TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/27 W224 2199900-2

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Veröffentlicht am 27.05.2021
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Entscheidungsdatum

27.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch


W224 2199900-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Martina WEINHANDL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Iran, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2021, Zl. 1102827000-210153117, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Zum ersten Antrag auf internationalen Schutz:

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 20.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

2. In seiner Erstbefragung am 20.01.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei iranischer Staatsbürger, schiitischer Moslem und geschieden. Den Iran habe er vor einigen Wochen verlassen, und er wäre über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich gereist.

Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass er zum Christentum übertreten wolle. Weiters habe er Angst vor seiner Ex-Frau, diese habe ihn öfters mit einem Messer attackiert. Er wäre deswegen beim Gericht gewesen, man hätte ihm jedoch nicht geholfen.

3. Bei seiner Einvernahme am 09.04.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi, machte der Beschwerdeführer zuerst Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und seinen Integrationsbemühungen in Österreich. In der Folge machte er Angaben zu seinen Fluchtgründen, wobei er zusammengefasst aussagte, dass er schlechte Erfahrungen mit der Lebensweise der Menschen im Iran gemacht und deshalb den Islam abgelehnt hätte. Auch hätte er Eheprobleme gehabt, seine Frau hätte ihn mit einem Messer attackiert. Es wäre ihm vor Gericht vorgeworfen worden, keinen Unterhalt bezahlt zu haben, obwohl er dies getan hätte. Im Iran würden immer die Frauen Recht bekommen. Man hätte ihn verurteilt und er hätte ins Gefängnis müssen, allerdings wäre er rechtzeitig ausgereist. Er hätte sich auch im Iran bereits fürs Christentum interessiert, hier in Österreich wäre er nunmehr evangelischer Christ geworden. Im Iran würden entweder das Gefängnis oder die verpflichtende Zahlung des Unterhalts auf ihn warten.

4. Vom Beschwerdeführer wurden folgende Dokumente vorgelegt:

?        Iranische Militärkarte im Original

?        Diverse Schreiben über Deutschkurse

?        Taufschein über die Taufe des BF am 01.05.2016

?        Empfehlungsschreiben eines Pfarrers vom 06.04.2018

?        Referenzschreiben der Quartiergeberin

?        Arbeitsbescheinigung aus dem Iran

?        Gedenkschreiben bezüglich zweier auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland ertrunkene Freunde

?        Scheidungsurkunde in Kopie

?        Mitteilung der Eheschließungskanzlei an das Familiengericht in Kopie

5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 13.06.2018 den Antrag des Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien. Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der Beschwerdeführer bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse – im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen – glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation im Iran wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei. Seine Fluchtgeschichte habe der Beschwerdeführer angesichts seiner vagen und widersprüchlichen Ausführungen nicht glaubhaft machen können. Ferner hätte eine Änderung seiner inneren Überzeugung, sodass man von einer echten Konversion zum Christentum sprechen könnte, nicht festgestellt werden können. Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage im Iran nicht drohe.

6. Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

7. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer mit Schreiben seiner gewillkürten Vertretung vom 27.06.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein. In der Beschwerdebegründung wurde erneut auf das Interesse des Beschwerdeführers am christlichen Glauben und seine Konversion verwiesen.

8. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 04.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.05.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi durch, zu der der Beschwerdeführer im Beisein einer gewillkürten Vertreterin persönlich erschien.

9. Am 25.02.2020 legte der Beschwerdeführer weitere Scheidungsunterlagen vor, welche durch das Bundesverwaltungsgericht einer Übersetzung ins Deutsche zugeführt wurden.

10. Das Bundesverwaltungsgericht wies diese Beschwerde mit Erkenntnis vom 28.02.2020, W241 2199900-1/13E, als unbegründet ab. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 03.03.2020 zugestellt.

Zum (verfahrensgegenständlichen) zweiten Antrag auf internationalen Schutz:

11. Am 03.02.2021 stellte der Beschwerdeführer den zweiten – den gegenständlichen – Antrag auf internationalen Schutz und gab dazu in der Erstbefragung an, er habe den Iran verlassen, da er seit dem Jahr 2016 den Glauben abgelegt habe und dem Christentum beigetreten sei. Er könne daher nicht mehr zurück. Im Iran gebe es ein Gesetz, welches besage, dass man gehängt werde, wenn man sich zu einem anderen Glauben bekennt und sich vom Islam abwendet.

