TE Vwgh Erkenntnis 1997/2/20 96/06/0063

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Veröffentlicht am 20.02.1997
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L80406 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Steiermark;
L82000 Bauordnung;
L82006 Bauordnung Steiermark;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AltstadterhaltungsG Graz 1980 §1 Abs1;
AltstadterhaltungsG Graz 1980 §3 Abs1;
AVG §52;
BauO Stmk 1968 §57;
BauO Stmk 1968 §63 Abs1;
BauO Stmk 1968 §70;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde

1. der G in W und 2. der H in L, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 5. Februar 1996, Zl. A 17 - C - 12.039/1995 - 1, betreffend baupolizeilichen Auftrag, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Anordnungen 4 und 5 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Landeshauptstadt Graz hat den Beschwerdeführerinnen insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Aufgrund einer Anzeige wurde am Gebäude in Graz, Y-Straße 6, deren Eigentümerinnen die Beschwerdeführerinnen sind, am 21. Juli 1995 eine Überprüfung durchgeführt und bereits abgebröckelter Putz sowie lose Putzteile festgestellt. Die Putzschäden wurden für die beiden Straßenfassaden zur Z-Gasse und zur Y-Straße hin näher konkretisiert. Die Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission führte in ihrer Stellungnahme vom 13. September 1995 aus, daß die im baupolizeilichen Bericht festgestellten Schäden insbesondere die Wandflächen und Pilaster beträfen. Es liege damit eine erhebliche Störung des Erscheinungsbildes des Gebäudes vor, das zufolge seiner Charakteristik und gestalterischen Qualität im Sinne des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes 1980 als schutzwürdig zu bezeichnen sei. Die Beauftragung der Instandsetzung des schadhaften Außenverputzes erscheine daher gerechtfertigt und sei im Sinne des § 3 leg. cit. "im Erhaltungsgebot eines schutzwürdigen Hauses" gelegen.

Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 28. November 1995 wurde an die Beschwerdeführerinnen gemäß § 39 Steiermärkisches Baugesetz der Auftrag erteilt, "nachstehende Baumaßnahmen zur Behebung des der Bewilligung und den baurechtlichen Vorschriften widersprechenden Zustandes der baulichen Anlage durchzuführen":

"1)

Sämtliche schadhaften und lockeren Verputzflächen der Straßenfassade sind abzuschlagen.

2)

Sämtliche Verputzflächen der Straßenfassaden, deren Oberflächen Risse aufweisen, sind sach- und fachgerecht zu sanieren.

3)

Die gemäß Auflagen Punkt 1) vom Verputz freigelegten Wandflächen sind dem Bestand entsprechend der vorhandenen Putzarchitektur zu verputzen.

4)

Die Straßenfassaden sind dem Konsens entsprechend zu färbeln.

5)

Die Ausführung sämtlicher Arbeiten hat durch ein befugtes Unternehmen zu erfolgen.

Die Aufträge Nr. 1 - 4 sind innerhalb einer Frist von 6 MONATEN durchführen zu lassen."

Die dagegen von den Beschwerdeführerinnen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung ist nach Anführung von Teilen des § 39 Steiermärkisches Baugesetz und § 7 Abs. 2 Grazer Altstadterhaltungsgesetz 1980 im wesentlichen damit begründet, durch Erhebungen am 21. Juli 1995 sei an Ort und Stelle festgestellt worden, daß beim Haus Y-Straße 6 Schäden an den Straßenfassaden Z-Gasse und Y-Straße aufgetreten seien. Die Schäden seien solcherart, daß der Verputz stark schadhaft bzw. bereits abgebröckelt sei. Das durch die Baupolizei beanstandete Baugebrechen gemäß § 39 Steiermärkisches Baugesetz sei einerseits durch Fotos und andererseits durch ein von der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission erstelltes Gutachten dokumentiert worden. Ein Baugebrechen liege dann vor, wenn hiedurch öffentliche Interessen gefährdet seien. Öffentliche Interessen seien dann gegeben, wenn der Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit einer Person herbeiführe. Die Gefahr sei dadurch gekennzeichnet, daß sie nach dem durch eine sachkundige Person voraussehbaren Lauf der Dinge früher oder später zu einem Schaden am Leben oder an der Gesundheit von Menschen führen müsse. Es könne auch durch einen Sachverständigen ein genauer Eintritt des Schadens nicht bekanntgegeben werden. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes reiche es aus, daß der Sachverständige jenen Zeitraum feststellen könne, in dem mit einem Schaden zu rechnen sei. Was die als nicht negativ erachtete optische Wirkung des Gebäudes betreffe, werde dem entgegengehalten, daß nach dem Gutachten der Grazer

Altstadt-Sachverständigenkommisson Schäden insbesondere der Wandflächen festgestellt worden seien und diese somit eine erhebliche Störung des Erscheinungsbildes bzw. der architektonischen Schönheit darstellten. Da ein Baugebrechen im Sinne des Gesetzes gemäß § 39 Abs. 6 Steiermärkisches Baugesetz vorliege, sei von der Behörde erster Instanz zu Recht eine Behebung der Baumaßnahmen im Sinne der Punkte 1-5 aufgetragen worden.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Die Beschwerdeführerinnen erachten sich im Recht auf Unterlassung der Anordnung eines baupolizeilichen Instandhaltungsauftrages gemäß § 39 Steiermärkisches Baugesetz, auf Nichtdurchführung von Instandsetzungsarbeiten und auf richtige Anwendung der Stmk. Bauordnung 1968, des Steiermärkischen Baugesetzes 1995 und der Verfahrensgesetze verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 119 Abs. 2 Stmk. Baugesetz, LGBl. Nr. 59/1995, sind die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen Verfahren nach den bisher geltenden Bestimmungen zu Ende zu führen. Für die Stadt Graz gilt die abweichende Regelung, daß über Berufungen von in erster Instanz anhängigen Verfahren die Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz entscheidet.

Die Beschwerdeführerinnen machen zunächst zu Recht geltend, daß das vorliegende baupolizeiliche Verwaltungsverfahren bereits vor dem Inkrafttreten des Stmk. Baugesetzes am 1. September 1995 anhängig gewesen sei und daher die Stmk. Bauordnung 1968 anzuwenden sei. Das vorliegende baupolizeiliche Verfahren wurde spätestens mit der aufgrund der erwähnten Anzeige durchgeführten Überprüfung am 21. Juli 1995 anhängig. Im vorliegenden Verwaltungsverfahren war daher die Stmk. Bauordnung 1968 anzuwenden. Da auch § 70 Stmk. Bauordnung 1968 - wie § 39 Stmk. Baugesetz - einerseits die Verpflichtung des Eigentümers, dafür zu sorgen, daß die Bauten in einem der Baubewilligung und den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand erhalten werden, andererseits die Verpflichtung der Baubehörde enthält, erforderliche Sicherungsmaßnahmen anzuordnen, wenn der Eigentümer dieser Verpflichtung zur Erhaltung nicht nachkommt, ergibt sich aus der nicht zutreffenden Anwendung des Stmk. Baugesetzes keine Verletzung in subjektiven Rechten der Beschwerdeführerinnen.

Die Beschwerdeführerinnen wenden sich weiters gegen die Anordnung, die Straßenfassaden seien dem Konsens entsprechend zu färbeln. Diese stellt sich schon deshalb als rechtswidrig dar, weil die für das verfahrensgegenständliche Gebäude bestehende baurechtliche Bewilligung vom 28. November 1995 keine Anordnung betreffend die Färbelung enthält.

Es stellt auch eine Rechtswidrigkeit dar, wenn die belangte Behörde in der Anordnung 5 angeordnet hat, daß die Ausführung sämtlicher Arbeiten durch ein befugtes Unternehmen zu erfolgen habe. Gemäß § 63 Abs. 1 Stmk. Bauordnung 1968 hat sich der Bauherr zur Durchführung bewilligungspflichtiger Bauarbeiten eines hiezu gesetzlich berechtigten Bauführers zu bedienen. Dieses Gebot kann auch dann herangezogen werden, wenn ein gemäß § 57 Stmk. Bauordnung 1968 bewilligungspflichtiger Bau - wie dies das verfahrensgegenständliche Gebäude jedenfalls darstellt - in den der Bewilligung entsprechenden Zustand versetzt werden muß, sofern diese Bauarbeiten ihrerseits bewilligungspflichtig gemäß der genannten Bestimmung der Stmk. Bauordnung 1968 sind. Aus den Akten ergeben sich keine Hinweise darauf, daß die in Frage stehenden Arbeiten zur Wiederherstellung des baurechtlich bewilligten Zustandes des verfahrensgegenständlichen Gebäudes bewilligungspflichtig wären. Die Anordnung 5, daß die Ausführung der vorgeschriebenen Arbeiten durch ein befugtes Unternehmen zu erfolgen hat, mit der die Ausführung dieser Arbeiten durch den Eigentümer oder Inhaber der Baubewilligung selbst ausgeschlossen wird, entbehrt daher einer gesetzlichen Grundlage. Auch in bezug auf diese Anordnung erweist sich der angefochtene Bescheid somit als inhaltlich rechtswidrig.

Die Beschwerdeführerinnen führen weiters aus, es handle sich bei der vorliegenden, von der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission festgestellten erheblichen Störung des Erscheinungsbildes des Gebäudes nicht um eine gröbliche Störung der architektonischen Schönheit des Stadtbildes im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Mai 1970, Slg. Nr. 7789/A. In dem angeführten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen eines Baugebrechens dann für gegeben erachtet, wenn sich der Zustand einer Baulichkeit derart verschlechtert, daß hiedurch öffentliche Interessen berührt werden. Als Beeinträchtigung öffentlicher Interessen, die ein Einschreiten der Baubehörde rechtfertigen, sind nach diesem Erkenntnis die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit und die gröbliche Störung der architektonischen Schönheit des Stadtbildes anzusehen.

