TE Bvwg Beschluss 2021/6/29 W126 2239173-1

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Veröffentlicht am 29.06.2021
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Entscheidungsdatum

29.06.2021

Norm

ASVG §18a
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W126 2239173-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr.in Sabine FILZWIESER-HAT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, vom 30.11.2020, Zl. XXXX , betreffend Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Pensionsversicherungsanstalt zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) vom 30.11.2020 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 20.07.2020 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten ihres behinderten Kindes abgelehnt.

Begründend führte die belangte Behörde an, dass aufgrund des fachärztlichen Begutachtungsergebnisses die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin durch die Pflege ihres Kindes nicht überwiegend beansprucht werde. Bei ihrer Tochter sei eine spastische Bronchitis diagnostiziert worden. Bereits am 24.02.1993 sei eine bescheidmäßige Ablehnung der Selbstversicherung für die Zeiten der Pflege ihrer Tochter erfolgt.

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und führte aus, dass sie ihre berufliche Tätigkeit vor 30 Jahren aufgegeben habe um sich der Obsorge ihres Kindes zu widmen. Erst nach der Schul- und Berufsausbildung des Kindes habe sie eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen. Die Asthmaanfälle seien während der Tag- und Nachtzeiten aufgetreten und die damalige, schwere Erkrankung ihres Kindes habe sie rund um die Uhr in Anspruch genommen. Sowohl im Kindergarten als auch in der Volksschule habe es viele Fehlzeiten gegeben und das Kind sei krankheitsbedingt von Turnunterricht befreit worden. Die Wohnung sei komplett saniert worden und alle Staubfänger entfernt, was zu einer enormen Mehrbelastung geführt habe. Auch Therapien zur Hebung der Abwehrkraft seien auf eigene Kosten vorgenommen worden. Außerdem seien Erholungsaufenthalte in Höhenluft – in Begleitung eines Elternteils – vorgeschrieben worden. Hinzu sei noch die Fehlstellung beider Füße (Klumpfüße) gekommen und das Kind habe nach kurzen Gehstrecken getragen werden müssen. Der Grad der Behinderung betrage 60 %. Nach der Pubertät seien die Asthmaanfälle immer weniger geworden und hätten irgendwann im Erwachsenenalter aufgehört. Im angefochtenen Bescheid sei nur „Hauptdiagnose: spastische Asthmaerkrankung“ angeführt worden und ihr geschilderter Pflegeaufwand habe kein Gehör gefunden. Sowohl die Arbeiterkammer als auch die Pensionsstelle Klagenfurt hätten ihr gesagt, dass es möglich sei, eine rückwirkende Anrechnung nach § 18 ASVG zu erhalten. Ferner hätten ihr beide Stellen mitgeteilt, dass es Erfahrungswerte gebe, dass bis zum Höchstausmaß von 120 Kalendermonaten der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für die Zeiten der Pflege des behinderten Kindes stattgegeben wird und wurde. Zumal ihr Zeiten für die Pflege ihres damals schwer erkrankten Kindes fehlen würden, würde ihre derzeitige Pension für 27 Arbeitsjahre EUR 330,- betragen. Sie bitte daher um eine wohlwollende Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht.

3. Die PVA legte die gegenständliche Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor und führte in ihrer ergänzenden Stellungnahme aus, dass das Kind der Beschwerdeführerin seit dem Jahre 1989 an einer spastischen Bronchitis leide. Dabei sei es ca. einmal im Monat zu Asthmaanfällen gekommen, wobei das Kind jedoch nicht von der allgemeinen Schulpflicht befreit gewesen sei. In der Pubertät sei ihr Zustand besser geworden und im Erwachsenenalter hätten die Beschwerden ganz aufgehört. Seit 2012 sei die Tochter berufstätig und habe davor studiert. Daher sei die Beschwerdeführerin mit der Pflege ihrer Tochter nicht überwiegend belastet und daher durchaus in der Lage gewesen, einer Beschäftigung nachzugehen. Bereits mit Bescheid vom 24.02.1993 sei ein Antrag der Beschwerdeführerin auf eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a ASVG abgelehnt worden. Die dagegen erhobene Beschwerde habe die Beschwerdeführerin in der Folge zurückgezogen. Da sich der Gesundheitszustand des Kindes seitdem sogar gebessert habe, seien die Voraussetzungen für eine Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG nunmehr ebensowenig gegeben wie im Jahr 1993. Im Übrigen liege eine res iudicata vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin hat zumindest seit 23.04.1992 ihren Wohnsitz im Inland. Ihre Tochter XXXX , hat bis 10.10.2014 im gemeinsamen Haushalt mit ihr gelebt.

