TE Vwgh Beschluss 2021/8/10 Ra 2020/18/0179

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.08.2021
beobachten
merken

Index

E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FlKonv Art1 AbschnA Z2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a
62011CJ0071 Y und ZVORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache des M G, vertreten durch Mag.a Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2020, W233 2200273-1/31E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte am 26. März 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er zum Christentum konvertiert sei und aus diesem Grund in seinem Heimatland Verfolgung befürchte. Am 10. Mai 2018 wurde der Revisionswerber durch die römisch-katholische Kirche in Österreich getauft.

2        Mit Bescheid vom 5. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Der Revisionswerber erhob dagegen zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 7. Juni 2021, E 1501/2020-19, deren Behandlung ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 17. Juni 2021, E 1501/2020-21, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5        Zu ihrer Zulässigkeit macht die nunmehr eingebrachte Revision Ermittlungs- und Begründungsmängel geltend. Insbesondere habe das BVwG die von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Kriterien zur Überprüfung, ob die vom Revisionswerber vorgebrachte Konversion zum Christentum aus innerer Überzeugung erfolgte, nicht beachtet. Die bei dem Vorbringen einer Konversion gebotene Folgenabschätzung habe das BVwG nur mangelhaft durchgeführt. Letztlich hätte das BVwG dem Revisionswerber zumindest subsidiären Schutz zuerkennen müssen, weil er vom Islam abgefallen sei und aus diesem Grund ausweislich der Länderberichte im Iran - wo unmenschliche Haftbedingungen herrschen würden - inhaftiert werden würde.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, dass der Revisionswerber im Laufe seines Aufenthalts in Österreich der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft durch Taufe beigetreten ist. Dem Faktum der Taufe bzw. der Mitgliedschaft in der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft allein käme aus asylrechtlicher Sicht aber nur dann Bedeutung zu, wenn bereits der (formale) Religionswechsel für sich betrachtet mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrechtliche Verfolgung im Herkunftsstaat nach sich ziehen würde, und zwar ungeachtet der Frage, ob der Konvertit diesen ernsthaft oder nur zum Schein vorgenommen hat (vgl. VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440). Dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben wären, lässt sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen und wird in der Revision auch nicht aufgezeigt. Im Gegenteil führte das BVwG in seinen Länderfeststellungen - unwidersprochen - aus, dass konvertierte Rückkehrer in den Iran, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, für die Behörden nicht von Interesse seien.

10       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 23.6.2021, Ra 2021/18/0126, mwN).

11       An diesen Leitlinien hat sich das BVwG entgegen dem Revisionsvorbringen orientiert. Es hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der der Revisionswerber, sein Taufpate und Kaplan seiner Pfarrgemeinde sowie der Pfarrmoderator zu den religiösen Aktivitäten des Revisionswerbers befragt worden sind, im Rahmen seiner Beweiswürdigung mit sämtlichen Beweismitteln auseinandergesetzt. Im Ergebnis ging es trotz der erfolgten Taufe in einer römisch-katholischen Gemeinde vom Vorliegen einer Scheinkonversion aus.

12       Beweiswürdigend verwies das BVwG mehrfach darauf, dass der Revisionswerber hinsichtlich der Gründe für seinen Glaubenswechsel im Iran sowie der Gründe für die Wahl der römisch-katholische Glaubensrichtung lediglich vage und oberflächliche Angaben gemacht habe. Das Gericht führte auch die wenig substantiellen Angaben des Revisionswerbers über die vermittelten Inhalte im Taufvorbereitungskurs und die Ausführungen über die Praktizierung seines Glaubens ins Treffen, um einen mangelnden persönlichen Bezug zum Christentum zu verdeutlichen. Eine Unvertretbarkeit dieser Erwägungen (zum diesbezüglichen Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung vgl. etwa VwGH 11.3.2021, Ra 2021/18/0059) wird von der Revision nicht dargetan.

13       Sofern die Revision bemängelt, das BVwG habe die in Fällen von Konversionen gebotene Folgenabschätzung mangelhaft vorgenommen, ist zunächst auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, in der unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 5. September 2012, C-71/11 und C-99/11, Y und Z, bereits ausgesprochen wurde, dass eine begründete Furcht des Asylwerbers vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer Konversion vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf seine persönlichen Umstände vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen (vgl. etwa VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350, u.a.). Wesentlich ist somit, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden.

14       Der EuGH hat in der zitierten Entscheidung auch ausdrücklich hervorgehoben, dass die Behörden bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling dem Antragsteller nicht zumuten können, auf diese religiöse Betätigung zu verzichten, um eine Verfolgung zu vermeiden (EuGH 5.9.2012, C-71/11 und C-99/11, Rz 78 f). Das setzt freilich voraus, dass die Konversion nicht bloß - aus opportunistischen Gründen - zum Schein erfolgt ist. Läge nämlich eine sogenannte Scheinkonversion vor, wäre im Allgemeinen nicht zu erwarten, dass der Revisionswerber bei Rückkehr in den Herkunftsstaat ihn gefährdende religiöse Betätigungen vornehmen würde und könnte auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihn der Verzicht auf das Bekenntnis zu der neuen Glaubensgemeinschaft bzw. zu (weiteren) religiösen Betätigungen unzumutbar belasten würden (vgl. zu dem Ganzen VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, Rz 26-27). Im vorliegenden Fall gelangte das BVwG zu dem vertretbaren Ergebnis, dass der Revisionswerber nicht aus innerem Entschluss zum Christentum konvertiert und der christliche Glaube kein wesentlicher Bestandteil seiner Identität sei. Er würde sich im Falle einer Rückkehr nicht weiter mit dem christlichen Glauben befassen bzw. diesen privat oder öffentlich leben. Ausgehend von diesen Feststellungen kann dem BVwG nicht vorgeworfen werden, eine mangelhafte Folgenabschätzung vorgenommen zu haben.

15       Die Revision bringt schließlich vor, dem Revisionswerber hätte zumindest subsidiärer Schutz zuerkannt werden müssen, weil ihm im Iran wegen Abfalls vom Islam eine Haftstrafe drohe. Damit setzt sie sich erneut - begründungslos - über die gegenteiligen Länderfeststellungen hinweg, wonach die bloße Taufe im Falle einer Scheinkonversion keine strafrechtlichen Konsequenzen für den Revisionswerber nach sich ziehen würde.

16       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 10. August 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62011CJ0071 Y und Z VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180179.L00

Im RIS seit

01.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten