erfolgt, sondern ein andauernder Prozess ist. Die Beschwerdeführerin unterstrich ihre Glaubwürdigkeit, indem sie nicht ein spezielles Ereignis behauptete, welches sie zur Atheistin werden ließ, bzw. der erkennenden Richterin keine konstruierte „Anlassgeschichte“ erzählte, die sie vom Islam abbrachte. Vielmehr schilderte die Beschwerdeführerin ihren (jahrelangen) Weg hin zum Atheismus in einer freien Erzählung, widerspruchsfrei zu ihren bisherigen Angaben und machte nicht den Eindruck, etwas zu erfinden. Es entstand beim erkennenden Gericht der Eindruck, dass sich die Beschwerdeführerin aus einer inneren Überzeugung heraus zum Atheismus bekennt und legte sie einen inneren Entschluss nachvollziehbar dar.

Die nähere Frage, wie die Beschwerdeführerin ihre Weltanschauung beschreiben würde, beantwortete sie schlüssig und detailliert, ohne aber den Eindruck zu erwecken, ein vorbereitetes Vorbringen zu erstatten. So gab die Beschwerdeführerin an, dass sie niemanden beleidigen wolle, aber glaube, dass es keinen Gott, keine Religion und auch sonst nichts gebe. Vielmehr glaube Sie, dass die Religionen von Menschen geschaffen wurden und Gott auf diesen Religionen basiere. Sowohl in der Vergangenheit als auch heute würden die Religionen als Werkzeug der Einflussreichen dienen, um die Menschen zu beherrschen (VH, S. 13).

Die Frage, was der Beschwerdeführerin in einer Krisensituation helfe, beantwortete sie detailreich und emotional. Ihre Erzählweise wirkte authentisch. So gab sie zunächst – mit ihren bisherigen Angaben übereinstimmend – an, dass sie nicht augenblicklich zur Atheistin geworden sei und auch kein genaues Datum nennen könne. Die meisten Charaktereigenschaften würden während der Kindheit geformt. Es sei schwer, diese im Erwachsenenalter zu ändern, wenn man jahrelang von der Gesellschaft, der Familie und der Umgebung etwas eingeflößt bekommen habe. Im Islam habe sie die Unterschiede zwischen Mann und Frau, zwangsweise Verschleierung und die Diskriminierung der Frauen gesehen, und sei sie zunächst nur gegen den Islam und ohne Religionsbekenntnis gewesen (VH, S. 13). Der Prozess sei schwierig gewesen. Früher habe sie bei Problemen Gott um Hilfe gebeten und habe ihr Leben ein Ziel gehabt. Auf einmal habe es keinen Rahmen mehr für sie gegeben und sei es eine dunkle Welt gewesen (VH, S. 14). Viele würden vom Islam zum Christentum übertreten, sie jedoch habe auf einmal gar nichts mehr gehabt. Dadurch habe sie sich mit sich selbst auseinandersetzen müssen. Schließlich habe sie gewusst, dass sie keiner Religion mehr angehören wolle und habe sie sich nach diesem Prozess der Meditation zugewandt und Yogakurse besucht. Dies habe ihr sehr geholfen und sei sie zu dem Entschluss gelangt, dass der Gott in einem selbst existiere und man wegen seiner Existenz und dem menschlichen Dasein wertvoll sei. Nebenbei habe sie auch Bücher gelesen, Filme und Podcasts angesehen und sie sei zu dem Entschluss gelangt, dass Atheismus keine Religion sei, sondern eine Weltanschauung, die auf eigenem Wissen basiere (VH, S. 14).

Die Beschwerdeführerin konnte damit glaubwürdig, schlüssig und sehr reflektiert ihren Wandel hin zum Atheismus und eine innere Überzeugung zu diesem sowie ihre Ernsthaftigkeit, daran zu glauben, darlegen und hatte die erkennende Richterin zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass die Beschwerdeführerin – auch aufgrund ihres Ausdrucks, ihrer Stimmlage und Gestik – eine auswendig gelernte Geschichte präsentierte. Sie führte damit auch nachvollziehbar und plausibel aus, dass sie zwangsläufig in Iran mit dem Islam aufgewachsen, aber mit zunehmendem Alter unzufrieden mit dieser Glaubensrichtung gewesen sei. Sie legte auch nachvollziehbar dar, warum sie sich konkret für den Atheismus entschieden und sich nicht nur vom Islam abgewendet und einer anderen Religion zugewendet habe. Die erkennende Richterin hat keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Angaben der Beschwerdeführerin ihrer tatsächlichen Überzeugung entsprechen.

