Entscheidungsdatum
14.06.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W255 1437661-4/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2020, Zl. 821733608-180867238, mit dem der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 13.10.2021, wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.08.2020, 821733608-180867238, abgewiesen wurde, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.06.2021, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 27.12.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom 21.08.2013, Zl. 12 17.336-BAT, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 21.08.2014 erteilt. Die Beschwerde des BF gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA wurde (rechtskräftig) mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.10.2014, GZ W116 1437661-1/4E, als unbegründet abgewiesen.
1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 18.08.2014, Zl. 13-821733608/1589193/BMI-BFA_NOE_RD, wurde dem BF auf Grund seines Verlängerungsantrages vom 23.07.2014 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 21.08.2016 erteilt (verlängert).
1.4. Mit Bescheid des BFA vom 16.08.2016, Zl. 821733608/1589193, wurde dem BF auf Grund seines Verlängerungsantrages vom 18.07.2016 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 21.08.2018 erteilt (verlängert).
1.5. Mit Bescheid des BFA vom 14.09.2018, Zl. 821733608/180867238, wurde der dem BF mit Bescheid vom 21.08.2013 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und der Antrag des BF vom 09.07.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).
1.6. Gegen den unter Punkt 1.5. genannten Bescheid des BFA erhob der BF fristgerecht Beschwerde.
1.7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.05.2019, GZ W255 1437661-2/6E, wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides des BFA vom 14.09.2018, Zl. 821733608/180867238, gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter aufgrund des Antrages des BF vom 09.07.2018 um zwei weitere Jahre bis zum 21.08.2020 verlängert. Der Beschwerde gegen Spruchpunkte I., III., IV., V. und V. des angefochtenen Bescheides wurde stattgegeben und diese Spruchpunkte ersatzlos behoben. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig.
1.8. Gegen das unter Punkt 1.8. genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhob das BFA fristgerecht ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
1.9. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.10.2019, Ro 2019/18/0005, wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.05.2019, GZ W255 1437661-2/6E, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1.10. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.06.2020, GZ W255 1437661-2/16E, wurde der Bescheid des BFA vom 14.09.2018, Zl. 821733608/180867238, aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.
1.12. Der BF stellte am 02.07.2020 einen weiteren Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.
1.13. Der BF wurde am 21.08.2020 im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung der Aberkennung des subsidiären Schutzes vor dem BFA einvernommen.
1.14. Mit Bescheid des BFA vom 26.08.2020, Zl. 821733608-180867238, wurde der dem BF mit Bescheid vom 21.08.2013, Zl. 12 17.336-BAT, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten, gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Der Antrag des BF auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 02.07.2020 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für den BF wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Der Bescheid wurde dem BF am 28.08.2020 mit Abholfrist ab 29.08.2020 per Hinterlegung zugestellt.
1.15. Am 01.10.2020 sprach der BF persönlich beim BFA vor und legte die Verständigung der Post über die Hinterlegung des BFA-Bescheides vor. Dem BF wurde auf dessen Ersuchen (neuerlich) der Bescheid des BFA vom 26.08.2020, Zl. 821733608-180867238, ausgefolgt.
1.16. Mit Schreiben vom 13.10.2020 beantragte der BF die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete diesen damit, dass er am 30.09.2020 beim Aufräumen seiner Wohnung einen unleserlichen gelben Zettel gefunden habe, sich umgehend zur Post begeben habe und ihm dort mitgeteilt worden sei, dass das betreffende Schriftstück nicht mehr behoben werden könne, da es bereits dem BFA zurückgeschickt worden sei. Am nächsten Morgen, dem 01.10.2020, sei dem BF vom BFA der Bescheid vom 26.08.2020 persönlich ausgefolgt worden. Der BF habe umgehend mit der Rechtsberatung der XXXX Kontakt aufgenommen und bringe nunmehr den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein. Gemeinsam mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand übermittelte der BF dem BFA seine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 26.08.2020, Zl. 821733608-180867238, und beantragte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
1.17. Mit Bescheid des BFA vom 23.10.2020, Zl. 821733608-180867238, wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 13.10.2020 gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 71 Abs. 6 AVG wurde dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 13.10.2020 die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt II.).
1.18. Gegen den unter Punkt 1.17. genannten Bescheid des BF richtet sich die vom BF am 20.11.2020 fristgerecht erhobene Beschwerde.
1.19. Am 03.12.2020 wurde der Beschwerdeakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
1.20. Am 10.06.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seiner Rechtsvertreterin, einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie eines Vertreters des BFA durch. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass am 28.08.2020 fünf Personen in der vom BF bewohnten Wohnung gewohnt hätten und es einen Postkastenschlüssel gegeben habe. Es sei nicht darüber entschieden worden, wer wann den Postkastenschlüssel bei sich habe, das sei beliebig gewesen. Verschiedene Mitbewohner hätten den Postkastenschlüssel benutzt. Eine fixe Regelung, wer wann den Postkastenschlüssel benutzen durfte, habe es nicht gegeben. Am 28.08.2020 habe der Mitbewohner XXXX den Postkastenschlüssel gehabt und den Postkasten geöffnet. Er habe die Post geholt und den BF nicht informiert, dass Post für diesen gekommen sei. Der BF habe erst am 29. oder 30. September oder Oktober erfahren, dass am 28.08.2020 ein gelber Zettel (Hinterlegungsanzeige für den BF) im Postkasten des BF hinterlassen und von XXXX genommen worden sei. Der BF habe den gelben Zettel oben, auf einem Regal in der Küche, unter einem B1 Buch gefunden, als er geputzt habe. Dann habe er gesehen, dass auf dem gelben Zettel XXXX , nicht aber XXXX gestanden sei. Seine Zimmergenossen hätten ihm später gesagt, dass sie ihn deshalb nicht informiert hätten, weil sie den gelben Zettel nicht zuordnen hätten können und einfach dorthin gelegt hätten. Der BF sei dann zur Post und zum BFA gegangen, wo ihm der Bescheid vom 26.08.2020 ausgefolgt worden sei.
Der Zeuge XXXX , ein damaliger Mitbewohner des BF, gab im Wesentlichen an, dass am 28.08.2020 sechs bis sieben Personen in der Wohnung gelebt hätten, es einen Postkastenschlüssel gegeben habe und der Schlüssel eher bei jenen Mitbewohnern gewesen sei, die schon länger dort gelebt hätten. Die meiste Zeit habe der BF den Schlüssel bei sich gehabt. Wenn der Zeuge die Post geholt habe, habe er sie auf den Küchentisch oder ein Regal gelegt und die anderen informiert. Der Zeuge habe am 28.08.2020 einen gelben Zettel im Postkasten gefunden. Der BF habe zu diesem Zeitpunkt Post erwartet. Auf diesem Zettel sei XXXX , nicht aber XXXX gestanden. Bei der Post habe man dem Zeugen gesagt, dass er das Schriftstück nicht bekomme, da der gelbe Zettel nicht an ihn adressiert sei. Nachdem der Zeuge bei der Post gewesen sei, habe er den BF informiert, dass er den gelben Zettel nicht zuordnen könne und den BF gefragt, ob er Post erwarte. Der BF habe gesagt, er würde sich das anschauen. Der Zeuge habe den Zettel dann oben auf das Regal hingelegt.
Der Zeuge XXXX , ein damaliger Mitbewohner des BF, gab im Wesentlichen an, dass am 28.08.2020 fünf Personen in der Wohnung gelebt hätten und er selbst nie einen Postkastenschlüssel gehabt habe. Der BF sei Hauptmieter gewesen und alles wäre in seiner Hand gewesen. Es habe keine Regel gegeben, wie mit der Post für Mitbewohner umzugehen sei. Am 28.08.2020 habe XXXX oder eine andere Person den Postkasten geöffnet und die Poststücke in die Küche gebracht. Die Bewohner hätten nicht verstanden, wem das Poststück gehöre. Der Zeuge habe den Zettel gelesen, aber nicht lesen können. Auf dem Zettel sei nicht XXXX gestanden. Dann seien sie zur Post gegangen. Danach hätten sie den Zettel einfach oben in den Kasten gelegt. Der Zeuge wisse nicht, wann der BF von dem gelben Zettel erfahren habe, der für ihn bestimmt gewesen sei. Der Zeuge denke, das sei zwei oder drei Wochen später gewesen.
Der Zeuge XXXX , damaliger Mitbewohner des BF, gab im Wesentlichen an, dass am 28.08.2020 fünf Personen in der Wohnung gelebt hätten und er selbst nie einen Postkastenschlüssel gehabt habe. Er wisse auch nicht, wie viele Postkastenschlüssel es gegeben habe. Er denke, es habe zwei gegeben, die der BF und XXXX bei sich gehabt hätten. Der Zeuge habe manchmal seine Hand in den Postkasten gesteckt und mit dieser Post herausgeholt. Der Zeuge sei dabei gewesen, als XXXX mit einem gelben Zettel in die Post gegangen sei. Der Zeuge habe den Zettel nicht persönlich gelesen. Er wisse auch nichts über den weiteren Verlauf des Geschehens. Das sei für ihn nicht wichtig gewesen.
Der Zeuge XXXX , derzeitiger Mitbewohner des BF, gab im Wesentlichen an, dass er seit September 2020 in derselben Wohnung wie der BF lebe. Der Zeuge habe gesehen, dass es einen gelben Brief gegeben habe, bei dem der Namen nicht zu lesen gewesen sei. Er habe den BF nicht kontaktiert und wisse nicht, ob ein anderen Mitbewohner den BF wegen dem gelben Zettel kontaktiert habe. Der Zeuge sei in der Küche gewesen und habe den Zettel gesehen. Er wisse nicht, ob XXXX wegen diesem Zettel bei der Post gewesen sei. Er wisse auch nicht, ob es eine Regel gegeben habe, wer wann den Postkasten leere und wie mit Poststücken umzugehen sei.
2. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
2.1. Feststellungen
2.1.1. Mit Bescheid des BFA vom 26.08.2020, Zl. 821733608-180867238, wurde der dem BF mit Bescheid vom 21.08.2013, Zl. 12 17.336-BAT, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten, gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Der Antrag des BF auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 02.07.2020 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für den BF wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Der Bescheid wurde dem BF am 28.08.2020 mit Abholfrist ab 29.08.2020 per Hinterlegung zugestellt. Konkret wurde am 28.08.2020 eine Hinterlegungsanzeige („gelber Zettel“) im zugewiesenen Postkastenfach der vom BF bewohnten Wohnung in der XXXX eingelegt, nach dem BF nicht persönlich angetroffen wurde. Auf der Hinterlegungsanzeige war ersichtlich, dass der Bescheid ab 29.08.2020 für die Dauer von zwei Wochen beim zuständigen Postamt in XXXX hinterlegt wird und zur Abholung bereit liegt.
2.1.2. Am 28.08.2020 waren vier Personen, darunter der BF, mit Hauptwohnsitz in der XXXX gemeldet ( XXXX , XXXX , XXXX und XXXX ) und tatsächlich mindestens eine weitere Person ohne aufrechte Meldung dort wohnhaft.
2.1.3. Der BF ist seit XXXX Hauptmieter der Wohnung in der XXXX . Der BF besitzt seither vier Wohnungsschlüssel und einen Postkastenschlüssel für diese Wohnung. Weder der BF noch andere Mitbewohner haben je um einen weiteren Postkastenschlüssel ersucht.
2.1.4. Es wurde zum Stichtag 28.08.2020 und bis heute unter den Bewohnern der Wohnung in der XXXX keine Vereinbarung darüber getroffen bzw. geregelt, welcher Mitbewohner wann den (einzigen) Postkastenschlüssel benutzen bzw. bei sich haben darf. Es wurde unter den Bewohnern der Wohnung in der XXXX keine Vereinbarung darüber getroffen bzw. geregelt, wie konkret die Einholung von Poststücken aus dem Postkasten, deren Verteilung und Kontrolle zu erfolgen hat. Der BF hat seinen Mitbewohnern diesbezüglich keine Vorgaben gemacht. Der BF hat nicht regelmäßig kontrolliert, ob eintreffende Poststücke jeweils dem richtigen Adressaten zugeordnet ausgefolgt wurden. Der einzige Postkastenschlüssel wurde von verschiedenen Mitbewohnern benutzt. Es gab keinen fixen Aufbewahrungsort für den Postkastenschlüssel. Die Poststücke wurden von den Mitbewohnern manchmal direkt an andere Mitbewohner übergeben, manchmal auf dem Küchentisch hinterlassen, manchmal auf einem Regal eines Kastens in der Küche.
2.1.5. Am 28.08.2020 öffnete XXXX , ein Mitbewohner des BF, das Postkastenfach und fand darin eine für den BF bestimmte Hinterlegungsanzeige. Diese bezog sich auf den dem BF
vom BFA zugestellten Bescheid vom 26.08.2020. XXXX nahm die Hinterlegungsanzeige mit in die Wohnung und suchte an einem der Folgetage gemeinsam mit weiteren Mitbewohnern – darunter nicht dem BF – das zuständige Postamt auf. XXXX wurde die Ausfolgung des Poststückes seitens der Post verweigert, da das Poststück nicht an ihn adressiert war. XXXX informierte am selben Tag nach dieser Auskunft der Post den BF telefonisch darüber, dass eine Hinterlegungsanzeige im Postkastenfach der gemeinsam bewohnten Wohnung eingetroffen ist, auf dieser der Namen XXXX steht, aus Sicht des XXXX nicht klar ist, an wen das Poststück adressiert ist und ihm das Poststück von der Post nicht ausgefolgt wurde. Danach wurde die Hinterlegungsanzeige von XXXX auf ein Regal eines Kastens in der Küche gestellt.
2.1.6. Der BF hat nach dem unter 2.1.5. genannten Anruf von XXXX bis 30.09.2020 keine Schritte dahingehend unternommen, um zu erfahren, für wen die Hinterlegungsanzeige bestimmt war. Er hat nach seiner Ankunft in der Wohnung weder die Hinterlegungsanzeige gesucht, noch seine Mitbewohner danach gefragt. Der BF war im Zeitraum zwischen 28.08.2020 und 30.09.2020 nicht ortsabwesend. Der BF hat die Hinterlegungsanzeige am 30.09.2020 in der Küche gesehen und gelesen.
2.1.7. Der BF hat am 30.09.2020 die Post unter Vorlage der Hinterlegungsanzeige vom 28.08.2020 aufgesucht, wo ihm mitgeteilt wurde, dass das Kuvert (samt Bescheid des BFA vom 26.08.2020) bereits an das BFA retourniert worden war. Am 01.10.2020 suchte der BF das BFA auf. Dort wurde ihm (neuerlich) der Bescheid des BFA vom 26.08.2020 ausgefolgt.
2.1.8. Am 13.10.2020 hat der BF den gegenständlich zu behandelnden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Dieser wurde mit Bescheid des BFA vom 23.10.2020, Zl. 821733608-180867238, gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde.
2.1.9. Der BF wurde am 21.08.2020 im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung der Aberkennung des subsidiären Schutzes vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Der BF hat zum Zeitpunkt der Zustellung der Hinterlegungsanzeige am 28.08.2020 einen Bescheid des BFA erwartet und damit gerechnet, Post vom BFA zu erhalten.
2.2. Beweiswürdigung:
2.2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden Verfahrensakt des BFA und jenem des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2.2. Die Feststellungen zum Bescheid des BFA vom 26.08.2020 (Punkt 2.1.1.) stützen sich auf den im Akt einliegenden Bescheid des BFA vom 26.08.2020.
Die Feststellungen zur Zustellung dieses Bescheides (Punkt 2.1.1.) stützen sich auf den von der Post ausgefüllten Rückschein, dem zu entnehmen ist, dass am 28.08.2020 ein Zustellversuch im Hinblick auf den Bescheid des BFA (das Poststück) stattgefunden hat und die Verständigung über die Hinterlegung in der Abgabeeinrichtung eingelegt wurde sowie, dass das Poststück ab 29.08.2020 abholbereit war und es sich beim BFA um den Absender des Poststückes gehandelt hat.
Sowohl der BF als auch alle in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht befragten Zeugen haben übereinstimmend angegeben, dass am 28.08.2020 eine Hinterlegungsanzeige im Postkastenfach des BF eingelegt wurde.
2.2.3. Die Feststellungen zu den Wohnsitzmeldungen (Punkt 2.1.2.) stützen sich auf die Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister. Die Feststellung, dass tatsächlich mindestens eine weitere Person (daher mindestens fünf Personen) dort wohnhaft waren, ergibt sich daraus, dass der BF und seine (damaligen) Mitbewohner in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht jeweils unterschiedliche Angaben über die konkrete Anzahl der Mitbewohner machten, übereinstimmend aber von mehr als vier Personen sprachen. Der BF gab an, dass insgesamt fünf Personen dort gewohnt hätten, der Zeuge XXXX sprach von sechs Personen, der Zeuge XXXX von fünf Personen und der Zeuge XXXX von fünf Personen.
2.2.4. Die Feststellungen, dass der BF Hauptmieter ist sowie dass es vier Wohnungsschlüssel, einen Postkastenschlüssel gibt und von Seiten der Mitbewohner nie um einen weiteren Postkastenschlüssel ersucht wurde (Punkt 2.1.3.), stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften und übereinstimmenden Angaben des BF sowie des Zeugen XXXX . Die Zeugen XXXX und XXXX gaben an, nicht zu wissen, wie viele Schlüssel es gegeben habe.
2.2.5. Zu den Feststellungen zur Entgegennahme der Poststücke, deren Verteilung und Kontrolle (Punkt 2.1.4.) ist beweiswürdigend wie folgt auszuführen:
Der BF und alle in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht befragten Zeugen gaben übereinstimmend an, dass es keine Regel gegeben habe, wer, wann den Postkastenschlüssel besitzen und bei sich haben durfte bzw. darf. Der BF beantwortete die Frage, ob es richtig sei, dass es keine derartige Regel gab, ausdrücklich mit „Ja“. Er sprach wörtlich davon, dass der Postkastenschlüssel „beliebig“ genommen werden konnte und es „gleichgültig“ sei, wem er den Postkastenschlüssel gebe. Es habe „keine fixen Entscheidungen“ gegeben, wer den Schlüssel wann habe.
Während der BF im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behauptee, dass es üblicherweise so gewesen sei, dass wichtige Schriftstücke direkt an die betreffenden Mitbewohner übergeben werden und alles andere in der Wohnung verbleibe, bis der BF diese am Ende eines jeden Monats nochmal durchsehe und dann endgültig Post entsorge, brachte er in der Beschwerde vom 20.11.2020 vor, dass er und seine Mitbewohner zusammensitzen würden, um die monatliche Abrechnung zu machen und bei dieser Gelegenheit Reklame und zugesendete Zeitschriften entsorgt werden würden. In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der BF an, dass derjenige, der die Post geholt habe, diese auf den Küchentisch gelegt habe und zusätzlich die Mitbewohner informierten habe, wem die Post gehöre. Nachgefragt, gab der BF an, dass die Post entweder am Küchentisch oder auf ein Regal ob in einen Kasten gelegt worden sei. Der BF habe täglich die Poststücke kontrolliert und sie zugeordnet. In seiner Beschwerde habe er nicht gemeint, dass er die Post jedes Monatsende durchsehe, sondern, dass er die Rechnungen sortiert habe. Befragt, was für ihn Monatsende bedeutet, erklärte der BF, dass es für ihn gleichgültig sei, ob am letzten Tag oder in den letzten Tagen im Monat. Warum der BF, so er tatsächlich jedes Monatsende die Post kontrolliert habe, die Hinterlegungsanzeige, die am 28.08.2020 ins Postkastenfach eingelegt wurde, erst am 30.09.2020, und nicht bereits am 28.08., 29.08., 30.08. oder 31.08.2020 gefunden habe, konnte er nicht nachvollziehbar beantworten, sondern erklärte dies damit, dass er mit einer Rechnung beschäftig gewesen sei.
