Entscheidungsdatum
14.06.2021Norm
ASVG §123Spruch
W145 2240286-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela HUBER-HENSELER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , SVNR XXXX , gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Wien, vom 23.02.2021, Zl. XXXX ,
A)
zu Recht erkannt:
I. Hinsichtlich Spruchpunkt 1 des bekämpften Bescheids wird die Beschwerde abgewiesen.
Hinsichtlich Spruchpunkt 2 des bekämpften Bescheids wird die Beschwerde mit der Maßgabe abgewiesen, dass für die im Zeitraum vom 14.01.2018 bis 14.01.2021 ungebührlich entrichteten Beiträge gemäß § 69 Abs. 1 ASVG Vergütungszinsen in gesetzlicher Höhe zu leisten sind.
den Beschluss gefasst:
II. Hinsichtlich der Berechnung der Vergütungszinsen in gesetzlicher Höhe in Bezug auf die im Zeitraum vom 14.01.2018 bis 14.01.2021 ungebührlich entrichteten Beiträge gemäß § 69 Abs. 1 ASVG wird die Angelegenheit zur Erlassung eines Vergütungszinsen-Teil-Bescheides an die Österreichische Gesundheitskasse zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 23.02.2021 wies die Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Wien (im Folgenden: belangte Behörde), den Antrag von XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer), SVNR XXXX , auf Rückerstattung der von ihm zu Ungebühr entrichteten Zusatzbeiträge gemäß § 51d ASVG für seine Ehegattin Frau XXXX hinsichtlich der im Zeitraum vom 24.12.2004 bis 13.01.2016 entrichteten Beiträge in Höhe von EUR 16.337,28 gemäß § 69 Abs. 1 ASVG ab (Spruchpunkt 1). Hinsichtlich der Rückforderung der im Zeitraum vom 14.01.2016 bis 14.01.2021 zu Ungebühr entrichteten Beiträge in Höhe von EUR 7.545,29 wurde dem Antrag stattgegeben (Spruchpunkt 2).
Begründend wurde Folgendes ausgeführt: Die (vormals:) Wiener Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse habe dem Beschwerdeführer ab 24.12.2004 einen Zusatzbeitrag gemäß § 51d ASVG im Ausmaß von 3,4 % der Beitragsgrundlage für die beitragspflichtige Mitversicherung seiner Ehegattin vorgeschrieben. Am 14.01.2021 habe der Beschwerdeführer der belangten Behörde erstmals bekannt gegeben, dass seine Ehegattin ihre Tochter (seine von ihm nicht adoptierte Stieftochter) von deren Geburt am 15.02.1984 bis zur Volljährigkeit im gemeinsamen Haushalt in Minsk erzogen habe. Daraufhin habe die belangte Behörde die Mitversicherung der Ehegattin aufgrund bereits erfüllter Kindererziehungszeiten unter Berücksichtigung der fünfjährigen Verjährungsfrist rückwirkend per 14.01.2016 beitragsfrei gespeichert, die entsprechenden Beiträge (inkl. Verzugszinsen) rückverrechnet und das entstandene Guthaben in Höhe von EUR 7.545,64 ausbezahlt.
2. Mit Schreiben vom 27.02.2021 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und führte zusammengefasst aus, dass der Fragebogen der (vormals:) Wiener Gebietskrankenkasse irreführend und nicht sorgfältig abgearbeitet worden sei. Der „Zahlungsbescheid“ habe weder Entscheidungsgrundlagen noch einen Hinweis auf eine „Berufungsmöglichkeit“ enthalten und sei auch nicht „gezeichnet“ gewesen. Das Wort „Bescheid“ sei formal nicht vorgekommen, das Schreiben lasse aber mit der vorgeblichen „gesetzlichen Verpflichtung“ keine Wahl und sei der Beschwerdeführer nicht um seine Zustimmung gefragt oder ihm der „Bescheid“ erläutert oder begründet worden. Ein nicht ordnungsmäßiger Bescheid könne nicht bekämpft werden und somit auch die Verjährung nicht zu laufen beginnen.
