TE OGH 2021/6/22 10Ob42/20d

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2021
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mähr Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen die beklagten Parteien 1. mj B*, geboren * 2009, 2. mj N*, geboren * 2010, 5. P*, alle *, Deutschland, erst- und zweitbeklagte Parteien vertreten durch die fünftbeklagte Partei P*, Deutschland, diese vertreten durch Matt Anwälte OG in Bregenz, 6. Dr. Matthäus Rösch, Rechtsanwalt, 88214 Ravensburg, Hirschgraben 3, Deutschland, als Insolvenzverwalter in der Insolvenz über den Nachlass des am 21. Juli 2019 verstorbenen C*, wegen Vertragsaufhebung und Feststellung, über den Rekurs der erst-, zweit- und fünftbeklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 17. Juli 2020, GZ 3 R 27/20z-28, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 1. April 2020, GZ 8 Cg 95/19a-21, in seinen Punkten 3 und 4 aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er lautet:

„Das durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass nach C*, verstorben am 21. 7. 2019, zu * des Amtsgerichts * hinsichtlich der Punkte 1. bis 3. des Klagebegehrens unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

Soweit in den Punkten 1. bis 3. des Klagebegehrens die Aufhebung der zwischen der Klägerin und dem Verstorbenen (nicht: der fünftbeklagten Partei) abgeschlossenen Kauf- und Übergabeverträge und die Unwirksamerklärung und Löschung der Einverleibung des Eigentums des Verstorbenen begehrt wird, wird die Parteienbezeichnung der erstbeklagten, der zweitbeklagten und der fünftbeklagten Parteien auf den im Kopf der Entscheidung als sechstbeklagte Partei genannten Insolvenzverwalter richtig gestellt.

Der Antrag der Klägerin auf Fortsetzung des Verfahrens über das zu Punkt 4. des Klagebegehrens erhobene Feststellungsbegehren sowie auf Richtigstellung der Parteienbezeichnung auf den Insolvenzverwalter im Umfang dieses Begehrens wird zurückgewiesen.

Die erstbeklagte, die zweitbeklagte und die fünftbekalgte Partei sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit 285,49 EUR (darin 47,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits erster Instanz, die mit 3.258,42 EUR (darin 543,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz und die mit 3.909,85 EUR (darin 651,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Text

Begründung:

[1]            Der Erst- und der Zweitbeklagte sind die Kinder der Fünftbeklagten und des am 21. 7. 2019 verstorbenen C* (künftig: Ehemann bzw Verstorbener).

[2]            Die Klägerin war Eigentümerin mehrerer Liegenschaften. Mit Kaufvertrag vom 23. 12. 2016 verkaufte sie das Gst 18 der EZ 10 (jetzt: EZ 240) KG * je zur Hälfte an die Fünftbeklagte und den Ehemann.

[3]       Mit Kaufvertrag vom 18. 1. 2017 verkaufte sie die verbliebene EZ 10 (ohne Gst 18) an den Ehemann.

[4]       Mit Übergabevertrag vom 23. 12. 2016, ergänzt durch mehrere Nachträge, verkaufte sie je einen 1/46 Anteil der EZ 35 und je 1/8 Anteil der EZ 54 an die Fünftbeklagte und den Ehemann.

[5]            Im vor dem Amtsgericht * zu * geführten Nachlassverfahren nach dem Verstorbenen ordnete das Nachlassgericht mit Beschluss vom 30. 9. 2019 die Nachlassverwaltung (§§ 1975, 1981 BGB) an und bestellte Rechtsanwalt Dr. T* zum Nachlassverwalter. Die Anordnung der Nachlassverwaltung erfolgte – wie sich aus der vorgelegten Beschlussausfertigung ergibt – auf Antrag der anwaltlich vertretenen Erben (= der im vorliegenden Verfahren erst-, zweit- und fünftbeklagten Parteien).

[6]            Die Postaufgabe dieses Beschlusses erfolgte am 30. 9. 2019.

[7]            Mit ihrer am 7. 10. 2019 eingebrachten und mit Schriftsatz vom 16. 12. 2019 (ON 7) modifizierten Klage gegen die beiden minderjährigen Kinder des Verstorbenen (Erst- und Zweitbeklagte), die beiden Stiefkinder des Verstorbenen (Dritt- und Viertbeklagte) und die Witwe (Fünftbeklagte) begehrte die Klägerin

a) zu Punkt 1. bis 3. des Klagebegehrens hinsichtlich der genannten Liegenschaften jeweils die Aufhebung des zwischen der Klägerin und dem Verstorbenen bzw dem Verstorbenen und der Fünftbeklagten abgeschlossenen Verträge und die Unwirksamerklärung und Löschung der Einverleibung des Eigentums des Verstorbenen bzw des Verstorbenen und der Fünftbeklagten, sowie

b) zu Punkt 4. des Klagebegehrens die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für die aus dem Abschluss und der Rückabwicklung der genannten Verträge resultierenden Schäden.

[8]            Sie stützte die Vertragsanfechtung auf arglistige Irreführung, Irrtum, Verkürzung über die Hälfte, Vertragsrücktritt wegen Nichteinhaltung vertraglicher Zusicherungen und „Unwirksamkeit“ der Rechtsgeschäfte.

[9]       Das Klagebegehren gegen die ursprünglich dritt- und viertbeklagte Partei wurde von der Klägerin zurückgezogen.

