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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Z E, vertreten durch Mag. Patrycja Pogorzelski, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Mahlerstraße 13/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2021, W226 2238542-2/7E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein russischer Staatsangehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, beantragte am 14. Jänner 2021 internationalen Schutz. Zur Begründung brachte er zusammengefasst vor, wegen seiner Bekanntschaft mit einem regimekritischen Blogger, der im Jahr 2020 von Anhängern des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow umgebracht worden sei, bei Rückkehr nach Tschetschenien Verfolgung zu befürchten.
2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 13. März 2021 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung erkannte die Behörde die aufschiebende Wirkung ab, sie sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, und sie legte ein Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit vorrangig eine Verletzung der Verhandlungspflicht des Verwaltungsgerichts geltend macht. Das BVwG sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen, wonach bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukomme. Das BVwG habe das Absehen von der Verhandlung unter Hinweis auf § 21 Abs. 7 BFA-VG begründet, was jedoch insbesondere in Bezug auf die durchzuführende Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK (Familienleben) nicht richtig gewesen sei. Im Übrigen sei das Ermitttlungsverfahren unvollständig geblieben, weil das BVwG die Kontakte des Revisionswerbers zu dem befreundeten Blogger nicht hinreichend überprüft habe.
5 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
6 Das BVwG ging - wie schon das BFA - in seiner Entscheidung davon aus, dass der Revisionswerber bei Rückkehr in die Russische Föderation weder verfolgt noch sonst gefährdet wäre. Es leitete diesen Schluss zum einen daraus ab, dass der Revisionswerber in den vergangenen Jahren bereits in Österreich aufhältig gewesen und freiwillig (vorübergehend) in seine Heimat zurückgekehrt sei, obwohl er dort angeblich Verfolgung zu erwarten gehabt hätte. Dass die Ermordung des Bekannten auch zu einer individuellen Bedrohung des Revisionswerbers führen könne, wurde beweiswürdigend verneint, u.a. deshalb, weil der Revisionswerber nach dem Mord zunächst keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, weil er sich nach eigenen Angaben nicht betroffen gefühlt habe. Erst die drohende Abschiebung habe ihn letztlich dazu veranlasst.
7 Die Revision legt nicht dar, welche weiteren Ermittlungen zu den Kontakten zwischen dem ermordeten Bekannten und dem Revisionswerber indiziert gewesen wären bzw. inwieweit diese zu Beweisergebnissen geführt hätten, die eine andere Beweiswürdigung zur Folge hätten haben können. Schon deshalb wird im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen kein im Revisionsverfahren aufzugreifender Verfahrensfehler geltend gemacht.
8 Wenn die Revision eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend macht, dabei auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK Bezug nimmt und insoweit die Rückkehrentscheidung im Blick hat, ist ihr zunächst zuzugeben, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Nur in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0112, mwN).
9 Im gegenständlichen Fall ist nicht strittig, dass der Revisionswerber mehrfach straffällig geworden ist und zuletzt auch wegen häuslicher Gewalt gegen die Mutter des gemeinsamen, mittlerweile sechsjährigen Sohnes, strafrechtlich verurteilt wurde und eine mehrjährige Haftstrafe verbüßen musste. Wenn er ungeachtet dessen behauptete, ein inniges Verhältnis zu seinem Sohn zu haben, blieb diese Behauptung stets unsubstantiiert und wird sie auch von der Revision nur mit diesen allgemeinen Worten wiedergegeben. Die alleinige Obsorge für das Kind liegt - unstrittig - bei der Kindesmutter; ein Besuchsrecht besteht nicht, Kontakte des Revisionswerbers zum Kind sind weder festgestellt noch werden sie von der Revision behauptet. Die Revision lässt auch offen, welche (positiven) Schlussfolgerungen sie aus dem Umstand ziehen möchte, dass der Revisionswerber ausgesagt habe, nach der Haftentlassung bei seiner Mutter wohnen zu können. Dass allein diese Tatsache - bei Wahrunterstellung - zu einer für den Revisionswerber günstigeren Beurteilung führen hätte können, ist nicht ersichtlich. Ausgehend davon vermag die Revision insgesamt nicht aufzuzeigen, dass die mündliche Verhandlung im Sinne der zuvor dargestellten Rechtsprechung zu einem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis führen hätte können und der Sachverhalt fallbezogen nicht als gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt angesehen werden durfte.
10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 5. August 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180240.L00Im RIS seit
01.09.2021Zuletzt aktualisiert am
21.09.2021