Für die Tochter der Beschwerdeführerin wurde ab Dezember 1993 bis September 2011 erhöhte Familienbeihilfe bezogen. Sie war nicht von der allgemeinen Schulpflicht befreit oder bettlägrig.

Die Beschwerdeführerin stellte am 18.01.1993 einen Antrag auf Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihrer Tochter. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 24.02.1993 abgelehnt, da nach dem Ergebnis der Beurteilung des fachärztlichen Gutachtens, ihre Arbeitskraft zur Pflege ihrer Tochter nicht zur Gänze beansprucht werde. Ihre dagegen erhobene Beschwerde zog die Beschwerdeführerin zurück.

Am 20.07.2020 beantragte die Beschwerdeführerin erneut die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihrer Tochter.

Bei der Beschwerdeführerin liegen im verfahrensgegenständlichen Zeitraum folgende Versicherungszeiten vor:

Zeitraum

Anzahl Monate

Art der Versicherung

08/1986 bis 05/1990

46

Zeiten der Kindererziehung
Ersatzzeit

01/1992 bis 01/1992

1

Pflichtversicherung nach dem ASVG – Arbeiterin

Beitragszeit, Resttagemonat

01/1993 bis 01/1993

1

Pflichtversicherung nach dem ASVG – Arbeiterin

Beitragszeit, Resttagemonat

01/1994 bis 01/1994

1

Pflichtversicherung nach dem ASVG – Arbeiterin

Beitragszeit, Resttagemonat

01/1995 bis 01/1995

1

Pflichtversicherung nach dem ASVG – Arbeiterin

Beitragszeit, Resttagemonat

Von 01/2008 bis laufend war bzw. ist die Beschwerdeführerin nahezu durchgehend geringfügig beschäftigt und gemäß § 19a ASVG selbstversichert.

1.2. Es steht nicht fest, ob die Beschwerdeführerin ihre Tochter unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft gepflegt hat.

Im Tatsachenbereich hat die belangte Behörde hinsichtlich der Voraussetzungen für die Berechtigung zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a ASVG im verfahrensrelevanten Zeitraum keine bzw. keine ausreichenden Ermittlungen gepflogen und insbesondere auch kein medizinisches Gutachten zu den gegenständlich entscheidungsrelevanten Fragen eingeholt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus dem Verfahrensakt der PVA (insbesondere aus den Unterlagen betreffend das Verfahren über den Antrag der Beschwerdeführerin aus dem Jahr 1993, der Bestätigung des Finanzamtes über den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe vom 21.09.2010 und dem verdichteten Versicherungsverlauf mit Stand 27.01.2021), sowie aktuellen Auszügen aus dem Zentralen Melderegister.

2.2. Die Feststellung, dass die Behörde (ausreichende) Feststellungen und Ermittlungen zu den Voraussetzungen für die Berechtigung zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung unterlassen und auch kein medizinisches Gutachten in gegenständlicher Rechtssache eingeholt hat, konnte ebenso aufgrund des (übrigen) Akteninhalts getroffen werden, der keine entsprechenden Ermittlungen bzw. Ermittlungsergebnisse enthält.