Auch mit diesem Vorbringen sind die Beschwerdeführerinnen nicht im Recht. Das verfahrensgegenständliche Gebäude liegt in der mit Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung festgelegten Zone III (LGBl. Nr. 26/1979) gemäß dem Grazer Altstadterhaltungsgesetz 1980 (GAEG 1980), LGBl. Nr. 17/1980. Dieses Gesetz erstreckt sich gemäß § 1 Abs. 1 leg. cit. auf jene Stadtteile von Graz, die in ihrer landschaftlichen und baulichen Charakteristik das Stadtbild prägen und daher in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Baustruktur und Bausubstanz sowie in ihrer vielfältigen urbanen Funktion zu erhalten sind (Schutzgebiet). Gemäß § 2 Abs. 3 leg. cit. kann die Landesregierung unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 nach Anhörung der Stadt Graz durch Verordnung als Schutzgebiet neben den Zonen I und II weitere Stadtteile in das Schutzgebiet einbeziehen, die fortlaufend mit Zone III, IV usw. zu bezeichnen sind. Gemäß § 3 Abs. 1 leg. cit. haben die Liegenschaftseigentümer im Schutzgebiet jene Gebäude, die in ihrer baulichen Charakteristik für das Stadtbild von Bedeutung sind, in ihrem Erscheinungsbild nach Maßgabe der Schutzwürdigkeit ganz oder teilweise zu erhalten. Zum Erscheinungsbild gehören alle gestaltwirksamen Merkmale des Gebäudes, wie u.a. die Fassaden einschließlich der Gliederung. Es handelt sich im vorliegenden Fall bei dem verfahrensgegenständlichen Gebäude somit um ein Gebäude, das in seiner baulichen Charakteristik gemäß § 3 Abs. 1 GAEG 1980 für das Stadtbild von Bedeutung ist. Aus der von der Altstadt-Sachverständigenkommission festgestellten erheblichen Störung des Erscheinungsbildes des Gebäudes hat die belangte Behörde daher zutreffend auf das Vorliegen einer gröblichen Störung der architektonischen Schönheit des Stadtbildes geschlossen.

Worauf sich die Annahme der Beschwerdeführerinnen stützt, die belangte Behörde selbst gehe davon aus, durch die geringfügigen Verputzschäden würden weder Personen noch Sachen gefährdet, ist nicht ersichtlich.

Nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen sei zur Lösung der Frage, ob ein bestimmter Bauschaden schon als Baugebrechen zu beurteilen sei, in der Regel die Erstellung eines Gutachtens eines bautechnischen Sachverständigen erforderlich. § 39 Stmk. Baugesetz sehe für den Fall, daß die Ursache und der Umfang eines Baugebrechens durch den Augenschein allein nicht feststellbar seien, vor, daß die Untersuchung durch einen Sachverständigen und die Vorlage eines Gutachtens aufgetragen werden könne. Das Gutachten eines Bausachverständigen könne nicht gleichgesetzt werden mit dem von der erstinstanzlichen Behörde eingeholten Gutachten der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission, weil diese Kommission gemäß dem GAEG 1980 ganz andere Aufgaben als die Feststellung von Art und Umfang von Baugebrechen habe. Die Beschwerdeführerinnen hätten während des gesamten Verfahrens die Art und den Umfang des von der Behörde festgestellten "Schadensbildes" ausdrücklich bestritten.

Für die Frage, ob ein Baugebrechen vorliegt, kann ein Sachverständigengutachten erforderlich sein. Werden aber - wie im vorliegenden Fall - von der Behörde auf Grund eines Augenscheines nicht unbeträchtliche Putzschäden an den an einer öffentlichen Straße gelegenen Fassaden eines Gebäudes festgestellt (wie insbesondere im vorliegenden Fall die bei der Überprüfung festgestellten Mängel betreffend abgebröckelten Putz, lose Putzteile und daß über den gesamten Bereich der Straßenfassaden augenscheinlich Risse bestehen, die auf einen bereits lockeren, porösen Putz schließen lassen), konnte die belangte Behörde - ohne daß es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte - darauf schließen, daß durch die dadurch gegebene Gefahr des Abbröckelns von Teilen des Putzes der Fassade eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen bewirkt werde. Diesbezüglich bedurfte es somit keines Gutachtens eines bautechnischen Sachverständigen. Sofern aber die Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission eine erhebliche Störung des Erscheinungsbildes des Gebäudes festgestellt hat, konnte die belangte Behörde - wie dargelegt - gestützt darauf zutreffend auf eine gröbliche Störung der architektonischen Schönheit des Stadtbildes schließen.

Der angefochtene Bescheid war, soweit er die Anordnungen 4 und 5 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des beantragten Kostenbegehrens der belangten Behörde auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren in bezug auf Stempelgebühren und Streitgenossenzuschlag war abzuweisen, da einerseits die Beschwerde nur in zweifacher Ausfertigung einzubringen war und andererseits an Schriftsatzaufwand ausschließlich Kosten gemäß den in der angeführten Verordnung vorgesehenen Pauschalbeträgen ersetzt werden.

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker Bautechniker Ortsbild Landschaftsbild

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996060063.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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