TE OGH 2021/7/29 10ObS96/21x

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Veröffentlicht am 29.07.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei DI H*****, vertreten durch Mag. Peter Mayerhofer, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Aufrechnung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2021, GZ 9 Rs 33/21w-31, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       1. Thema des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die beklagte Pensionsversicherungsanstalt berechtigt ist, mit bescheidmäßig festgestellten Beitragsschulden aufzurechnen und deshalb die dem Kläger gewährte Berufsunfähigkeitspension zu kürzen.

Rechtliche Beurteilung

[2]       2. Der Kläger beruft sich auf Tilgung der Beitragsschuld durch Zahlung sowie Einforderungsverjährung. Mit seinen Ausführungen zeigt er keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.

[3]       3. Bestätigung der Vollzahlung?

[4]       3.1 Der Kläger erhob Einwendungen gegen den Rückstandsausweis der (damals) Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) vom 26. 7. 2014. Aufgrund dessen beantragte die SVA die Einstellung/Zurückziehung der Exekution gemäß § 39 Abs 1 Z 6 EO. Dieser Antrag enthielt einen automatischen Textbaustein aus dem Computersystem des Versicherungsträgers, in dem „Vollzahlung“ als Grund für die Einstellung behauptet wird.

[5]       3.2 Eine unrichtige Erklärung zur „Vollzahlung“ im Exekutionseinstellungsantrag wird in Rechtsprechung und Lehre als Quittung im Sinn des § 1426 ABGB angesehen (3 Ob 197/32 SZ 14/40; Reischauer in Rummel/Lukas ABGB4 § 1426 ABGB Rz 9). Eine Quittung ist als Beweisurkunde eine – nicht den nur für Rechtsgeschäfte geltenden Irrtumsregeln (§§ 871 ff ABGB) unterliegende – Wissenserklärung (RIS-Justiz RS0013962; RS0016315; RS0016134). Die zu 3 Ob 197/32 vertretene Auffassung, ein Exekutionseinstellungsantrag unterliege als Quittung irrtumsrechtlichen Regelungen, entspricht nicht mehr der herrschenden Meinung. Eine ordnungsgemäße Quittung beweist die Erfüllung der Verbindlichkeit, was durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden kann (RS0016315 [T4]; Reischauer in Rummel/Lukas4 § 1426 ABGB Rz 67 mwN). Auf Tatsachenebene ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass keine Zahlung erfolgt ist. Soweit der Kläger gegenteilig argumentiert, ist sein Rechtsmittel nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043312).

[6]       4. Einforderungsverjährung?

[7]       4.1 Nach § 40 Abs 2 GSVG (wortgleich § 68 Abs 2 ASVG) verjährt das Recht auf Einforderung festgestellter Beitragsschulden binnen zwei Jahren nach Verständigung des Zahlungspflichtigen vom Ergebnis der Feststellung. Die Verjährung wird durch jede zum Zweck der Hereinbringung getroffene Maßnahme, wie zB durch Zustellung einer an den Zahlungspflichtigen gerichteten Zahlungsaufforderung (Mahnung) unterbrochen; sie wird durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung gehemmt.

[8]       4.2 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 68 ASVG liegen im Streitfall ohne Erlassung eines Bescheids keine festgestellten Beitragsschulden vor. Die Einforderungsverjährungsfrist beginnt dann frühestens mit dem Eintritt der Rechtskraft des Bescheids über die strittige Beitragsschuld. Die verjährungsunterbrechende Wirkung dauert an, solange das Verwaltungsverfahren und ein allenfalls daran anschließendes Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts anhängig sind (VwGH 2013/08/0036, VwSlg 18.649 A/2013 mwN).

[9]       4.3 Jede Maßnahme ist als verjährungsunterbrechend anzusehen, die objektiv dem Zweck der Hereinbringung der offenen Forderung dient, Voraussetzung ist lediglich, dass der Sozialversicherungsträger eindeutig zu erkennen gibt, er wolle eine Maßnahme gegen den Zahlungspflichtigen in Bezug auf eine konkrete Forderung setzen. Ob eine Maßnahme der Hereinbringung einer offenen Forderung dient, hängt von der Beurteilung des Einzelfalls ab (Derntl in Sonntag GSVG10 § 40 Rz 17; Derntl in Sonntag, ASVG12 § 68 Rz 18 je mwN).

[10]     4.4 Mit Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) vom 12. 11. 2012 wurden die endgültige monatliche Beitragsgrundlage in der Kranken- und Pensionsversicherung sowie die monatlichen Beiträge für den Zeitraum 1. 1. bis 31. 8. 2008 festgestellt und der Kläger zur Zahlung der entsprechenden Beiträge für die Monate Mai bis August 2008 verpflichtet. Der Kläger meint, die zweijährige Einforderungsverjährungsfrist sei nach Erlassung dieses Bescheids in Gang gesetzt worden, während des Exekutionsverfahrens unterbrochen worden und mangels weiterer Einforderungsschritte am 16. 10. 2017 abgelaufen. Das zweite, denselben Beitragszeitraum betreffende Feststellungsverfahren hindere den Fristablauf nicht.

[11]           4.5 Anlass für das Exekutionsverfahren war der Rückstandsausweis der SVA vom 26. 7. 2014, gegen den der Kläger Einwendungen erhoben hatte. Diese Einwendungen veranlassten die SVA zur Einstellung des Exekutionsverfahrens und Erlassung eines Bescheids vom 13. 10. 2015 über die Zahlungspflicht des Klägers. Dieser Bescheid wurde mit der Beschwerdevorentscheidung der SVA vom 7. 12. 2015 bestätigt. Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers mit Entscheidung vom 27. 7. 2018 als unbegründet ab. Die jeweiligen Anträge des Klägers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung von Rechtsmitteln gegen dieses Erkenntnis wiesen der Verwaltungsgerichtshof am 3. 9. 2018 und der Verfassungsgerichtshof am 24. 10. 2018 ab. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Erkenntnis vom 13. 3. 2018 den Antrag des Klägers auf amtswegige Nichtigerklärung des Bescheids des BMASK vom 12. 11. 2012 zurück sowie seine Beschwerde gegen die Abweisung seines Antrags auf Feststellung, dass von Mai bis August 2008 keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung bestehe, ab.

[12]     4.6 Angesichts der Feststellungen zum Verlauf des Verwaltungsverfahrens, das durch zahlreiche, gegen die Verpflichtung zur Beitragszahlung gerichteten Rechtsbehelfe und Rechtsmittel des Klägers gekennzeichnet war, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Einforderungsverjährung sei nicht eingetreten, nicht zu beanstanden.

Textnummer

E132539

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00096.21X.0729.000

Im RIS seit

01.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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