So fehlen Ermittlungen dazu, ob die Beschwerdeführerin ihre Tochter unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft gepflegt hat. Die Beschwerdeführerin legte diesbezüglich diverse medizinische Unterlagen vor, die in der Entscheidung der belangten Behörde nicht berücksichtigt wurden. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird lediglich stichwortmäßig „Hauptdiagnose: Spastische Bronchitis“ angeführt, jedoch weder dargelegt, was dies im konkreten Fall für die Beschwerdeführerin an Pflegeaufwand bedeutet, noch wurde darauf eingegangen, ob aufgrund der Diagnose Klumpfüße weitere Beeinträchtigungen bei der Tochter bestanden haben. Die PVA nimmt in der Begründung lediglich Bezug auf ein nicht näher definiertes fachärztliches Begutachtungsergebnis, das dem übermittelten Akteninhalt nicht angeschlossen wurde. Es ist daher anzunehmen, dass es sich hierbei um das anlässlich des ersten Antrag der Beschwerdeführerin aus dem Jahr 1993 erstellte Gutachten handelt. Laut der Begründung des Bescheides vom 24.02.1993 sei nämlich aufgrund eines fachärztlichen Gutachtens festgestellt worden, dass die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin durch die Pflege ihrer Tochter nicht zur Gänze beansprucht werde. Im Hinblick auf den für die Selbstversicherung in Betracht kommenden Zeitraum und die zwischenzeitliche Änderung der Rechtslage ist jedoch ein alleiniges Stützen auf dieses fast 30 Jahre alte Begutachtungsergebnis nicht ausreichend für die Abweisung des Antrags. Einerseits wurden neue Diagnosen bzw. die gesundheitliche Situation nach der Erstellung des Gutachtens nicht berücksichtigt und andererseits wurde die Beurteilung im Hinblick auf die nach der damaligen Rechtslage erforderlichen gänzlichen Beanspruchung der Arbeitskraft vorgenommen. Nunmehr ist aber – wie unter Punkt 3. dargestellt – die Frage maßgeblich, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin „überwiegend“ beansprucht wird. Wenn die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 27.01.2021 darauf verweist, dass sich der Gesundheitszustand des Kindes sogar verbessert habe und daher die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nunmehr ebenso wenig wie im Jahr 1993 gegeben seien, ist dem zu entgegnen, dass dieser Schluss nicht ohne weiteres gezogen werden kann. Die Beschwerdeführerin gab zwar an, dass sich die Asthmaanfälle nach der Pubertät gebessert hätten und seltener geworden seien, allerdings war ihre Tochter bei Erstellung des Gutachtens bzw. Erstellung des ersten Bescheides erst sieben Jahre alt und damit noch Jahre vom Ende der Pubertät entfernt. Über die Jahre zwischen 1993 und dem Ende der Pubertät der Tochter können aufgrund des Gutachtens aus dem Jahr 1993 daher keine Aussagen getroffen werden. Zudem entsteht aus der Begründung des Bescheides der Eindruck, dass die Diagnose der beidseitigen Klumpfüße und der damit verbundene zusätzliche Pflegeaufwand gar nicht berücksichtigt wurde. Eine Feststellung, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin durch die Pflege ihrer Tochter überwiegend beansprucht wurde, konnte auf Basis dieser sehr mangelhaften bzw. ungeeigneten Ermittlungsergebnisse nicht getroffen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit

3.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, hat der VwGH ausgesprochen, dass – im Hinblick auf den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte – von der Möglichkeit der Zurückverweisung nach § 28 Abs 3 VwGVG nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann und eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nur dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. dazu auch VwGH 16.10.2015, Ra 2015/08/0042, VwGH 12.01.2016, Ra 2014/08/0028; zur vertretbaren Rechtsansicht der nur ansatzweisen Ermittlung siehe auch VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Wie im Folgenden dargestellt wird, liegen im gegenständlichen Fall derartige gravierende Ermittlungslücken vor.