Der Zeuge XXXX führte aus, dass er nichts Genaues dazu sagen könne, wer bestimmt habe, wer von den Bewohnern den Postkastenschlüssel wann bei sich habe. Die Mitbewohner hätten die Post geholt und einfach auf den Tisch in der Küche gelegt und weitergesagt, wer eine Post erhalten habe. Wie lange die Poststücke auf dem Tisch liegen geblieben seien, konnte er nicht beantworten. Manchmal seien die Poststücke auch auf ein Regal gelegt worden. Der Zeuge wisse nichts davon, dass der BF jedes Monatsende die Poststücke und/oder Rechnungen kontrolliert hätte.
Der Zeuge XXXX führte aus, dass er nicht wisse, wer bestimmt habe, wer von den Bewohnern den Postkastenschlüssel wann bei sich habe, er nehme an, der BF. Es habe keine Regel gegeben, wie mit der Post für die Mitbewohner umzugehen sei. Die Poststücke seien in die Wohnung hinaufgetragen worden.
Der Zeuge XXXX führte aus, dass er nicht genau wisse, wer bestimmt habe, wer von den Bewohnern den Postkastenschlüssel wann bei sich habe. Er selbst habe keinen Postkastenschlüssel gehabt, aber manchmal seine Hand in den Postkasten hineingestreckt und „einiges“ herausgeholt. Es sei nicht geplant gewesen, was genau mit der Post geschehen müsse.
2.2.6. Zu den Feststellungen rund um das Auffinden der Hinterlegungsanzeige durch XXXX , dessen Besuch des Postamtes, dessen Verständigung des BF und dem Hinterlassen der Hinterlegungsanzeige auf einem Regal eines Kastens in der Küche (Punkt 2.1.5.) ist beweiswürdigend wie folgt auszuführen:
Der Zeuge XXXX gab ausdrücklich an, die Hinterlegungsanzeige im Postkastenfach gefunden zu haben. Er sei gemeinsam mit weiteren Mitbewohnern zu einem Postamt gegangen, wo ihm mitgeteilt worden sei, dass das Schriftstück nicht für ihn bestimmt sei. Diese Aussagen decken sich diesbezüglich mit den Aussagen des Zeugen XXXX , der XXXX laut eigenen Angaben zur Post begleitet habe sowie des Zeugen XXXX , der XXXX laut eigenen Angaben ebenso zur Post begleitet habe, sowie des Zeugen XXXX , der am 28.08.2020 in der XXXX zu Besuch gewesen sei und den gelben Brief gesehen habe.
Die Feststellung, dass XXXX den BF am selben Tag des Postbesuches über die Hinterlegungsanzeige informiert hat (Punkt 2.1.5.) stützt sich auf die diesbezüglich klare Aussage des XXXX sowie den Umstand, dass dieser insofern auch Bemühungen dahingehend gezeigt hat, den richtigen Adressaten der Hinterlegungsanzeige zu finden, als er extra die Post aufgesucht und dort vorgesprochen hat. Er konnte auch nachvollziehbar begründen, warum er den BF angerufen hat, da er nämlich gewusst habe, dass der BF zu diesem Zeitpunkt Post erwartet hatte. Laut XXXX habe ihm der BF in dem Telefonat auch zugesagt, sich das anzuschauen.
Den gegenteiligen Angaben des BF ist deshalb nicht zu folgen, da sich der BF in Widersprüche verstrickt hat. So behauptete er in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 13.10.2020, dass der gelbe Zettel für die Mitbewohner unleserlich gewesen sei und sie fälschlicherweise davon ausgegangen wären, dass der Zettel an keinen aktuellen Mitbewohner der WG gerichtet gewesen wäre. Er erwähnte weder, dass XXXX mit dem gelben Zettel zur Post gegangen wäre, noch, dass ihn ein anderer Mitbewohner über den gelben Zettel informiert hätte. Der BF habe den gelben Zettel erst am 30.09.2020 unter einem Stoß Zeitschriften gefunden.
In seiner Beschwerde vom 20.11.2020 brachte er vor, dass ihm XXXX (erst) nach Einbringen des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (am 13.10.2020) mitgeteilt habe, dass er mit dem gelben Zettel bei der Post gewesen sei, der BF bis dahin aber keine Kenntnis davon gehabt hätte. In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der BF wiederum an, dass er den gelben Zettel unter einem B1-Buch oben auf dem Regal gefunden habe, als er geputzt habe. XXXX habe ihm an dem Tag, an dem er den gelben Zettel gefunden habe (30.09.2020), erzählt, dass er die Schrift am gelben Zettel nicht lesen habe können und bei der Post gewesen sei.
