TE Bvwg Beschluss 2021/6/22 W267 2143311-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2021
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Entscheidungsdatum

22.06.2021

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W267 2143311-2/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Essl als Einzelrichter in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.06.2021, Zahl XXXX , erfolgte Aufhebung des Abschiebeschutzes betreffend Herrn XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, wie folgt:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-VG rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I.       Verfahrensgang:

1.       Vorverfahren

1.1.    Der Asylweber (in der Folge AW), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 27.09.2015 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2.    Am 28.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine niederschriftliche Erstbefragung statt, bei der der AW angab, am XXXX in Kabul, Afghanistan, geboren zu sein. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei Moslem, gewohnt habe er in XXXX . Der AW gab ferner an, von 2006 bis 2013 in Kabul in die Schule gegangen zu sein, danach habe er gearbeitet. Der AW habe vor etwa zweieinhalb Monaten Afghanistan illegal mit einem PKW verlassen. Seine Eltern, seine Schwester und sein Bruder wohnten immer noch in Afghanistan, die finanzielle Lage der Familie sei schlecht.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, brachte der AW vor, dass in Afghanistan immer Krieg herrsche, es gäbe immer Bomben und Selbstmordattentäter. Der AW könne dort nicht arbeiten oder zur Schule gehen. Es gäbe so viele Taliban und er hätte im Falle einer Rückkehr Angst, irgendwann von diesen getötet zu werden.

1.3.    Aufgrund bestehender Zweifel hinsichtlich der vom AW behaupteten Minderjährigkeit wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) ein Handwurzelröntgen der linken Hand zur Bestimmung des Knochenalters veranlasst. Nach Vorliegen des Röntgenergebnisses (Schmeling 4, GP 31; AS 33) wurde eine Volljährigkeitsbeurteilung durchgeführt, anhand derer der XXXX als fiktives Geburtsdatum des AW errechnet wurde (AS 53). Festgestellt werden konnte, dass der AW zum Zeitpunkt der Asylantragstellung mit 18,39 Jahren bereits volljährig war. Das errechnete Geburtsdatum XXXX wurde in der Folge für alle weiteren Verfahren als jenes des AW herangezogen.

1.4.    Im Rahmen der mündlichen Einvernahme vor dem BFA am 01.12.2016 korrigierte der AW zunächst fehlerhafte Angaben, die im Protokoll der niederschriftlichen Erstbefragung festgehalten worden waren, etwa, dass er nicht in Kabul selbst, sondern in XXXX in der Nähe von Kabul in die Schule gegangen sei. Die finanzielle Situation seiner in Afghanistan lebenden Familie sei ferner nicht als schlecht, sondern vielmehr als „mittel“ zu bezeichnen. Die Familie könne von den erzielten Einkünften leben.

Zu seinem Gesundheitszustand befragt, gab der AW an, er sei gesund, stünde in keiner ärztlichen Behandlung und nehme keine Medikamente.

Weiter befragt erklärte der AW, nie eine Tazkira oder sonstige Identitätsdokumente besessen zu haben. Er sei ledig, kinderlos, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Seine Muttersprache sei Dari. Der AW habe sieben Jahre in XXXX die Schule besucht und die letzten zwei Jahre seinem Vater in der eigenen Landwirtschaft geholfen. Die Eltern und die beiden jüngeren Geschwister würden nach wie vor im Heimatdorf leben. Sowohl das Haus als auch die bewirtschafteten Felder stünden im Eigentum seines Vaters. Der AW habe über Videochat Kontakt zur Familie in Afghanistan, dieser gehe es gut.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der AW im Wesentlichen (soweit für das gegenständliche Verfahren relevant) an, dass er Hazara sei, was „in ganz Afghanistan“, vor allem in dem Bezirk, wo er gewohnt habe, ein Verbrechen sei. Wenn ein Hazara erwischt werde, würde er enthauptet, so sein unspezifisches Vorbringen.

Außerdem würden die Taliban junge Männer rekrutieren, damit diese am heiligen Kampf teilnehmen. Die Taliban seien regelmäßig in der Moschee seines Heimatdorfes gewesen. Dort hätten sie verkündet, dass jene Kinder, die reifer geworden sind, nun am „heiligen Kampf“ teilnehmen müssten. Sie sprachen auch mit den Vätern und sagten, wenn sie ein junges, erwachsenes Kind zu Hause haben, sollten sie dieses zur Verfügung stellen. Als seine Familie das hörte, habe der AW mit der Schule aufhören müssen, da die die Gefahr bestanden habe, dass er auf dem Heimweg oder in der Schule von den Taliban erwischt werden würde. Dann hätte er mit ihnen mitgehen und kämpfen müssen.

Über Nachfrage gab der AW an, dass er sich nach Ende des Schulbesuches etwa vier Monate lang zu Hause versteckt hätte. Um nicht für oder gegen die Taliban kämpfen zu müssen, hätte er sich nach den vier Monaten dann entschlossen, Afghanistan zu verlassen. Statt seinen Entschluss in die Tat umzusetzen, sei er jedoch ein weiteres Jahr in seinem Heimatdorf geblieben, wo er nicht nur seinem Vater täglich von 9 Uhr bis Mittag und 2-3 Stunden am Nachmittag bei der Feldarbeit half. Er besuchte auch drei Mal täglich (in der Früh, mittags und am Abend) die mitten im Dorf gelegene Moschee, um seine Gebete zu verrichten. Während der ganzen Zeit sei er von den Taliban nicht (zwangs)rekrutiert worden. Dennoch entschloss sich der AW, Afghanistan zu verlassen.

Über weitere Nachfrage, warum die Taliban die Jugendlichen nicht mit Gewalt holten, wenn sie ohnehin in den Dörfern, in den Moscheen und bei den Leuten zu Hause wären, gab der AW dann an, dass die Taliban nur Freiwillige mitnehmen wollen würden, da alle anderen wieder fliehen. Auf diesen Widerspruch zu seinen bisherigen Behauptungen der Gefahr einer Zwangsrekrutierung hingewiesen, erklärte der AW, dass die Taliban dann schon Gewalt anwenden würden, wenn Jugendliche bzw. deren Eltern sich nicht freiwillig überzeugen ließen.

