TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/25 W109 2207631-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.02.2021
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Entscheidungsdatum

25.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W109 2207631-1/30E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 05.09.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.03.2020 und am 16.07.2020 zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1., 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46, 55 Abs. 1, 2 und 3 FPG als unbegründet abgewiesen

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 19.08.2015 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 20.08.2015 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, stamme aus Nangarhar und sei Analphabet. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, er habe für eine ausländische Firma als Leibwächter gearbeitet und sei deshalb von den Taliban drei Mal schriftlich bedroht worden.

Am 24.10.2017 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er habe bei einer Firma als Security gearbeitet und die Mitarbeiter kontrolliert. Ende 2014 hätten ihn die Taliban angerufen und gefragt, warum er für eine ausländische Firma tätig sei und nicht für die Taliban. Der Bruder habe auch Anrufe von den Taliban erhalten, er sei mit Freunden in XXXX , Nangarhar, bei einer Hochzeit gewesen. Am nächsten Tag hätten die Freunde des Bruders angerufen und dem Beschwerdeführer gesagt, der Bruder sei nicht da und von jemandem mitgenommen worden. Der Bruder sei normaler Koch gewesen und habe keine Schuld gehabt. Er habe einen Anruf vom Bruder erhalten, es sei sein Telefon gewesen. Sie hätten ihm erzählt, dass er nicht zu ihnen gekommen sei und habe abgelehnt, dass er als Security arbeite. Sie hätten gesagt, sie hätten den Bruder getötet und er könne ihn von einer Ortschaft abholen. Dort sei er hingefahren, um die Leiche abzuholen. Die Dorfältesten hätten die Leiche abgeholt und er sei auch beim Begräbnis gewesen. Alle hätten gesagt, er müsse fliehen. Er sei nach Kabul, habe sich drei Monate versteckt und sei nachher ausgereist. Ein Freund habe ihn kontaktiert und ihm mitgeteilt, dass ein junger Mann drei Briefe zu ihm gebracht hätten, die von den Taliban seien.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 05.09.2018, zugestellt am 17.09.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die präsentierte Fluchtgeschichte sei zu „blass“ und wenig detailreich, zu oberflächlich und widersprüchlich. Der Beschwerdeführer könne nach Afghanistan zurückkehren und sich Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat niederlassen.

3.       Am 03.10.2018 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe sein Heimatland aus wohlbegründeter Verfolgung durch Private und mangelnder Schutzfähigkeit bzw. -willigkeit seines Heimatlandes sowie mangels tauglicher innerstaatlicher Fluchtalternative verlassen. Er wäre im Fall der Rückkehr aufgrund der (unterstellten) religiösen und politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt, erschwerend komme hinzu, dass er sich in europäischen Ländern mit westlicher Gesinnung aufgehalten habe und als Rückkehrer von dort als Geächteter und Ungläubiger angesehen werde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei nicht zumutbar, die Länderfeststellungen seien unvollständig und veraltet. Es fehle eine Auseinandersetzung mit den Länderfeststellungen, die über das bloße Anführen von Textbausteinen hinausgehe, die nicht im Zusammenhang mit dem zu beurteilenden Sachverhalt stünden. Der afghanische Staat sei nicht schutzfähig. Sicherheits- und Versorgungslage seien schlecht. Verwestlichte Rückkehrer würden verfolgt. Der Beschwerdeführer habe Drohbriefe vorgelegt, die die belangte Behörde nicht berücksichtigt habe. Eine Auseinandersetzung mit vorgelegten Urkunden habe im konkreten Einzelfall zu erfolgen. Auch die vorgelegte Tazkira hätte gewürdigt und die Identität des Beschwerdeführers festgestellt werden müssen. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei mangelhaft.

Mit Ladung vom 23.12.2019 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein. Am 02.03.2020 langte hierzu eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 03.03.2020 fand die erste Tagsatzung der öffentlichen mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts statt zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und ein Dolmetscher für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat wegen seiner Tätigkeit als Security von den Taliban verfolgt, aufrecht.

Am 16.07.2020 fand die zweite Tagsatzung der öffentlichen mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts statt, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, ein Dolmetscher für die Sprache Paschtu, ein länderkundlicher Sachverständiger und ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde Dr. XXXX zur Erstellung eines Gutachtens zur Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens zum Sachverständigen bestellt.