Außerdem habe die (vormals:) Wiener Gebietskrankenkasse durch mangelhafte Beratung und Prüfung der Angaben des Beschwerdeführers grob fahrlässig gehandelt und ihre erhöhte Sorgfaltspflicht verletzt. Die Verjährung könne kein „Freibrief zur aktiven Gesetzesverletzung durch die WGKK“ sein. Läge hier ein Vertrag vor, wäre dieser aufgrund der „Täuschung“ seitens der WGKK von Beginn an nichtig, weshalb der Stand vor Zustandekommen des Vertrags wiederherzustellen, das heißt, das Geld unabhängig von einer Verjährung zurückzuerstatten sei. Die Verjährung gemäß § 69 Abs. 1 ASVG gelte außerdem nicht absolut, sondern sei ein unterschiedlicher Maßstab an Unternehmer und Privatpersonen anzulegen und zu berücksichtigen, ob letztere die Gesetzwidrigkeit hätten erkennen können.
Schließlich läge es aufgrund der im vorliegenden Fall geltenden Beweislastumkehr bei Macht- bzw. Wissensüberhang an der Behörde zu beweisen, dass alles sorgfältig gelaufen sei und könne sich diese nicht auf die Unauffindbarkeit des (vom Beschwerdeführer ausgefüllten) Fragebogens berufen.
Der Beschwerdeführer ersucht daher um Rückerstattung der rechtswidrig vorgeschriebenen Beiträge von Dezember 2004 bis Dezember 2015 inkl. Zinsen sowie um Zahlung der vorgeschriebenen Zinsen für die bereits rückerstatteten Beiträge von Jänner 2016 bis Jänner 2021.
3. Mit Schreiben vom 10.03.2021 wurde die verfahrensgegenständliche Angelegenheit dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Der Beschwerdeführer und XXXX sind seit 28.10.2004 verheiratet; sie hatte in den im Spruch angeführten Zeiträumen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und unterlag nicht der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung.
Der Beschwerdeführer war aufgrund von Beschäftigungen im Zeitraum 16.11.2000 bis 30.04.2016, 05.12.2016 bis 04.10.2019 und 01.10.2019 bis laufend nach den Bestimmungen des ASVG vollversichert.
Mit Schreiben der (vormals:) Wiener Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, vom 04.01.2005 wurde dem Beschwerdeführer ab 24.12.2004 gemäß § 51d ASVG ein Zusatzbeitrag im Ausmaß von 3,4 % der Beitragsgrundlage für die Mitversicherung seiner Ehegattin vorgeschrieben.
Der Beschwerdeführer hat die ihm vorgeschriebenen Beiträge im Zeitraum vom 24.12.2004 bis 13.01.2016 in Höhe von insgesamt EUR 16.337,28 und im Zeitraum vom 14.01.2016 bis 14.01.2021 in Höhe von insgesamt EUR 7.545,29 entrichtet.
Die Ehegattin des Beschwerdeführers hat sich mindestens vier Jahre hindurch der Erziehung ihrer am 15.02.1984 in Minsk geborenen Tochter ( XXXX ) gewidmet und mit dieser in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Dies wurde der belangten Behörde erstmals mit E-Mail vom 14.01.2021 bekanntgegeben und zugleich ersucht, die unnötig eingezahlten Beiträge zurückzuerstatten.
Die vom Beschwerdeführer im Zeitraum vom 14.01.2016 bis 14.01.2021 entrichteten Beiträge (inkl. Verzugszinsen) wurden seitens der belangten Behörde rückverrechnet und das dadurch entstandene Guthaben in Höhe von EUR 7.545,64 mit Buchungsdatum 20.01.2021 ausbezahlt.
Vergütungszinsen in Höhe der gesetzlichen Zinsen wurden weder berechnet noch ausbezahlt.