Auf sein Leben in Österreich hin angesprochen, gab der AW an, dass er drei Mal wöchentlich einen Deutschkurs besuche, zwei Mal in der Woche trainiere er Fußball. Jeden Tag gegen 8 Uhr laufe er ein paar Runden, abends verbringe der AW seine Zeit mit anderen Jugendlichen.

1.5.    Mit Bescheid vom 09.12.2016, Zl. XXXX , wies das BFA diesen (ersten) Antrag des AW auf internationalen Schutz vom 27.09.2015 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 idgF (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. (Spruchpunkt II.) ab. Gleichzeitig wurde dem AW ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz idgF gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Als Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Im Rahmen der Bescheidbegründung traf das BFA Feststellungen zur Person des AW, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Der AW habe keine Verfolgung glaubhaft machen können und lediglich eine konstruierte Verfolgungsgeschichte durch die Taliban, die ihn und alle anderen jungen Männer des (kleinen) Dorfes rekrutieren hätten wollen, geschildert. Zu diesem Schluss sei das BFA aufgrund zahlreicher Ungereimtheiten in den Schilderungen des AW gelangt. Dazu gehörte etwa die Schilderung des AW, dass er über einen Zeitraum von etwa 1,5 Jahren jeden Tag drei Mal die einzige Moschee des Dorfes besucht habe, obwohl dies jener Ort gewesen sei, den die Taliban regelmäßig aufgesucht hätten, um die Jugendlichen des Dorfes zum Kämpfen zu überzeugen. Bei einer Verfolgung durch die Taliban wäre doch davon auszugehen gewesen, dass der AW gerade die Moschee meiden würde. Zudem hätte er eigenen Angaben zufolge seinem Vater jeden Tag in der Landwirtschaft geholfen. Im Falle einer tatsächlichen Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban sei es jedoch undenkbar, dass der AW über einen so langen Zeitraum noch in Afghanistan im Kreise seiner Kernfamilie unbehelligt leben und drei Mal täglich die örtliche Moschee aufsuchen hätte können.

Das BFA kam im oben erwähnten Bescheid vom 09.12.2016 ferner zu dem Schluss, dass im Fall der Rückkehr nicht davon auszugehen sei, dass der AW in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt werde. Seine Familie lebe nach wie vor in der Provinz Kabul, er könne sich abermals dort bzw. alternativ in der Stadt Kabul niederlassen. Der AW wäre von allfälligen negativen Lebensumständen in Afghanistan auch nicht in höherem Maße betroffen als jeder andere afghanische Staatsbürger in einer vergleichbaren Lage. Der AW sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann mit Berufserfahrung, die Erreichbarkeit seiner Heimatprovinz sei gegeben und ihm wäre eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar und möglich. Eine Rückkehrentscheidung sei zudem gerechtfertigt, weil der AW keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet habe, lediglich begrenzte Deutschkenntnisse vorweisen könne, nicht selbsterhaltungsfähig sei und sich zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens ob seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste. Infolgedessen wurde eine Abschiebung nach Afghanistan vom BFA als zulässig erachtet.

1.6.    Gegen den oben erwähnten Bescheid des BFA vom 09.12.2016 wurde vom AW am 23.12.2016 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) erhoben.

1.7.    Am 04.09.2019 wurden der AW durch das LG für Strafsachen Wien, Zl. XXXX , wegen § 15 StGB, § 84 Abs. 4 StGB; § 134 Abs. 1 1. Fall StGB; § 15 StGB, § 269 Abs. 1 1. Fall StGB; § 15 StGB, § 83 Abs. 1 StGB – rechtskräftig – zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, davon 6 Monate unbedingt und 12 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren.

1.8.    Das BVwG wies nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.11.2019 die Beschwerde des AW vom 23.12.2016 mit – rechtskräftigem – Erkenntnis vom 17.12.2019, Zl. W222 2143311-1/25E, als unbegründet ab.

In seiner Begründung wurde vom BVwG insbesondere festgestellt, dass der AW afghanischer Staatsbürger sei, der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitischer Moslem sei. Der AW stamme aus der afghanischen Provinz Kabul, Distrikt XXXX , und sei der afghanischen Sprache Dari in Wort und Schrift mächtig. Er verfüge über eine siebenjährige Schulbildung in seiner Heimatprovinz und sei anschließend in der familiären Landwirtschaft gemeinsam mit seinem Vater tätig gewesen. Der AW sei ledig und kinderlos. Er habe von seiner Geburt an bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern und seinen beiden jüngeren Geschwistern in der Provinz Kabul, Distrikt XXXX , XXXX , gelebt. Die Familie besitze ein Haus und landwirtschaftliche Grundstücke, wovon sie den Lebensunterhalt bestreite.

Der AW leide an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit und sei arbeitsfähig. Im Bundesgebiet verfüg er über keinerlei Familienangehörige, Verwandte oder sonstige Personen, zu denen eine besondere Nahebeziehung oder ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Der AW habe in Österreich Deutschkurse absolviert und die A2 Prüfung bestanden. Er sei zu keinem Zeitpunkt in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und nicht selbsterhaltungsfähig.

Im Rahmen seiner Beweiswürdigung führte das BVwG die Fluchtgeschichte des BF betreffend umfassend und detailliert aus, dass Gründe, die eine Verfolgung oder sonstige Gefährdung des AW im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen, von diesem nicht glaubhaft gemacht hätten werden konnten. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass der AW aus den von ihm genannten Gründen Afghanistan verlassen habe müssen. Insbesondere sein Vorbringen im Hinblick auf eine angebliche Bedrohung und Verfolgung durch Taliban sei nicht glaubhaft. Der AW sei in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt.