3.2. Gemäß § 669 Abs. 3 ASVG kann die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof stellte mit Erkenntnis vom 05.06.2019, Ra 2019/08/0051, klar, dass das Verwaltungsgericht das zum Zeitpunkt der Erlassung seines Erkenntnisses geltende Recht anzuwenden hat und eine andere Betrachtungsweise nur geboten wäre, wenn der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, dass auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden ist, oder wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens gewesen ist. § 707a ASVG sieht das Inkrafttreten des § 669 Abs. 3 ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 125/2017 mit 1. Jänner 2018 ohne Übergangsregelung vor. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine solche aus anderen Bestimmungen abzuleiten wäre bzw. dass diesbezüglich eine Rechtslücke bestünde (VwGH 05.06.2019, Ra 2019/08/0051, mwN).

§ 669 Abs. 3 ASVG in der aktuellen Fassung bewirkt somit, dass die Voraussetzungen des § 18a ASVG nicht mehr zeitraumbezogen zu prüfen sind. Die Voraussetzungen des § 18a ASVG sind nun rückwirkend unter Anwendung jener Rechtslage zu beurteilen, die zum Zeitpunkt des gemäß § 669 Abs. 3 ASVG gestellten Antrags galt. Auf die im zu erwerbenden Zeitraum der betreffenden Selbstversicherung früher in Geltung gestandenen Voraussetzungen für eine Selbstversicherung kommt es gemäß § 669 Abs. 3 ASVG nicht (mehr) an (siehe dazu VwGH 05.06.2019, Ra 2019/08/0051).

§ 18a ASVG ist daher in der am 20.07.2020 (Datum der Antragsstellung) geltenden Fassung (BGBl. I Nr. 2/2015) anzuwenden.

Gemäß § 18a Abs. 1 ASVG (in der anzuwendenden Fassung) können sich Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

Gemäß § 18a Abs. 2 ASVG ist die Selbstversicherung für eine Zeit ausgeschlossen,
während der eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.

Gemäß § 18a Abs. 3 ASVG wird eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

Gemäß § 18a Abs. 5 ASVG beginnt die Selbstversicherung mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs. 1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.

Gemäß §227a Abs. 1 ASVG gelten als Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 und vor dem 1. Jänner 2005 überdies in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitragszeit bzw. beim Fehlen einer solchen, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt, bei einer (einem) Versicherten, die (der) ihr (sein) Kind (Abs. 2) tatsächlich und überwiegend erzogen hat, die Zeit dieser Erziehung im Inland im Ausmaß von höchstens 48 Kalendermonaten, gezählt ab der Geburt des Kindes.

3.3. Zum Nichtvorliegen einer res iudicata

Eingangs ist auf das Vorbringen der belangten Behörde einzugehen, wonach im vorliegenden Fall entschiedene Sache vorliege und der Antrag der Beschwerdeführerin aus diesem Grund zurückzuweisen sei.

Die Rechtskraft einer früher in der gleichen Angelegenheit ergangenen Erledigung steht einer neuen Sachentscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen eine Änderung eingetreten ist. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", d.h. durch die Identität der Sache, über die formell rechtskräftig abgesprochen wurde, mit der im neuerlichen Abspruch erfassten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der für die Vorentscheidung maßgeblichen Rechtslage noch in den für die Beurteilung der in der Vorentscheidung als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist (vgl. zuletzt VwGH 20.01.2021, Ra 2020/19/0381, mwN).

Diese Rechtsansicht der belangten Behörde wird daher vom erkennenden Gericht nicht geteilt. Es ist zwar zutreffend, dass der Bescheid vom 24.02.1993 aufgrund der Zurückziehung der Beschwerde durch die Beschwerdeführerin rechtskräftig geworden ist und damit eine Entscheidung in derselben Sache nicht mehr möglich ist, allerdings liegt dem gegenständlichen Antrag nicht dieselbe Sache zugrunde. Zum einen liegt die Entscheidung bereits 30 Jahre zurück und es konnte darin – wie bereits in der Beweiswürdigung dargestellt – nur der Gesundheitszustand und der Pflegeaufwand bis zum Jahr 1993 beurteilt werden, während im gegenständlichen Antrag auch die Situation der Beschwerdeführerin nach 1993 zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus ergab sich in der Zwischenzeit auch eine Änderung der Rechtslage. Gemäß § 669 Abs. 3 ASVG sind die Voraussetzungen des § 18a ASVG nämlich nicht mehr zeitraumbezogen zu prüfen. Die Voraussetzungen des § 18a ASVG sind nun rückwirkend unter Anwendung jener Rechtslage zu beurteilen, die zum Zeitpunkt des gemäß § 669 Abs. 3 ASVG gestellten Antrags galt. Damit ist nunmehr – im Unterschied zum Bescheid vom 24.02.1993 – nicht mehr die gänzliche Beanspruchung der Arbeitskraft zu prüfen, sondern gemäß der zum Antragszeitpunkt (20.07.2020) geltenden Rechtslage die überwiegende Beanspruchung.

Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung des Antrags nach § 68 AVG liegen daher nicht vor.

3.4. Zum Zeitraum, in dem die rückwirkende Selbstversicherung nach § 18a ASVG in Betracht kommt

Gemäß § 669 Abs. 3 ASVG kann die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a ASVG auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen.

Damit ist eine rückwirkende Beanspruchung der Selbstversicherung im Zeitraum 1988 bis laufend für ein maximales Ausmaß von 120 Kalendermonaten möglich, wenn die Voraussetzungen des 18a ASVG in der anzuwendenden Fassung (BGBl. I Nr. 2/2015) gegeben sind bzw. waren.

Im vorliegenden Fall wurde für die Tochter der Beschwerdeführerin ab Dezember 1993 bis September 2011 erhöhte Familienbeihilfe bezogen, wodurch dieser Zeitraum eingegrenzt wird. In diesem Zeitraum hatte die Beschwerdeführerin zudem einen Wohnsitz im Inland und lebte mit ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt, weshalb auch die Pflege in häuslicher Umgebung wohl unstrittig vorliegt. Weiters liegen im Zeitraum ab 1993 bis 2008 nur wenige Versicherungsmonate vor und keine Ersatzzeiten gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a bzw. keine sonstigen Zeiten im Sinne des § 18a Abs. 2 ASVG, während der eine Selbstversicherung ausgeschlossen wäre.

Im weiteren Verfahren ist daher der Zeitraum ab Dezember 1993 bis September 2011 und die in diesem Zeitraum erforderliche Pflege des Kindes der Beschwerdeführerin zu beurteilen.

3.5. Zur Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens betreffend die Voraussetzung „überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft“

In § 18a Abs. 3 ASVG sind – je nach Alter des Kindes – jene Tatbestände aufgezählt, in denen eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 jedenfalls angenommen wird. Die dort getroffenen Regelungen sind allerdings nicht mehr taxativ zu verstehen (so noch VwGH 99/08/0353, VwSlg 15.235 A), sondern formulieren gleichsam beispielshafte „Mindeststandards“ (arg „jedenfalls dann“), die – aber als solche wie bisher – als unwiderlegbare gesetzliche Vermutungen anzusehen sind (vgl die ErläutRV zur Stammfassung dieser Bestimmung 324 BlgNR 17. GP 24 f) (Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 18a ASVG (Stand 1.7.2018, rdb.at) Rz 7/1).

Angesichts des oben definierten Zeitraumes kommen insbesondere § 18a Abs. 3 Z 2 und 3 ASVG in Betracht, da die Tochter der Beschwerdeführerin im Dezember 1993 bereits das Alter für die allgemeine Schulpflicht erreicht hat. Da die Beschwerdeführerin aber weder behauptete, dass ihre Tochter von der Schulpflicht befreit war – es sei lediglich eine Befreiung vom Turnunterricht vorgelegen – noch dauernd bettlägrig gewesen sei, ist insbesondere zu prüfen, ob sie ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedurft hat.

Die Klärung der Voraussetzung, ob und wann ein Bedarf des behinderten Kindes nach ständiger persönlicher Hilfe und besonderen Pflege vorgelegen hat, ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.11.2005, 2003/08/0261) in erster Linie eine medizinische Fachfrage, die nicht ohne Zuhilfenahme von Gutachten einschlägiger Sachverständiger gelöst werden darf, in denen insbesondere zu klären ist, in welchen Belangen das Kind der persönlichen Hilfe und Wartung bzw. besonderen Pflege bedarf und ob bei Unterbleiben der Betreuung durch den pflegenden Elternteil das Kind im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zu Teil wurde, in seiner Entwicklung benachteiligt und gefährdet wäre.

