Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juli 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Casagrande in der Strafsache gegen Tim Ö***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Yeghya Y***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 3. Dezember 2020, GZ 23 Hv 93/20p-98, und die Beschwerden des Angeklagten Yeghya Y***** und der Staatsanwaltschaft gegen zugleich ergangene Beschlüsse nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten Yeghya Y***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Bedeutung – Yeghya Y***** mehrerer „Verbrechen der […] schweren Körperverletzung nach §§ 84 Abs 4 und Abs 5 Z 1 und 2, 15 StGB“ (A./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 8. August 2020 in I***** in verabredeter Verbindung mit Tim Ö*****, Fabio L*****, Aiham D*****, Jan Ö***** und Hussein A***** Nachgenannte auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden ist, vorsätzlich schwer am Körper verletzt oder dies versucht, indem sie den Opfern entsprechend dem zuvor gemeinsam gefassten Tatplan bei Dunkelheit in einem Waldstück auflauerten und mit den Fäusten sowie mit zwei je rund 180 cm langen und 4 cm dicken Hartplastikstangen, einem Pannendreieck und einer Glasflasche auf sie einschlugen (US 11 f), und zwar:
1.) den Leander O*****, wobei die Tat einen teils verschobenen doppelten Bruch des Unterkiefers, somit eine an sich schwere Verletzung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung zur Folge hatte;
2.) den Johannes B*****, wobei die Tat eine Schwellung mit oberflächlicher Verletzung der rechten Scheitel-Hinterhauptgegend und eine Prellung mit Einblutung im Bereich der rechten Niere zur Folge hatte;
3.) den Andreas F*****, den Ivo P*****, die Nadine E*****, den Otis V***** und den Michael Pl*****, wobei die Tat jeweils beim Versuch blieb, weil die Genannten rechtzeitig weglaufen konnten.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Yeghya Y*****.
[4] Mit Subsumtionsrüge (Z 10) macht der Beschwerdeführer geltend, dass die „Kausalität des Schlages des Angeklagten mit einer Glasflasche auf den Kopf des Johannes B***** für die Prellung mit einer Einblutung im Bereich der rechten Niere nicht begründet“ sei, und kritisiert, das Urteil zeige nicht auf, „welchen kausalen Zusammenhang die Handlung des Angeklagten in objektiver Hinsicht mit den Fakten A/1 und A/3 des Urteils“ habe.
[5] Damit legt er nicht methodengerecht dar, weshalb solche Feststellungen bei der hier angenommenen Mittäterschaft erforderlich sein sollten.
[6] Überdies unterlässt er es prozessordnungswidrig, den gerichtlichen Straftatbestand zu bezeichnen, dem der Urteilssachverhalt unterstellt werden sollte (RIS-Justiz RS0099938 [T7]).
[7] Unter dem Aspekt eines Begründungsmangels (Z 5 vierter Fall) verabsäumt die Beschwerde schon die konkrete Bezugnahme auf die Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, auf die sich jener beziehen soll (RIS-Justiz RS0130729 [T1]).
[8] Die Darstellung der Diversionsrüge (Z 10a) ist – unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens der Voraussetzungen sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (hier § 7 JGG) – auf der Basis der Urteilsfeststellungen methodisch korrekt zu entwickeln (RIS-Justiz RS0124801 und RS0116823).
[9] Daran scheitert die Beschwerde, die unter Hinweis auf die Verantwortungsübernahme des Beschwerdeführers bloß behauptet, dessen Schuld sei „im Hinblick auf die für Jugendstraftaten deliktstypische Gruppendynamik“ als nicht schwer (§ 7 Abs 2 Z 1 JGG) zu bezeichnen, aber die Feststellungen zum besonders brutalen Vorgehen des als Anstifter agierenden Beschwerdeführers (US 11 ff; vgl auch US 28) übergeht.
[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[11] Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
[12] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt hinzuzufügen:
[13] 1./ Die Subsumtion der vom Schuldspruch A./1./ bis 3./ umfassten Taten als „die Verbrechen der […] schweren Körperverletzung nach §§ 84 Abs 4 und Abs 5 Z 1 und 2, 15 StGB“ ist rechtlich verfehlt (vgl RIS-Justiz RS0132358 [T1]).
[14] Vielmehr haben die Angeklagten Tim Ö*****, Fabio L*****, Yeghya Y*****, Aiham D*****, Jan Ö***** und Hussein A***** nach den Feststellungen jeweils
zu A./1./ ein Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und ein solches nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 und 2 StGB,
zu A./2./ ein Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB und ein solches nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 und 2 StGB und
zu A./3./ mehrere Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB und solche nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 und 2 StGB
begangen.
[15] Dieser
Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) wirkt aber
nicht zum Nachteil der genannten Angeklagten (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 24), sodass kein Anlass zu einem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO gegeben ist.
[16] Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen nicht an die fehlerhafte Subsumtion gebunden (RIS-Justiz RS0118870).
[17] 2./ Da betreffend Aiham D***** die Zusammenrechnung der verhängten Freiheitsstrafe und der für die Geldstrafe festgesetzten Ersatzfreiheitsstrafe keine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten ergibt, war die Anwendung des § 43a Abs 2 StGB – wie auch das Erstgericht einräumt (US 29) – rechtlich verfehlt (Z 11 erster Fall). Mangels Nachteils für den genannten Angeklagten bot dieser Rechtsfehler jedoch keinen Anlass zu amtswegigem Vorgehen (RIS-Justiz RS0091926 [T3 und T5], RS0117846). Auf das bezughabende Vorbringen der Staatsanwaltschaft in ihrer Berufung wird hingewiesen.
[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E132479European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00052.21W.0729.000Im RIS seit
23.08.2021Zuletzt aktualisiert am
24.08.2021