Die Entscheidung des BVwG vom 17.12.2019, Zl. W222 2143311-1/25E, erwuchs in Rechtskraft, zumal gegen diese vom AW auch kein Gerichtshof des öffentlichen Rechts angerufen wurde.

1.9.    Am 12.11.2020 wurden der AW durch das BG Dornbirn, Zl. XXXX , wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer Geldstrafe von 140 Tagsätzen (NEF 70 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) – rechtskräftig –verurteil. Die Probezeit des bedingten Teils der vom LG für Strafsachen Wien zu XXXX verhängten Strafe wurde auf 5 Jahre verlängert.

1.10.   Der AW verließ zu einem unbekannten Zeitpunkt Österreich und hielt sich im April 2021 in Deutschland auf. Am 09.04.2021 wurde der er nach illegalem Grenzübertritt nach Deutschland von den dortigen Behörden aufgegriffen, die daraufhin einen Antrag gemäß Dublin III Abkommen zum Zweck der Rückübernahme des AW nach Österreich stellten. Gemäß dem Rückübernahmeersuchen hatte der AW keinen Asylantrag in Deutschland gestellt.

1.11.   Aufgrund der Zustimmung zur Rückübernahme wurde der AW am 04.05.2021 von Deutschland nach Österreich überstellt.

2.       Gegenständliches Verfahren

2.1.    Der AW wurde am 04.05.2021 unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen Wien Schwechat gemäß Festnahmeauftrag des BFA wegen des Vorliegens der Voraussetzungen für seine Abschiebung festgenommen. Am 05.05.2021 wurde durch das BFA gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG über den AW die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

2.2.    Am 14.05.2021 stellte der AW in Österreich einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz aufgrund geänderter Umstände. Am selben Tag wurde dem AW ein Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG zugestellt, mit dem die Aufrechterhaltung der Schubhaft ausgesprochen wurde, da Gründe zur Annahme bestanden, dass sein (Folge)Antrag lediglich zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden war.

2.3.    Im Rahmen seiner (neuerlichen) Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.05.2021 in der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug der LPD Wien sagte der AW, zu seinen nunmehr geltend gemachten Fluchtgründen befragt, Folgendes:

„Ich bin homosexuell, aus diesem Grund kann ich nicht zurückkehren. Als Homosexueller würde man mich in Afghanistan sofort töten.“

Nach seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr befragt, gab der AW Folgendes an:

„Ich würde den Tod befürchten bzw. die Todesstrafe bekommen.“

Auf die Frage, ob es konkrete Hinweise gäbe, dass dem AW bei seiner Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe, oder ob er mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, erwiderte der AW:

„Ja, als Homosexueller würde ich die Todesstrafe bekommen.“

Bezüglich des Zeitpunktes, seit wann ihm die Änderungen des Fluchtgrunds bekannt wären, erklärte der AW:

„Seit ich in Haft bin, in der Dusche ist es mir aufgefallen. Da habe ich Gefallen an Männern empfunden.“

2.4.    Mit Schriftsatz vom 17.05.2021 erhob der AW Beschwerde gegen den Schubhaft-Mandatsbescheid des BFA vom 05.05.2021, Zl. XXXX , an das BVwG. Das diesbezügliche Verfahren ist zur GZ W150 2242596-1 dg anhängig.

2.5.    Mit Verfahrensanordnung vom 18.05.2021, vom AW am selben Tage übernommen, teilte das BFA diesem gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mit, dass beabsichtigt sei, seinen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorläge. Zudem sei beabsichtigt, den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben (§ 12a Abs. 2 AsylG).

2.6.    Am 26.05.2021 fand im dg Schubhaftverfahren zu GZ W150 2242596-1 eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG statt, in deren Rahmen der AW Folgendes für das gegenständliche Verfahren Relevante aussagte:

[…]

BFV: Sie haben vorhin gesagt, sie waren 20 Tage in Deutschland. Meinen Sie damit, vor der Festnahme oder nach der Festnahme?

BF: Nach meiner Festnahme durch die Polizei, bin ich 20 Tage in Deutschland geblieben.

BFV: Sie haben in der Schubhaft einen neuen Asylantrag gestellt. Was ist jetzt der Grund, dass Sie einen neuen Asylantrag gestellt haben?

BF: Der Grund dafür ist, dass ich tatsächlich nicht mehr nach Afghanistan zurückkehren kann und das ist die Wahrheit.

BFV: Warum können Sie nicht nach Afghanistan zurück?

BF: Im Falle einer Rückkehr würde ich in Afghanistan getötet oder gesteinigt werden, weil ich neue Fluchtgründe vorgebracht habe. Aufgrund dessen, kann ich nicht mehr nach Afghanistan zurückkehren.

BFV: Welche neuen Fluchtgründe meinen Sie damit?

BF: Ich bin Homosexuell, diese habe ich nun als Gründe geltend gemacht.

BFV: Seit wann fühlen Sie sich zu Männern hingezogen?

BF: Früher war es mir nicht so bewusst. Bei meiner Rücküberstellung von Deutschland nach Österreich, musste ich mich am Flughafen ausziehen. Ich wurde ausgelacht, nämlich von jenen, die mich ausgezogen haben. Nachdem sie mich ausgelacht haben, kam der Gedanke was mit mir nicht stimmt und warum sie über mich gelacht haben. Ich dachte, vielleicht sei mein Penis zu klein und es wurde mir noch im Duschbereich der Schubhaft bewusst, dass ich Homosexuell bin.

RI: Das ist Ihnen in all den Jahren, seit 2015 nicht aufgefallen?

BF: Nein, es ist mir nicht so richtig bis dato aufgefallen. Davon abgesehen, ist das eine Schande für uns Afghanen bzw. schambehaftetes, dass man Homosexuell ist.

BFV: Wenn man Sie heute entlassen würde, wie stellen Sie sich dann den weiten Aufenthalt in Österreich vor?