[10]           Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und beantragten die Klageabweisung.

[11]           Mit Schriftsatz vom 17. 1. 2020 (ON 9) wiesen sie auf die Anordnung der Nachlassverwaltung hin und bestritten ihre Passivlegitimation mit dem Vorbringen, nach Anordnung der Nachlassverwaltung seien Ansprüche gegen den Nachlass nach § 1984 Abs 1 Satz 3 BGB gegen den Nachlassverwalter geltend zu machen.

[12]           Mit Schriftsatz vom 23. 1. 2020 (ON 11) beantragte die Klägerin die Berichtigung der Parteienbezeichnung des Erst- und Zweitbeklagten und der Fünftbeklagten auf den Nachlassverwalter gemäß § 235 Abs 5 ZPO, wobei die Fünftbeklagte selbst Partei bleibe.

[13]           Der Erst- und Zweitbeklagte und die Fünftbeklagte sprachen sich in der mündlichen Streitverhandlung vom 24. 1. 2020 dagegen aus.

[14]     Mit Beschluss vom 10. 3. 2020 eröffnete das Amtsgericht * das Insolvenzverfahren über den Nachlass als abgesonderte Vermögensmasse und bestellte Rechtsanwalt Dr. M* zum Insolvenzverwalter.

[15]     Dieser wurde bisher nicht in das Verfahren einbezogen.

[16]           Infolge der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 16. 3. 2020 (ON 16) die Fortsetzung des (infolge Insolvenzeröffnung unterbrochenen) Verfahrens nach § 7 Abs 2 IO und die Berichtigung der Parteienbezeichnung auf den Insolvenzverwalter. Sie brachte vor, die Verfahrensfortsetzung sei nach § 7 Abs 3 IO zulässig, weil keine anmeldepflichtigen Ansprüche geltend gemacht würden. Der frühere Antrag auf Umstellung der Parteienbezeichnung auf den Nachlassverwalter sei durch die Insolvenzeröffnung obsolet.

[17]           Die Beklagten (der Erst- und der Zweitbeklagte sowie die Fünftbeklagte) sprachen sich neuerlich gegen die Berichtigung der Parteienbezeichnung aus, weil das Insolvenzverfahren nicht über ihr Vermögen, sondern über den Nachlass eröffnet worden sei. Daher sei auch keine Verfahrensunterbrechung eingetreten. Die Klage sei vielmehr mangels Passivlegitimation abzuweisen (ON 18).

[18]           Das Erstgericht stellte in seinem Beschluss vom 1. 4. 2020 ergänzend fest, dass der Erst-, der Zweit- und die Fünftbeklagte die Erben nach dem Verstorbenen sind. Rechtlich schloss es sich der Rechtsansicht der Beklagten an und wies in Spruchpunkt 3 die Anträge der Klägerin auf Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens und im Spruchpunkt 4 den Antrag auf Berichtigung der Parteienbezeichnung der erst-, zweit- und fünftbeklagten Parteien auf den Insolvenzverwalter ab. Die im Rechtsmittelverfahren nicht mehr relevanten Spruchpunkte 1 und 2 beziehen sich auf die Zurücknahme der Klage gegen die dritt- und viertbeklagten Parteien.

[19]           Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge, hob die Entscheidung des Erstgerichts über die Anträge der Klägerin (Spruchpunkte 3 und 4 des erstgerichtlichen Beschlusses) auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

[20]           Rechtlich vertrat es folgenden Standpunkt: Sowohl die Nachlassverwaltung als auch die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens führten zu einem Verlust der Prozessführungsbefugnis des Erben. Mit der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens ende die Nachlassverwaltung, das Verwaltungs- und Verfügungsrecht gehe vom Nachlassverwalter auf den Insolvenzverwalter über. Schuldner im Nachlassinsolvenzverfahren blieben aber die Erben in ihrer Eigenschaft als Träger des Nachlasses.

[21]           Das Nachlassverwaltungsverfahren sei nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der EuInsVO erfasst. Hingegen seien die Wirkungen der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens auf das vorliegende Verfahren nach Art 18 EuInsVO 2015 („Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf anhängige Rechtsstreitigkeiten“) nach österreichischem Recht zu beurteilen.

[22]           Nach § 7 Abs 1 IO würden alle massebezogenen Prozesse unterbrochen, in denen der Schuldner Kläger oder Beklagter sei. Hier sei anzunehmen, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet worden sei, weil diese die Träger des Sondervermögens (des Nachlasses) seien. Durch die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens am 10. 3. 2020 sei daher eine Unterbrechung des vorliegenden Verfahrens nach § 7 Abs 1 IO eingetreten. Der Umstand, dass die Fünftbeklagte auch persönlich in Anspruch genommen werde, ändere daran nichts.

[23]           Der Rekurs der Klägerin sei trotz der Verfahrensunterbrechung zulässig, weil sie zur Stellung eines Fortsetzungsantrags legitimiert sei. Der festgestellte Sachverhalt reiche aber für die Entscheidung über den Fortsetzungsantrag nicht aus, weil (unter anderem) nicht feststehe, welche verfahrensgegenständlichen Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet worden seien und welche Erklärungen der Insolvenzverwalter dazu abgegeben habe.