Das Bundesverwaltungsgericht brachte nach der Verhandlung verschiedene Länderberichte (u.a. die aktuelle Version des EASO Country Guidance 2020) ins Parteiengehör (OZ 22 und 28) und veranlasste die Übersetzung der vorgelegten Drohbriefe. Am 22.02.2021 langte die Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei bereits vor seiner Flucht Verfolgung ausgesetzt gewesen. Nach Art. 4 Abs. 4 Statusrichtlinie sei dies ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet sei. Der Sachverständige habe bestätigt, dass bei einem Angriff der Taliban Securities Zielpersonen der Taliban seien. Im Fall einer Rückkehr wäre der Beschwerdeführer gezwungen, erneut als Security zu arbeiten, dies wäre seine einzige realistische Chance. In Nangarhar herrsche nach den aktuellen EASO-Leitlinien ein hohes Maß willkürlicher Gewalt, das den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr besonders betreffe. Nach der Auffassung von UNHCR sei in Kabul eine interne Schutzalternative angesichts der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage nicht verfügbar. Infolge der COVID-19-Pandemie sei eine innerstaatliche Fluchtalternative derzeit in keinem Bereich Afghanistans zumutbar. Der Beschwerdeführer könne im Fall einer Rückkehr keine andere Arbeit als die Tätigkeit als Security finden, mit der er genügend Geld verdienen würde, um seine Familie zu erhalten. Die erneute Tätigkeit als Security gehe mit einer Verfolgungsgefahr durch die Taliban einher und könne nicht von ihm erwartet werden. Die hypothetische Rückkehrsituation gehe daher über eine bloß schwierige Lebenssituation hinaus und sei ihm die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Schutzalternative daher unzumutbar.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Deutschkursbestätigungen

?        Medizinische Unterlagen

?        Drei Drohbriefe

?        „Work Certificate“

?        „Recommendation Letter“

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde im Jahr XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er spricht auch Dari.

Der Beschwerdeführer litt an Gallensteinern und chronischer Cholezystitis (Gallenblasenentzündung). Im Herbst 2015 wurde ihm die Gallenblase entfernt. Im April 2016 zog er sich eine Rippen-Fraktur zu. Seither ist der Beschwerdeführer wieder gesund.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Nangarhar, Distrikt Kuzkunar geboren und ist dort aufgewachsen. Er hat im Herkunftsstaat keine Schule besucht.

2008 zog der Beschwerdeführer berufsbedingt nach Kabul, wo er eine Wohnung kaufte. Er kehrte in den ersten zwei Jahren noch regelmäßig an seinen freien Tagen ins Herkunftsdorf zurück.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat vier Töchter und zwei Söhne. Sie leben in Kabul in der Wohnung des Beschwerdeführers; es besteht regelmäßiger Kontakt zur Familie.

Der Beschwerdeführer besitzt noch ein Haus und ein Grundstück im Herkunftsdorf, das nun von einem Dorfbewohner bewohnt wird. Ein weiteres Haus in Jalalabad hat der Beschwerdeführer zur Finanzierung seiner Ausreise um 80.000 USD verkauft, den Restbetrag iHv 70.000 USD hat er vor der Ausreise seiner Frau gegeben.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im August 2015 im Bundesgebiet auf. Er hat laufend Deutsch- und Alphabetisierungskurse besucht. Ein Antritt zur Deutschprüfung für das Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen war nicht erfolgreich. Zudem hat der Beschwerdeführer soziale Kontakte geknüpft. Der Beschwerdeführer bezieht Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer war von November 2008 bis April 2010 für die XXXX tätig. Er war zunächst ca. ein Jahr als privater Wachmann für eine Firma in Kabul im Einsatz, wo er für den Schutz der ausländischen Mitarbeiter zuständig war. Anschließend war der Beschwerdeführer als Security in einem Restaurant in Kabul tätig, das insbesondere von „hochrangigen“ Personen (z.B. in- und ausländische Generäle, Politiker) besucht wurde. Er war dort für die Zugangskontrolle zuständig.

Von Juli 2010 bis zu seiner Ausreise hat der Beschwerdeführer für XXXX gearbeitet und war ebenso als privater Wachmann im Einsatz. Er hat als Kommandant einer etwa zehnköpfigen Einheit Reparatureinsätze von Telekommunikationsunternehmen begleitet.

Der Beschwerdeführer war bei seiner Tätigkeit bewaffnet, jedoch nicht in eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den Taliban verwickelt.

Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit wiederholt von den Taliban telefonisch und brieflich bedroht wurde.

Dass der Beschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit als Security im Fall einer Rückkehr nach Kabul Übergriffen der Taliban ausgesetzt wäre, ist nicht wahrscheinlich.

Im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsdorf in Nangarhar drohen dem Beschwerdeführer Übergriffe durch die Taliban bis hin zu Ermordung.

Männer, die aus westlichen Staaten zurückkehren, können mit Argwohn, Stigmatisierung oder Ablehnung konfrontiert werden. Teile der Gesellschaft, insbesondere in Städten wie beispielsweise Kabul, sind offen für westliche Sichtweisen, während andere Teile der Gesellschaft, insbesondere im ländlicher oder konservativer Umgebung, diese ablehnen.

Es kommt zu Angriffen Aufständischer auf Afghanen, die sich mit „westlichen“ Werten identifizieren, weil sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen oder der Spionage bezichtigt werden könnten.

1. 3.   Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Kabul-Stadt steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung. In der Hauptstadt finden weiterhin High-Profile-Angriffe statt, als Hauptziele gelten afghanische Regierungsgebäude und -beamte, Sicherheitskräfte und hochrangige zivile und militärische Institutionen. Straßenkriminalität – insbesondere Straßenraub und Hausüberfälle – stellen ein Problem dar. Von 01.01. bis 30.09.2020 kam es in Kabul-Stadt der Globalincidentmap zufolge zu 109 sicherheitsrelevanten Vorfällen, nach ACLED kam es zu 57 sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer. Für die gesamte Provinz sind für das Jahr 2019 1.563 zivile Opfer (261 Tote, 1.302 Verletzte) verzeichnet, ein Rückgang von 16 % gegenüber 2018. Hauptursachen für die Opfer waren Selbstmordangriffe, improvisierte Sprengkörper und gezielte Tötungen.