BF: Dann würde ich aufgrund meiner neuen vorgebrachten Gründe, in einem Flüchtlingsheim wohnen und aufgrund dessen, könnte ich mein Leben in Österreich weiterführen.

2.7.    Mit mündlich am 26.05.2021 verkündetem Erkenntnis wurde in der dg Rechtssache zu GZ W150 2242596-1 unter anderem die Schubhaftbeschwerde des AW als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen (Spruchpunkte I. und II.).

Im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung kam das BVwG hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen neuen Asylgründe des AW zu folgendem Schluss:

Der im Folgeantrag vorgebrachte Fluchtgrund der Homosexualität erwies sich im Rahmen einer Grobprüfung einerseits schon deshalb nicht glaubwürdig, da ihm dies seit erstmaliger Stellung eines Asylantrages in Österreich erst ca. fünfeinhalb Jahre später eingefallen ist. Die Angaben im Zuge seiner Einvernahme vor dem BVwG am 26.05.2021, dass er erst im Zuge seiner Leibesvisitation nach Rücküberstellung nach Österreich durch die österreichischen Beamten seine Homosexualität bemerkt hätte, erscheint nicht glaubwürdig, da er schon aufgrund seiner Unterbringung in verschiedenen Haftanstalten (sowohl Strafhaft als auch Ersatzarrest) mehrfach und länger auf engem Raum mit Männern untergebracht war, ihm aber diesbezüglich nie etwas aufgefallen sein soll, andererseits gab er nun auch gar nicht an, dass er bei der Leibesvisitation sexuelle Erregung verspürt hätte, sondern gab ungefragt sogar im Gegenteil von sich aus an, dass sein Penis dabei sehr klein gewesen sei.

2.8.    Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am 14.06.2021 vor dem BFA, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, nahm der AW zu seinem nunmehr geltend gemachten Asylgrund wie folgt Stellung:

LA: Sind Sie gesund?

VP: Ja.

[…]

LA: Ihr Vorverfahren wurde in II. Instanz rechtskräftig negativ entschieden. Sie haben eine Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 Z 4 und 6 AsylG übernommen, womit Ihnen mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist, Ihren Antrag auf internationalen Schutz gem. § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben. Sie haben nunmehr Gelegenheit zur geplanten Vorgangsweise des Bundesamtes Stellung zu nehmen.

VP: In Afghanistan ist mein Leben in Gefahr, ich kann nicht zurückkehren.

LA: Wieso ist Ihr Leben in Gefahr?

VP: Weil ich derzeit Homosexuell bin.

LA: Berichten Sie ausführlich über Ihre Homosexualität!

VP: Weil meine Genitalien kleiner sind, als die anderen Männer. Vor 40 Tagen, als ich von Deutschland abgeschoben werden sollte, musste ich mich komplett ausziehen. Die anwesenden Per[s]onen haben über meinen Genitalienbereich gelacht und die sagten zu mir ich zähle nicht zu einem Mann und bin auch nicht als Frau zu bezeichnen. Eben deshalb habe ich mir einen neuen Asylantrag überlegt. Ich habe das früher nicht geglaubt, aber jetzt glaube ich daran, dass ich Homosexuell bin.

LA: Seit wann sind Sie Homosexuell?

VP: Seit einem Monat. Nachgefragt wieso glauben Sie das? Weil ich daran glaube, dass ich weder zum männlichen noch zum weiblichen Geschlecht dazugehöre.

2.9.    In der Folge wurde dem AW erklärt, auf welcher Basis und unter Zugrundelegung welcher Länderfeststellungen das BFA in seinem Fall zur Entscheidung gelangen werde. Insbesondere wurde ihm auch erläutert, dass die vorgebrachten Gründe, die ihn zum Verlassen seines Herkunftsstaates veranlasst haben und vor einer Rückkehr in diesen abhalten sollen, keinen glaubhaften Kern aufwiesen. Der AW nahm dazu wie folgt Stellung:

„Ich bin überzeugt davon, dass wenn ich zurückgeschickt werde. Ich gesteinigt und getötet werde. Ich war minderjährig als ich nach Österreich gekommen bin, ich kenne mich nicht mehr dort aus, wenn ich zurückkehre.“

2.10.   Im weiteren Verlauf der Einvernahme gab das das BFA dann bekannt, dass auf Grund des bisherigen Verfahrensverlaufes beabsichtigt sei, den neuerlichen Antrag des AW auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen und seinen faktischen Abschiebeschutz gem. § 12a Abs. 2 AsylG aufzuheben. Er wurde zudem darauf hingewiesen, dass ihm auch keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zustünde. Dem AW wurde die Möglichkeit eingeräumt, zum geschilderten Vorhaben des BFA Stellung zu nehmen, was von ihm jedoch nicht genutzt wurde.

2.11.   Nach wortwörtlicher Rückübersetzung der gesamten Niederschrift und kurzer Unterbrechung der Niederschrift wurde dem AW der mündliche Bescheid gemäß § 12a Abs. 2 iVm § 22 Abs. 10 Asylgesetz verkündet, wonach der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, gemäß § 12a Absatz 2 AsylG aufgehoben wird.

Begründend traf das BFA Feststellungen zur Person des AW und zu seinem Herkunftsstaat. Nach einer Zusammenfassung des Verfahrensganges hielt das BFA zum vom AW nunmehr behaupteten neuen Asylgrund der Homosexualität im Wesentlichen fest, dass das Vorbringen des AW keinen glaubhaften Kern aufgewiesen hätte und jedenfalls nicht hinreichend begründet worden sei. Diesbezüglich verwies das BFA insbesondere auch auf die Begründung des BVwG im Rahmen des Erkenntnisses in der oben erwähnten Schubhaftbeschwerde. Überdies stütze sich das gesamte diesbezügliche Vorbringen des AW lediglich auf Behauptungen und sei einer Verifizierung nicht zugänglich. Die Angaben des AW wären jedoch auch an sich wenig glaubhaft, will er doch vermitteln, dass er lediglich aufgrund eines unbedeutenden Ereignisses zu dem Schluss gelangt sei, dass er homosexuell wäre.

