TE Vwgh Beschluss 2021/8/4 Ra 2021/18/0252

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Veröffentlicht am 04.08.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des N A, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Mai 2021, L525 2183540-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 6. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, er habe sich wegen einer seit langem bestehenden Grundstücksstreitigkeit an die pakistanische Polizei gewandt. Deshalb seien aus Rache von seinen Gegnern zwei Falschanzeigen wegen Mordes und Vergewaltigung gegen ihn erstattet worden und bestehe gegen ihn ein Haftbefehl. Im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan befürchte er Verfolgung durch die Polizei und seine Gegner. Zum Nachweis dieses Vorbringens legte der Revisionswerber u.a. zwei angeblich polizeiliche FIRs (First Information Reports) über die gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe vor.

2        Mit Bescheid vom 29. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aufgrund näher genannter Steigerungen und Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers nicht glaubhaft. Auch mit den vorgelegten FIRs setzte sich das BVwG beweiswürdigend auseinander und legte näher dar, aufgrund welcher Ungereimtheiten es Zweifel an deren Authentizität habe. So verwies es beispielsweise darauf, dass zumindest einer der FIRs ein Datum trage, das mit den Angaben des Revisionswerbers zum Zeitpunkt der polizeilichen Anzeigen nicht in Einklang gebracht werden könne. Es seien englische Übersetzungen der FIRs vorgelegt worden, die polizeiliche Stempel trügen. Die Erklärung dafür, ein Cousin des Revisionswerbers habe sich zum Zwecke des Erhalts dieser Stempel an die Polizei (also die angebliche Verfolgerin des Revisionswerbers) gewandt und die Urkunden anschließend dem Revisionswerber zukommen lassen, sei nicht nachvollziehbar.

5        Im Rahmen der Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK vor und kam zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Revisionswerbers im Bundesgebiet dessen persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Eine außergewöhnliche Integration liege beim Revisionswerber nicht vor.

6        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht wird, das BVwG hätte dem Revisionswerber seine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten FIRs mitteilen und Ermittlungen in Pakistan zur Überprüfung ihrer Echtheit und Richtigkeit durchführen müssen. Die bloß abstrakte Verweisung auf die Bedenklichkeit derartiger pakistanischer Urkunden verletze die gesetzlich normierte Verpflichtung der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Fluchtvorbringens. Unter Bezugnahme auf näher genannte, das Privatleben des Revisionswerbers betreffende Umstände (v.a. viereinhalbjährige Aufenthaltsdauer, selbständige berufliche Tätigkeit als Zeitungs- und Werbemittelverteiler) wird zudem vorgebracht, die „Feststellung und Beweiswürdigung“ im angefochtenen Erkenntnis, wonach noch nicht von einer außergewöhnlichen Integration des Revisionswerbers gesprochen werden könne, seien „unrichtig, aktenwidrig und evidentermaßen falsch“.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

8        Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG auch die vom Revisionswerber vorgelegten FIRs einer eingehenden beweiswürdigenden Überprüfung unterzogen und sich nicht bloß auf die Behauptung zurückgezogen, derartigen Urkunden käme kein Beweiswert zu. Die diesbezügliche Behauptung der Revision trifft daher nicht zu. Es ist auch nicht zu erkennen, dass das BVwG insoweit seine amtswegigen Ermittlungspflichten (vgl. § 18 Abs. 1 AsylG 2005) verletzt hätte.

9        Zur Rückkehrentscheidung ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie, wie im vorliegenden Fall, auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt ist und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist.

10       Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig vorausgesetzt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. zum Ganzen VwGH 12.5.2021, Ra 2020/18/0260, mwN).

11       Das BVwG bezog die vom Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung vorgebrachten Umstände, darunter auch die von der Revision besonders hervorgestrichene berufliche Integration des Revisionswerbers, in seine Interessenabwägung mit ein. Dazu führte es aus, dass selbst unter Berücksichtigung der dargelegten - zweifellos anerkennungswürdigen - Schritte einer (im konkreten Fall auch in die Selbsterhaltungsfähigkeit mündenden) beruflichen Integration durch Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit bei der gebotenen Gesamtbetrachtung, insbesondere vor dem Hintergrund der vergleichsweise kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, des durchgehend unsicheren Aufenthaltsstatus und der nur gering ausgeprägten sprachlichen und sozialen Integration des Revisionswerbers in die österreichische Gesellschaft, noch nicht von einer außergewöhnlichen Integration gesprochen werden könne.

12       Mit dem bloßen Aufzählen der vom BVwG ohnehin zugunsten des Revisionswerbers berücksichtigten Umstände legt die Revision nicht dar, dass die festgestellten Umstände bei der Interessenabwägung in einer den Leitlinien der hg. Rechtsprechung widersprechenden unvertretbaren Weise gewichtet worden wären. Überdies zeigt sie auch nicht auf, welche Feststellungen - wie sie meint - „aktenwidrig“ getroffen worden wären.

13       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 4. August 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180252.L00

Im RIS seit

01.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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