Kabul-Stadt verfügt über einen Flughafen, der für die Abwicklung von internationalen und nationalen Passagierflügen geöffnet ist.

Nangarhar zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans, für die Provinz sind für das Jahr 2019 1.070 zivile Opfer (356 Tote und 714 Verletzte) Dies entspricht einem Rückgang von 41% gegenüber 2018. Die Hauptursachen dafür waren improvisierte Sprengkörper, gefolgt von Kämpfen am Boden und Selbstmordangriffen. Die Provinz galt als ISKP-Hochburg, anhaltender Druck der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte und der Taliban resultierten in Niederlagen des ISKP im November 2019 in Nangarhar. Sowohl die Taliban als auch die Regierungstruppen haben Gebietsgewinne erzielt, die afghanischen Streitkräfte konnten nach November 2019 die vom ISKP geräumten Gebiete halten und die Rückkehr von ISKP-Kämpfern verhindern. Im Distrikt Kuzkunar kam es von 01.01. bis 30.09.2020 der Globalincidentmap zufolge zu zwei sicherheitsrelevanten Vorfällen, nach ACLED kam es zu zwei sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer, für das Jahr 2019 sind zwei Vorfälle nach der Glopalincidentmap und vier nach ACLED verzeichnet. Die Regierungstruppen sind in Kuzkunar stärker vertreten als die Taliban und kontrollieren 70 bis 80 % des Distrikts.

Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. In urbanen Gebieten leben rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9 %. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu - 8% BIP) aus. 2016/2017 waren rund 45 % der Menschen von anhaltender oder vorrübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen.

Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit, sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung liegt auf hohem Niveau und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert nicht. Ein Mangel an Bildung korreliert mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.

Die Wirtschaft der Provinz Kabul hat einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist. Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung. Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen. Kabul hat eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern.

Die COVID-19-Krise führte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein.

Der Finanzsektor in Afghanistan entwickelt sich, zur Eröffnung eines Bankkontos ist ein Ausweisdokument (Tazkira), zwei Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital erforderlich, zudem sind Überweisungen aus dem Ausland über das Hawala-System möglich.

Afghanistan ist von der COVID-Pandemie betroffen, die Zahl der Fälle geht seit Juni 2020 kontinuierlich zurück. Die Versorgung Erkrankter ist mangelhaft, es mangelt an Kapazitäten. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der allgemeine Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert.

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In großen Städten ist die medizinische Versorgung grundsätzlich sichergestellt.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und Muttersprache des Beschwerdeführers beruhen auf seine gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Lauf des Verfahrens, die auch die belangte Behörde nicht substantiiert in Zweifel zog, sondern lediglich widersprüchlich ausführt, die Identität des Beschwerdeführers stehe nicht fest (AS 313), obwohl sie gleichzeitig von den Angaben des Beschwerdeführers ausgeht.

Zu seinem Gesundheitszustand hat der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.10.2017 Befunde vorgelegt (AS 47 ff), aus denen sich die festgestellten Erkrankungen bzw. Verletzungen ergeben. Aktuellere Befunde wurden nicht vorgelegt und auch kein Vorbringen erstattet. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer wieder gesund ist.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Herkunft und Lebensweg hat der Beschwerdeführer plausibel und konsistent beschrieben. Im Hinblick auf die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Security wird überdies auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen.

Dass er in Kabul eine Wohnung gekauft hat, nachdem er dort eine Arbeitsstelle als Security gefunden hatte, hat der Beschwerdeführer angegeben (AS 39).

Frau und Kinder hat der Beschwerdeführer stets gleichbleibend genannt und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.07.2020, dass der Kontakt zur Familie weiterhin aufrecht ist (OZ 15, S. 13). Zum Wohnort der Familie hat der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.03.2020 angegeben, diese habe keinen festen Wohnsitz in Kabul und verknüpft dies mit seinem Fluchtvorbringen (OZ 9, S. 6). Nachdem das Bundesverwaltungsgericht dieses als nicht glaubhaft erachtet – siehe hierzu unter 2.2. – ist auch kein Grund für die vom Beschwerdeführer behaupteten ständigen Umzüge ersichtlich und hat das Bundesverwaltungsgericht daher festgestellt, dass die Familie weiterhin in Kabul in der Wohnung des Beschwerdeführers lebt, so wie es dieser noch in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 24.10.2017 angegeben hat (AS 39).

Die Feststellungen zum Grundbesitz des Beschwerdeführers und zum Verkauf des Hauses in Jalalabad beruhen auf den detaillierten, gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers.

Dass seine Eltern verstorben sind, hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben.

Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise des Beschwerdeführers sind nicht hervorgekommen. Zu seinen Kursen hat der Beschwerdeführer Teilnahmebestätigungen vorgelegt und im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.07.2020 angegeben, er sei angetreten, habe die Prüfung jedoch nicht geschafft (OZ 15, S. 14). Zu seinem Sozialleben im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer ein Empfehlungsschreiben vorgelegt und wurde zudem von einer Vertrauensperson zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begleitet. Die Feststellung zur Grundversorgung beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer hat seinen beruflichen Werdegang als Security gleichbleibend angegeben und schilderte im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, insbesondere am 16.07.2020, Detailaspekte seiner beruflichen Tätigkeit lebendig und ohne zu zögern. Auch hat der Beschwerdeführer im Lauf des Verfahrens Schreiben seiner Arbeitgeber vorgelegt, die seine Tätigkeiten bestätigen. Auf deren Grundlage hat das Bundesverwaltungsgericht seine Feststellungen zu den Beschäftigungszeiträumen getroffen, die mit den Angaben des Beschwerdeführers im Wesentlichen übereinstimmen. Die belangte Behörde traf zwar keine Feststellungen zur vom Beschwerdeführer angegebenen Tätigkeit, zieht jedoch in ihrer Beweiswürdigung lediglich die hieraus resultierende Bedrohung in Zweifel (AS 314-317) und führt zudem – auch wenn sie Feststellungen hierzu nicht getroffen hat – in ihrer rechtlichen Beurteilung aus, der Beschwerdeführer verfüge über Berufserfahrung, die ihm im Fall einer Ansiedlung in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat beim Einstieg in das dortige Berufsleben von Nutzen sein werde (AS 324). Die Tätigkeit selbst legt die belangte Behörde demnach ihrer Entscheidung zugrunde.

Dass er bewaffnet war, hat der Beschwerdeführer selbst angegeben und scheint dies im Hinblick auf die Aufgabe des Beschwerdeführers plausibel. Allerdings hat er auf diesbezügliche Nachfrage hin verneint, die Waffe je gegen die Taliban eingesetzt zu haben (OZ 15, S. 4-5). Auch kurz später gab er nochmals an, sie seien den Taliban nicht begegnet (OZ 15, S. 6).

Im Hinblick auf das auf Grundlage der Tätigkeit des Beschwerdeführers aufgebaute Fluchtvorbringen teilt das Bundesverwaltungsgericht allerdings im Ergebnis die Einschätzung der belangten Behörde, dass dieses nicht glaubhaft ist. Zu diesem Schluss kommt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aufgrund der Einschätzung des in der mündlichen Verhandlung am 16.07.2020 bestellten länderkundlichen Experten Dr. XXXX in Zusammenschau mit den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten.

So führt Dr. XXXX in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.07.2020 aus, dass eine persönliche Feindschaft zwischen dem Beschwerdeführer und den Taliban auf Grundlage der Angaben des Beschwerdeführers ausgeschlossen sei, weil der Beschwerdeführer niemals an einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den Taliban beteiligt gewesen bzw. in Festnahmen involviert gewesen sei (OZ 15, S. 5). In Kabul würden die Taliban nur Personen aufspüren, wenn eine persönliche Feindschaft bestehe (OZ 15, S. 6). Dr. XXXX bestätigt weiter, dass Personen, die für den Staat oder ausländische Unternehmen gearbeitet hätten außerhalb der Großstädte in Distrikten, die die Taliban direkt oder indirekt kontrollieren bzw. zu denen sie Zugang haben, von den Taliban bestraft werden könnten, sowie, dass die Taliban gelegentlich die Hauptstraßen kontrollieren (OZ 15, S. 6-7). Außerdem würde Security-Personal zwangsläufig im Fall eines Angriffes auf die Firma oder das Restaurant zur Zielperson und auf der Stelle erschossen. Dies geschehe jedoch nicht aus Anlass eines Interesses der Taliban an der Beseitigung der konkreten Person, sondern, um etwa ins Gebäude zu gelangen und hierbei Widerstand zu überwinden (OZ 15, S. 8). Ebenso sei es bereits vorgekommen, dass die Taliban Handymastenreparateure und ihre Beschützer angreifen würden (OZ 15, S. 9).

Zwar führen weder EASO noch UNHCR ein exakt auf den Beschwerdeführer passendes Risikoprofil an. Allerdings berichten beide Quellen von Angriffen der Taliban auf Soldaten, Polizeikräfte und Personen, die auf sonstige Weise mit den nationalen oder internationalen Streitkräften, der Regierung oder der internationalen Gemeinschaft verbunden sind (etwa EASO Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 [in der Folge: EASO Country Guidance], Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.1. Members of the security forces and pro-government militias, S. 58-59 und Kapitel 2.3. Individuals working for foreign military troops or perceived as supporting them, S. 60-61; oder UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 [in der Folge: UNHCR-Richtlinien], Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitlel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, 44 ff.). Dass auch der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit als privater Sicherheitsmann von den Taliban grundsätzlich zu ihren Feinden gezielt wird und allenfalls Angriffen ausgesetzt sein könnte, wie sie von EASO und UNHCR beschrieben werden, ist damit der Rahmenhandlung nach plausibel und ist er im Hinblick auf seine Tätigkeit mit einem unmittelbaren Angehörigen der Sicherheitskräfte vergleichbar. Weiter spricht EASO – wie auch Dr. XXXX – Risiken an, die bereits der Tätigkeit selbst inhärent sind, sich jedoch nicht gegen die konkrete Person richten (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.1. Members of the security forces and pro-government militias, S. 58).