Das BFA befand ferner, dass die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des AW nach Afghanistan für diesen keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Unter Beachtung sämtlicher bekannter Tatsachen konnte vom BFA auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 3 und Art. 8 EMRK erkannt werden. Auch die Lage in seinem Herkunftsstaat sei seit der Entscheidung über den vorherigen Antrag des AW auf internationalen Schutz im Wesentlichen unverändert. Insgesamt habe sich daher der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert, weshalb der neue Antrag des AW auf internationalen Schutz voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein werde.

Da alle Voraussetzungen für eine Aufhebung des Abschiebeschutzes vorlägen, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

2.12.   Das BFA legte den Verwaltungsakt samt Bescheid vom 14.06.2021 dem BVwG vor. Der Akt langte in der zuständigen Gerichtsabteilung W267 am 17.06.2021 ein, worüber das BFA gemäß § 22 Abs. 2 BFA-VG in Kenntnis gesetzt wurde.

II.      Beweisaufnahme

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die dem erkennenden Gericht vorliegenden Akten des BFA und des BVwG samt jeweiliger Vorakten, insbesondere in die Niederschriften der Erstbefragungen vom 28.05.2015 und 14.05.2021, die Einvernahmen vor dem BFA am 01.12.2016 sowie am 14.06.2021, den Bescheid des BFA vom 09.12.2016, Zl. XXXX , das Erkenntnis des BVwG vom 17.12.2019, Zl. W222 2143311-1/25E, die Niederschrift der Verhandlung vom 26.05.2021 im Verfahren zu GZ W150 2242596-1 des BVwG, ferner in die Dokumentationsquellen des BFA betreffend Afghanistan (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan, Stand 14.12.2020), in das Strafregister der Republik Österreich sowie in das zentrale Melderegister.

III.    Sachverhaltsfeststellungen

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus, wobei ob der eingetretenen Rechtskraft die vom BVwG im Verfahren zu W222 2143311-1 getroffenen Feststellungen grundsätzlich als präjudiziell angesehen werden.

1.       Der AW führt in Österreich den Namen XXXX . Er wurde am XXXX geboren, stammt aus der afghanischen Provinz Kabul, Distrikt XXXX , und ist afghanischer Staatsangehöriger. Der AW gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist ledig und kinderlos und bekennt sich zum Islam schiitischer Ausrichtung. Er verfügt über eine siebenjährige Schulbildung in seiner Heimatprovinz und beherrscht unter anderem die Sprache Dari in Wort und Schrift. Nach Beendigung seiner Schule war er gemeinsam mit seinem Vater in der familieneigenen Landwirtschaft tätig. Der AW hat von Geburt an bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern und seinen beiden jüngeren Geschwistern in der Provinz Kabul, Distrikt XXXX , XXXX , gelebt. Die Familie besitzt das von ihr bewohnte Haus sowie landwirtschaftliche Grundstücke, wovon sie den Lebensunterhalt bestreitet. Der AW hat mit seiner Familie Kontakt. Dieser geht es gut, ihre Mitglieder waren auch keinen Bedrohungen ausgesetzt. Finanzielle Probleme der Familie bestehen nicht.

2.       Der AW ist gesund, gehört nicht zu einer der COVID-19-Risikogruppen und ist arbeitsfähig. Es bestehen keine Hinweise, dass beim AW schwerwiegende physische bzw. psychische Erkrankungen vorlägen, die einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstünden.

3.       Es kann nicht festgestellt werden, dass der AW Afghanistan aufgrund einer Verfolgung durch die Taliban oder wegen einer anderen konkreten individuellen Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlies oder dass er nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der AW homosexuell ist. Er hätte im Falle seiner Rückkehr in Afghanistan insbesondere auch nicht aufgrund einer homosexuellen Orientierung Übergriffe auf Leib und Leben, oder auch nur relevante Verfolgung zu befürchten. Es fehlt beim AW sohin an einer asylrelevanten Verfolgung in Afghanistan.

4.       Der AW stellte im Bundesgebiet bereits einmal einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit des BVwG Erkenntnis vom 17.12.2019, Zl. W222 2143311-1/25E Erkenntnis rechtskräftig abgewiesen wurde.

Er stellte am 14.05.2021 den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Im gegenständlichen Verfahren bezieht sich der AW auf keinen der von ihm im Rahmen seines ersten Antrages geltend gemachten Gründe mehr, sondern lediglich darauf, dass er nunmehr (seit etwa einem Monat) homosexuell sei.

5.       In Bezug auf den AW besteht kein hinreichend schützenswertes Privat- und/oder Familienleben im Bundesgebiet.

6.       Am 04.09.2019 wurden der AW durch das LG für Strafsachen Wien, Zl. XXXX , wegen § 15 StGB, § 84 Abs. 4 StGB; § 134 Abs. 1 1. Fall StGB; § 15 StGB, § 269 Abs. 1 1. Fall StGB; § 15 StGB, § 83 Abs. 1 StGB – rechtskräftig – zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, davon 6 Monate unbedingt und 12 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren.

Am 12.11.2020 wurden der AW durch das BG Dornbirn, Zl. XXXX , wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer Geldstrafe von 140 Tagsätzen (NEF 70 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) – rechtskräftig –verurteil. Die Probezeit des bedingten Teils der vom LG für Strafsachen Wien zu XXXX verhängten Strafe wurde auf 5 Jahre verlängert.

7.       Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des AW nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn (als Zivilperson) eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Es liegen keine Umstände vor, welche seiner Außerlandesbringung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Der AW verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.

8.       Eine entscheidungswesentliche Änderung der persönlichen Situation des AW sowie der Ländersituation im Herkunftsstaat ist seit der Entscheidung über den vorhergehenden Antrag des AW auf internationalen Schutz nicht eingetreten.

