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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §71Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des P B in L, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner Rechtsanwälte in 4020 Linz, Palais Zollamt, Zollamtstraße 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 6. Oktober 2020, Zl. LVwG-750858/2/MB/BeH/NF, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in einer Angelegenheit nach dem WaffG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 16. Jänner 2020 war über den Revisionswerber gemäß § 12 Abs. 1 WaffG ein Waffenverbot verhängt worden. Dem legte die belangte Behörde u.a. zu Grunde, dass es am 15. Jänner 2020 zwischen dem Revisionswerber und seiner Ehefrau zu einem Streit gekommen sei, im Zuge dessen die Polizei verständigt und von den einschreitenden Polizeibeamten ein vorläufiges Waffenverbot ausgesprochen worden sei.
2 Der Aktenlage nach wurde dieser Bescheid vom Revisionswerber persönlich am 24. Jänner 2020 in der Polizeiinspektion K übernommen. Die dem Revisionswerber anlässlich der am 15. Jänner 2020 erfolgten Sicherstellung von Waffen ausgehändigte Durchsuchungs-, Sicherstellungs- und Beschlagnahmebestätigung nach § 13 Abs. 1 WaffG enthielt u.a. den Passus:
„§ 3 Waffengesetz 1996. Der Beteiligte wurde davon in Kenntnis gesetzt, dass gemäß § 13 Abs. 4 WaffG ab der nunmehrigen Sicherstellung ein mit vier Wochen befristetes vorläufiges Waffenverbot gegen ihn gilt, es sei denn, die sichergestellten Waffen, Munition oder Urkunden würden von der Behörde vorher ausgefolgt.“
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht - durch Bestätigung eines entsprechenden Bescheids der belangten Behörde - den Antrag des Revisionswerbers vom 13. März 2020 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Vorstellung gegen den Mandatsbescheid gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG als unbegründet ab und die Vorstellung gemäß § 57 Abs. 2 AVG als verspätet zurück; die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.
4 Dem legte das Verwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - Folgendes zu Grunde:
Am 15. Jänner 2020 sei im Rahmen eines Einsatzes des Stadtpolizeikommandos L gegen den Revisionswerber ein Betretungsverbot nach § 38 SPG sowie ein vorläufiges Waffenverbot gemäß § 13 WaffG ausgesprochen worden. Mit dem - am 24. Jänner 2020 dem Revisionswerber zugestellten - Bescheid der belangten Behörde vom 16. Jänner 2020 sei über den Revisionswerber ein unbefristetes Waffenverbot gemäß § 57 AVG iVm § 12 WaffG verhängt worden. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe der Revisionswerber im Wesentlichen damit begründet, dass er erst am 3. März 2020 vom unbefristeten Waffenverbot erfahren habe. Er habe geltend gemacht, dass es sich dabei um einen minderen Grad des Versehens handle, weil er sich in einem psychisch äußerst belasteten Zustand befunden habe (wegen des Scheidungsverfahrens und der überraschenden und unbegründeten Vorwürfe seiner Gattin) und die Polizeibeamten, mit denen er wegen des Waffenverbots in Kontakt gestanden sei, irreführende Aussagen getätigt hätten (weil sie nur von einem befristeten Waffenverbot gesprochen hätten).
Der Revisionswerber habe ausgeführt, als Ereignis iSd § 71 AVG sei auch jedes innere, psychische Geschehen bzw. ein psychologischer Vorgang, wie auch die menschliche Unzulänglichkeit oder ein Irrtum, anzusehen.
§ 71 AVG normiere allerdings einen „minderen Grad des Versehens“. Der Wiedereinsetzungswerber dürfe also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen haben. Auffallende Sorglosigkeit liege beispielsweise vor, wenn ein vorliegender Rechtsirrtum durch aufmerksames Lesen des Bescheides vermieden werden hätte können. Im Bescheid vom 16. Jänner 2020 werde unmissverständlich ein unbefristetes Waffenverbot ausgesprochen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass eine Befristung nicht erwähnt werde und zum anderen aus der dem Bescheid zugrunde gelegten Bestimmung des § 12 WaffG.
