TE Vwgh Erkenntnis 1997/2/20 96/06/0064

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Veröffentlicht am 20.02.1997
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Index

L10016 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Steiermark;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §1;
GdO Stmk 1967 §105 Abs2;
GdO Stmk 1967 §43 Abs1;
GdO Stmk 1967 §43 Abs2 litd;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der Marktgemeinde F, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 26. Februar 1996, Zl. 03-12.10 F 32 - 96/1, betreffend Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: E, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Gemeinde hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen (eingelangt bei der Baubehörde am 13. Juni 1995) ersuchte die beschwerdeführende Gemeinde um Erteilung der Baubewilligung für den Neubau eines Gasthauses auf den Grundstücken Nr. 16/2, 16/3, 189/3, 189/4, 190/1, KG A. In der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 1995 wendete die Mitbeteiligte als Eigentümerin der südwestlich der verfahrensgegenständlichen Gründstücke gelegenen Grundstücke Nr. 189/1 und 190/2 u.a. ein, daß die im Lageplan ersichtliche Grenze nicht dem tatsächlichen Grenzverlauf entspreche, der tatsächlich im südwestlichen Grenzbereich 2,5 m in das Grundstück der Mitbeteiligten hineinrage. Der im Grenzbereich vorhandene Grünstreifen sei seinerzeit als Kulturparzelle genutzt und die Zaunsäulen als Schutz für die Bepflanzung gesetzt worden. Die Behörde habe den tatsächlichen Grenzverlauf als Vorfrage zu klären. Die in der Natur heute noch vorhandenen zwei Fichten und der Apfelbaum seien immer im Eigentum der Mitbeteiligten gewesen.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom 4. August 1995 wurde der beschwerdeführenden Gemeinde als Bauwerberin die Baubewilligung zwecks Errichtung eines Gasthofes auf den angeführten Grundstücken unter Vorschreibung von Auflagen erteilt (Spruchpunkt I.).

Die Einwendung der Mitbeteiligten betreffend den tatsächlichen Grenzverlauf zwischen den verfahrensgegenständlichen Grundstücken und den Grundstücken der Beschwerdeführerin wurde in Spruchpunkt II. auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

In der dagegen erhobenen Berufung machte die Mitbeteiligte neuerlich geltend, daß der tatsächliche Grenzverlauf anders sei als im Lageplan angenommen. Sie ergänzte ihr erstinstanzliches Vorbringen weiters insofern, daß ihre Mutter seinerzeit den nunmehr von der Beschwerdeführerin beanspruchten Grundstreifen in der Breite von 2,5 m prekaristisch dem Herrn C., dem Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin, zur Verfügung gestellt habe. Herr C. habe den Grünstreifen bepflanzt und im Einvernehmen mit der Mutter der Mitbeteiligten gepflegt. Der Zaun sei im Einvernehmen mit der Mutter der Mitbeteiligten wegen des Hundes von Herrn C. errichtet worden. Die Mitbeteiligte beantragte dazu ihre Einvernahme und die Einvernahme ihrer Mutter.

Die Berufung der mitbeteiligten Partei wurde mit Bescheid des Gemeinderates (ohne Datum), der gegenüber der Beschwerdeführerin und der mitbeteiligten Partei am 8. September 1995 erlassen wurde, abgewiesen. Begründend wurde in diesem Bescheid ausgeführt, daß nach Einsichtnahme in die vorliegenden Unterlagen sowie durch Einvernahme der Zeugin J.B. die Behörde zur Überzeugung gelangt sei, daß die Grenze richtig verlaufe. Die beantragte Einvernahme von S.S. (der Mutter der mitbeteiligten Partei) sowie der mitbeteiligten Partei selbst sei nicht vorgenommen worden, da der Zeugin S.S. als Mutter der mitbeteiligten Partei am Ausgang des Verfahrens ein wesentlich größeres Interesse zukomme als der unbeteiligten Zeugin J.B. und die Aussage dieser Zeugin die objektiven Beweismittel (Katasterplan, Vermessungsplan und Luftbildaufnahmen) nicht widerlegen könnten. Von einer Parteieinvernahme sehe die Behörde im Hinblick darauf ab, daß die zur Frage des Grenzverlaufes erhobenen Beweise wesentlich glaubwürdiger erscheinen als das Parteivorbringen der mitbeteiligten Partei.