Abgesehen von den Widersprüchen des BF ist nicht nachvollziehbar, warum mehrere Mitbewohner am 28.08.2020 oder knapp darauf Kenntnis von der Hinterlegungsanzeige erlangt haben und teils die Hinterlegungsanzeige auch selbst gelesen und zur Post gegangen sein sollen, ausgerechnet der BF als Hauptmieter aber erst einen Monat später davon erfahren haben soll. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum keiner der Mitbewohner den BF über die Hinterlegungsanzeige informiert haben soll, obwohl auf der Hinterlegungsanzeige angeblich XXXX , wenngleich nicht XXXX , gestanden sein soll, wie von XXXX behauptet.
Die Feststellung, dass XXXX die Hinterlegungsanzeige sodann auf ein Regal eines Kastens in der Küche gestellt hat, deckt sich mit den Angaben des BF, der zufolge dieser die Hinterlegungsanzeige letztendlich unter einem B1-Buch auf einem Kasten in der Küche gefunden habe.
2.2.7. Die Feststellungen zum Verhalten des BF nach dem Anruf von XXXX (Punkt 2.1.6.) stützen sich zum Einen auf die Angabe des XXXX , laut denen er den BF telefonisch über die Hinterlegungsanzeige informiert habe und die Angabe des BF, die Hinterlegungsanzeige erst am 30.09.2020 gefunden zu haben. Sie stützen sich weiters darauf, dass der BF nicht übereinstimmend darlegen konnte, wann er welche Schritte unternommen hat, um die Post zu kontrollieren (siehe oben), warum er die Hinterlegungsanzeige letztendlich gefunden hat (weil am Monatsende Poststücke kontrolliert vs. weil die Wohnung geputzt) sowie darauf, dass er nicht nachvollziehbar erklären konnte, warum er die Hinterlegungsanzeige unter der Annahme, alle Poststücke jedes Monatsende kontrolliert zu haben, nicht bereits am 28.08., 29.08., 30.08. oder 31.08., sondern erst am 30.09.2020 gefunden habe. Der BF hat nie behauptet, im Zeitraum vom 28.08.2020 bis 30.09.2020 ortsabwesend gewesen zu sein. Er hat mehrfach angegeben, die Hinterlegungsanzeige am 30.09.2020 gefunden zu haben.
2.2.8. Die Feststellungen zum Verhalten des BF am 30.09.2020 (Besuch der Post) und am 01.10.2020 (Vorsprache beim BFA) (Punkt 2.1.7.) stützen sich auf das diesbezüglich übereinstimmende Vorbingen des BF sowie den damit übereinstimmenden Aktenvermerk des BFA vom 01.10.2020.
2.2.9. Die Feststellungen zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, den Bescheid des BFA und die dagegen erhobene Beschwerde (Punkt 2.1.8.) stützen sich auf diese genannten, im Akt befindlichen Dokumente.
2.2.10. Die Feststellung, dass der BF am 21.08.2020 vor dem BFA einvernommen wurde (Punkt 2.1.9.) stützt sich auf die im Akt befindliche Niederschrift der Einvernahme des BF sowie seiner damit korrespondierenden Angabe. Die Feststellung, dass er zum Zeitpunkt der Zustellung der Hinterlegungsanzeige einen Bescheid des BFA erwartet und damit gerechnet hat, Post zu bekommen, stützt sich auf den Umstand, dass der BF am 21.08.2020 vor dem BFA einvernommen worden war und die diesbezüglich glaubhaften – wiederholten – Angaben des Zeugen XXXX (Z1) in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht:
Z1: „[…] Ich wollte ihn [gemeint: der BF] nicht einmal anrufen, aber da ich wusste, dass er eine Post erwartet, und gesagt hat, dass er eine Woche später eine Post bekommen würde, habe ich das oberflächlich erwähnt […]“ (S. 18 des VH-Protokolls)
Z1: „Herr XXXX hat eine Post erwartet. […]“ (S. 19 des VH-Protokolls)
Z1: „Ich wusste, dass Herr XXXX eine Post erwartet. Nachdem ich den gelben Zettel gesehen habe, habe ich ihn angerufen und gesagt, dass ich einen gelben Zettel hätte, aber ich denke nicht, dass er dir gehört.“ (S. 19 des VH-Protokolls).
2.3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
2.3.1. Gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG kann eine Partei binnen vier Wochen nach Zustellung eines Bescheides des BFA Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erheben.
Mit Bescheid des BFA vom 26.08.2020, Zl. 821733608-180867238, wurde der dem BF mit Bescheid vom 21.08.2013, Zl. 12 17.336-BAT, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten, gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Der Antrag des BF auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 02.07.2020 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für den BF wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Der Bescheid wurde dem BF am 28.08.2020 mit Abholfrist ab 29.08.2020 per Hinterlegung zugestellt. Konkret wurde am 28.08.2020 eine Hinterlegungsanzeige („gelber Zettel“) im zugewiesenen Postkastenfach der vom BF bewohnten Wohnung in der XXXX eingelegt, nach dem BF nicht persönlich angetroffen wurde. Auf der Hinterlegungsanzeige war ersichtlich, dass der Bescheid am 29.08.2020 für die Dauer von zwei Wochen beim zuständigen Postamt in XXXX hinterlegt wird und zur Abholung bereit liegt.
