Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätin Dr. Kodek sowie den Hofrat MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** GmbH, *****, vertreten durch die DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch die Schwarz Schönherr Rechtsanwälte KG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 43.200 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen die einstweilige Verfügung des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. April 2021, GZ 33 R 26/21t-16, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte bewirbt ihre Deodorants mit „Stoppt das Schwitzen“ sowie damit, diese seien „Nummer 1“ in Italien und Österreich:
[2] Die Deos der Beklagten haben einen Gehalt an Aluminiumchlorohydrat, der jeweils nach 48 Stunden ab der Anwendung beim Spray zu einer maximalen Schweißreduktion von etwa 25 % und beim Roll-On zu einer maximalen Schweißreduktion von etwa 50 % führen kann.
[3] Die „Nummer 1“-Aussagen sind mit folgenden „*“-Hinweisen versehen (dabei steht „LEH“ jeweils für Lebensmitteleinzelhandel, „DFH“ für Drogeriefachhandel):
„Wertmäßiger Marktanteil, Borotalco Spray Original, Gesamtmarkt Italien (12/2018-11/2019), LEH + DFH, IRI Group data“ bzw „Wertmäßiger Marktanteil, Borotalco Roll-On, AC Nielsen Gesamtmarkt (LEH + DFH), MAT 12/2020.“
[4] Nach den in diesen Fußnoten angesprochenen Studien hatte das Produkt „Borotalco Original“ der Beklagten auf dem italienischen Deodorantmarkt von 2016 bis 2020 zwar jeweils den höchsten Jahresumsatz, blieb aber beim Jahresabsatz von 2018 bis 2020 stets hinter einem Produkt der Klägerin zurück. Für Österreich lag der wertmäßige Marktanteil des Roll-Ons der Beklagten im Jahr 2019 um 23 % und im Jahr 2020 um 14 % höher als beim zweitgereihten Produkt; Absatzzahlen sowie eine führende Stellung von Produkten der Beklagten auf dem gesamten österreichischen Deodorantmarkt ergeben sich aus der angesprochenen Studie nicht.
[5] Das Rekursgericht erließ in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung die von der klagenden Mitbewerberin beantragte einstweilige Verfügung, mit der es der Beklagten die Unterlassung der Aussage „Stoppt das Schwitzen“ sowie beider „Nummer 1“-Aussagen (diese sofern sie bezogen auf den Marktanteil nicht zutreffen) gebot.
[6] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten zeigt dagegen keine erheblichen Rechtsfragen auf.
Rechtliche Beurteilung
[7] 1.1. Beim Irreführungstatbestand (hier nach § 2 Abs 1 Z 2 UWG: unrichtige Angaben über die wesentlichen Merkmale des Produkts) ist zu prüfen, wie ein Durchschnittsverbraucher die strittige Ankündigung versteht, ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (RIS-Justiz RS0123292).
[8] Für eine marktschreierische Anpreisung ist wesentlich, dass sie sofort von niemandem wörtlich ernst genommen wird; es muss sich dabei um eine nicht wörtlich zu nehmende, bloß reklamehafte Übertreibung handeln, die jedermann den sogleich erkennbaren Eindruck vermittelt, es handle sich hier nur um eine ohne Anspruch auf Glaubwürdigkeit und Gültigkeit auftretende Anpreisung. Im Zweifel, ob eine marktschreierische Anpreisung oder eine ernst gemeinte Behauptung vorliegt, ist immer das Letztere anzunehmen (RS0078301; RS0078248; RS0078274). Auch marktschreierische Anpreisungen lassen sich zumeist auf einen sachlich nachprüfbaren Tatsachenkern zurückführen, der von Werbeadressaten ernst genommen wird und daher bei Unrichtigkeit zur Irreführung geeignet ist (4 Ob 111/10t mwN = RS0078301RS0078301&Rechtssatz=&Fundstelle=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False&GZ=&VonDatum=&BisDatum=21.06.2021&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Position=1&SkipToDocumentPage=true&ResultFunctionToken=1e785f51-b558-4ea8-8a5c-197370c8aaeb&Dokumentnummer=JJR_19611010_OGH0002_0040OB00339_6100000_001"> [T35]; RS0077872).
[9] 1.2. Ob eine Angabe zur Irreführung geeignet ist, hängt davon ab, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Angabe verstehen. Eine Ankündigung verstößt schon dann gegen § 2 UWG, wenn sie nach ihrem Gesamteindruck bei flüchtiger Betrachtung durch einen Kunden mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit irrige Vorstellungen erwecken kann (vgl RS0043590 [T36, T39]). Reichen – wie hier – die Erfahrungen des täglichen Lebens zur Beurteilung aus, ist die Frage, welchen Eindruck eine Werbeaussage auf die betroffenen Verkehrskreise hat, eine Rechtsfrage (RS0043590 [insb T27, T34, T37]).