Auch auf nähere Nachfragen gab die Beschwerdeführerin nicht nur knappe Antworten, welche auf ein erfundenes Vorbringen hindeuten würden, sondern antwortete sie ausführlich und initiativ. So gab sie etwa auf die Frage, wann sie Yoga gemacht und Bücher gelesen habe, an, dass sie Yogakurse nach ihrer Scheidung besucht und die Bücher schon immer und bis heute gelesen habe. Sie habe allerdings keine antireligiösen Bücher gelesen, da sie dies nicht interessiere, sondern Bücher über verschiedene Denkweisen, und wolle sie ihre Denkweise fortbilden. So habe sie etwa der Existenzialismus sehr interessiert und habe sie sich täglich durch Wissenschaft, Geschichte und vergangene Götter informiert (VH, S. 14).

Die Beschwerdeführerin erweckte schließlich auch zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, Fakten auswendig gelernt zu haben, sondern berichtet authentisch von ihren Gefühlen und ihrem Verständnis vom Atheismus und ist dieser Entwicklungsweg vor dem Hintergrund der bereits erlebten sexualisierten Gewalt in der Ehe nachvollziehbar.

Auch die Frage, wie es ihr in Iran damit gegangen sei, ihre Überzeugung zu verstecken, gab sie glaubwürdig an, dass ihr dies sehr unangenehm gewesen sei. Es habe nicht mit ihrem Inneren übereingestimmt und habe sie nach außen hin etwas vorspielen müssen. Die Beschwerdeführerin untermauerte dies auch eigeninitiativ durch konkrete Beispiele und führte sie aus, dass sie zum Beispiel an der Universität das Formular zum Religionsbekenntnis habe ausfüllen und habe schreiben müssen, dass sie Muslimin sei. Auch habe sie zum Beispiel in der Arbeit im Fastenmonat Ramadan etwas vortäuschen müssen (VH, S. 14 f.). Die nähere Nachfrage, was sie dabei gefühlt habe, beantwortete die Beschwerdeführerin ebenfalls schlüssig und detailreich, und gab sie an, dass sich ihr tatsächliches Leben vom gesellschaftlichen Leben sehr unterschieden habe und sie dies psychisch belastet habe. Sie habe permanent ihre innere Einstellung verstecken müssen. Sie legte auch glaubwürdig dar, dass sie manchmal während ihrer Kurse mit ihren Studenten darüber gesprochen habe, allerdings nur indirekt durch Fragestellungen, die zum Hinterfragen anregen sollten. Sie habe den Studenten gesagt, dass sie ihre Gedanken und Sichtweise für neue Erkenntnisse offenhalten sollten (VH, S. 15). Damit schilderte die Beschwerdeführerin nicht nur nachvollziehbar ihren inneren Konflikt, sondern legte auch dar, dass es ihr bereits in Iran ein Anliegen gewesen sei, offen über ihre Überzeugung sprechen und sich mit anderen hierüber auszutauschen zu können.

Hervorzuheben ist auch, dass das gesamte Vorbringen der Beschwerdeführerin in der VH in sich stimmig und widerspruchsfrei war. So gab sie etwa auf die Frage, inwiefern ihr Ex-Mann Auslöser für ihre Hinwendung zum Atheismus gewesen sei, an, dass die Atmosphäre an der Universität offen und man dort ein bisschen freier als sonst sei. Bereits da habe sie begonnen, religiöse Themen infrage zu stellen (VH, S. 15). Dies stimmt mit den vorherigen Angaben der Beschwerdeführerin in der VH überein, dass ihre Veränderung bereits mit der Aufnahme ihres Studiums begonnen habe (VH, S. 7). Auch gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr Ex-Mann ihr fundamentale Fragen gestellt habe und diese Fragen neue Fragen bei ihr verursacht hätten (VH, S. 15). Dies deckt sich ebenfalls mit den vorherigen Angaben der Beschwerdeführerin, dass ihre Veränderung durch die Fragen ihres Mannes betreffend Frauenrechte und Islam zugenommen hätten (VH, S. 7).