9.       Der Folgeantrag wird voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.

10.      Der Bescheid des BFA über die Aufhebung des Abschiebeschutzes wurde dem AW am 14.06.2021 mündlich verkündet.

IV.      Beweiswürdigung

Die Feststellungen gründen sich im Wesentlichen auf die im für das gegenständliche Verfahren präjudiziellen – rechtskräftigen – Erkenntnis des BVwG vom 29.11.2019, W222 2143311-1/25E, getroffenen, sofern ihnen nicht Sachverhalte zugrunde liegen, die sich erst nach diesem Datum ereignet haben. Berücksichtigt wurde ferner das dg Schubhaftverfahren zu W150 2242596-1, insbesondere die in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 26.05.2021 sowie im mündlich verkündeten Erkenntnis vom selben Tage enthaltenen Angaben, so etwa die aufgrund persönlichen Eindrucks des dortigen Richters im Zuge der Einvernahme des AW vorgenommene Beweiswürdigung und Feststellung hinsichtlich dessen angeblicher Homosexualität.

Der Verfahrensgang sowie die Feststellungen zum Verfahrensablauf ergeben sich aus dem Akteninhalt der zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten des BFA und des BVwG.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Glaubenszugehörigkeit, Schulbildung und zu seinen Lebensumständen im Heimatland basieren auf den Angaben des AW vor der Verwaltungsbehörde und in den mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG in den Verfahren zu W222 2143311-1 und W150 2242596-1. Die Feststellung des Geburtsdatums und somit des Alters des AW stützt sich auf das durch das BFA veranlasste Volljährigkeitsgutachten. Der AW hat im Verfahren keine Dokumente zu seiner Identität vorgelegt, die ihm nicht lediglich aufgrund seiner Anträge auf internationalen Schutz von österreichischen Behörden ausgestellt wurden, weshalb die diesbezüglichen Feststellungen ausschließlich für die Identifizierung der Person des AW im gegenständlichen Asylverfahren gelten.

Die Feststellungen zur Einreise, zu den Antragstellungen und zum Aufenthalt des AW in Österreich und Deutschland ergeben sich aus dem Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten des BFA und des BVwG sowie dem damit in Einklang stehenden Vorbringen des AW.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand sowie zur aktuellen privaten und familiären Situation des AW gründen sich auf dessen Vorbringen in beiden Asylverfahren. Das Vorliegen eines erheblichen schützenswerten Privat- oder Familienlebens in Österreich wurde von ihm im Verfahren nicht dargelegt. Hinweise auf für das Verfahren erhebliche gesundheitliche Probleme liegen nicht vor. Da der AW noch jung und gesund ist, zudem jedenfalls zu keiner der COVID-19-Risikogruppen gehört, ist er aufgrund dieses Virus und der notorisch leichten bzw. sogar asymptomatischen Verläufe in seiner Altersgruppe in Afghanistan auch keiner wesentlich höheren Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt, als er es in Österreich (etwa auch im Falle der Überlastung der Spitalskapazitäten) wäre.

Aufgrund seines Gesundheitszustandes, seines Alters, seiner Ausbildung sowie seiner Ausführungen in den mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG zu seiner Herkunft, seinem Aufenthalt und seiner Freizeitbeschäftigung in Österreich konnte auch festgestellt werden, dass der AW arbeits- und erwerbsfähig ist.

Die Feststellung der rechtskräftigen Verurteilungen des AW ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

In Übereinstimmung mit dem BFA und dem Richter im Schubhaftverfahren geht auch das erkennende Gericht davon aus, dass sich die vom AW vorgebrachten Umstände, wonach für ihn in Afghanistan eine konkrete Gefährdung aufgrund homosexueller Neigungen bestünde, aus folgenden Erwägungen als nicht glaubhaft erweisen:

Der AW ist bereits im September 2015 irregulär in Österreich eingereist und hatte seither mehrfach die Gelegenheit, gegenüber den Behörden dieses Landes jene Gründe zu schildern, die ihm eine Rückkehr nach Afghanistan unmöglich machen. Bis Ende 2020, sohin mehr als fünf Jahre, war dies lediglich seine angebliche Furcht vor einer Zwangsrekrutierung oder vor Repressalien durch die Taliban. Die Frage einer für Muslime gefährlichen sexuellen Orientierung war nie Thema.

In diesen Jahren lebte der AW nicht nur in Österreich und hatte eigenen Angaben zufolge auch ständig Kontakt mit anderen Jugendlichen (s. etwa AS 95 des BFA-Aktes), er war aufgrund einer Vielzahl begangener Verwaltungsübertretungen und Straftaten auch mehrere Monate in Haft. Dass in österreichischen Haftanstalten Geschlechtertrennung herrscht und das Zusammenleben der Häftlinge nicht gerade von Distanz geprägt ist, kann als notorisch angenommen werden. Freiwillige (und unfreiwillige) körperliche Kontakte zwischen Strafgefangenen sind durchaus möglich und dem Vernehmen nach auch nicht unüblich. Hinzu kommt, dass gerade im Vollzug eine verstärkte Betonung körperlicher Stärke und Präsenz nicht nur bemerkt, sondern auch durch Zurverfügungstellung von Fitnessgeräten sogar aktiv unterstützt wird. So können die Strafgefangenen wenigstens überschüssige Energien abbauen.