Für die konkrete Gefährdung ist EASO und UNHCR zufolge auf die individuellen Umstände abzustellen. So ist EASO zufolge hinsichtlich Angehöriger der Sicherheitskräfte und von regierungsfreundlichen Milizen im Hinblick auf Personen, die nicht zu den häufigen Angriffszielen gehören (das sind Offiziere des NDS, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und höherrangige Polizisten [„police chiefs“]) insbesondere auf Arbeitsort, Sichtbarkeit, Geschlecht, Herkunftsort, Präsenz Aufständischer, die Zeitspanne, seit der Betroffene die Streitkräfte verlassen hat und persönliche Feindschaften abzustellen (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.1. Members of the security forces and pro-government militias, S. 59). Ebenso geht UNHCR davon aus, dass für „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen“ abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles internationaler Schutzbedarf bestehen kann (UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitlel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe l) Zusammenfassung, S. 55). Der Beschwerdeführer hat allerdings in seinen Angaben keine Hinweise auf spezifische, ihn aus der Masse anderer Wachmänner, Polizisten, etc. in Kabul heraushebende Merkmale geliefert. Lediglich die Herkunft des Beschwerdeführers aus Nangahar, dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Generiert am 16.12.2020, Version 2 (in der Folge Länderinformationsblatt) zufolge eine Provinz mit starker Talibanpräsenz (Kapitel 5.22. Nangarhar) birgt einen Hinweis auf ein allenfalls erhöhtes Risiko.

Dem EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 zufolge können die Taliban Menschen in städtischen Gebieten aufspüren, es kommt zu gezielten Angriffen in städtischen Gebieten. Gezielte Tötungen gibt es dem Bericht zufolge insbesondere in größeren Städten. Den Ressourcen- und Planungsaufwand hierfür würden die Taliban jedoch lediglich für wenige Personen investieren, weswegen „niedrigstehende Personen“ und ihre Familienangehörigen in den Städten vermutlich nicht gezielt angegriffen würden. Als Ausnahme werden persönliche Feindschaften, Rivalitäten oder Streitigkeiten angeführt (Kapitel 1.4.3 Die Fähigkeit, Personen in den Großstädten aufzuspüren und anzugreifen, S. 69 ff.). Anhaltspunkte für das Bestehen einer derartigen Ausnahmesituation liefert der Beschwerdeführer jedoch nicht. Auch ergibt sich damit aus der vorgebrachten Entführung und Ermordung des Bruders in Nangarhar – wie bereits erwähnt ein Gebiet mit starker Talibanpräsenz – nicht, dass der Beschwerdeführer in Kabul gefährdet ist und bedroht wird.

Weiter wäre im Fall des Zutreffens des großen Interesses der Taliban am Beschwerdeführer zu erwarten, dass seine seit Jahren in Kabul verbliebenen Familienangehörigen – insbesondere sein ältester Sohn – im Rahmen der Sippenhaftung von den Taliban angegriffen würden (etwa UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel Buchstabe k) Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, S. 54), wie auch der vom Bundesverwaltungsgericht bestellte länderkundliche Experte im Zuge der mündlichen Verhandlung am 16.07.2020 anmerkte (OZ 15, S. 12). Erst auf diese Einschätzung hin gibt der Beschwerdeführer an, sein Sohn sei zwei Mal telefonisch bedroht worden und habe seine Mutter in der Folge die SIM-Karte vernichtet (OZ 15, S. 12). Hierzu ist zunächst anzumerken, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.03.2020 lediglich angegeben hatte, sein Sohn sei jetzt größer geworden und er mache sich viele Sorgen um ihn (OZ 9, S. 10). Anrufe erwähnt er nicht und führt sie insbesondere auch zu Beginn der Verhandlung am 16.07.2020 nicht an, als er aufgefordert wurde, wiederzugeben, von wem und unter welchen Umständen er bedroht worden sei (OZ 15, S. 4). Auch bleibt der sonstige Einbezug der Familie des Beschwerdeführers in das Fluchtvorbringen stets vage und oberflächlich. So gibt der Beschwerdeführer lediglich an, die Familie verlasse das „Dorf“ nicht, seine Frau gehe verschleiert hinaus und nehme stets eines der Kinder mit, die Familie habe keinen festen Wohnsitz (OZ 9, S. 6). Konkrete Gefahren sind damit bis zur plötzlichen Behauptung einer telefonischen Bedrohung des Sohnes, deren Schilderung ebenso oberflächlich bleibt, nicht ersichtlich. Weiter gibt der Beschwerdeführer selbst an, er sei erst drei bis dreieinhalb Monate nach der Ermordung des Bruders aus Kabul ausgereist und beschreibt diesen Zeitraum oberflächlich und floskelhaft damit, er habe „den Kontakt mit der Firma und allen Bekannten“ abgebrochen und er habe dann noch drei Drohbriefe erhalten, mit denen ein kleines Kind in die Firma gekommen sei (OZ 9, S. 8). Diese vagen Angaben stehen im Hinblick auf Detailreichtum und Lebendigkeit in auffallendem Kontrast etwa zu den konkreten und umfassenden Schilderungen des Beschwerdeführers von seiner Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung am 16.07.2020.