12. Am 23.02.2021 wurde der Beschwerdeführer bezüglich seines Antrags auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, seine Exfrau habe ihn angezeigt, weil er seine Religion gewechselt habe und seine ganze Familie musste vor Gericht aussagen. Seine Familie habe ihn deswegen ausgeschlossen und aktuell habe er keinen Kontakt zu seiner Familie. Er habe bei den letzten Befragungen auch gesagt, dass seine Exfrau eine irre Person sei, sie habe ihn auch bedroht. Nachgefragt, aus welchem Grund er einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stelle, führte der Beschwerdeführer aus: „Ich bin zum Christentum konvertiert, seit 5 Jahren bin ich mit diesem Thema beschäftigt und ich habe das auch damals gesagt, ich bleibe dabei und meine das ernst. Vielleicht war es früher nicht so dramatisch, jetzt ist es aber dramatisch, weil ich inzwischen vieles auf Instagram gepostet habe und in den sozialen Medien habe ich meine Konversion bekannt gemacht. Der geistliche Führer des Landes hat offiziell verkündet, dass die Leute wie ich zwar in den Iran zurückkehren dürfen, aber sie werden jahrelang in Haft bleiben oder hingerichtet werden.“ Auf die Frage, ob sich bezüglich der Asylgründe, die der Beschwerdeführer im ersten Verfahren angegeben habe, etwas geändert hätte, gab der Beschwerdeführer an: „Ich habe bei den letzten Verfahren einige familiäre Gründe genannt, mir wurde mitgeteilt, dass es sich um private Probleme handelt, die nicht sehr relevant sind, aber die Konversion ist nach wie vor aufrecht. […] Ich stelle einen neuen Antrag nur, weil ich zum Christentum konvertiert bin, inzwischen ist einige Zeit vergangen und ich habe meine neue Religion verinnerlicht.“ Er könne auf keinen Fall in den Iran zurückkehren, weil er dort festgenommen und verfolgt werde, er sei ein gläubiger Christ und nicht nur das, er missioniere auch. Er habe auf Facebook und Instagram viele christliche Inhalte gepostet und versuche, die Leute zu überzeugen, Christen zu werden. Nachgefragt gab er an, dass die familiären Probleme nach wie vor aufrecht seien, wenn er wieder im Iran sei, müsse er für ein Jahr ins Gefängnis und die offenen Schulden begleichen. Ich habe einen Sohn, der mittlerweile 17 Jahre alt sei, und er habe ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Aktuell missioniere er seinen Sohn sehr intensiv und das sei ein „sehr heikles Thema“. Das BFA fragte bezüglich der vom Beschwerdeführer nunmehr vorgelegten Unterlagen nach und wollte wissen, wann der Beschwerdeführer die Unterlagen bekommen habe. Der Beschwerdeführer führte aus: „Während des ersten Asylverfahrens. Ihr Kollege beim BFA hat zu mir gesagt, dass ich nur ein einziges Dokument vorlegen sollte und wenn er dann überzeugt ist, dass ich im Iran mit einem Jahr Haft rechnen muss, wird er mir Asyl gewähren. Dann habe ich die Unterlagen besorgt und vorgelegt.“ Auf die Frage des BFA, was er im letzten Jahr gemacht habe und wie sich sein Leben entwickelt habe, führte der Beschwerdeführer aus: „Ich war sündig, inzwischen wurden meine Sünden verziehen, Jesus will, dass wir uns verbessern, das habe ich gemacht. Seit fünf Jahren ist mein Leben die Kirche, ich lebe ich der Kirche. Ich habe einer Kirche gedient, ich habe das Gebäude geputzt, gewaschen, saubergemacht und habe dafür nichts verlangt. Ich habe das für Jesus gemacht.“ Nachgefragt nach einschneidenden Erlebnissen im letzten Jahr gab der Beschwerdeführer Folgendes an: „Ich habe meine Persönlichkeit weiterentwickelt. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich ein verlorener Mensch bin, inzwischen habe ich mich wiedergefunden.“ Nachgefragt seit wann und wie der Beschwerdeführer missioniere, führte er aus: „Seit ich Christ geworden bin, missioniere ich. Aktuell versuche ich Familienmitglieder, Verwandte und Freunde zu missionieren. Unter anderem auch durch Instagram. Ich habe inzwischen entdeckt, dass es nicht reicht, wenn man sagt, du musst Christ werden. Man muss einen Plan entwickeln. Ich bin seit ca. einem Jahr damit beschäftigt einen Plan für die Missionierung zu entwickeln. Ich arbeite immer noch daran, ich will in Zukunft meine Werke präsentieren. […] Es geht um persisches Handwerk […].“ Nachgefragt, in welchem Zusammenhang das mit der Missionierung stehe, gab der Beschwerdeführer an: „Ich finde, dass ein direktes Gespräch nicht viel bringt, wenn ich eine Aufstellung oder eine Präsentation für meine Werke habe, dann sammeln sich die Leute, vielleicht in einer Kirche. Sie bekommen diese Werke und werden so auf die christlichen Werke aufmerksam. Das ist eine indirekte Missionierung.“ Auf Nachfrage, inwieweit er versuche, seine Verwandten und seinen Sohn zu missionieren, gab der Beschwerdeführer an: „Was ich in den letzten Jahren als Christ gelernt habe, und vor allem, dass ich hier die Liebe entdeckt habe. Das versuche ich den Leuten mitzuteilen.“