Es ist aber darüber hinaus zu berücksichtigen, dass auch wenn die in § 18a Abs. 3 ASVG angeführten Tatbestände nicht erfüllt sind, eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft vorliegen kann. Insbesondere steht die Möglichkeit neben der Pflege des Kindes eine Erwerbstätigkeit auszuüben nach der aktuellen Rechtslage nicht mehr einer Selbstversicherung nach § 18a ASVG entgegen. Laut den Erläuterungen zur Regierungsvorlage für BGBl. I Nr. 2/2015 soll nämlich durch die Formulierung „unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft“ die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes nach § 18a ASVG an die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger nach § 18b ASVG angeglichen werden, und zwar im Hinblick auf die Zulässigkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit neben der Pflege und die Höhe der relevanten Beitragsgrundlage für diese Versicherung (RV 321 BlgNR 25. GP 3). Wenn die belangte Behörde daher in ihrer Stellungnahme vorbringt, dass die Beschwerdeführerin in der Lage gewesen wäre, einer Beschäftigung (auch Halbtagsbeschäftigung) nachzugehen, ist dem zu entgegnen, dass dies keine Relevanz für die Beantwortung der Frage hat, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin überwiegend beansprucht wurde.

Laut Judikatur des VwGH ist eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich (entspricht mehr als der halben Normalarbeitszeit) anzunehmen (vgl. VwGH 19.01.2017, Ro 2014/08/0084).

Indem die PVA allein aufgrund der Aktenlage entschieden hat und die Einholung eines aktuellen Gutachtens unterlassen hat, hat sie im Hinblick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft der Beschwerdeführerin "jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen".

Angesichts des aufgezeigten Ermittlungsbedarfs erachtet das Bundesverwaltungsgericht ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG erforderlich. Zudem ist festzuhalten, dass die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur "Entscheidung in der Sache selbst" nach sich ziehen, im Beschwerdefall angesichts der geschilderten erforderlichen Ermittlungstätigkeit nicht vorliegen. Weder steht – wie dargetan – der maßgebliche Sachverhalt fest (Z 1 leg.cit.), noch wäre die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden (Z 2 leg.cit.) – dies hier auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in diesem speziellen Einzelfall angenommen werden muss, dass die belangte Behörde als Spezialbehörde in pensionsversicherungsrechtlichen Angelegenheiten besser und wesentlich rascher und effizienter unter Einbeziehung der Interessenslagen der Partei(en) die weiteren Verfahrensschritte setzen und die notwendigen Ermittlungen nachholen kann, auch unter Einbeziehung des regionalen Gesichtspunktes sowie des Umstandes, dass die PVA über einen eigenen ärztlichen Dienst und Amtssachverständige verfügt.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde die angesprochenen erforderlichen Ermittlungstätigkeiten durchzuführen und die daraus gewonnenen Ermittlungsergebnisse mit der Beschwerdeführerin – im Rahmen des Parteiengehörs – zu erörtern haben.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

3.6. Die mündliche Verhandlung konnte deshalb gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter A) 3. angeführte Judikatur betreffend § 28 VwGVG und § 18a ASVG); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen und liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. In der Beurteilung wurde umfassend dargelegt, dass im konkreten Fall im Verfahren vor der belangten Behörde notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG im konkreten Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor (siehe dazu auch VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109, VwGH 30.03.2017, Ra 2017/08/0050), vielmehr erging die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Beurteilung der gegenständlich einzelfallbezogen vorgelegenen Verfahrenskonstellation in Anlehnung an die - unter A) 3. - zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich auf eine klare Rechtslage stützen (vgl. VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Arbeitskraft Ermittlungspflicht Gutachten Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Selbstversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W126.2239173.1.00

Im RIS seit

23.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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