[24]           Im fortzusetzenden Verfahren sei davon auszugehen, dass ein schadenersatzrechtliches Feststellungsbegehren, das auf einem vor Insolvenzeröffnung gesetzten Verhalten beruhe, eine Insolvenzforderung begründe, die nach § 16 IO – ebenso wie nach § 45 dInsO – als bedingte Insolvenzforderung mit dem Schätzwert zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung anzumelden sei. Falls eine Anmeldung nicht erfolgt sei, sei der Rechtsweg – auch als Prüfungsprozess – nicht zulässig.

[25]           Hinsichtlich der Fünftbeklagten sei zu berücksichtigen, dass der Erbe, der mit der Behauptung in Anspruch genommen werde, er hafte persönlich, insofern unbeschränkt prozessführungsbefugt sei. Die gegen die Fünftbeklagte gerichteten Rechtsgestaltungs- und Feststellungsbegehren seien daher vom Nachlassinsolvenzverfahren nach § 7 Abs 1 IO nur dann berührt, wenn die Fünftbeklagte mit dem Nachlass bzw den Erben eine einheitliche Streitpartei iSd § 14 ZPO bilde. Dies sei hinsichtlich der aus den Liegenschaftskaufverträgen abgeleiteten Gestaltungsrechte zu bejahen.

[26]           Das Rekursgericht ließ den „Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs nach § 527 Abs 2 ZPO) zu, weil keine aktuelle höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den angewendeten Bestimmungen der EuInsVO 2015 vorliege.

[27]           Die Erst-, Zweit- und Fünftbeklagten beantragen in ihrem (richtig) Rekurs die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts.

[28]           Die Klägerin beantragt, den (richtig) Rekurs der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

[29]           Der Rekurs der Beklagten ist zulässig, weil die vom Rekursgericht vorgenommene Beurteilung der Auswirkungen der Anordnung der Nachlassverwaltung und der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens auf die hier geltend gemachten Ansprüche korrekturbedürftig ist; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[30]           1. Vorauszuschicken ist, dass der Oberste Gerichtshof dann, wenn die Anfechtung eines im Rekursverfahren ergangenen Aufhebungsbeschlusses zulässig ist, den Beschluss in Stattgebung des Rekurses durch die gebotene Sacherledigung abändern kann, ohne dass das Spektrum möglicher Entscheidungen durch ein Verschlechterungsverbot eingeschränkt wäre (Sloboda in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 527 Rz 22; RIS-Justiz RS0007002).

[31]           2. Die Klägerin nimmt den Erst- und Zweitbeklagten sowie die Fünftbeklagte mit der Begründung in Anspruch, diese seien die Erben nach dem verstorbenen C*, die Fünftbeklagte hafte darüber hinaus aus von ihr selbst gesetzten bzw ihr zuzurechnenden Handlungen. Die Passivlegitimation der Erben folge aus dem Grundsatz des Vonselbsterwerbs der Erben nach deutschem Recht.

[32]           Für die Beurteilung, ob auf den Nachlass bezogene Verbindlichkeiten im vorliegenden Fall gegen die Erben gerichtlich geltend gemacht werden können, sind diese Erwägungen aber nicht ausreichend. Dazu ist vielmehr zunächst auf die Anordnung der Nachlassverwaltung durch das Nachlassgericht sowie in der Folge auf die Eröffnung der Nachlassinsolvenz Bedacht zu nehmen.

[33]           3. Dazu wurde erwogen:

[34]           3.1. Der vorliegende Fall fällt in den räumlich-persönlichen und den zeitlichen Anwendungsbereich der EuErbVO, weil der Verstorbene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte und nach dem Inkrafttreten der Verordnung verstorben ist (Art 83 EuErbVO).

[35]           Das allgemeine Erbstatut ist in Art 23 Abs 1 EuErbVO geregelt und richtet sich hier – zufolge Art 21 Abs 1 EuErbVO – nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Verstorbenen zum Todeszeitpunkt, daher nach deutschem Recht.

[36]           Dem allgemeinen Erbstatut unterliegen

- die Gründe für den Eintritt des Erbfalls sowie dessen Zeitpunkt und Ort, worunter auch die erbrechtliche Umschreibung des Nachlasses fällt (Art 23 Abs 2 lit a EuErbVO),

- der Übergang der zum Nachlass gehörenden Vermögenswerte, Rechte und Pflichten auf die Erben, somit zu welchem Zeitpunkt, in welcher Form (ex lege oder durch gerichtliche Entscheidung) und unter welchen Voraussetzungen mit welchen Wirkungen der Nachlass oder auch Teile davon auf die Berechtigten übergehen bzw Ansprüche fällig werden (Art 23 Abs 2 lit e EuErbVO), sowie

- die Rechte der Erben, Testamentsvollstrecker und anderer Nachlassverwalter, insbesondere im Hinblick auf die Veräußerung von Vermögen und die Befriedigung der Gläubiger (Art 23 Abs 2 lit f EuErbVO; zu allem: 5 Ob 157/18a, 5 Ob 108/17v, 5 Ob 186/17i, je mwN).

[37]     Die angeführten Fragen sind daher hier nach deutschem Recht zu beurteilen.

[38]           3.2. Gemäß § 1922 iVm § 1942 BGB tritt der Erbschaftserwerb sogleich mit dem Erbfall – mit dem Tod des Erblassers – ein (RS0054115 [T1]). Einen ruhenden Nachlass mit Rechtspersönlichkeit kennt das BGB nicht (2 Ob 140/18d). Der Erwerb der Erbschaft durch die Erben erfolgt ipso iure (Grundsatz des Vonselbsterwerbs, RS0054115).