[10] 1.3. Dieser Rechtsfrage kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (vgl RS0107771; RS0053112).
[11] 1.4. Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, die Werbeaussage „Stoppt das Schwitzen“ habe zwar auch marktschreierischen Charakter, enthalte aber – in einer Gesamtbetrachtung etwa mit den begleitenden bildlichen Illustrationen – dennoch den vom Publikum erwarteten Tatsachenkern, das Deodorant der Beklagten reduziere die Schweißbildung in erheblichem, sich der gänzlichen Unterbindung von Schweißbildung zumindest annäherndem Maße. Ob eine Schweißreduktion von 25–50 % ohnehin „signifikant“ sei, wie der Revisionsrekurs meint, oder dem vom Rekursgericht bejahten Tatsachenkern von „Stoppt Schwitzen“ nicht gerecht wird, ist nach dem Gesagten eine (entgegen der Ansicht der Beklagten auch keiner weiteren Feststellungen bedürfende Rechts-)Frage des Einzelfalls, die das Rekursgericht in letzterem Sinne dahin löste, dass eine Schweißreduktion maximal zur Hälfte der durch die Werbeaussagen ausgelösten Tatsachenerwartung nicht gerecht wird. Dies hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung, ohne dass es dem Revisionsrekurs gelingt, hierzu eine erhebliche Rechtsfrage von den Einzelfall übersteigender Bedeutung aufzuzeigen.
[12] Das Rekursgericht hat auch nicht Fälle marktschreierischer und vergleichender Werbung vermengt, sondern Erwartung und Wahrnehmung des Publikums angesichts von Werbeaussagen über die Wirksamkeit von Produkten mit Judikaturbeispielen illustriert. Eine krasse Fehlbeurteilung ist auch darin nicht zu erblicken.
[13] 2.1. Werbung mit einer Spitzenstellung ist ein Sonderfall vergleichender Werbung und ebenfalls am Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 2 UWG zu prüfen, weil gemäß § 2a Abs 1 UWG vergleichende Werbung ua dann zulässig ist, wenn sie nicht gegen § 2 UWG verstößt. In Fällen vergleichender Werbung (§ 2a UWG) muss aufgrund richtlinienkonformer Auslegung von § 1 Abs 5 UWG (Art 7 RL 2006/114/EG) regelmäßig der Werbende die Richtigkeit der in der Werbung enthaltenen Tatsachenbehauptungen behaupten und beweisen; diese Beweislastverteilung gilt auch für Spitzenstellungswerbung als Sonderfall vergleichender Werbung (vgl 4 Ob 33/13a mwN).
[14] 2.2. Eine Marktführerschaft richtet sich im Allgemeinen nach dem Marktanteil, der den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens abbildet. Welchem Faktor das angesprochene Publikum in dieser Hinsicht die größte Bedeutung beimisst und ob aus einem bescheinigten Sachverhalt das Vorliegen der Spitzenstellung abgeleitet werden kann, hängt typisch von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet im Allgemeinen ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RS0078557 [T10, T11]).
[15] 2.3. Der mit einer Alleinstellung behauptete Vorsprung muss deutlich und stetig sein; dass der Werbende nur einen geringfügigen Vorsprung vor seinen Mitbewerbern hat, genügt in aller Regel nicht. Auch ein mündiger und verständiger Verbraucher versteht den Werbeslogan, „Nummer 1“ in einem Land zu sein, regelmäßig nicht als bloße Behauptung, nur mit einem Produkt einen höheren Umsatz als Mitbewerber zu haben, sondern als Bezugnahme darauf, dass die Beklagte der größte und beste (hier: Deo-)Anbieter im ganzen Land sei, dessen Angebot, Absatz und Umsatz den seiner Mitbewerber bei weitem übersteige (vgl RS0078557 [T5, T6]).
[16] 2.4. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, die Behauptungen der Beklagten, „Nummer 1“ in Italien und Österreich zu sein, seien irreführend, weil die Beklagte hierfür nur Studien zu Umsatzzahlen eines ihrer Produkte (zumal in für das Publikum kaum verständlicher Form) ins Treffen führen, aber keine Dominanz bei (italienischen) Absatzzahlen oder auf dem (österreichischen) Gesamtmarkt darlegen konnte, hält sich im Rahmen der angeführten Rechtsprechung.
[17] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 528a, 510 Abs 3 ZPO).
Schlagworte
Stoppt das Schwitzen,Textnummer
E132525European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00099.21V.0727.000Im RIS seit
31.08.2021Zuletzt aktualisiert am
24.01.2022