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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §63 Abs5Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Z T, vertreten durch Dr. Peter Shamiyeh, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Am Schillerpark, Rainerstraße 6-8, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Dezember 2020, L519 2165668-1/17E, betreffend die Zurückweisung einer Beschwerde in einer Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen
Begründung
1 Der Revisionswerber ist ein aus dem Irak stammender, staatenloser Palästinenser, reiste im Jahr 2015 nach Österreich ein und stellte am 8. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 29. Juni 2017 zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak fest und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise.
3 Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2017 erhob der Revisionswerber dagegen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
4 Mit dem nunmehr angefochtenen, als „Erkenntnis“ bezeichneten Beschluss vom 4. Dezember 2020 wies das BVwG diese Beschwerde - ohne Durchführung einer Verhandlung - als verspätet gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) iVm § 63 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) iVm § 17 Zustellgesetz (ZustG) zurück. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG sei nicht zulässig.
5 In seiner Begründung hielt das BVwG fest, der Bescheid sei dem Revisionswerber am 6. Juli 2017 rechtswirksam zugestellt und die Beschwerde am 21. Juli 2017 per Telefax eingebracht worden. Gemäß § 17 VwGVG seien - soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt sei - die Bestimmungen des AVG anzuwenden. Gemäß § 63 Abs. 5 AVG sei die Berufung binnen 2 Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen habe. Für den gegenständlichen Fall bedeute dies, dass laut Zustellnachweis am 6. Juli 2017 ein Zustellversuch erfolgt sei und der Beginn der Abholfrist ebenfalls noch an diesem Tag gewesen sei. An diesem Tag sei der Bescheid daher zugestellt worden. Letzter Tag der Frist sei somit der 20. Juli 2017 gewesen, weshalb sich die Beschwerde als verspätet erweise.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, in der zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache vorgebracht wird, das BVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 17 ZustG abgewichen, habe verkannt, dass nach dieser für den Beginn der Abholfrist allein die Festlegung auf der am Abgabeort hinterlassenen Verständigung gemäß § 17 Abs. 2 ZustG maßgeblich sei. Das BVwG habe trotz des im Verfahren erstatteten Vorbringens, die dem Revisionswerber hinterlassene Verständigung habe den 7. Juli 2017 als ersten Tag der Abholfrist genannt, jedwede Ermittlung unterlassen. Aufgrund der rechtswirksamen Zustellung am 7. Juli 2017 erweise sich die Beschwerde jedenfalls als rechtzeitig.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision erweist sich aus den in ihr genannten Gründen als zulässig; sie ist auch begründet.
Ungeachtet des von der Revision aufgezeigten wesentlichen Verfahrensmangels, ist vorrangig folgende inhaltliche Rechtswidrigkeit wahrzunehmen (vgl. zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise etwa VwGH 10.6.2021, Ra 2021/12/0011, mwN):
9 Das BVwG legte seiner rechtlichen Begründung die Annahme einer „Berufungsfrist“ von 2 Wochen gemäß § 63 Abs. 5 AVG zugrunde. Der Verfassungsgerichtshof hat aber bereits mit Erkenntnis vom 26. September 2017, G 134/2017-12 ua., die in § 16 Abs. 1 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 24/2016, der in diesem Fall eigentlich zur Anwendung gelangenden Norm, enthaltene Wortfolge „2, 4 und“ sowie den Satz „Dies gilt auch in den Fällen des § 3 Abs. 2 Z 1, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist“, als verfassungswidrig aufgehoben und eine Erstreckung der Anlassfallwirkung gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG verfügt. Im vorliegenden Fall gilt somit - entgegen der Annahme des BVwG - jedenfalls eine Beschwerdefrist von vier Wochen gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG (vgl. in diesem Sinne VwGH 27.4.2020, Ra 2019/19/0530, mwN; VwGH 3.5.2018, Ra 2018/19/0168, mwN; VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0494, mwN). Das BVwG hat somit die Rechtslage verkannt.
10 Der angefochtene Beschluss war aus diesem Grund wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
11 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 4. August 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180008.L01Im RIS seit
01.09.2021Zuletzt aktualisiert am
03.09.2021