13. Am 30.03.2021 wurde der Beschwerdeführer neuerlich bezüglich seines Antrags auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er hinsichtlich seines Fluchtgrundes und seines Gesundheitszustandes an: „Psychisch geht es mir noch schlechter. Mit den anderen Flüchtlingen in meinem Zimmer hatte ich Probleme. Ich bekam ein neues Zimmer, habe aber wieder Probleme mit dem Araber, da er sich nicht waschen will.“ Das BFA teilte dem Beschwerdeführer mit, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Dazu führte der Beschwerdeführer aus: „Was kann ich dazu sagen, es ist eine beschlossene Sache.“

14. Mit dem Bescheid vom 04.05.2021, Zl. 1102827000-210153117, wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 03.02.2021 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für eine freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das BFA aus, dass das erste Asylverfahren des Beschwerdeführers am 04.03.2020 rechtskräftig abgeschlossen worden sei. Es sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer nicht nach reiflicher Überlegung und aus innerer Glaubensüberzeugung zum Christentum konvertiert sei. Außerdem seien in der Beweiswürdigung bereits seine Probleme aufgrund seiner Scheidung thematisiert und abgehandelt worden. Im gegenständlichen Verfahren habe er nun neuerlich vorgebracht, dass er aufgrund seiner Konversion im Iran Probleme bekommen würde. Im Zuge des gegenständlichen Folgeantrages habe sich aus der Sicht des BFA daher kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben. Er verfüge in Österreich oder Europa über keine Verwandten oder Angehörigen. Seit der rechtskräftigen Entscheidung über den Erstantrag hätten sich keine entscheidungswesentlichen Änderungen diesbezüglich ergeben. Er habe sich während seines Aufenthalts in Österreich in Grundversorgung befunden und sei strafrechtlich unbescholten. Auch die allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers habe sich seit Rechtskraft seines ersten Asylverfahrens nicht entscheidungswesentlich geändert. Soweit der Beschwerdeführer einen Ambulanzbericht vom 28.01.2021 vorlegte, führte das BFA dazu aus, dass sich darauf keine Hinweise auf eine schwere, lebensbedrohende Erkrankung ergeben hätten. Der Beschwerdeführer habe zwar angegeben, dass es ihm psychisch schlechter gehen würde, aber gleichzeitig habe er aber angegeben, dass er in der Wäscherei tätig sei. Aus diese Angaben ließen keine Hinweise auf eine schwere, lebensbedrohende Erkrankung erkennen. Zu den Gründen für den Folgeantrag führte das BFA aus, dass sowohl die angebliche Konversion als auch die privaten Probleme des Beschwerdeführers bereits in seinem ersten Asylverfahren vorgebracht worden seien. Soweit er nunmehr vorbrachte, dass er seinen Glauben nunmehr verinnerlicht hätte, habe er dies nicht glaubhaft machen können. Vielmehr beschränkte er sich auf allgemeine Aussagen und konnte keinesfalls darlegen, worin die Sachverhaltsänderung nunmehr bestehen würde. Dazu, dass der Beschwerdeführer nunmehr vorbrachte, dass er seinen Sohn missionieren wolle, hielt das BFA fest, dass er auf Nachfrage angab, dass er, seit er angekommen wäre, missionieren würde. Das BFA konnte daher auch darin keinen neuen Sachverhalt erkennen, der zu einer neuen inhaltlichen Prüfung berechtigen würde.

