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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S H, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner, Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Dezember 2020, W166 2164511-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, beantragte am 12. Juni 2015 internationalen Schutz. Zur Begründung brachte er im Laufe des Verfahrens im Wesentlichen vor, wegen einer Feindschaft seines Vaters mit dem mächtigen afghanischen Politiker Ismail Khan verfolgt zu werden.
2 Mit Bescheid vom 28. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend erachtete das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers für nicht glaubhaft, weshalb ihm kein Asyl zu gewähren sei. Auch subsidiärer Schutz komme nicht in Betracht. Der Revisionswerber könne zwar nicht ungefährdet in seinen Herkunftsdistrikt zurückkehren, ihm stehe aber eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Herat-Stadt zur Verfügung.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich formell gegen das gesamte Erkenntnis richtet, im Zulassungsvorbringen (und in den folgenden Revisionsgründen) aber nur die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz beanstandet.
6 Diesbezüglich wird u.a. geltend gemacht, das BVwG sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Begründungspflicht von Entscheidungen abgewichen. Es habe den Revisionswerber (hinsichtlich seines Begehrens auf subsidiären Schutz) auf eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Herat verwiesen, ohne darauf einzugehen, dass nach den eigenen Feststellungen pandemiebedingte landesweite Sperrmaßnahmen in Kraft seien, die eine Tagelohnarbeit grundsätzlich nicht möglich machten. Das im Verfahren erörterte Länderinformationsblatt (letzte Aktualisierung 21. Juli 2020) beschreibe auch, dass Tagelöhner mangels Einkommensmöglichkeit um ihre Existenz bangten und es an Ressourcen mangle, um die bereits in Herat befindlichen Tagelöhner zu versorgen. Diese Informationen übergehe das BVwG und treffe aufgrund älterer Quellen Feststellungen, wonach Herat eine wirtschaftlich relativ gut entwickelte Provinz sei. Erschwerend komme für den Revisionswerber hinzu, dass sich seine Kernfamilie nicht mehr in Afghanistan aufhalte und zu anderen Verwandten in Afghanistan kein Kontakt bestehe. Er verfüge über kein Netzwerk, das ihm in einer Notlage, z.B. bei staatlich geschlossenen Geschäften, Hotels, usw. Unterkunft gewähren oder ihn sonst unterstützen könnte.
7 Zu dieser Revision hat das BFA keine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.
Zu I.:
10 Soweit sich die Revision gegen die Nichtgewährung von Asyl wendet, enthält sie kein Zulassungsvorbringen, aus dem ersichtlich wäre, dass der Revisionsfall diesbezüglich von einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhinge. Insoweit war die Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Zu II.
11 Zu Recht macht die Revision aber wesentliche Begründungsmängel der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der Nichtgewährung von subsidiärem Schutz geltend.
12 Das BVwG führte dazu aus, dem Revisionswerber sei es aufgrund seiner Schulbildung, seines Unterstützungsnetzwerks und seiner Ortskenntnisse möglich, sich in Herat-Stadt durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern. Dafür, dass der Revisionswerber in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse, wie z.B. Nahrung und Unterkunft, einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt wäre, gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Ihm sei die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in dieser Stadt zumutbar; er sei dort auch hinreichend sicher.
13 Bei dieser Beurteilung unterlässt das BVwG jegliche Auseinandersetzung mit den zuvor getroffenen Länderfeststellungen, wonach landesweite Sperrmaßnahmen der Regierung in Afghanistan, die durch die COVID-19-Pandemie bedingt seien, weiterhin in Kraft blieben. Maßnahmen wie die Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens, würden auch in der Provinz Herat durchgeführt. Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte seien aufgrund der COVID-19-Maßnahmen geschlossen. Es gebe Berichte, dass knapp die Hälfte der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze lebe, was bedeute, dass sie oft einen erschwerten Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung habe, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos geblieben seien.
14 Schon diese Länderfeststellungen lassen den Schluss des BVwG, der Revisionswerber werde in Herat-Stadt eine Grundversorgung und die Möglichkeit für Gelegenheitsarbeiten vorfinden, um seine Existenz zu sichern, weshalb ihm eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative (vgl. dazu VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001) zur Verfügung stehe, nicht ohne Weiteres zu. Es bedürfte einer näheren Auseinandersetzung mit der Frage, ob diese Lage nach wie vor aufrecht ist bzw. weshalb das BVwG davon ausgeht, dass der Revisionswerber trotzdem eine Rückkehrsituation vorfindet, die seine Ansiedlung in Herat-Stadt zumutbar macht. In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis des BVwG auf ein soziales Unterstützungsnetzwerk (durch in Afghanistan lebende Angehörige) im Hinblick auf die gleichzeitig getroffene Feststellung, dass der Revisionswerber zu seinen Verwandten keinen Kontakt (mehr) habe, nicht nachvollziehbar.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich der Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und der darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 6. August 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180015.L01Im RIS seit
01.09.2021Zuletzt aktualisiert am
21.09.2021