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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art118 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der Marktgemeinde Y, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in Y, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 19. August 1996, Zl. 1/02-31.582/7-1996, betreffend Versagung einer Baubewilligung und Abtragungsauftrag (mitbeteiligte Parteien: Rudolf und Hermine S in Y), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Salzburg hat der beschwerdeführenden Gemeinde Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Erstmitbeteiligte wurde mit Schreiben der mitbeteiligten Gemeinde vom 20. August 1988 darauf hingewiesen, daß er auf den Parzellen 129/6 und 129/3, jeweils KG X, ohne Baubewilligung einen nordseitigen Anbau beim Osttrakt seines Wohnhauses und einen Zubau (Holzlager) westlich der bewilligten Garagen errichtet habe, und aufgefordert, entweder um die nachträgliche Baubewilligung anzusuchen oder die baulichen Anlagen zu beseitigen. Mit Ansuchen vom 13. Juli 1989 haben die Mitbeteiligten die nachträgliche Baubewilligung beantragt. Nach einem von Amts wegen beigeschafften Grundbuchsauszug des Bezirksgerichtes Y vom 6. September 1989 war zum damaligen Zeitpunkt F.P. als bücherlicher Eigentümer des Grundstückes 129/3, KG X, ausgewiesen. Anläßlich einer am 4. Oktober 1989 durchgeführten Bauverhandlung hat der bautechnische Sachverständige ausgeführt, daß der auf der Westseite befindliche Zubau (Holzlager) zum überwiegenden Teil und der nordseitige Zubau zur Gänze auf der Parzelle 129/3, KG X, stehe, und, da sich der Eigentümer dieser Parzelle gegen die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung ausgesprochen habe, sämtliche Bauteile, die auf der Parzelle 129/3 lägen, zur Gänze abzutragen seien. Der auf Parzelle 129/6 befindliche Teil des westseitigen Zubaues könne nachträglich baubehördlich bewilligt werden. Gegen das Heranbauen an die nordseitige Grundgrenze (Abstandsnachsicht) bestünden keine Bedenken, da es sich bei der Parzelle 129/3 um einen nicht bebaubaren Steilhang handle und somit keine Beeinträchtigung durch die Unterschreitung des gesetzlich erforderlichen Mindestabstandes in bezug auf die Bebaubarkeit, Belichtung und Besonnung gegeben sei. Im weiteren Ermittlungsverfahren hat sich der grundbücherliche Eigentümer der Parzelle 129/3 auch gegen die Erteilung einer Bewilligung der Unterschreitung des gesetzlich erforderlichen Mindestabstandes ausgesprochen.
Mit Bescheid der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom 6. April 1990 wurde den Mitbeteiligten die nachträgliche Baubewilligung für die auf den Parzellen 129/6 und 129/3, KG X, errichteten Bauten gemäß § 9 Abs. 1 lit. c und e des Salzburger Baupolizeigesetzes versagt und gleichzeitig gemäß § 16 Abs. 3 leg. cit. - unter Vorschreibung mehrerer Auflagen - aufgetragen, diese Objekte innerhalb von drei Monaten zur Gänze zu beseitigen.
Gegen diesen Bescheid haben die Mitbeteiligten berufen und dazu ausgeführt, daß die Behörde die Frage, wer Grundeigentümer sei, als Vorfrage im Sinne des § 38 AVG nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen habe. Anläßlich der mündlichen Verhandlung über das Baubewilligungsansuchen sei vorgebracht und von F.P. gegenüber der Behörde auch bestätigt worden, daß dieser nicht nur seinerzeit stillschweigend die Baumaßnahmen geduldet, sondern auch bei den Arbeiten mitgeholfen habe. Gemäß § 418 ABGB sei der Eigentumsübergang hinsichtlich des verbauten Grundes somit gegeben. Der ursprüngliche Eigentümer könne nur mehr den gemeinen Wert für den Grund fordern.
Mit Bescheid vom 28. Juli 1990 hat die Gemeindevertretung der beschwerdeführenden Marktgemeinde die Berufung der Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 25. April 1990 als unbegründet abgewiesen und ausgeführt, daß die Frage der Eigentumsverhältnisse des Bauplatzes anhand eines Geometerplanes geprüft worden sei. Die Eigentumsverhältnisse seien vom Bauamt entsprechend diesem Lageplan als Vorfrage ausreichend beurteilt worden. Demnach stehe ein Teil der Holzlager der Mitbeteiligten auf dem Grundstück des F.P. Eine Bauführung auf fremdem Grund sei aber nur mit Zustimmung des betroffenen Grundeigentümers möglich. Diese Zustimmung sei von F.P. aber nicht erteilt worden.
Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der Mitbeteiligten hat die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. August 1996 den Bescheid der Gemeindevertretung aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen. Zur Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens im wesentlichen ausgeführt, es sei unbestritten, daß sich ein Teil der errichteten Holzlager auf dem Grundstück 129/3, KG X, befunden habe, das F.P. gehöre. Da eine Zustimmung hiefür nicht vorgelegen sei und außerdem die Zustimmung für ein Heranbauen an die Grundgrenze verneint worden sei, habe bei der damals gegebenen Sachlage sowohl der Bürgermeister als auch die Gemeindevertretung als Berufungsbehörde dem Gesetz entsprechend entschieden. Während des Vorstellungsverfahrens sei es aber zwischen den Mitbeteiligten und F.P. zu einem Vergleich gekommen, dadurch habe sich die Sachlage so geändert, daß eine Versagung des Bauansuchens offenbar nicht notwendig sei. Aus diesem formellen Grund sei der Bescheid der Gemeindevertretung aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen gewesen. Von der Gemeinde sei also das Verfahren fortzusetzen und aufgrund der neu gegebenen Sachlage zu entscheiden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Die beschwerdeführende Gemeinde sieht sich in ihrem Recht auf gesetzmäßige Ausübung des Aufsichtsrechtes des Landes verletzt, Sachverhaltsänderungen während des Vorstellungsverfahrens könnten zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Gemeindevertretung nicht herangezogen werden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 80 Abs. 4 lit. b der Salzburger Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 107/1994, ist die Gemeinde dann, wenn der Bescheid des Gemeindeorganes durch die Aufsichtsbehörde aufgehoben und die Angelegenheit an die Gemeinde rückverwiesen ist, bei der neuerlichen Entscheidung an die Rechtsanschauung der Aufsichtsbehörde gebunden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 22. Oktober 1971, Slg. Nr. 8091/A, sowie die hg. Erkenntnisse vom 11. Dezember 1984, Zl. 84/05/0133, BauSlg. Nr. 391, sowie vom 27. August 1996, Zl. 96/05/0078) kommt nur den tragenden Aufhebungsgründen eines aufsichtsbehördlichen Bescheides für das fortgesetzte Verfahren bindende Wirkung zu.
Der die Aufhebung tragende Grund des aufsichtsbehördlichen Bescheides war die Rechtsansicht der belangten Behörde, daß sich während des aufsichtsbehördlichen Verfahrens die Sachlage so geändert habe, daß nunmehr eine Versagung der Baubewilligung erforderlich wäre.
Jede Gemeinde ist berechtigt, gegen sie belastende aufsichtsbehördliche Bescheide mittels Bescheidbeschwerde den Verwaltungsgerichtshof anzurufen. Entsprechend dem historischen Verständnis der Gemeindeselbstverwaltung (vgl. etwa zur diesbezüglichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor 1918 Tezner, Das österreichische Administrativverfahren, 2. Auflage,
658) verschafft Art. 118 Abs. 2 und 3 B-VG der Gemeinde nicht nur einen eigenen Wirkungsbereich als Kompetenzbereich, sondern es gewährleistet Art. 118 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 119 a Abs. 9 B-VG der Gemeinde ein subjektives Recht auf Selbstverwaltung und demzufolge einen Abwehranspruch gegenüber rechtswidrigen aufsichtsbehördlichen Verwaltungsakten (vgl. die diesbezüglichen Ausführungen in Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 72). Im Beschwerdefall ist nicht darauf einzugehen, ob sich sowohl die Gemeindebehörden als auch die Vorstellungsbehörde zu Unrecht nicht mit dem Vorbringen der Mitbeteiligten in bezug auf den Eigentumserwerb gemäß § 418 ABGB befaßt haben, da im Beschwerdefall, bezogen auf den Beschwerdepunkt, ausschließlich zu prüfen ist, ob der die Aufhebung tragende und somit Bindungswirkung entfaltende Aufhebungsgrund von der Aufsichtbehörde zutreffend angenommen wurde.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden, wobei sie gemäß § 65 AVG auch neue Tatsachen und Beweise zu berücksichtigen hat.
Ganz anders ist die Rechtslage jedoch im Vorstellungsverfahren. Da der gemeindebehördliche Bescheid im Falle der Verletzung von Rechten des Vorstellungswerbers nur aufgehoben werden kann, ist die Aufsichtsbehörde nur zu einer Rechtmäßigkeitskontrolle berechtigt. Sie ist nicht befugt, anstelle der Gemeinde in der Sache, die Gegenstand des gemeindebehördlichen Verfahrens war, selbst zu entscheiden. Der Bescheid des obersten Gemeindeorganes ist stets an der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu messen (vgl. Berchtold, Gemeindeaufsicht, in Fröhler-Oberndorfer, Das österreichische Gemeinderecht, 3.14, 44; VfSlg. 9575, sowie das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 90/05/0170).
Im angefochtenen aufsichtsbehördlichen Bescheid wird ausdrücklich angeführt, daß sich NACH der Erlassung des Bescheides der Gemeindevertretung die Sachlage insofern geändert habe, als zwischenzeitlich zwischen den Mitbeteiligten und F.P. ein Vergleich geschlossen worden sei. Dadurch, daß die Aufsichtsbehörde diese Sachlage ihrer Entscheidung zugrundelegte, entfernte sie sich aber von der ihr einzig zukommenden Rechtsmäßigkeitskontrolle und belastete damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Offensichtlich lag der Aufsichtsbehörde daran, einer gewissen Verwaltungsökonomie zum Durchbruch zu verhelfen. Auch derartiges Bemühen darf aber die Aufsichtsbehörde nicht dazu veranlassen, die Rechtsordnung außer acht zu lassen. Der Aufsichtsbehörde wäre es aber unbenommen gewesen, darauf hinzuweisen, daß es den Mitbeteiligten freisteht, aufgrund der geänderten Sachlage ein neuerliches Ansuchen um Erteilung der Baubewilligung einzubringen, dem - wegen der geänderten Sachlage - auch nicht die Rechtskraft des Bescheides der Gemeindevertretung entgegenstünde.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996060225.X00Im RIS seit
20.11.2000