2. Beweiswürdigung
2.1 Die Ausführungen zum Verfahrensgang und zu den Feststellungen ergeben sich klar und eindeutig aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts. Der verfahrensrelevante Sachverhalt ist unstrittig.
2.2 Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Nach der Rechtsprechung des EGMR kann eine mündliche Verhandlung in Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK unterbleiben, wenn besondere beziehungsweise außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (vgl. EGMR 05.09.2002, Speil/Österreich, Appl. 42057/98, VwGH 17.09.2009, 2008/07/0015). Derartige außergewöhnliche Umstände hat der EGMR etwa bei Entscheidungen über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, die ausschließlich rechtliche oder in hohem Maße technische Fragen aufwerfen, als gegeben erachtet. Hier kann das Gericht unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Verfahrensökonomie und Effektivität von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn der Fall auf Grundlage der Akten und schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Fall Döry, Appl. 28.394/95, Z 37 ff.; EGMR 8.2.2005, Fall Miller Appl. 55.853/00).
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von der Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und dem Entfall der mündlichen Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1985, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl. Nr. 83 vom 30.03.2010, S. 389 entgegenstehen. Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache mehr zu erwarten war und sich der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als hinreichend geklärt darstellte. Die belangte Behörde führte ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durch. Der Sachverhalt war weder in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Es wurden keine Rechts- und Tatsachenfragen aufgeworfen, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. ua VwGH 18.06.2012, B 155/12, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist). Dem Entfall der mündlichen Verhandlung stehen weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1 Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Bescheide einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Nach § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat – vorliegend die Österreichische Gesundheitskasse.
§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. Der Antrag ist gleichzeitig mit der Beschwerde oder dem Vorlageantrag oder binnen vier Wochen ab Zustellung der Beschwerde einzubringen. Da über eine Angelegenheit nach § 410 Abs. 1 Z 7 ASVG entschieden wird und ein Antrag auf Senatsentscheidung nicht gestellt wurde, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung der nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin.
3.2 Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.3 Zu A)
I.
I.1 Prüfungsumfang und Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts
§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang fest und beschränkt diesen insoweit, als das Verwaltungsgericht (bei Bescheidbeschwerden) prinzipiell (Ausnahme: Unzuständigkeit der Behörde) an das Beschwerdevorbringen gebunden ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], Anm. 1 zu § 27 VwGVG). Konkret normiert die zitierte Bestimmung: „Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.“
Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG. Die vorliegend relevanten Abs. 1 und 2 dieser Bestimmung lauten wie folgt:
„§ 28 (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.“
Hinsichtlich der ab 24.12.2004 entrichteten Zusatzbeiträge gemäß § 51d ASVG steht der maßgebliche Sachverhalt im Sinne des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG fest. Das Bundesverwaltungsgericht hat folglich in der Sache selbst zu entscheiden.
I.2
Gemäß § 51d Abs. 1 ASVG ist für Angehörige (§ 123) ein Zusatzbeitrag im Ausmaß von 3,4 % der für den Versicherten (die Versicherte) heranzuziehenden Beitragsgrundlage (Pension) zu leisten. Der Zusatzbeitrag entfällt zur Gänze auf den Versicherten (die Versicherte).
Gemäß § 123 Abs. 1 ASVG besteht für Angehörige Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung, wenn sie (Z 1) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und (Z 2) weder nach der Vorschrift dieses Bundesgesetzes noch nach anderer gesetzlicher Vorschrift krankenversichert sind und auch für sie seitens einer Krankenfürsorgeeinrichtung eines öffentlich-rechtlichen Dienstgebers Krankenfürsorge nicht vorgesehen ist. Nach § 123 Abs. 2 Z 1 ASVG gilt die Ehegattin als Angehörige.