Wenn der AW daher zur Zeit seiner Inhaftierung latent homosexuell gewesen wäre, hätte er dann nicht im Rahmen seines neuen Asylantrages entsprechende Empfindungen artikulieren müssen? Um wieviel nachvollziehbarer wäre es, wenn der AW behauptet hätte, in diesem Haftumfeld eine neue sexuelle Orientierung bemerkt zu haben. Stattdessen gibt er an, dass ihm erst beim Duschen im Rahmen der Rückschiebung aus Deutschland aufgefallen wäre, dass er homosexuell sei (s. Protokoll der Erstbefragung vom 14.05.2021). Im Rahmen der mündlichen Schubhaftverhandlung vor dem BVwG gab er an, dass ihm erst, nachdem ihn seine Betreuer ausgezogen und gelacht hätten, „der Gedanke“ gekommen war, dass mit ihm „was nicht stimme“. Er habe gedacht, dass vielleicht sein Penis zu klein sei und es wäre ihm noch im Duschbereich der Schubhaft bewusst geworden, dass er homosexuell sei. Bei der Beschreibung eines tatsächlichen Erkennens einer anderen sexuellen Orientierung, noch dazu einer von der Art, wie sie die Religion des AW eigentlich nicht goutiert, wäre zu erwarten gewesen, dass dieser über Emotionen berichtet, vielleicht über Angst und über Scham. Dass man von solch einem Ereignis berichtet, indem man erklärt, man habe „gedacht“, man könne doch etwas für das gleiche Geschlecht empfinden, ist wenig glaubhaft.

Auch die sonstige Diktion, mit der der AW seinen plötzlichen Sinneswandel bei mehreren Gegebenheiten beschreibt, ist nicht geeignet, ein inneres Vorgehen annehmen zu lassen. So antwortet er im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am 14.06.2021 vor dem BFA auf die Frage, wieso sein Leben im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in Gefahr wäre, wörtlich: „Weil ich derzeit Homosexuell bin“. Als ob solch eine Orientierung eine bloß temporäre Erscheinung wäre. Zudem gibt der AW in diesem Zusammenhang auch an, deshalb „seit einem Monat“ zu glauben, dass es homosexuell sei, weil er der Meinung sei, dass er „weder zum männlichen noch zum weiblichen Geschlecht dazugehöre“. Homosexualität wäre jedoch die Hinwendung zum eigenen Geschlecht.

Es ist der Beweiswürdigung des Richters im dg Schubhaftverfahren beizupflichten, wenn dieser argumentiert, dass die Angaben des AW im Zuge seiner Einvernahme vor dem BVwG am 26.05.2021, dass er erst im Zuge seiner Leibesvisitation nach Rücküberstellung nach Österreich durch die österreichischen Beamten seine Homosexualität bemerkt hätte, nicht glaubwürdig erschienen, da er schon aufgrund seiner Unterbringung in verschiedenen Haftanstalten (sowohl Strafhaft als auch Ersatzarrest) mehrfach und länger auf engem Raum mit Männern untergebracht war, ihm aber diesbezüglich nie etwas aufgefallen sein soll. Andererseits habe der AW nicht einmal angegeben, dass er bei der Leibesvisitation sexuelle Erregung verspürt hätte, sondern er erklärte sogar im Gegenteil ungefragt von sich aus, dass sein Penis dabei sehr klein gewesen sei. Beides spricht gegen eine homosexuelle Orientierung des AW.

Wichtig für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des AW sind ferner der zeitliche und der explizit geäußerte inhaltliche Zusammenhang des Auftretens der angeblichen Änderung der sexuellen Orientierung des AW und seiner nunmehr definitiven zwangsweisen Außerlandesbringung. Wenn er im Rahmen der mündlichen Schubhaftverhandlung von seinem Vertreter gefragt wird, wie er sich den weiten Aufenthalt in Österreich vorstelle, wenn er heute entlassen würde, so erklärt er: „Dann würde ich aufgrund meiner neuen vorgebrachten Gründe, in einem Flüchtlingsheim wohnen und aufgrund dessen, könnte ich mein Leben in Österreich weiterführen.“

Bereits nach der rechtskräftigen Abweisung seines ersten Asylantrages hat der AW keinerlei Schritte unternommen, um das Bundesgebiet legal zu verlassen. Er hat generell ein äußerst ambivalentes Verhältnis zur Einhaltung der österreichischen Gesetze, was seine Verurteilungen wegen zahlreicher Delikte zeigen, wie auch zur Wahrheit, sofern diese ihm nicht von Nutzen ist. Letzteres beginnt mit der Angabe eines falschen Geburtsdatums bei der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet, um als Minderjähriger zu gelten. Trotz des gutachterlichen Gegenbeweises im ersten Asylverfahren versuchte der AW sogar noch im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am 14.06.2021 vor dem BFA das gegenständliche Verfahren betreffend mit seiner angeblichen Minderjährigkeit zu argumentieren, wenn er sagt: „Ich war minderjährig als ich nach Österreich gekommen bin, ich kenne mich nicht mehr dort aus, wenn ich zurückkehre.“ Im ersten dg Asylverfahren hat sich der AW in Bezug auf den dort geltend gemachten Grund der Bedrohung durch die Taliban häufig in logische Widersprüche verwickelt, sodass bereits sein damaliges diesbezügliches Vorbringen als konstruiert bewertet werden musste.

Das Gericht geht auch im gegenständlichen Verfahren aufgrund der Gesamtumstände davon aus, dass die vom AW nunmehr behauptete, angeblich erst seit rund einem Monat bestehende homosexuelle Orientierung nicht der Wahrheit entspricht und diese Argumentationslinie von ihm nur gewählt wurde, weil er sich aufgrund der Verhängung der Schubhaft nicht der zwangsweisen Außerlandesbringung durch Untertauchen entziehen kann. Der AW versucht auf diesem Wege, seinen Verbleib im Bundesgebiet zu erwirken, und sei es nur so lange, bis er irgendwie aus dem Gewahrsam entlassen wird, was ihm – unabhängig vom Ergebnis der Beurteilung seiner Umorientierung – ein Abtauchen in die Illegalität ermöglichen würde.

Die vom AW im Rahmen seines ersten Antrages auf internationalen Schutz aufgestellte Behauptung, ihm würde in Afghanistan Gefahr von den Taliban insbesondere auch durch Zwangsrekrutierung drohen, wurde nicht nur bereits vom BVwG im Verfahren zu W222 2143311-1 als nicht glaubhaft – rechtskräftig – verworfen, der AW führt sie im Zuge seiner verfahrensgegenständlichen zweiten Antragstellung auch gar nicht mehr als Fluchtgrund an.