Aufgrund der dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobenen Vorstellung wurde mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde der angeführte Berufungsbescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde verwiesen. Diese Entscheidung wurde nach Anführung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen im wesentlichen damit begründet, der Inhalt der Vorfragenbeurteilung (hier die Frage des Grundeigentums im Zusammenhang mit der Erteilung der Baubewilligung) sei im Bescheid, der das betreffende Verfahren abschließe, darzulegen. Die Berufungsbehörde habe zu der im vorliegenden Fall maßgeblichen Frage des Verlaufes der Grenze zwischen dem Grundstück der Beschwerdeführerin und dem der mitbeteiligten Partei einen Vermessungsplan, einen Lageplan sowie Luftbilder eingeholt und eine Zeugin, nämlich J.B., einvernommen. Aufgrund dieser Ergebnisse sei die Berufungsbehörde zur Auffassung gelangt, daß keine Grenzverletzung vorliege. Auf die Einvernahme von S.S. sowie der mitbeteiligten Partei sei mit der Begründung verzichtet worden, daß S.S., nämlich die Mutter der mitbeteiligten Partei, am Ausgang des Verfahrens ebenfalls wie die mitbeteiligte Partei ein größeres Interesse zukomme als der unbeteiligten Zeugin J.B.. Deshalb sei die Berufungsbehörde der Auffassung gewesen, daß im Rahmen der Vorfragenlösung die Einvernahme beider Zeuginnen unterbleiben könne. Das AVG gehe zwar von der freien Beweiswürdigung aus, doch dürfe eine Würdigung von Beweisen erst nach der Aufnahme der Beweise erfolgen. Eine sogenannte antizipierende Beweiswürdigung, d.h. eine Beurteilung der Qualität eines Beweismittels vor Beweiserhebung sei unzulässig. Es dürfe also nicht etwa deshalb die Einvernahme eines Zeugen abgelehnt werden, weil erwartet werde, daß er zur Sache nichts aussagen könne oder daß er nicht die Wahrheit sprechen werde. Davon zu unterscheiden sei aber der Fall, daß ein Zeuge deswegen nicht vernommen werde, weil die Vernehmung unmöglich sei, und daß in der Folge die Behauptung, zu deren Beweis dieser Zeuge angeführt worden sei, als nicht erwiesen angenommen werde. Diesbezüglich hätte die Behörde somit keinesfalls auf die Zeugeneinvernahme verzichten dürfen und hätten diese Aussagen in die Beweiswürdigung miteingebunden werden müssen. Erst dann hätte der Berufungsbescheid erlassen werden dürfen. Es könne festgestellt werden, daß bei Einvernahme der Zeugen die Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Es sei somit nicht auszuschließen, daß Rechte der mitbeteiligten Partei verletzt worden seien.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht. Die beschwerdeführende Gemeinde erachtet sich vor allem in ihrem Recht, daß eine Vorfrage gemäß § 38 AVG in freier Beweiswürdigung gelöst werde, und in ihrem Recht auf gesetzeskonforme Anwendung der Bestimmungen der Steiermärkischen Bauordnung 1968 verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist zu dem Umstand, daß im vorliegenden Fall der Gemeinderat und nicht die Marktgemeinde F Beschwerde erhoben hat, im Sinne des hg. Erkenntnisses vom 10. November 1992, Zlen. 92/05/0053, 92/05/0137, 0138, festzustellen, daß es sich bei einer vom Gemeinderat erhobenen Beschwerde um eine Organhandlung handelt, die dem Rechtsträger der Gemeinde zuzurechnen ist (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 7. September 1993, Zl. 93/05/0038).