[39]           Mit dem Erbfall werden zwei Vermögensmassen, der Nachlass und das Eigenvermögen des Erben, in der Person des Erben vereinigt (Küpper in MünchKomm BGB8 [2020] Vor § 1967 Rz 2).

[40]           Das BGB geht von einer grundsätzlich unbeschränkten, aber auf den Nachlass beschränkbaren Haftung des Erben aus. Als Mittel der Haftungsbeschränkung sieht das Gesetz die Nachlassverwaltung und die Nachlassinsolvenz vor (§ 1975 BGB). In beiden Fällen findet eine Absonderung des Nachlasses vom Vermögen des Erben statt (vgl Küpper in MünchKomm BGB8 Vor § 1967 Rz 2; Bauch in Braun, InsO mit EuInsVO8 [2020] Vor §§ 315 bis 334 InsO Rz 47). Der Unterschied zwischen den Rechtsinstituten liegt darin, dass die Nachlassverwaltung der vollständigen Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten eines unzureichenden Nachlasses, die Nachlassinsolvenz der Absonderung eines zahlungsunfähigen oder überschuldeten Nachlasses zur Gläubigerbefriedigung dient (Küpper in MünchKomm BGB8 Vor § 1967 Rz 2).

[41]           3.3. Mit der Anordnung der Nachlassverwaltung verliert der Erbe nach § 1984 Abs 1 BGB das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über den Nachlass (Staudinger/Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 Rz 5). Damit geht auch die Prozessführungsbefugnis für Nachlassprozesse, und zwar sowohl für Aktiv- und Passivprozesse, auf den Nachlassverwalter über, soweit es sich um vermögensrechtliche Streitigkeiten handelt (Küpper in MünchKomm BGB8 § 1984 Rz 6; Staudinger/Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 Rz 20 f). Es handelt sich um einen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft (Küpper in MünchKomm BGB8 § 1984 Rz 6; vgl 2 Ob 229/16i zu einer Testamentsvollstreckerin nach deutschem Recht).

[42]           Den Nachlassgläubigern gegenüber bewirkt die Anordnung der Nachlassverwaltung, dass die vom Erben nach Anordnung der Nachlassverwaltung in Bezug auf den Nachlass gesetzten Rechtshandlungen unwirksam sind (§ 1984 Abs 1 BGB iVm §§ 81, 82 dInsO). Dadurch dient die Nachlassverwaltung der Erhaltung des Nachlassbestands zum Zweck der Befriedigung aller Nachlassgläubiger (Küpper in MünchKomm BGB8 § 1984 Rz 3).

[43]           3.4. Das deutsche Zivilprozessrecht trägt der Beschränkung der Prozessführungsbefugnis des Erben dadurch Rechnung, dass eine nach Anordnung der Nachlassverwaltung gegen den Erben gerichtete, den Nachlass betreffende Klage „als unzulässig abzuweisen“ ist (OLG Celle 9 U 159/08 WM 2009, 2235; Küpper in MünchKomm BGB8 § 1984 Rz 7, § 1967 Rz 38; vgl Staudinger/Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 Rz 24), was im österreichischen Prozessrecht der Zurückweisung der Klage entspricht.

[44]           Ein gegen den Erben anhängiger oder von ihm geführter Rechtsstreit wird durch die Anordnung der Nachlassverwaltung nach § 241 Abs 3 dZPO unterbrochen, sofern nicht gemäß § 246 Abs 1 dZPO bereits eine Vertretung durch einen Bevollmächtigten bestand (Küpper in MünchKomm BGB8 § 1984 Rz 6; Gerken in Wieczorek/Schütze, Zivilprozessgesetze4 [2013] § 241 ZPO Rz 7). Die Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 241 Abs 1 dZPO ist nur durch bzw gegen den Nachlassverwalter möglich (Küpper in MünchKomm BGB8 § 1984 Rz 6).

[45]           Die Anordnung der Nachlassverwaltung gleicht damit in ihren Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; der Nachlassverwalter hat eine ähnliche Stellung wie der Insolvenzverwalter (Gerken in Wieczorek/Schütze, Zivilprozessgesetze4 § 241 ZPO Rz 7; vgl Staudinger/Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 Rz 6).

[46]           3.5. Gegenstand der Nachlassverwaltung ist – wie bei der Insolvenz – das gesamte der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Erblassers iSd §§ 35 f dInsO (Stürner in Jauernig, BGB18 [2021] §§ 1984, 1985 Rz 3; zur Insolvenzmasse im Fall der Nachlassinsolvenz vgl Bauch in Braun, InsO mit EuInsVO8 § 315 InsO Rz 5).

[47]           Der Nachlassverwalter hat daher nur die den Nachlass betreffenden Prozesse zu führen (Staudinger/Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 Rz 21). Mit „Ansprüchen, die sich gegen den Nachlass richten“, sind solche Ansprüche gemeint, die der Nachlassverwalter nach § 1985 Abs 1 BGB „aus dem Nachlass zu berichtigen hat“ (Staudinger/Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 Rz 23).

[48]           3.6. Der Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der Nachlassverwaltung richtet sich nach § 40 Abs 1 FamFG (Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 BGB Rz 2 mit rechtspolitischer Kritik). Sie setzt die Bekanntgabe des Beschlusses an den Beteiligten voraus, für den er seinem wesentlichen Inhalt nach bestimmt ist (Abramenko in Prütting/Helms, FamFG5 [2020] § 40 FamFG Rz 3, 5; Ulrici in MünchKomm FamFG I³ [2018] § 40 FamFG Rz 5, 18).

[49]           Die Wirksamkeit tritt demnach mit der Bekanntgabe an den oder die Erben ein (Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 BGB Rz 2; Küpper in MünchKomm BGB8 § 1983 Rz 1; Abramenko in Prütting/Helms, FamFG5 § 40 FamFG Rz 6; Fröhler in Prütting/Helms, FamFG5 § 359 FamFG Rz 12; jeweils mit Hinweis auf BayOLGZ 1976, 167, 171), bei Erbengemeinschaft – aufgrund der den Miterben nur gemeinschaftlich zustehenden Verwaltung des Nachlasses – mit der ersten Bekanntgabe an einen der Erben (Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 BGB Rz 3).

[50]           Die Veröffentlichung der Anordnung ist hingegen keine Wirksamkeitsvoraussetzung (Dobler in Staudinger, BGB [2020] § 1984 BGB Rz 2).

[51]           Die Bekanntgabe erfolgt nach § 15 Abs 2 Satz 1 FamFG entweder durch förmliche Zustellung nach den Vorschriften der dZPO (§§ 166 bis 195 dZPO) oder durch Aufgabe zur Post (Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG5 § 15 FamFG Rz 15, 23; vgl Abramenko in Prütting/Helms, FamFG5 § 41 FamFG Rz 11; Pabst in MünchKomm FamFG I³ § 15 FamFG Rz 12 f; Ulrici in MünchKomm FamFG I³ § 41 FamFG Rz 6). Nimmt das Gericht die Bekanntgabe durch Postaufgabe vor, und soll die Bekanntgabe im Inland bewirkt werden, enthält § 15 Abs 2 Satz 2 FamFG eine widerlegbare Zugangsfiktion (Pabst in MünchKomm FamFG I³ [2018] § 15 FamFG Rz 17), nach der das Schriftstück drei Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, wenn nicht der Beteiligte glaubhaft macht, dass ihm das Schriftstück nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugekommen ist.

[52]           Die Wahl der Form der Bekanntgabe liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wenn nicht das Gesetz eine bestimmte Form vorschreibt (Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG5 § 15 FamFG Rz 23; Pabst in MünchKomm FamFG I³ § 15 FamFG Rz 20 f; Ulrici in MünchKomm FamFG I³ § 41 FamFG Rz 6). Letzteres ist bei anfechtbaren Beschlüssen der Fall; diese sind an denjenigen zuzustellen, dessen erklärtem Willen sie nicht entsprechen (Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG5 § 15 FamFG Rz 23; Abramenko in Prütting/Helms, FamFG5 § 41 FamFG Rz 8; § 41 Rz 6; Ulrici in MünchKomm FamFG I³ § 41 FamFG Rz 7).

[53]           Der Beschluss, mit dem dem Antrag des Erben, die Nachlassverwaltung anzuordnen, stattgegeben wird, ist nach § 359 Abs 1 FamFG – abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmefällen – nicht anfechtbar (Fröhler in Prütting/Helms, FamFG5 § 359 FamFG Rz 2, 13; Grziwotz in MünchKomm FamFG II³ [2019] § 359 FamFG Rz 5 f), sodass eine Bekanntgabe an die Erben durch Abgabe zur Post ausreicht.

[54]           3.7. Nach § 1988 Abs 1 BGB endet die Nachlassverwaltung mit der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens. Auch das Amt des Nachlassverwalters endet mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über den Nachlass geht auf den Insolvenzverwalter über (vgl § 80 dInsO; Küpper in MünchKomm BGB8 § 1988 Rz 2). Der Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts schließt den Übergang der Prozessführungsbefugnis ein.

[55]           3.8. Auch das Nachlassinsolvenzverfahren bewirkt die haftungsrechtliche Trennung des Nachlasses vom Eigenvermögen des Erben (Bauch in Braun, InsO mit EuInsVO8 Vor §§ 315–334 InsO Rz 47). Die Beendigung der Nachlassverwaltung durch Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens ändert daher nichts an der Haftungslage des Erben: Dieser ist (in seiner Eigenschaft als Träger des Nachlasses) Schuldner im Nachlassinsolvenzverfahren (Küpper in MünchKomm BGB8 § 1975 Rz 4).

[56]            3.9. Im vorliegenden Fall erfolgte die Anordnung der Nachlassverwaltung – wie sich aus dem vorgelegten Beschluss des Amtsgerichts * vom 30. 9. 2019 ergibt – über Antrag der (anwaltlich vertretenen) Erben; er ist daher nicht anfechtbar. Die Bekanntgabe an die Erben erfolgte durch Postaufgabe am 30. 9. 2019. Dass ihnen der Beschluss erst zu einem späteren Zeitpunkt als drei Tage nach der Abgabe zur Post zugekommen wäre, wurde im Prozess nicht behauptet.

[57]           Damit wurde die Nachlassverwaltung vor dem Zeitpunkt der Einbringung der Klage am 7. 10. 2019 wirksam.

[58]           Daraus folgt, dass dem Erstbeklagten, dem Zweitbeklagten und der Fünftbeklagten in dem Umfang, in dem ein Nachlassprozess vorliegt, bereits im Zeitpunkt der Klageeinbringung die Prozessführungsbefugnis fehlte.