Weiter ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nach mehrmaligen telefonischen Bedrohungen und der Ermordung des Bruders, nachdem er seine Tätigkeit bereits aufgegeben hatte, noch drei Drohbriefe der Taliban erhalten haben soll, so wie er dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.03.2020 angegeben hat (OZ 9, S. 8). So geht aus dem ersten Drohbrief, datiert mit 11.02.1394 (01.05.2015) hervor, dass dem Beschwerdeführer weiterhin vorgeworfen werde, er sei Soldat der „ XXXX “, ebenso aus dem vermeintlich dritten Drohbrief, datiert mit 16.03.1394 (06.06.2015), in dem es heißt er arbeite „noch immer bei derselben Firma“ (Übersetzungen, OZ 25). Die vorgelegten Drohbriefe stimmen demnach inhaltlich nicht mit dem Fluchtvorbringen überein, sondern stellen eine bereits erfüllte Forderung.

Im Hinblick auf den Antrag, die Drohbriefe zum Beweis dafür, dass diese echt sind und von den Taliban stammen, durch die Abteilung für Kriminaltechnik überprüfen zu lassen (AS 397), wird angemerkt, dass es im Wesen der freien Beweiswürdigung liegt, dass weiter Beweisanträge nicht mehr berücksichtigt werden müssen, wenn die Behörde sich auf Grund der bisher vorliegenden Beweise ein klares Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen konnte (VwGH 22.04.2009, 2008/12/0063), wobei hiervon im Hinblick auf das Verbot vorgreifender Beweiswürdigung nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen Beweisanträge geradezu mutwillig erscheinen, auszugehen ist (VwGH 03.12.2020, Ra 2020/19/0090). Mit Blick auf die bereits aufgezeigte inhaltliche Divergenz der Drohbriefe zum Fluchtvorbringen, sowie unter Berücksichtigung der bereits dargelegten Unplausibilitäten vor dem Hintergrund der Länderberichte bedarf es gegenständlich keiner kriminaltechnischen Untersuchung der „Drohbriefe“. Diese ist insbesondere objektiv nicht tauglich, die Echtheit der „Drohbriefe“ zu belegen, nachdem es sich hierbei nicht um eine Urkunde handelt, die nach einheitlichen Modalitäten erstellt würde und spezifische Sicherheitsmerkmale aufweist.

Insgesamt erweisen sich die Angaben einer Bedrohung des Beschwerdeführers durch die Taliban in Kabul vor dem Hintergrund der Länderberichte, die im Übrigen im Einklang mit der Einschätzung des vom Bundesverwaltungsgericht bestellten länderkundlichen Experten stehen, als nicht plausibel.

Nachdem der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen konnte, dass er in der Vergangenheit bereits wegen seiner Tätigkeit bedroht wurde, ist eine solche Gefahr auch für den Fall der Rückkehr nach Kabul – mit Blick auf die oben zitierten Länderberichte – nicht zu erwarten.

Im Hinblick auf die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsdorf in Nangarhar Übergriffe durch die Taliban bis hin zu Ermordung drohen, ist anzumerken, dass sich die Situation außerhalb der Städte – wie bereits weiter oben angemerkt – anders darstellt. Auch Dr. XXXX geht im Hinblick auf Gebiete, die von den Taliban kontrolliert werden bzw. in denen sie Zugriff haben, davon aus, dass Personen, die wie der Beschwerdeführer als Wachleute gearbeitet haben, von den Taliban angegriffen und bestraft werden können. In Nangarhar ist die Präsenz der Taliban stark, wobei dem Länderinformationsblatt im Hinblick auf den Herkunftsdistrikt des Beschwerdeführers entnommen werden kann, dass im Distrikt (Kuzkunar) – der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz vertrieben werden konnte – die Regierungstruppen stärker vertreten sind, als die Taliban (Kapitel 5.22. Nangarhar, Abschnitt Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren), woraus sich ergibt, dass die Taliban zugreifen können. Damit ist im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Herkunftsdorf davon auszugehen, dass er von den Taliban angegriffen und allenfalls bestraft würde.

Die Feststellungen zur Situation von Rückkehrern aus westlichen Staaten beruhen auf der aktuellen Version EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.13 Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 80 – 82.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum internationalen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.1. Kabul.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Nangarhar beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.22. Nangahar und auf dem EASO COI Report: Afghansitan. Security situation von September 2020, Kapitel 2.23. Nangarhar, S. 227 ff.

Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 6. Rechtsschutz/Justizwesen, 8. Folter und unmenschliche Behandlung und 12. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Grundversorgung. Dort finden sich auch Informationen zum Finanzsektor.