Der BF wurde somit schriftlich von der Hinterlegung verständigt.
Der Bescheid wurde vom BF nicht behoben und erwuchs – mangels Einbringung einer Beschwerde binnen vier Wochen – in Rechtskraft.
Am 13.10.2021 stellte der BF den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte gleichzeitig Beschwerde gegen den Bescheid des AMS vom 26.08.2020 an das Bundesverwaltungsgericht ein.
2.3.2. Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist, wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Gemäß § 33 Abs. 3 VwGVG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.
Bis zur Vorlage der Beschwerde hat gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden, nach Vorlage hat das BVwG mit Beschluss zu entscheiden. Im gegebenen Fall hat die belangte Behörde vor Beschwerdevorlage über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden, sodass diese gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG zur bescheidmäßigen Erledigung dieses Antrages zuständig war.
Das Instrument der Wiedereinsetzung ist aus dem AVG (§ 71) bekannt und wurde in das VwGVG übernommen. Da lediglich der IV. Teil des AVG gemäß § 17 VwGVG nicht auf die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anwendbar ist, finden die zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze und Judikatur auf § 33 VwGVG Anwendung.
Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind die
(1) die Glaubhaftmachung eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses und
(2) dass der Partei an der Versäumung kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens zur Last liegt.
Ein „Ereignis“ iSd § 33 VwGVG kann sowohl ein „äußerer Vorgang“, wie etwa ein Unfall, aber auch ein „innerer Vorgang“, wie beispielsweise ein Irrtum, die unrichtige Beurteilung der Rechtslage, sein (vgl Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, Rz 618 zu § 71 AVG).
Von einem unvorhergesehenen Ereignis ist auszugehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn sein Eintritt objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden kann (VwGH 0265/75 VwSlg 9024/A; vgl. auch Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, K6 zu § 33 VwGVG).
Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn es die Partei tatsächlich nicht einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht (von dieser Partei) nicht erwartet werden konnte (VwSlg 9024 A/1976 verst Sen; vgl. auch VwGH 29.11.1994, 94/05/0318; 03.04.2001, 2000/08/0214). Ob ein Ereignis als „unvorhergesehen“ einzustufen ist, richtet sich nach den subjektiven Verhältnissen der Partei, nach den tatsächlichen Umständen und dem konkreten Ablauf der Ereignisse und nicht nach dem „objektiven Durchschnittsablauf“ (VwSlg 9024 A/1976 verst. Sen; VwGH 24.11.1986, 86/10/0169; 15.09.2005, 2004/07/0135). Der Gesetzgeber hat eben nicht den Begriff „unvorhersehbar“, der auf objektive Gesichtspunkte abstellen würde, verwendet, sondern den Terminus „unvorhergesehen“, der die subjektiven Verhältnisse der Partei anspricht (VwSlg 9024 A/1976 verst. Sen). Das im Begriff der „Unvorhergesehenheit“ gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin gehend zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn die Partei an der Versäumung der Prozesshandlung kein Verschulden (nur ein minderer Grad des Versehens [Rz 40 ff]) trifft (VwGH 28.04.1994, 94/16/0066; 02.09.1998, 98/12/0173; 11.06.2003, 2003/10/0114). Wurde zB ein Schriftstück nicht eingeschrieben aufgegeben, hat die Partei den Umstand, dass es bei der Behörde, an die es adressiert war, nicht eingelangt ist, offensichtlich nicht einberechnet. Er konnte im Hinblick auf die Zuverlässigkeit des Postverkehrs auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht von ihr nicht erwartetet werden, weshalb es sich iSd Jud des VwGH um ein unvorhergesehenes Ereignis handelt (VwGH 26.05.1999, 99/03/0078); 29.09.2000, 99/02/0356). Andere Beispiele für ein unvorhergesehenes Ereignis wären etwa eine Erkrankung oder eine Naturkatastrophe, ein Eisenbahnunglück oder eine Autopanne (Hengstschläger/Leeb, AVG § 71, Rz 38).
Vgl. zum Begriff des minderen Grades des Versehens § 1332 ABGB. Davon ist dann auszugehen, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht (VwGH 22.01.1992, Zl. 91/13/0254).
Nach der stRsp des VwGH darf der Wiedereinsetzungswerber nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit im Verkehr mit Behörden für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist, als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligten Personen (vgl. VwGH 18.04.2002, 2001/01/0559, mwH, vgl. auch Schrefler-König in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht zu § 33 VwGVG).