[59]           4.1. Zum Vorliegen eines Nachlassprozesses wurde erwogen:

[60]           4.2. Das im vorliegenden Fall gegen den Erstbeklagten, den Zweitbeklagten und die Fünftbeklagte erhobene Klagebegehren auf Aufhebung der zwischen der Klägerin und dem Verstorbenen abgeschlossenen Verträge und auf Unwirksamerklärung und Löschung der Einverleibung des Eigentums des Verstorbenen (Punkte 1. bis 3. des Klagebegehrens mit Ausnahme der auf Aufhebung der Verträge mit der Fünftbeklagten persönlich und Löschung des zu ihren Gunsten einverleibten Eigentums gerichteten Begehrens) betrifft zweifelsfrei den Nachlass, weil sich die angestrebte Rückabwicklung auf die im Nachlass befindlichen Liegenschaften bezieht. Das Eigenvermögen der Erben ist (mit Ausnahme der Fünftbeklagten im Umfang der von ihr selbst erworbenen Liegenschaftsanteile) nicht berührt.

[61]           Im Umfang dieser Begehren kommt daher der Verlust der Prozessführungsbefugnis der Erben zum Tragen.

[62]           Die Auswirkungen der Anordnung der Nachlassverwaltung auf das aus der Eigenhaftung der Fünftbeklagten abgeleitete Begehren braucht hier – da in der Folge die Nachlassinsolvenz eröffnet wurde – nicht abschließend erörtert werden.

[63]           4.3. Im Begehren auf Feststellung der solidarischen Haftung (Punkt 4. des Klagebegehrens) der Erben des Verstorbenen liegt zunächst noch keine Einschränkung auf die Inanspruchnahme einer Haftung aus dem (durch die Nachlassverwaltung vom Eigenvermögen der Erben abgesonderten) Nachlassvermögen.

[64]           Die Klägerin hat jedoch durch ihren Antrag auf Umstellung der Parteienbezeichnung auf den Nachlassverwalter (in der Folge: den Insolvenzverwalter) zweifelsfrei zu erkennen gegeben, dass sie hinsichtlich des Erst- und des Zweitbeklagten an deren Haftung mit ihrem Eigenvermögen nicht interessiert ist. Hinsichtlich der Fünftbeklagten hat sie hingegen klargestellt, diese nicht nur als Trägerin des (abgesonderten) Nachlassvermögens, sondern darüber hinaus auch aus ihrer Eigenhaftung mit ihrem eigenen Vermögen zu belangen.

[65]           Daher liegt im Feststellungsbegehren, soweit es gegen den Erst- und den Zweitbeklagten sowie gegen die Fünftbeklagte als Erbin gerichtet ist, eine von der Nachlassverwaltung erfasste Nachlassstreitigkeit vor. Die Erben verloren daher mit der Anordnung der Nachlassverwaltung insofern die Prozessführungsbefugnis im vorliegenden Verfahren.

[66]     Der Anspruch auf Feststellung der Haftung der Fünftbeklagten persönlich wird hingegen von der Anordnung der Nachlassverwaltung nicht berührt.

[67]     5. Zur Einschränkung der Prozessführungsbefugnis der Erben.

[68]           5.1. Nach Art 23 Abs 2 lit f EuErbVO ist die aus § 1984 BGB resultierende Einschränkung der Prozessführungsbefugnis der Erben durch die Anordnung der Nachlassverwaltung auch im vorliegenden Zivilprozess zu beachten. Klarzustellen ist, dass sich ihre prozessualen Folgen nicht nach dem deutschen, sondern nach dem auf das Verfahren in Österreich anzuwendenden österreichischen Zivilprozessrecht richten. Dieses führt, wie im Folgenden dargelegt wird, für den vorliegenden Fall der fehlenden Prozessführungsbefugnis nicht ohne Weiteres zur Klagezurückweisung, sondern verlangt die Durchführung eines Sanierungsversuchs.

[69]           5.2. Die Prozessführungsbefugnis ist das Recht, im eigenen Namen über eine bestimmte Rechtsposition
zu prozessieren (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozess-
recht18 [2018] § 46 Rz 1; Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 1 ZPO Rz 23]).

[70]           Im Gegensatz zur Partei- oder Prozessfähigkeit ist die Prozessführungsbefugnis keine persönliche Eigenschaft einer Person, sondern besagt, dass eine bestimmte Person zur Geltendmachung eines Anspruchs berechtigt ist bzw dass der Anspruch gerade dem belangten Beklagten gegenüber geltend gemacht werden darf (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 46 Rz 2; diesen folgend Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny³ § 1 ZPO Rz 24).

[71]           Von der Sachlegitimation unterscheidet sich die Prozessführungsbefugnis dadurch, dass sie nicht zur Begründetheit des Anspruchs gehört, sondern Voraussetzung der Zulässigkeit der Klage, also Prozessvoraussetzung, ist (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 46 Rz 3, 47).

[72]           Prozessführungsbefugt ist in der Regel der Träger des jeweiligen Rechtsverhältnisses; die Prozessführungsbefugnis kann aber in Ausnahmefällen dem Träger des Rechtsverhältnisses entzogen und einer rechtsfremden Person zugeordnet sein, wie dies beim Nachlassverwalter der Fall ist (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 46 Rz 5 f).