Der Bescheid wurde vom Beschwerdeführer am 17.05.2021 übernommen.

15. Mit Verfahrensanordnung vom 04.05.2021 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die BBU GmbH als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde der Beschwerdeführer über eine freiwillige Ausreise informiert.

16. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 20.05.2021 fristgerecht erhobene Beschwerde, wobei der Beschwerdeführer den MigrantInnenverein St. Marx mit seiner Vertretung bevollmächtigte. In der Beschwerdebegründung wurde unter anderem ausgeführt, dass das BFA den Antrag auf internationalen Schutz fälschlicherweise wegen entschiedener Sache zurückgewiesen habe. Das BFA habe keinerlei Recherchen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers angestellt. Der Beschwerdeführer habe seinen Glauben nunmehr vertieft und sein Glaube sei im Iran bekannt geworden. Das BFA habe die diesbezüglichen Beweismittel nicht gewürdigt. Der Beschwerdeführer würde auffallen, weil er keine Gebete verrichten und nicht in die Moschee gehen würde. Es wäre für ihn lebensgefährlich im Iran, weil er sich nicht an die Scharia halten würde. Eine Abschiebung würde Art. 2 und 3 EMRK widersprechen. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens führte die Beschwerde aus, der Beschwerdeführer sei sehr gut in Österreich eingelebt, er spreche sehr gut Deutsch, er sei selbsterhaltungsfähig und habe umfangreiche soziale und familiäre Kontakte. Eine Rückkehrentscheidung würde ebenfalls Art. 2 und 3 sowie Art. 8 EMRK widersprechen. Für die Erlassung eines Einreiseverbots bestehe kein dringender Anlass.

17. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2021 vom BFA vorgelegt und der Gerichtsabteilung W224 zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakten sowie in die Vorverfahren, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1.    Zum sozialen Hintergrund des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Iran. Der Beschwerdeführer spricht Farsi und ein wenig Deutsch.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter. Er ist arbeitsfähig, gesund und nicht immungeschwächt.

Der Beschwerdeführer gehört keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an.

Er ist geschieden und hat einen Sohn. Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Er hat zwei Schwestern und fünf Brüder, welche in Shiraz bzw. Sedan leben. Es besteht zum Teil Kontakt zu den Angehörigen, zB zu seinem Sohn. Der Beschwerdeführer hat acht Jahre die Schule besucht und die Volks- und Mittelschule abgeschlossen. Er hat den Beruf des Autospenglers erlernt. Der Beschwerdeführer konnte sich durch seine Tätigkeit als Autospengler seinen Lebensunterhalt finanzieren.

1.2.    Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Er ist kein Mitglied von Vereinen und politischen Parteien und war bisher auch sonst politisch nicht aktiv. Der Beschwerdeführer hält sich seit Oktober 2016 in Österreich auf, derzeit ist er in der XXXX , aufhältig.

Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Österreich und lebt auch in keiner Lebensgemeinschaft.

Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach, lebt in der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich zeitweilig wegen psychischer Probleme in ambulanter ärztlicher Behandlung.

1.3.    Zum bisherigen (ersten) Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich:

Mit Bescheid vom 13.06.2018 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesverwaltungsgericht wies diese Beschwerde mit Erkenntnis vom 28.02.2020, W241 2199900-1/13E, als unbegründet ab. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 03.03.2020 zugestellt.

1.4.    Zum Fluchtgrund und zur Rückkehr:

Der Beschwerdeführer hat generell keine neuen Gründe und in diesem Zusammenhang daher auch keine neuen Gründe, denen ein „glaubwürdiger Kern“ innewohnen würde, vorgebracht. Er hat im gegenständlich Verfahren im Vergleich zu seinem ersten Verfahren keinen wesentlich geänderten Sachverhalt glaubhaft gemacht. Das Kernvorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen im gegenständlichen (ersten) Folgeantrag enthält sohin keine neuen Fluchtgründe im Vergleich zu den Fluchtgründen des Erstverfahrens.

Es ergab sich zwischenzeitig weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat noch in sonstigen, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen.

Insgesamt liegt eine maßgebliche Änderung hinsichtlich der asyl- und abschieberelevanten Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz (Vergleichsentscheidung) des Beschwerdeführers ebenso wenig vor, wie zur Frage des Vorliegens einer maßgeblichen Bedrohung des Beschwerdeführers im Iran. Die anzuwendenden Rechtsvorschriften haben sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des vorhergehenden Asylverfahrens (Vergleichsentscheidung) nicht geändert.