Gemäß § 51d Abs. 3 Z 2 ASVG ist kein Zusatzbeitrag nach Abs. 1 einzuheben, wenn und solange sich der (die) Angehörige der Erziehung eines oder mehrerer im gemeinsamen Haushalt lebender Kinder nach § 123 Abs. 4 erster Satz widmet oder durch mindestens vier Jahre hindurch der Kindererziehung gewidmet hat. Gemäß § 123 Abs. 4 erster Satz ASVG gelten Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als Angehörige.
Nach § 51d Abs. 2 erster Satz ASVG sind alle für die Beiträge zur Pflichtversicherung in der Krankenversicherung geltenden Rechtsvorschriften, sofern nichts anderes bestimmt wird, auf den Zusatzbeitrag nach Abs. 1 anzuwenden.
Gemäß § 69 Abs. 1 ASVG können zu Ungebühr entrichtete Beiträge, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, zurückgefordert werden. Das Recht auf Rückforderung verjährt nach Ablauf von fünf Jahren nach deren Zahlung. Der Lauf der Verjährung des Rückforderungsrechtes wird durch Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Herbeiführung einer Entscheidung, aus der sich die Ungebührlichkeit der Beitragsentrichtung ergibt, bis zu einem Anerkenntnis durch den Versicherungsträger bzw. bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Verwaltungsverfahren unterbrochen.
Für den gegenständlichen Fall ergibt sich daraus Folgendes:
Mit Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse vom 04.01.2005 wurde dem Beschwerdeführer ab 24.12.2004 gemäß § 51d ASVG ein Zusatzbeitrag im Ausmaß von 3,4 % der Beitragsgrundlage für die Mitversicherung seiner nicht der Krankenversicherung unterliegenden Ehegattin vorgeschrieben.
Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei diesem Schreiben nicht um einen Bescheid handelt. Im vorliegenden Fall hat der Versicherungsträger dann einen Bescheid zu erlassen, wenn der Versicherte dies zur Feststellung der sich für ihn aus dem ASVG ergebenden Rechte und Pflichten verlangt (§ 410 Abs. 1 Z 7 ASVG). Dem Argument des Beschwerdeführers, das Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse habe nicht den Anforderungen eines Bescheides entsprochen, ist daher entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer eine bescheidmäßige Feststellung seiner Pflicht zur Entrichtung des Zusatzbeitrages gemäß § 51d ASVG hätte verlangen müssen. Da der Beschwerdeführer eine Bescheiderteilung aber nicht verlangt hat, war die Vorschreibung der Zusatzbeiträge in Form des „bloßen“ Schreibens der Wiener Gebietskrankenkasse zulässig und rechtskonform.
Frau XXXX ist die Ehegattin und somit nach § 123 Abs. 2 Z 1 ASVG Angehörige des Beschwerdeführers. Sie verfügte in den spruchgegenständlichen Zeiträumen über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und unterlag nicht einer eigenen Pflichtversicherung in der Krankenversicherung. Für ihre sohin ex-lege eingetretene Mitversicherung ist – wenn keine Ausnahme des Abs. 3 zum Tragen kommt - gemäß § 51d Abs. 1 ASVG grundsätzlich ein Zusatzbeitrag im Ausmaß von 3,4 % der für den Beschwerdeführer heranzuziehenden Beitragsgrundlage zu leisten. Frau XXXX hat sich aber mindestens vier Jahre hindurch der Erziehung ihrer am 15.02.1984 in Minsk geborenen Tochter gewidmet und mit dieser im gemeinsamen Haushalt gelebt. Gemäß § 51d Abs. 3 Z 2 ASVG wäre daher kein Zusatzbeitrag zu entrichten gewesen.
Gemäß § 69 Abs. 1 ASVG können zu Ungebühr entrichtete Beiträge zurückgefordert werden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind unter zu Ungebühr entrichteten Beiträgen Beiträge zu verstehen, deren Entrichtung von Gesetzes wegen nicht zulässig gewesen wäre bzw. die von jemandem entrichtet wurden, der dazu gesetzlich nicht verpflichtet war (vgl. VwGH 21.11.2001, 97/08/0413; VwGH 03.10.2002, 97/08/0625). Bei den vom Beschwerdeführer ab 24.12.2004 entrichteten Zusatzbeiträgen handelt es sich somit um zu Ungebühr entrichtete Beiträge, die nach § 69 Abs. 1 ASVG zurückgefordert werden können.
Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 ASVG verjährt das Recht auf Rückforderung nach Ablauf von fünf Jahren nach deren Zahlung. Dabei kommt es auf die Frage, wen das Verschulden an der Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge trifft, nicht an. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stellt § 69 Abs. 1 ASVG nicht darauf ab, ob Versicherungsträger und/oder Dienstgeber hätten erkennen können, dass die Beiträge zu Ungebühr vorgeschrieben und entrichtet wurden (vgl. VwGH 07.07.1992, 92/080079; VwGH 20.09.2000, 97/08/0535). Der belangten Behörde ist insofern zuzustimmen, als dies sinngemäß auch für den Versicherten gelten muss, auf den gemäß § 51d Abs. 1 Satz 2 ASVG der Zusatzbeitrag zur Gänze entfällt.
Das Argument des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe durch irreführende Fragestellung, Fehlberatung und mangelhafte Prüfung der Angaben des Beschwerdeführers die Entrichtung der Zusatzbeiträge verschuldet und läge es – in weiterer Folge – an der Behörde zu beweisen, dass alles sorgfältig gelaufen sei, zielt daher im Zusammenhang mit der Verjährung nach § 69 Abs. 1 ASVG auf einen rechtlich unerheblichen Umstand ab. Dasselbe gilt hinsichtlich der vom Beschwerdeführer hergestellten Analogie zu privatrechtlichen Verträgen. Ein solcher liegt gegenständlich nicht vor und kennt § 69 Abs. 1 ASVG eine Unterscheidung zwischen Privatpersonen und Unternehmern nicht. Der Lauf der Verjährung beginnt unabhängig davon, ob bzw. ab wann die „Gesetzwidrigkeit“ für den Beschwerdeführer erkennbar war.
Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 ASVG wird der Lauf der Verjährung durch Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Herbeiführung einer Entscheidung, aus der sich die Ungebührlichkeit der Beitragsentrichtung ergibt, bis zu einem Anerkenntnis durch den Versicherungsträger bzw. bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Verwaltungsverfahren unterbrochen. Unter „Einleitung“ eines Verwaltungsverfahrens ist in diesem Zusammenhang schon das Stellen eines darauf gerichteten Antrags zu verstehen (vgl. Julcher in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 69 ASVG Rz 10).
Mit E-Mail vom 14.01.2021 ersuchte der Beschwerdeführer um Rückerstattung der unnötig von ihm eingezahlten Beiträge. Dieses Ersuchen ist im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 3 ASVG als auf die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Entscheidung über die Ungebührlichkeit der Beitragsentrichtung gerichteter Antrag zu verstehen. Der Lauf der Verjährung wird folglich ab 14.01.2021 unterbrochen.
Vor diesem Hintergrund hat die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer im Zeitraum vom 14.01.2016 bis 14.01.2021 (5 Jahre) ungebührlich entrichteten Beiträge zu Recht zurückerstattet.
Hinsichtlich der im Zeitraum vom 24.12.2004 bis 13.01.2016 entrichteten Beiträge ist das Recht auf Rückforderung gemäß § 69 Abs. 1 ASVG verjährt. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt 1 des bekämpften Bescheides wird daher abgewiesen.
§ 69 ASVG trifft keine Regelung über die Verzinsung des Rückforderungsbetrages. In seinem Erkenntnis vom 20.06.1994, VfSlg. 13.796/1994, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass § 69 Abs. 1 ASVG diesbezüglich eine Lücke enthält, die durch Analogie zu schließen ist. Im Fall der Verpflichtung zur Rückleistung zu Unrecht vereinnahmter Beiträge sind daher für die wegen mangelnden Rechtsgrundes zurückzuerstattenden Geldsummen Vergütungszinsen in Höhe der gesetzlichen Zinsen zu leisten.
Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass der Anspruch auf Vergütungszinsen in Höhe der gesetzlichen Zinsen grundsätzlich in jedem von § 69 Abs. 1 ASVG erfassten Fall der Verpflichtung zur Rückzahlung zu Unrecht vereinnahmter Beiträge besteht – also auch dann, wenn die Beiträge nicht mit Bescheid vorgeschrieben wurden. Der Anspruch auf Zinsen unterliegt der Verjährung nach § 1480 ABGB (und nicht der längeren Verjährung nach § 69 ASVG); die Unterbrechung der Verjährung im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 3 ASVG ist aber auch auf den Nebenanspruch auf Vergütungszinsen anzuwenden (vgl. VwGH 24.06.1997, 95/08/0083 bzw. Julcher in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 69 ASVG Rz 21).
Die Annahme einer Gesetzeslücke in § 69 Abs. 1 ASVG ist allerdings nur dort geboten, wo die Bestimmung der zu entrichtenden Beiträge vom Versicherungsträger (sei es durch Beitragsbescheid, sei es durch formlose Beitragsnachrechnung) vorgenommen wurde. Eine das Vorliegen einer Gesetzeslücke nahelegende Schutzwürdigkeit des Beitragsschuldners besteht aber nicht, wenn – wie etwa im Fall des Lohnsummenverfahrens im Sinne des § 58 Abs. 4 ASVG – die Entscheidung über die zu entrichtenden Beiträge in der Sphäre des diesbezüglich zur Sorgfalt verpflichteten Beitragsschuldners gefällt wurde. In diesen Fällen erscheint es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs nicht sachgerecht, den Versicherungsträger, der die Zahlung der Beiträge in unrichtiger Höhe nicht veranlasst hat und die er auch nicht verhindern konnte, nicht nur mit den Aufwendungen für die Rückzahlung, sondern auch mit der Zahlung von Vergütungszinsen zu belasten (vgl. VwGH 06.07.2016, Ro 2016/08/0017).
Im vorliegenden Fall wurde die Entrichtung der Zusatzbeiträge mit Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse vom 04.01.2005 vorgeschrieben, weshalb eine das Vorliegen einer Gesetzeslücke rechtfertigende Schutzwürdigkeit des Beschwerdeführers gegeben ist. In Bezug auf die im Zeitraum vom 14.01.2018 bis 14.01.2021 ungebührlich entrichteten Beiträge hätte die belangte Behörde daher Vergütungszinsen in gesetzlicher Höhe von 4 % zusprechen müssen. Bezüglich der im Zeitraum vom 14.01.2016 bis 13.01.2018 entrichteten Beiträge ist der Anspruch auf Zinsen gemäß § 1480 ABGB verjährt.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt 2 des bekämpften Bescheids wird daher mit der Maßgabe abgewiesen, dass hinsichtlich der im Zeitraum vom 14.01.2018 bis 14.01.2021 zu Ungebühr entrichteten Beiträge Vergütungszinsen in gesetzlicher Höhe zu leisten sind.
II.
Wie bereits festgehalten, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Im vorliegenden Fall liegt es im Sinne der Raschheit des Verfahrens, die Angelegenheit zwecks Berechnung der Vergütungszinsen an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Die für die Berechnung relevanten Zahlen, Fakten und Daten befinden sich im System der belangten Behörde, weshalb eine Berechnung durch diese zweckmäßig und sinnvoll erscheint.
3.4 Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Abweisung der Beschwerde ergeht in Anlehnung an die oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum ASVG. Die gegenständliche Entscheidung weicht daher weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch mangelt es an derartiger Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.
Schlagworte
Beitragspflicht Ehepartner Kindererziehungszeit Mitversicherung Rückforderung Verjährung Zeitraumbezogenheit Zinsen ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W145.2240286.1.00Im RIS seit
24.08.2021Zuletzt aktualisiert am
24.08.2021