[73]           5.3. Auch das österreichische Zivilprozessrecht kennt die Prozessstandschaft, also das Auseinanderfallen von materieller Berechtigung am Streitgegenstand und formell-rechtlicher Prozessführungsbefugnis (Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny³ Vor § 1 ZPO Rz 119; vgl 2 Ob 229/16i), wobei nur die gesetzliche, nicht aber die gewillkürte Prozessstandschaft als zulässig angesehen wird (Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny³ Vor § 1 ZPO Rz 120, 126; Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO5 Vor § 1 Rz 4).

[74]           Zur Prozessführung durch den Insolvenzverwalter wird auch in der österreichischen Lehre vertreten, der Schuldner persönlich verliere seine Prozessführungsbefugnis (Jelinek in Koller/Lovrek/Spitzer, IO [2019] § 6 Rz 4; Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny³ § 1 ZPO Rz 26; vgl Clavora/Kapp in Höllwerth/Ziehensack, ZPO Taschenkommentar [2019] § 159 Rz 17).

[75]           Ob die Prozessführungsbefugnis im österreichischen Zivilprozessrecht als eigene Prozessvoraussetzung anzuerkennen ist, ist offen (dafür Holzhammer, Österreichisches Zivilprozessrecht² [1976] 79, nach dem das Fehlen der Prozessführungsbefugnis zur Klagezurückweisung führt; dagegen Fasching, Lehrbuch² [1990] Rz 345, der das Fehlen der Prozessführungsbefugnis als fehlende Sachlegitimation wahrnehmen will).

[76]           Der jüngere Meinungsstand steht der Wahrnehmung der mangelnden Prozessführungsbefugnis gleich dem Fehlen einer Prozessvoraussetzung grundsätzlich zustimmend gegenüber (vgl Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht5 [2021] Rz 296; vgl 6 Ob 77/20x [Klagebefugnis]), wobei von manchen lediglich die Notwendigkeit einer gesonderten Prüfung für den Normalfall bezweifelt wird, weil die Prozessführungsbefugnis in der Regel ohnehin mit der materiell-rechtlichen Sachlegitimation zusammenfalle (Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht9 [2017] Rz 304; vgl Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny³ § 1 ZPO Rz 24). Die Rechtsfolgen des Fehlens der Prozessführungsbefugnis sind demnach an jenen der fehlenden Prozessfähigkeit zu orientieren (Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny³ § 1 ZPO Rz 27; Clavora/Kapp in Höllwerth/Ziehensack, ZPO Taschenkommentar [2019] § 159 Rz 190).

[77]           5.3. Die fehlende Prozessführungsbefugnis ist gemäß § 6 Abs 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny³ § 1 ZPO Rz 27; vgl RS0035434 zum insolvenzbedingten Verlust der Prozessführungsbefugnis des Schuldners). Gemäß § 6 Abs 2 ZPO hat zunächst ein Sanierungsversuch zu erfolgen (Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny³ § 1 ZPO Rz 27). Darauf zielt im Ergebnis der Antrag der Klägerin auf Umstellung der Parteienbezeichnung auf den Nachlassverwalter ab (vgl zur Umstellung der Parteienbezeichnung auf den Ausgleichsverwalter RS0036836).

[78]           5.4. Im vorliegenden Fall scheidet eine Einbeziehung des Nachlassverwalters in das Verfahren im derzeitigen Verfahrensstadium allerdings aus, weil seine Funktion mit der Eröffnung der Nachlassinsolvenz endete und die Prozessführungsbefugnis für Nachlassstreitigkeiten insofern auf den Insolvenzverwalter überging.

[79]           6. Zu den Auswirkungen der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens

[80]           6.1. Im derzeitigen Verfahrensstadium sind daher die Auswirkungen des am 10. 3. 2020 eröffneten Nachlassinsolvenzverfahrens auf den vorliegenden Zivilprozess zu beurteilen.

[81]           Dazu ist in Erinnerung zu rufen, dass dem Erbe – ungeachtet des bereits durch die Anordnung der Nachlassverwaltung eingetretenen Verlusts seiner Prozessführungsbefugnis – in seiner Eigenschaft als Träger des Nachlasses Schuldner im Nachlassinsolvenzverfahren ist (Küpper in MünchKomm BGB8 § 1975 Rz 4).

[82]           Der Rechtsstandpunkt der Beklagten, im vorliegenden Fall könne die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens schon deshalb keine Auswirkungen auf den vorliegenden Zivilprozess entfalten, weil die Insolvenz nicht über das Vermögen der Beklagten eröffnet worden sei, lässt außer Acht, dass der Erstbeklagte, der Zweitbeklagte und die Fünftbeklagte nach Anordnung der Nachlassverwaltung zwar nicht mehr prozessführungsbefugt, aber dennoch Träger des (abgesonderten) Nachlassvermögens sind, mit dem sie auch – wie ausgeführt – von der Klägerin in Anspruch genommen wurden.

[83]           6.2. Gemäß Art 18 der hier anzuwendenden (Art 84 Abs 1) EuInsVO 2015 gilt für die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens (auch eines deutschen Nachlassinsolvenzverfahrens, Tashiro in Braun, InsO mit EuInsVO8 Art 2 EuInsVO Rz 11) auf einen anhängigen Rechtsstreit über einen Gegenstand oder ein Recht, der bzw das Teil der Insolvenzmasse ist, ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Rechtsstreit anhängig ist (RS0119846; 2 Ob 92/17v), hier sohin österreichisches Recht.