Die allgemeine Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers hat sich in Bezug auf die bereits im vorangegangenen Asylverfahren behandelten Aspekte nicht geändert.

Der Beschwerdeführer hat im Falle seiner Rückkehr in den Iran weder von staatlicher noch von privater Seite Drohungen oder Gewalthandlungen zu erwarten. Er würde auch nicht in eine seine Existenz bedrohende Notlage geraten.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Mit Stand 27.05.2021 scheinen im Iran insgesamt 2.865.264 Fälle und 79.219 Todesfälle auf, wobei am 27.05.2021 nicht ersichtlich war, wie viele Personen bereits genesen sind. Es wurden 3.141.577 Impfdosen verabreicht, wobei 403.073 Personen vollimmunisiert sind. Die Feststellungen zu den derzeitigen Informationen betreffend COVID-19 sind amtsbekannt und der weltweiten Gesamtberichterstattung zu entnehmen. Die Feststellungen hinsichtlich der Anzahl der erkrankten und verstorbenen Personen Iran stammen von der John Hopkins University & Medicine (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 27.05.2021). Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört mit Blick auf sein junges Alter und das Fehlen einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde. Beim derzeitigen Stand der Wissenschaft geht man von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html, abgerufen am 27.05.2021).

1.5.    Zur maßgeblichen Situation im Iran:

In diesem Zusammenhang wird betreffend die maßgebliche Situation im Iran festgestellt (vgl. bereits die Länderfeststellungen im Bescheid des BFA; letzte Änderung 28.01.2021):

COVID-19 (Letzte Änderung: 28.01.2021)

Iran gilt als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder (DW 18.11.2020) und ist nun auch von einer dritten COVID-19-Infektionswelle stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind dabei kaum auszumachen, da das Ansteckungsrisiko flächendeckend sehr hoch ist. Städte und Provinzen sind je nach Infektionszahlen in unterschiedliche Risikogruppen eingeteilt (rot = kritische Situation, orange = hohes Risiko, gelb = geringes Risiko) (AA 1.12.2020). Die Zahl der Neuinfektionen bewegt sich den offiziellen Zahlen zufolge weiterhin auf einem hohen, und weiter steigenden Niveau, die Zahl der täglichen Todesopfer ist auch im Steigen begriffen (WKO 28.11.2020). Aktuelle Informationen und detaillierte Zahlen bieten das iranische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation WHO (AA 1.12.2020). Die Auslastung der medizinischen Einrichtungen ist sehr hoch, verschiedentlich gibt es Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Medikamenten (WKO 28.11.2020). Die Spitäler kämpfen mit Überlastung (WKO 28.11.2020; vgl. ZDF.de 18.10.2020). Für alle der 31 Provinzen inklusive Teheran gilt die Situation als sehr besorgniserregend (WKO 28.11.2020).

Personen, die in den Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf bei der Einreise nicht älter als 96 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, wird ausländischen Staatsangehörigen die Einreise nach Iran verwehrt. Iranische Staatsangehörige (Doppelstaatsbürger reisen in der Regel mit ihrem iranischen Reisepass ein) werden unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums in ein Flughafenhotel eingewiesen, dessen Kosten selbst zu tragen sind. Mit eigenhändiger Unterschrift ist zu bestätigen, dass das Hotel nicht verlassen werden darf. Die 14-tägige Quarantäne kann durch einen negativen molekularbiologischen Test beendet werden (BMeiA 1.12.2020; vgl. AA 1.12.2020). Positiv auf COVID-19 getestete Passagiere werden in ein Krankenhaus in Teheran oder andere Isolationsstationen verbracht (AA 1.12.2020).