Sind Wohn- und Geschäftsadresse der Partei zunächst ident, verlegt diese sodann aber ihre Wohnadresse, ohne dies der Behörde mitzuteilen, so stellt es ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden der Partei dar, wenn sie keine Vorkehrungen trifft, dass ihr durch das Leeren des Postkastens durch einen befugten Dritten tunlichst keine für sie bestimmte Hinterlegungsanzeige entgeht (VwGH 02.10.2000, 98/19/0198). Ein lediglich minderer Grad des Versehens liegt auch dann nicht vor, wenn die Partei (oder eine vertretungsbefugte Person) die Hinterlegungsanzeige beim Entleeren des Postkastens unter dem umfangreichen Werbematerial übersehen hat, da im Falle eines überfüllten Briefkastens die Durchsicht der Postsendungen besonders genau zu erfolgen hat (VwGH 26.04.2000, 2000/05/0054; insoweit offenbar sogar die Ehegattin dem Adressaten zurechnend VwGH 17. 2. 2011, 2009/07/0082) (Hengstschläger/Leeb, AVG § 72, Rz 74).
2.3.3. In seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte der BF im Wesentlichen aus, er habe erst am 30.09.2020 von der Hinterlegungsanzeige erfahren und daran treffe ihn kein Verschulden, da ein Mitbewohner die Hinterlegungsanzeige am 28.08.2020 aus dem Postkasten genommen habe und der BF bis 30.09.2020 nie über deren Existenz informiert worden sei.
Wie den Feststellungen zu entnehmen ist, wusste der BF – entgegen seiner Behauptung im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – bereits zeitnah nach dem 28.08.2020 von der Existenz der Hinterlegungsanzeige, da er durch seinen Mitbewohner XXXX darüber telefonisch informiert worden war. Der BF hat nach diesem Telefonat bis 30.09.2020 jedoch keine Schritte gesetzt, um zu erfahren, an welchen Adressaten die Hinterlegungsanzeige gerichtet war und das Poststück fristgerecht vom Postamt abzuholen.
Der BF konnte somit nicht schlüssig darlegen, inwiefern er durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis die Frist zur Einbringung der Beschwerde versäumt hat. Er hat vielmehr keine weiteren Handlungen gesetzt, obwohl er auch nicht daran gehindert worden wäre, solche Handlungen zu setzen.
Dazu kommt, dass der BF in Zusammenhang mit dem Umgang von Poststücken in der von ihm bewohnten Wohnung ein sorglos Verhalten an den Tag gelegt hat und gegenständlich auch kein bloß minderer Grad des Versehens vorliegen würde. Obwohl es sich beim BF um den Hauptmieter der Wohnung handelt, hat er nie dafür gesorgt, dass unter den Bewohnern der Wohnung in der XXXX eine Vereinbarung darüber getroffen bzw. geregelt worden wäre, welcher Mitbewohner wann den (einzigen) Postkastenschlüssel benutzen bzw. bei sich haben darf. Es wurde unter den Bewohnern der Wohnung in der XXXX keine Vereinbarung darüber getroffen bzw. geregelt, wie konkret die Einholung von Poststücken aus dem Postkasten, deren Verteilung und Kontrolle zu erfolgen hat. Der BF hat seinen Mitbewohnern diesbezüglich keine Vorgaben gemacht. Der BF hat nicht regelmäßig kontrolliert, ob eintreffende Poststücke jeweils dem richtigen Adressaten ausgefolgt wurden. Der einzige Postkastenschlüssel wurde von verschiedenen Mitbewohnern benutzt. Es gab keinen fixen Aufbewahrungsort für den Postkastenschlüssel. Die Poststücke wurden von den Mitbewohnern manchmal direkt an andere Mitbewohner übergeben, manchmal auf dem Küchentisch hinterlassen, manchmal auf einem Regal eines Kastens in der Küche.
Selbst unter der Annahme, dass XXXX den BF nicht über die Hinterlegungsanzeige informiert und der BF tatsächlich am 30.09.2020 das erste Mal davon Kenntnis erlangt hätte, würde nicht nur ein minderer Grad des Verschuldens vorliegen, da der überhaupt keine Vorsorge dafür getroffen hat, dass und wie in der von ihm als Hauptmieter bewohnten Wohnung sorgsam mit Poststücken umgegangen wird (siehe obige Feststellungen).
Auch nachdem der BF durch das BFA am 01.10.2020 damit konfrontiert wurde, dass der Bescheid des BFA vom 26.08.2020 mangels fristgerecht eingebrachter Beschwerde in Rechtskraft erwachsen ist, hat der BF bis heute keine Regelung/Vereinbarung betreffend den Umgang mit Poststücken in der von ihm bewohnten Wohnung getroffen.
Dazu kommt, dass der BF zum Zeitpunkt der Zustellung der Hinterlegungsanzeige mit der Zustellung eines Bescheides des BFA gerechnet und erwartet hat.
2.3.4. Im gegenständlichen Fall ist daher zusammenfassend weder von einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis auszugehen, noch ist es dem BF gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihn nur ein minderer Grad des Verschuldens trifft.
2.3.5. Die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer diesbezüglichen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. In der rechtlichen Beurteilung zu Punkt A) wurde ausführlich auf die Judikatur des VwGH eingegangen und diese zitiert.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
minderer Grad eines Versehens Rechtsmittelfrist unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis Wiedereinsetzung Zustellung durch HinterlegungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W255.1437661.4.00Im RIS seit
24.08.2021Zuletzt aktualisiert am
24.08.2021