Die Feststellungen zur COVID-Pandemie beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. COVID-19, die Feststellungen zur medizinischen Grundversorgung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 23 Medizinische Versorgung.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Gewährung von Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.1.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Tätigkeit des Beschwerdeführers als „Security“

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Im Hinblick auf die auf den Beschwerdeführer gegenständlich anwendbaren Risikoprofile von UNHCR und EASO (hierzu auch schon unter 2.2.) gehen beide Institutionen davon aus, dass eine allfällige Verfolgung an eine dem Betroffenen zumindest zugeschriebene politische Überzeugung anknüpft (UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe l) Zusammenfassung, S. 55; EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.1 Members of the security forces and pro-government militias, S. 59).

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes reicht für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung aus, dass eine solche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird (vgl. etwa VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt ist es nicht wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit als Security im Fall einer Rückkehr nach Kabul Übergriffen der Taliban ausgesetzt wäre. Im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsdorf in Nangarhar drohen dem Beschwerdeführer jedoch Übergriffe durch die Taliban bis hin zu Ermordung.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dem Konzept des internationalen Schutzes bedingt durch dessen subsidiären Charakter eine Unterscheidung zwischen Heimatregion und anderen Teilen des Herkunftslandes immanent, das insbesondere im Konzept der innerstaatlichen Fluchtalternative seinen Ausdruck findet (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221). Im Fall einer der Ausreise vorhergehenden Verlagerung des Lebensmittelpunktes ist zu berücksichtigen, ob diese Verlagerung freiwillig, oder als das erzwungene Ergebnis einer Flucht erfolgt ist. Es sind daher Überlegungen anzustellen, aus welchen Gründen der Betroffene seine ursprüngliche Heimatregion verlassen hat und ob er sich bereits in einem Zustand der internen Vertreibung befand (VwGH 26.01.2006, 2005/01/0057).

Gegenständlich hat der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz in Kabul nicht verfolgungsbedingt begründet, sondern, weil er dort Arbeit gefunden hatte und kehrte zunächst regelmäßig in sein Herkunftsdorf zurück. Demnach ist die Verlagerung des Lebensmittelpunktes des Beschwerdeführers nach Kabul freiwillig erfolgt und Kabul – allenfalls neben Nangarhar, wo dem Beschwerdeführer Übergriffe durch die Taliban drohen – als Herkunftsort des Beschwerdeführers anzusehen.

Mit Stellungnahme vom 22.02.2021 (OZ 29) wird zudem ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr seine Tätigkeit als Security wiederaufnehmen müsste. Securities seien bei einem Angriff der Taliban Zielpersonen, weswegen dem Beschwerdeführer hieraus Verfolgung drohe. Hierzu ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer damit keine individuell und konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung behauptet, sondern lediglich die entfernte Möglichkeit dartut, von Verfolgungshandlungen betroffen zu sein. Dies reicht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Glaubhaftmachung einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung nicht aus (VwGH 21.12.2020. Ra 2020/14/0445). Der Beschwerdeführer konnte hinsichtlich Kabul eine individuelle Verfolgungsgefahr von Seiten der Taliban allerdings nicht glaubhaft machen.

3.1.2.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen „Verwestlichung“

In der Beschwerde wird zudem zusammengefasst vorgebracht, dem Beschwerdeführer drohe als verwestlichter Rückkehrer Verfolgung. Zunächst ist anzumerken, dass dieses Vorbringen auf die Beschwerde beschränkt ist und in den Angaben des Beschwerdeführers keine Erwähnung findet.

EASO stellt für als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen je nach Lage des Einzelfalles einen Konnex zu den GFK-Fluchtgründen der Religion, der (unterstellten) politischen Gesinnung, sowie der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe her und verneint ebenso eine generelle Verfolgungsgefahr für alle Rückkehrer aus dem westlichen Ausland (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.13 Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 81-82).

Allfällige risikobegründende individuelle Umstände waren gegenständlich nicht ersichtlich und wurden auch nicht konkret dargelegt. Ein Zutreffen der pauschalen Behauptungen der Beschwerde ist den Feststellungen jedoch nicht zu entnehmen.

So konnte lediglich festgestellt werden, dass Männer, die aus westlichen Staaten zurückkehren, mit Argwohn, Stigmatisierung oder Ablehnung konfrontiert werden können, wodurch die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes definierte Intensitäts-Schwelle (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002) nicht erreicht wird. Im Hinblick auf Angriffe Aufständischer auf Afghanen, die sich mit „westlichen“ Werten identifizieren, ist anzumerken, dass sich Anhaltspunkte für eine Betroffenheit des Beschwerdeführers hiervon nicht ergeben haben.

Im Ergebnis war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Zwar widerspricht es nach der die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Statusrichtlinie, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Nachdem aber eine mit der Statusrichtlinie im Einklang stehende Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer Auslegung contra legem führen würde, hielt der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Um von einer solchen realen Gefahr ausgehen zu können, reicht es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (jüngst etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).

Im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage ist nach der ständigen, auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH bezugnehmenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die Voraussetzung des „real risk“ iSd Art. 3 EMRK nur in sehr extremen Fällen erfüllt. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen, aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt, als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243).