Die Angaben der Beschwerdeführerin werden auch dadurch untermauert, dass sie in der VH glaubwürdig angab, von ihrem Ex-Mann geschlagen und vergewaltigt worden zu sein (VH, S. 6) und legte die Beschwerdeführerin auch Fotos vor, die massive Verletzungen in ihrem Gesicht zeigen. Auch brachte sie glaubwürdig vor, dass ihr Ex-Mann ihr gesagt habe, dass sie ihm gehöre und auch die Scheidung bzw. eine Unterschrift sie nicht trennen könne (VH, S. 8). Sie habe während der Ehe auch sexuelle Probleme mit ihrem Ex-Mann gehabt und er habe etwa auch Gruppensex von ihr gefordert (VH, S. 10 f.). Diese Erlebnisse der Beschwerdeführerin lassen es vor dem Hintergrund ihres sonstigen Vorbringens ebenfalls glaubwürdig erscheinen, dass sie sich zunehmend mit den Rechten von Frauen beschäftigte und dem Islam kritisch gegenüberstand bzw. dass sie sich kritisch mit der mangelnden Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Islam beschäftigte und schließlich vom Islam abfiel.

Auch anhand der Zeugenaussage in der VH konnte sich das Bundesverwaltungsgericht ein breites Bild von der Beschwerdeführerin und ihrer Weltanschauung machen. So sagte die Zeugin glaubwürdig aus, dass ihr die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Einstellung zum Islam erzählt habe, dass sie die Religion immer mehr hinterfragt habe, da der Islam vor allem mit Bestrafung zu tun habe und die Rechte der Frauen beschnitten würden. Ebenso habe ihr die Beschwerdeführerin erzählt, dass sie sich nicht mehr vorstellen könne, ein Kopftuch zu tragen oder nach islamischen Regeln zu leben. Religion sei für die Beschwerdeführerin ein Konstrukt und es gebe keinen Gott. Ihre Stärke würde die Beschwerdeführerin in sich selbst finden (VH, S. 18). Diese glaubwürdigen Angaben der Zeugin stimmen auch mit den Angaben der Beschwerdeführerin überein, und war die Zeugin auch insofern glaubwürdig, als sie nicht in übertriebener Weise über die Beschwerdeführerin berichtete, sondern nur zu Umständen Auskunft gab, die sie selbst wahrnehmen konnte.

Die Beschwerdeführerin konnte somit in der VH glaubwürdig darlegen, dass sie sowohl von der inneren Überzeugung her als auch in der Praxis ein Leben als Atheistin führt. Ihr Auftreten war persönlich glaubwürdig. Im Ergebnis ist bei einer Gesamtbetrachtung aller Ergebnisse des behördlichen und gerichtlichen Ermittlungsverfahrens eine ernsthafte innere Überzeugung der Beschwerdeführerin in Bezug auf den Atheismus ableitbar. Die Beschwerdeführerin hat sich nicht nur auf außenwirksame Akte (Austrittserklärung aus der Islamischen Glaubensgemeinschaften in Österreich) beschränkt, sondern schilderte auch eine tatsächliche, tiefergehende und kritische Auseinandersetzung mit dem Islam, Religion generell sowie dem Atheismus, dem sie sich schließlich zuwandte, im Sinne einer nachhaltigen und persönlichen Hinwendung.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Atheismus ein wesentlicher Bestandteil der Identität der Beschwerdeführerin wurde, sodass es ihr nicht zugemutet werden kann, im Falle einer Rückkehr nach Iran ihre Überzeugung nicht auch nach außen zu tragen. Es ist auch davon auszugehen, dass sie in Iran nicht zum Islam zurückkehren, sondern Atheistin bleiben und diese Überzeugung aktiv leben würde.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde (Bescheid, S. 85) kann demnach eine Verfolgung durch staatliche Akteure im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Iran nicht ausgeschlossen werden.

2.2.3.  Zur Situation in Iran

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den unter Punkt 1.3. genannten Länderberichten samt den darin zitierten Quellen. Die aktuellen Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Das Bundesverwaltungsgericht teilte den Verfahrensparteien im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, welche Berichte es beabsichtigt, der Entscheidung zugrunde zu legen, und bot die Möglichkeit zur Einsicht- und Stellungnahme an. Den Länderberichten wurde nicht entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Zu S

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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