Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner sowie Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter (§ 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. D*****, vertreten durch Mag. Dr. H*****, Rechtsanwalt in Linz, als einstweiliger Erwachsenenvertreter, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, wegen Leistung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Klägers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Mai 2019, GZ 11 Ra 26/19a-26, mit dem der Rekurs des Klägers gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. April 2019, GZ 28 Cga 13/19z-10, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen vom 9. 4. 2019 und 13. 5. 2019 werden ersatzlos aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung:
[1] Am 28. 2. 2019 brachte der Kläger beim Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht zahlreiche Leistungsklagen, unter anderem gegen die hier Beklagte, jeweils gerichtet auf die Zahlung von „0 EUR sA“ ein.
[2] Mit Beschluss vom 9. 4. 2019 wies das Erstgericht die Klage zurück. Trotz Verbesserungsaufträgen habe der Kläger seine Klage nicht ziffernmäßig bestimmt.
[3] Dagegen erhob der damals unvertretene Kläger rechtzeitig Rekurs. Dem Auftrag des Erstgerichts, den Rekurs durch Unterfertigung einer qualifizierten Person iSd § 40 Abs 1 ASGG zu verbessern, kam der Kläger nicht nach.
[4] Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Rekursgericht den Rekurs des Klägers als unzulässig zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
[5] Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger fristgerecht einen – von einem Rechtsanwalt nicht unterfertigten – Revisionsrekurs.
[6] Am 24. 6. 2019 übermittelte das Erstgericht den Akt gemäß § 6a ZPO an das Pflegschaftsgericht.
[7] Mit (mittlerweile rechtskräftigem) Beschluss vom 22. 5. 2020 bestellte das Pflegschaftsgericht den Rechtsanwalt Mag. Dr. H***** gemäß § 120 AußStrG zum einstweiligen Erwachsenenvertreter des Klägers, unter anderem zur Vertretung in allen anhängigen und anstehenden gerichtlichen Verfahren.
[8] Mit Beschluss vom 15. 12. 2020 trug das Erstgericht dem Erwachsenenvertreter auf, binnen eines Monats bekanntzugeben, ob ein den Bestimmungen der ZPO und der GeO entsprechender Revisionsrekurs erhoben wird und diesen gegebenenfalls bis 5. 3. 2021 einzubringen.
[9] In der Folge teilte der Erwachsenenvertreter dem Erstgericht fristgerecht mit, dass er einen verbesserten Revisionsrekurs einbringen werde. Im verbesserten Revisionsrekurs beantragt er unter Geltendmachung der Revisionsrekursgründe der Nichtigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, die Beschlüsse des Rekursgerichts und des Erstgerichts aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen, ihm den ergangenen Verbesserungsauftrag hinsichtlich der Klage zuzustellen. Dabei stützt er sich darauf, dass der Kläger nach den im Erwachsenenschutzverfahren eingeholten Sachverständigen-gutachten bereits bei Klagseinbringung nicht mehr prozessfähig gewesen sei.
[10] Der (verbesserte) Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[11] Aufgrund des vom Bezirksgericht Linz im Erwachsenenschutzverfahren ***** eingeholten Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Prim. Dr. C*****, vom 14. 7. 2020 wird festgestellt, dass der Kläger seit Juni/Juli 2018 an einer anhaltend wahnhaften Störung bzw einer kombinierten Persönlichkeitsstörung leidet. Wegen seiner krankheitsbedingten psychischen Einschränkungen war er seit diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, sich adäquat um seine finanziellen Angelegenheiten zu kümmern und sich unter anderem gegenüber Gerichten (insbesondere in den anhängigen Gerichtsverfahren) zu vertreten (vgl auch 9 ObA 44/21t).
[12] Dazu hat der Senat erwogen:
[13] 1.1 Aufgrund der getroffenen Feststellungen ist der Kläger – im Einklang mit seinem Vorbringen – schon ab Einbringung der Klage als prozessunfähig anzusehen.
[14] 1.2 Liegt der Mangel der Prozessfähigkeit eines Klägers – wie hier – schon vom Beginn des Rechtsstreits an vor, ist das gesamte Verfahren als gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen, es sei denn, dass die Prozessführung durch den (später bestellten) gesetzlichen Vertreter des Klägers nachträglich ordnungsgemäß genehmigt wurde (§ 503 Abs 1 Z 1, § 477 Abs 2 ZPO; 6 Ob 708/89; RIS-Justiz RS0035241). Die Genehmigung der bisherigen Prozessführung bedarf nach der Rechtsprechung in Aktivprozessen des Betroffenen der gerichtlichen Genehmigung (6 Ob 708/89; 4 Ob 53/07h).
[15] 2.1 Das Gericht hat in jeder Lage des Verfahrens – auch noch im Rechtsmittelverfahren – die Einbeziehung des gesetzlichen Vertreters zu veranlassen und ihm die Möglichkeit einer Genehmigung bisher unwirksamer Prozesshandlungen der vom Vertretungsmangel betroffenen Partei zu eröffnen (RS0118612). Die Sanierung eines bisher ohne Sachwalter (nunmehr Erwachsenenvertreter) durchgeführten Verfahrens erfordert dessen Erklärung, dass das bisherige Verfahren genehmigt wird (RS0107438).
[16] 2.2 Das Erstgericht hat den einstweiligen Erwachsenenvertreter hier allerdings – anders als das Erstgericht im Parallelverfahren 8 ObA 18/21m – nicht zur Genehmigung des gesamten Verfahrens samt Klagsführung, sondern bloß zur (Genehmigung und) Verbesserung des Rechtsmittels aufgefordert. Demgemäß hat der einstweilige Erwachsenenvertreter im Anlassfall bislang auch keine ausdrückliche Erklärung über die Genehmigung der Klagsführung abgegeben.
[17] Aus den im verbesserten Revisionsrekurs gestellten Anträgen ergibt sich (vgl RS0042223), dass der einstweilige Erwachsenenvertreter (jedenfalls) die nach Klagseinbringung erfolgte Prozessführung des unvertretenen Klägers nicht genehmigte (§ 6 Abs 2, § 477 Abs 2 ZPO). Damit ist das von den Vorinstanzen nach Klagseinbringung durchgeführte Verfahren nichtig (§ 477 Abs 1 Z 5 ZPO).
[18] 3. Die angefochtenen Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher antragsgemäß aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht dem einstweiligen Erwachsenenvertreter die Möglichkeit eröffnen müssen, die Klage zu genehmigen und, insbesondere durch Einholung der erforderlichen pflegschaftsbehördlichen Ermächtigung, zu verbessern.
Textnummer
E132548European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00053.21H.0803.000Im RIS seit
02.09.2021Zuletzt aktualisiert am
02.09.2021