Seit 21. November 2020 gilt für alle Provinzhauptstädte und zahlreiche weitere Städte ein zunächst zweiwöchiger Lockdown mit weitreichenden Verkehrseinschränkungen (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020), obwohl sich die iranische Regierung - aus Angst vor Protesten - lang gegen einen Lockdown gewehrt hat (DW 18.11.2020). Der Reiseverkehr zwischen diesen rot eingestuften Städten ist grundsätzlich untersagt. In Teheran gilt von 21 Uhr bis 4 Uhr ein Fahrverbot für Privatfahrzeuge (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020). Ab 22 Uhr gilt dies auch für den öffentlichen Nahverkehr. Taxis verkehren auch nach 22 Uhr (AA 1.12.2020). Es kommt – abgesehen vom Lebensmittelhandel und systemrelevanten Einrichtungen – ebenfalls zu landesweiten Betriebsschließungen (BMeiA 1.12.2020). Im Alltag ist derzeit vor allem in orangen und roten Regionen wieder mit Einschränkungen bei Öffnungszeiten und Serviceangebot zu rechnen. Vorübergehend werden weitergehende Beschränkungen eingeführt (z.B. Schließungen von Restaurants, Sporteinrichtungen, religiösen Einrichtungen usw.). Einrichtungen für den essentiellen Lebensbedarf wie Supermärkte und Apotheken bleiben geöffnet. Davon sind u.a. Teheran sowie der Großteil der Provinzhauptstädte und weitere Großstädte betroffen. In roten Regionen bleiben Touristenziele teilweise geschlossen. Camping in öffentlichen Parks ist grundsätzlich untersagt (AA 1.12.2020). Behörden bleiben geöffnet, werden aber nur mit einem Drittel der üblichen Mitarbeiter besetzt (DW 18.11.2020). In allen Schulen und Universitäten wird auf Fernunterricht umgestellt (WKO 28.11.2020; vgl. DW 18.11.2020).

Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen und öffentliche Transportmittel zu meiden. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr (AA 1.12.2020; vgl. WKO 28.11.2020). Künftig soll die Polizei stärker gegen Verstöße vorgehen, Strafen für Verstöße gegen die Auflagen wurden angekündigt (AA 1.12.2020).

Die Regierung hat ein Hilfspaket für Haushalte und Arbeitgeberbetriebe in der Höhe von 24 Mrd. USD beschlossen. 4 Mio. Haushalte sollen einen zinsfreien Mikrokredit von umgerechnet 62 bzw. 124 USD erhalten (WKO 28.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.12.2020, unverändert gültig seit 18.11.2020): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396, Zugriff 1.12.2020

?        BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (1.12.2020, unverändert gültig seit 20.11.2020): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/, Zugriff 1.12.2020

?        DW – Deutsche Welle (18.11.2020): Irans Regierung gibt Widerstand gegen Corona-Lockdown auf, https://www.dw.com/de/irans-regierung-gibt-widerstand-gegen-corona-lockdown-auf/a-55651492, Zugriff 1.12.2020

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (28.11.2020): Coronavirus: Situation im Iran, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/iran-bulletin-aussenwirtschaftscenter-zum-coronavirus--.html, Zugriff 1.12.2020

?        ZDF.de (18.10.2020): Wie die zweite Welle den Iran trifft, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-iran-zweite-welle-100.html, Zugriff 1.12.2020

1. Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 9.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Revolutionsführer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2020; vgl. FH 4.3.2020). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt (ÖB Teheran 10.2020). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 9.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2020). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 9.2020a). Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020). Nach dem die Erwartungen des Volks vom moderat-reformorientierten Parlament nicht erfüllt wurden und die Wirtschaftslage und die finanzielle Situation des Volks nach den US-Sanktionen immer schlechter wurde, kamen nach den Parlamentswahlen 2020 hauptsächlich die konservativen und erzkonservativen Kräfte ins Parlament. Die Mehrheit der Abgeordneten der neuen Legislaturperiode verfolgt sowohl gegenüber der Regierung von Rohani als auch gegenüber westlichen Werten eine sehr kritische Linie (ÖB Teheran 10.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. GIZ 9.2020a, FH 4.3.2020, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 9.2020a). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 9.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 9.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 9.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 9.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Folglich können iranische Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten auswählen (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

2. Sicherheitslage

Der Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 2.12.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Diese haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 2.12.2020; vgl. AA 2.12.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 2.12.2020b).

In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 2.12.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 2.12.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 2.12.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 2.12.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 2.12.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2020).

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2020). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (USDOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ [divine knowledge] für schuldig befinden (USDOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erde";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Die Amputation z.B. eines Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen (Qisas), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann (ÖB Teheran 10.2020). Bei derartigen Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes (Diya) auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020). Durch Erhalt einer Kompensationszahlung (Diya) kann also der ursprünglich Verletzte auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen Diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2020). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

4. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (USDOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2020).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 26.2.2020). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij Milizen unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020).

Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Letztere nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Präsident Hassan Rohani versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (USDOS 11.3.2020). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2020).

5. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

NGOs gegenüber agiert der iranisc

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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