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Gemäß § 46 AVG kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Gemäß § 38 AVG ist die Behörde, sofern die Gesetze nichts anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrundezulegen.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, daß der durch keine objektive Unterlage untermauerten Behauptung der mitbeteiligten Partei, wonach ein rund 2,50 m breiter Grundstreifen der verfahrensgegenständlichen Grundstücke in ihrem Eigentum stehe, ein von der mitbeteiligten Partei nicht bekämpfter Geometerplan, Luftbildaufnahmen (auf denen der Grenzverlauf deutlich in jenem Bereich ersichtlich sei, in dem sich in der Natur ein Zaun befinde), deren Richtigkeit von der mitbeteiligten Partei gleichfalls nicht bestritten worden sei, und die Aussage einer unbeteiligten Zeugin, die keinerlei Interesse am Ausgang des gegenständlichen Verfahrens besitze, gegenüberstünden. Der dem Verfahren beigeschlossene Geometerplan weise die Grenze zwischen den Grundstücken der mitbeteiligten Partei und den verfahrensgegenständlichen Grundstücken genau in jenem Bereich aus, der auch auf den Luftbildaufnahmen als natürliche Grenze zwischen den Grundstücken ersichtlich sei und in dem sich auch der heute noch existierende Zaun befinde. Die mitbeteiligte Partei habe gegen die Richtigkeit des Geometerplanes nie etwas eingewendet, insbesondere habe sie keinerlei Urkunden vorgelegt, aus denen sich die Unrichtigkeit dieser vom Geometer festgestellten Grundgrenze ergeben würde. Die mitbeteiligte Partei habe sich ausschließlich auf ihre Aussage und die Aussage ihrer Mutter berufen. Die belangte Behörde habe verkannt, daß die Berufungsbehörde sehr wohl Beweise über den Grenzverlauf aufgenommen habe und zwar habe sie sich der objektiven Beweismittel, nämlich eines Geometergutachtens und von Luftbildaufnahmen, zur Klärung dieser Vorfrage bedient. Bei dieser Situation sei es im Hinblick darauf, daß im Bauverfahren der Grenzverlauf nicht endgültig geklärt werde, keineswegs Pflicht der Behörde gewesen, weitere Zeugen zu befragen. Es seien somit nach Auffassung der beschwerdeführenden Gemeinde keine Verfahrensbestimmungen verletzt worden.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 20. Jänner 1988, Zl. 87/03/0197, und vom 31. März 1993, Zl. 92/02/0330), daß die im § 45 Abs. 2 AVG angeordnete freie Beweiswürdigung erst nach einer vollständigen Beweiserhebung einsetzen darf. Eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, daß der Wert eines Beweises abstrakt (im vorhinein) beurteilt wird, ist nicht zulässig. Ein Beweismittel darf nur abgelehnt werden, wenn es, objektiv gesehen, nicht geeignet ist, über den maßgebenden Sachverhalt einen Beweis zu liefern. Weitere Beweisanträge müssen nicht berücksichtigt werden, wenn sich die Behörde aufgrund der vorliegenden Beweise ein klares Bild vom maßgebenden Sachverhalt machen konnte (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 25. Juni 1953, Zl. 2771/52, Slg. Nr. 3046/A - nur der Rechtssatz veröffentlicht, und vom 30. August 1991, Zl. 91/09/0056). Die im vorliegenden Fall beantragten und abgelehnten Beweismittel wurden unter Verletzung der erwähnten verfahrensrechtlichen Grundsätze zur freien Beweiswürdigung wegen ihrer im vorhinein beurteilten mangelnden Glaubwürdigkeit abgelehnt. Da die Frage der Eigentumsverhältnisse an den verfahrensgegenständlichen Grundstücken erst aufgrund der Berufung der mitbeteiligten Partei von der Berufungsbehörde als Vorfrage geprüft wurde, stellten die in der Berufung vorgebrachten Beweisanträge auch jedenfalls keine weiteren Beweisanträge zu dem in Frage stehenden Beweisthema dar, die unter Berufung darauf, daß die bereits vorliegenden Beweise ein klares Bild des maßgebenden Sachverhaltes ergäben, unberücksichtigt hätten bleiben können, wie es die beschwerdeführende Gemeinde nunmehr in der Beschwerde zu argumentieren versucht. Die beiden in Frage stehenden Beweismittel stellen auch im Hinblick auf das Beweisthema des tatsächlichen Grenzverlaufes und die Einwendung, ein 2,5 m breiter Streifen der verfahrensgegenständlichen Grundstücke habe nie im Eigentum des Rechtsvorgängers der Beschwerdeführerin gestanden, ein geeignetes Beweismittel im dargelegten Sinne dar. Inwieweit sich aus dem vorgelegten Katasterplan, der im Akt befindlichen Naturdarstellung und den Luftbildaufnahmen zu dieser Einwendung der Mitbeteiligten etwas gewinnen lassen sollte, wird von der Berufungsbehörde nicht begründet und ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Diese festgestellte Verletzung des § 45 Abs. 2 AVG ist auch wesentlich, weil keine Beweiswürdigung erfolgen darf, solange nicht alle in dem dargelegten Sinn vorgetragenen und geeigneten Beweise erhoben sind.

Die Beschwerdeführerin beruft sich weiters darauf, daß sie das Projekt mittlerweile geändert und um dessen Bewilligung mit Schreiben vom 5. Oktober 1995 angesucht habe. Diese Planänderung sei mit Bescheid vom 27. Oktober 1995 bewilligt worden. Eine Berufung gegen diesen Bescheid sei nicht erfolgt. Dieser Bewilligungsbescheid habe daher den Bescheid des Gemeinderates des verfahrensgegenständlichen Bauverfahrens ersetzt. Der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid behobene Berufungsbescheid gehöre somit nicht mehr der Rechtsordnung an.

Mit diesem Vorbringen vermag die beschwerdeführende Gemeinde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun. Wie die belangte Behörde zutreffend ausführt, war für ihre Überprüfung des Berufungsbescheides des Gemeinderates der beschwerdeführenden Gemeinde (der am 8. September 1995 erlassen wurde) die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides maßgeblich. Der nach diesem Zeitpunkt ergangene Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom 27. Oktober 1995 über die angeführte Planänderung konnte daher für den verfahrensgegenständlichen Vorstellungsbescheid keine Rolle spielen. Dieser erstinstanzliche Bescheid vom 27. Oktober 1995 hatte auch nicht die Aufhebung der verfahrensgegenständlichen Baubewilligung zum Gegenstand. Das verfahrensgegenständliche Bauansuchen der Beschwerdeführerin wurde auch nicht im Hinblick auf das von ihr erwähnte geänderte Projekt zurückgezogen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Zurechnung von Organhandlungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996060064.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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