Im Hinblick auf den Herkunftsort Kabul-Stadt ist nach festgestellten Sachverhalt davon auszugehen, dass die Provinz unter Kontrolle der afghanischen Regierung steht, jedoch von High-Profile-Angriffen und Straßenkriminalität betroffen ist.

Der Einschätzung der EASO Country Guidance zufolge ist Kabul-Stadt von Gewalt betroffen, EASO geht jedoch im Hinblick auf die allgemeine Lage nicht von einem hohen Gewaltniveau aus, dass bereits ein extremer Fall im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen wäre (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 3.3 Article 15(c) QD, Abschnitt Kabul, S. 131). Im Hinblick auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers sind besondere Unterscheidungsmerkmale im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung nicht ersichtlich und wurden auch nicht konkret dargetan. Auch bedarf es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zuge der Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderlichen Beurteilung einer Auseinandersetzung mit der allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat (VwGH 27.04.2020, Ra 2019/19/0455). Im Hinblick auf die Menschenrechtslage in Afghanistan ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer kein Vorbringen erstattete, dass seine aktuelle, konkrete und individuelle Betroffenheit wahrscheinlich erscheinen ließe.

Nach österreichischer Rechtslage (Vgl. nochmals VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006) ist zudem zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr unabhängig von Akteuren oder dem bewaffneten Konflikt eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK droht.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der auf die Entscheidungen des EGMR Bezug nimmt, hat ein Fremder im Allgemeinen kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VfGH 06.03.2008, B 2400/07 mwN).

Auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Hinblick auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab des Art. 3 MRK anerkannt, dass es unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR Ausnahmefälle geben kann, in denen durch eine schwere Erkrankung bzw. einen fehlenden tatsächlichen Zugang zur erforderlichen Behandlung im Herkunftsstaat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Nachdem der Beschwerdeführer gesund ist, ist im Hinblick auf den individuellen Gesundheitszustand vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Verfügbarkeit medizinischer Grundversorgung eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie im Herkunftsstaat ist anzumerken, dass es konkrete Anhaltspunkte für zu eine erwartende Infektion des Beschwerdeführers mit einem in der Folge schweren Verlauf nicht gibt. Dies liegt zwar im Bereich des Möglichen, nach der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht die bloße Möglichkeit der Gefahr einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte jedoch nicht aus, es muss viel mehr eine darüberhinausgehende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sich eine solche Gefahr verwirklicht wird (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372). Eine derartige Wahrscheinlichkeit wir auch mit den allgemeinen Ausführungen in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 22.02.2021 (OZ 29) nicht konkret dargetan.

Nach der auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezugnehmenden ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307 mwN).

UNHCR und EASO stellen im Zusammenhang mit der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative – die auch die nach nationaler Rechtlage bereits im Zusammenhang mit dem „real risk“ zu prüfende Frage der Schaffung einer Lebensgrundlage umfasst – im Hinblick auf die persönlichen Umstände auf Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion ab (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, insbesondere S. 172 ff. und UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122).

EASO führt zudem konkrete Personenprofile samt Schlussfolgerungen an, wobei der Verwaltungsgerichtshof jüngst klargestellt hat, dass die Situation von Kindern, die selbst nicht Antragsteller damit Parteien des Verfahrens und auch nicht in Österreich aufhältig sind, außer Betracht zu bleiben hat. Nur die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz seien zu berücksichtigen (VwGH 23.09.2020, Ra 2019/14/0600). Demnach kommt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für den Beschwerdeführer – obgleich verheiratet und sechsfacher Familienvater – das Profil des „Single able-bodied men“ (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff., Unterabschnitt Conclusions on reasonableness: particular profiles encountered in practice, S. 174) in Betracht.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter, der zwar nicht über nennenswerte formale Bildung verfügt, jedoch mehrjährige Berufserfahrung in Kabul gesammelt hat. Weiter spricht der Beschwerdeführer mit Paschtu und Dari zwei im Herkunftsstaat verbreitete Sprachen, hat beinahe sein gesamtes Leben im Herkunftsstaat verbracht und mehrere Jahre in Kabul gewohnt und gearbeitet. Damit ist er mit den Gegebenheiten in Kabul und den afghanischen Gepflogenheiten im Allgemeinen vertraut. Zudem kann der Beschwerdeführer in den bestehenden Haushalt seiner Familie in eine Wohnung, die in seinem Eigentum steht, zurückkehren und bei der Arbeitssuche auf seine alten sozialen Netzwerke in Kabul zurückgreifen. Außerdem verfügt der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat noch über weiteren Grundbesitz und kann auch auf den Rest des seiner Frau überlassenen aus dem Hausverkauf lukrierten Barvermögens zurückgreifen.

Exzeptionelle Umständen im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307) sind damit insgesamt nicht ersichtlich. Insbesondere reicht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine schwierige Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, wie sie der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung pauschal vorbringt, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309). Zudem geht EASO im Hinblick auf das Profil des Beschwerdeführers („Single able-bodied men“) davon aus, dass selbst eine innerstaatliche Fluchtalternative im Allgemeinen zumutbar ist. Nachdem die Schwelle der Zumutbarkeit im Sinne des § 11 AsylG 2005 niedriger ist, als jene einer Verletzung von insbe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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