Aus all diesen Erwägungen erweist sich das Fluchtvorbringen des AW als nicht glaubhaft und auch der behaupteten Nachfluchtgrund der Homosexualität war nicht geeignet, die maßgebliche Wahrscheinlichkeit seiner Verfolgung im Falle der Rückkehr nach Afghanistan annehmen zu müssen.

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des AW sind gegenüber den im rechtskräftig negativ abgeschlossenen Verfahren getroffenen Feststellungen – mit Ausnahme des Auftretens der die ganze Welt betreffenden COVID-19-Pandemie – keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten, wovon sich das Gericht durch Einsicht in die, dem verfahrensgegenständlichen Bescheid zugrunde liegenden Länderinformationen zu Afghanistan überzeugen konnte. Die durch die COVID-19-Pandemie bedingten Implikationen für Afghanistan wurden vom BFA im Rahmen des verfahrensgegenständlichen, mündlich verkündeten Bescheides jedoch eingehend berücksichtigt. Das Risiko einer Erkrankung nicht geimpfter junger Personen ist dort nicht wesentlich höher als in Österreich, zudem ist die Wahrscheinlichkeit der Hospitalisierung von Angehörigen seiner Altersgruppe da wie dort gleich gering. Beides kann als notorisch angesehen werden. Sollte der AW bereits geimpft sein, oder bis zu seiner Außerlandesbringung zumindest eine Impfdosis erhalten, wäre er COVID-19 betreffend wohl sogar in einer besseren Position als die überwiegende Mehrheit der Afghanen. Hinzu kommt, dass der AW den Länderfeststellungen zu Afghanistan in keinem der bisherigen Verfahren, so auch nicht im gegenständlichen entgegengetreten ist. Dass sich seit Erlass der Entscheidung im Vorverfahren in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann in diesem Fall somit verneint werden. Die Lage stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar.

Im vorliegenden Fall ist somit der Beurteilung des BFA nicht entgegenzutreten, dass von einer entschiedenen Sache auszugehen sein wird.

V.       Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

§ 22 Abs. 10 AsylG lautet:

“Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.“

1.       Zu A)

1.1.    Im Verfahren zur Aberkennung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG durch das BFA ist ein Ermittlungsverfahren durchzuführen (vgl. § 18 AsylG), wobei auch der Grundsatz der Einräumung von rechtlichem Gehör (§§ 37, 45 Abs. 3 AVG) zu beachten ist. Ein solches Ermittlungsverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Es wurde dem AW Parteiengehör eingeräumt, er wurde am 14.05.2021 und am 14.06.2021 befragt und wurde ihm die Möglichkeit der Stellungnahme zu den maßgeblichen Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat eingeräumt. Dem AW wurde im Rahmen der Einvernahme vom 14.06.2021 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid gemäß § 12 Abs. 2 AsylG aufzuheben.

1.2.    Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG kann das BFA, wenn der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG) gestellt hat und kein Fall des Abs. 1 vorliegt, den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

„1.      gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2.       der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3.       die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.“

Ein Folgeantrag im Sinne von § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 ist jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag. Das (erste) Erkenntnis des BVwG zum auch in diesem Verfahren gegenständlichen fluchtbezogenen Sachverhalt war bereits mit 30.01.2020 rechtskräftig.

§ 22 BFA-VG lautet:

„(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.“

Zu prüfen ist sohin, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 im gegenständlichen Fall vorliegen.

1.3.    Gegen den AW liegt eine rechtskräftige aufrechte Rückkehrentscheidung vor. Er hat das Bundesgebiet nach seiner negativen Asylentscheidung mit Rückkehrentscheidung verlassen und war im April 2021 kurzzeitig (bis zu seiner Rückübernahme am 04.05.2021) in Deutschland aufhältig.

1.4.    Res iudicata (entschiedene Sache):

Der AW hat im gegenständlichen zweiten Asylverfahren anlässlich seiner niederschriftlichen Befragung bzw. Einvernahmen vor dem BFA und dem BVwG im Rahmen des Schubhaftverfahrens erklärt, nunmehr seit einem Monat zu denken, homosexuell zu sein. Sein diesbezügliches Vorbringen ist jedoch nicht einmal im Ansatz glaubhaft und damit auch nicht als Vorliegen eines neuen asylrelevanten Sachverhaltes anzusehen. Da Vorliegen eines sonstigen neuen Asylgrundes wurde vom AW weder behauptet noch bescheinigt.

Auch die für den AW hinsichtlich der Frage der Zuerkennung von Asyl bzw. subsidiären Schutz maßgebliche Ländersituation in Afghanistan ist seit dem Erkenntnis des BVwG vom 17.12.2019 im Wesentlichen gleich geblieben und wurde Gegenteiliges auch nicht substantiiert behauptet.

Eine neue Sachentscheidung ist im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684, mwH).

Der vorliegende Folgeantrag wird daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.

1.5.    Im ersten Verfahren wurde ausgesprochen, dass der AW bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner realen Gefahr einer Verletzung der Artikel 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bestehen würde (§ 50 FPG).

Auch im nunmehr zweiten Asylverfahren vor dem BFA sind – im Lichte der eben getroffenen Erwägungen – keine Risiken für den AW im Sinne des § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG hervorgekommen oder substantiiert behauptet worden. Es sind auch keine diesbezüglich erheblichen in seiner Person liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden. Auch seitens des AW wurde kein entsprechendes konkretes Vorbringen hiezu getätigt. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des AW in seinen Herkunftsstaat stellt für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention dar bzw. ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Artikel 8 EMRK gerechtfertigt. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

2.       Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.       Es war daher – gemäß § 22 Abs. 1 2. Satz BFA-VG ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung – spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Glaubwürdigkeit res iudicata

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W267.2143311.2.00

Im RIS seit

23.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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