Der Revisionswerber sei Vorstandsmitglied eines Unternehmens mit mehreren tausend Mitarbeitern. Einer Person in dieser Position könne zweifellos zugemutet werden, einen Bescheid sinnerfassend und so sorgfältig zu lesen, dass sich dessen Inhalt erschließe, sowie einen kurzen Blick auf die angeführten rechtlichen Grundlagen zu werfen. Dass im Bescheid nicht bloß ein vorläufiges Waffenverbot verhängt werde, sei schon aus den Überschriften der §§ 12, 13 WaffG ersichtlich.
Die vom Revisionswerber ins Treffen geführten Umstände änderten nichts am nicht bloß geringfügigen Verschulden; sie könnten eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand somit nicht rechtfertigen.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich (der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der zunächst an ihn gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 24. Februar 2021, E 3932/2020-5, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten) die vorliegende - außerordentliche - Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die demnach für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgebende Zulässigkeitsbegründung der Revision macht zusammengefasst geltend, das Verwaltungsgericht sei von der (näher zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern abgewichen, als es das innere, psychische Geschehen des Revisionswerbers nicht als Wiedereinsetzungsgrund gewertet und zudem mangels Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Beweisaufnahme durch Einvernahme des Revisionswerbers auch keine Feststellungen dazu getroffen habe.
10 Mit diesem Vorbringen wird nicht dargelegt, dass der Verwaltungsgerichtshof bei Entscheidung über die vorliegende Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen hätte.
11 Gemäß § 71 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft (Z 1), oder sie die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei (Z 2).
12 Als „Ereignis“ iSd § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist jedes Geschehen ohne Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen. Es kann daher auch in einem inneren, psychischen Geschehen wie z.B. Vergessen, Versehen oder Irrtum gelegen sein (vgl. etwa VwGH 24.5.2012, 2011/03/0127, 13.12.2011, 2010/22/0179, 11.6.2003, 2003/10/0114, 13.9.1999, 97/09/0134, je mwN).
13 Ein - die Wiedereinsetzung nicht hindernder - bloß minderer Grad des Versehens liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf aber nicht auffallend sorglos gehandelt haben, etwa die im Verkehr mit Gerichten und Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 31.3.2005, 2005/07/0020, mwN).
14 Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG bzw. des § 33 Abs. 1 VwGVG unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, also die Qualifikation des Verschuldensgrades, unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 18.2.2021, Ra 2021/05/0017, 4.10.2018, Ra 2018/22/0191, 8.3.2018, Ra 2017/11/0289, 26.2.2016, Ra 2016/03/0026, je mwN).
15 Eine derartige Fehlbeurteilung wird von der Revision nicht aufgezeigt. Im Übrigen sind die Sachverhaltskonstellationen, wie sie den von der Revision angesprochenen Entscheidungen VwGH 4.10.2018, Ra 2018/22/0191 (an massiven Schwindelanfällen, Konzentrationsstörungen und starker Vergesslichkeit bzw. „verminderter geistiger Beweglichkeit“ leidende Antragstellerin) bzw. VwGH 13.12.2011, 2010/22/0179 (keine nachvollziehbare Begründung für das Verneinen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses) zu Grunde gelegen sind, mit dem Revisionsfall nicht vergleichbar.
16 Was das gerügte Unterbleiben einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anlangt, ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG unter Bedachtnahme auf Rechtsprechung des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist, die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind und in der Beschwerde keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen wurden, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. etwa VwGH 12.4.2021, Ra 2021/03/0016, mwN).
17 Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung das vom Revisionswerber erstattete Vorbringen zu Grunde gelegt, sein Verschulden an der Versäumung aber als nicht bloß leicht qualifiziert. Da der entscheidungsrelevante Sachverhalt insofern feststand, konnten diesbezüglich weder Fragen seiner Ergänzung noch Fragen der Beweiswürdigung auftreten.
Bei Beurteilung der zu lösenden Rechtsfrage konnte sich das Verwaltungsgericht auf bestehende Rechtsprechung stützen; weitere (relevante) Rechts- oder Tatfragen wurden vom Revisionswerber nicht aufgeworfen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die - begründete - Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht nach § 24 Abs. 4 VwGVG im vorliegenden Fall unvertretbar gewesen sei.
18 In der Revision werden demnach keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 9. August 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021030113.L00Im RIS seit
30.08.2021Zuletzt aktualisiert am
07.09.2021