[84]           6.3. § 6 Abs 1 IO ordnet für die Geltendmachung von Ansprüchen auf das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen gegen den Schuldner eine Prozesssperre an.

[85]           6.4. Dass im vorliegenden Fall (mit Ausnahme der Inanspruchnahme der Fünftbeklagten aus ihrer Eigenhaftung) ein massebezogener Rechtsstreit vorliegt – was nach der lex fori concursus, hier daher nach deutschem Recht zu beurteilen ist (Ehret in Braun, InsO mit EuInsVO8 Art 18 EuInsVO Rz 14; vgl RS0119909; 1 Ob 207/20b) –, wurde bereits oben im Zusammenhang mit der Nachlassverwaltung ausgeführt.

[86]           Die geltend gemachten Ansprüche sind darüber hinaus nach dem (nach Art 7 Abs 2 lit g EuInsVO anzuwendenden, Trenker in Koller/Lovrek/Spitzer, Art 7 EuInsVO Rz 26) § 39 dInsO als Insolvenzforderungen zu qualifizieren.

[87]           6.5. Im bisher abgeführten Verfahren wurde unter Außerachtlassung der bereits vor Klageeinbringung wirksam gewordenen Anordnung der Nachlassverwaltung die Klage gegen die nicht prozessführungsbefugten Träger des Nachlassvermögens gerichtet und mit diesen das Verfahren geführt. Eine Einbeziehung der prozessführungsbefugten Person – zunächst des Nachlassverwalters, dann des Insolvenzverwalters – in den Prozess erfolgte bisher nicht.

[88]           Die hier vorliegende prozessuale Lage ist
daher – auch wenn erst während des Verfahrens eine Prozessunterbrechung durch Insolvenzeröffnung eintrat – solchen Fällen vergleichbar, in denen der Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Bestellung eines Insolvenzverwalters seine Insolvenzforderungen gegen den Schuldner persönlich gerichtlich geltend macht und darüber ein Verfahren geführt wird.

[89]           6.6. Nach der Rechtsprechung ist im Fall einer zu Unrecht gegen den in Insolvenz verfallenen Schuldner gerichteten Klage eine Berichtigung der Parteibezeichnung vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter dann zulässig, wenn eine nicht der Anmeldung im Insolvenzverfahren unterliegende Insolvenzforderung geltend gemacht wird (1 Ob 106/02y mwN; 5 Ob 187/02i; 2 Ob 73/02b; vgl 7 Ob 94/03d; 3 Ob 187/04b; 2 Ob 37/08t; RS0116521; RS0083635 [T1]; Schubert in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [1999] § 6 KO Rz 19). In einem solchen Fall mangelt es – wie bei der Geltendmachung von Aus- oder Absonderungsansprüchen – zwar an der Prozessfähigkeit (Prozessführungsbefugnis) des Schuldners, es liegt aber keine Unzulässigkeit des Rechtswegs vor (1 Ob 106/02y; 2 Ob 73/02b).

[90]           Hingegen scheidet eine Umstellung der Parteienbezeichnung auf den Insolvenzverwalter in den Fällen aus, in denen der Anmeldung im Insolvenzverfahren unterliegende Ansprüche geltend gemacht werden, weil der klagsweisen Geltendmachung insofern das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegensteht (vgl nur 2 Ob 37/08t; RS0042001; in diesem Sinn auch RS0118054).

[91]           6.7. Die Beurteilung, ob eine als Insolvenzforderung anzumeldende Forderung vorliegt, sowie das Prozedere der insolvenzrechtlichen Geltendmachung durch Forderungsanmeldung, -prüfung und -feststellung richten sich gemäß Art 7 Abs 2 lit g und h EuInsVO im vorliegenden Fall nach deutschen Recht.

[92]           6.8. Nach § 174 Abs 1 und 2 dInsO haben die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen schriftlich unter Angabe des Grundes und des Betrags der Forderung beim Insolvenzverwalter anzumelden.

[93]     Forderungen, die nicht auf Geld gerichtet sind oder deren Geldbetrag unbestimmt ist, sind mit dem Wert geltend zu machen, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschätzt werden kann (§ 45 dInsO).

[94]           Wird gegen eine angemeldete Forderung weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger ein Widerspruch erhoben oder wird ein erhobener Widerspruch beseitigt, so gilt die Forderung nach § 178 dInsO als festgestellt. Ein Widerspruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen. Die Eintragung in die (vom Insolvenzverwalter gemäß § 174 dInsO zu führende) Tabelle wirkt für die festgestellte Forderung gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern wie ein rechtskräftiges Urteil (§ 178 Abs 3 dInsO). Wird eine Forderung vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten, so bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden (nach § 180 Abs 1 und 3 dInsO durch Klage im ordentlichen Verfahren bzw durch Aufnahme eines zur Zeit der Insolvenzeröffnung anhängigen Rechtsstreits) zu betreiben (§ 179 Abs 1 dInsO).

[95]           Damit bestehen im System der Forderungsanmeldung und -prüfung keine für den vorliegenden Fall relevanten Abweichungen vom System der österreichischen IO.

[96]           7. Zu den Folgen für die hier geltend gemachten Ansprüche auf Vertragsaufhebung und die Unwirksamerklärung und Löschung der Einverleibung des

Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten