TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/11 W105 2181689-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.01.2021
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Entscheidungsdatum

11.01.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W105 2181689-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.11.2017, Zl. 1097918507-151923134, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.12.2020, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF iVm § 2 Abs. 1 Z 15 AsylG 2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass damit XXXX kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 31.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer wurde am 04.12.2015 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen und gab er hierbei zentral zu Protokoll, tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit sowie sunnitischen Glaubens zu sein. Inhaltlich bezog sich der Antragsteller darauf, im Iran schlecht behandelt worden zu sein und hätten sie dort keine Rechte gehabt. Er habe nicht in die Schule gehen oder arbeiten können und habe daher keine Zukunft im Iran gehabt und habe sein Vater entschieden, dass er das Land verlasse.

2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 24.11.2017 führte der Antragsteller nunmehr ins Treffen, seit sechs Monaten Christ zu sein und werde in fünf Monaten getauft. Im Einzelnen führte der Antragsteller aus wie folgt:

LA: Aus welchem Grund verließen Ihre Eltern das Heimatland? Aus welchem Grund verließen Sie den Iran? Schildern Sie dies bitte möglichst lebensnah, d.h. mit sämtlichen Details und Informationen, sodass die Behörde Ihr Vorbringen nachvollziehen kann! Nehmen Sie sich dafür ruhig Zeit!

VP: Mein Vater war ein Mujaheddin im Krieg gegen die Russen. Meine Vater war in meine Mutter verliebt und wollte sie heiraten. Die Brüder haben das nicht zugelassen und deshalb ist er mit ihr in den Iran geflüchtet.
Uns wurde von den iranischen Behörden die Karten weggenommen, man wollte uns abschieben. Sie sagten wir mussten den Nachweis für das Motorrad bringen, wir haben das am nächsten Tag gebracht. Die Beamten sagten, wir haben nicht einmal eine Karte, sie können uns sofort nach Afghanistan abschieben. Sie wollten uns für den Kampf in Syrien überreden. Sie sagetn sie geben uns Geld und die Karten wieder wenn wir nach Syrien gehen. Weil wir Angst hatten sind wir nach Hause und berieten uns mit der Familie, die sagte wir können nicht nach Afghanistan wegen der Probleme mit den Onkeln. Syrien war keine Option und wir sind ausgereist.

LA: Haben Sie somit alle Ihre Gründe für die Asylantragstellung genannt?

VP: Das sind alle Gründe, mehr kann ich nicht dazu angeben.

LA: Wissen Sie was das Problem mit den Brüdern der Mutter war?

VP: Ihr Problem ist es, dass die Mutter ohne deren Zustimmung weggegangen ist und deshalb ist die Familie entehrt worden.

LA: Warum wollten die Brüder nicht dass die Mutter ihn heiratet?

VP: Weil er ein Mujaheddin war und sie befürchteten das er im Krieg sterben könne.

LA: Haben Sie jemals erwogen, an einen anderen Ort in Ihrem Heimatland zu ziehen, um den Problemen zu entgehen?

VP: In Afghanistan ist es sehr unsicher und gefährlich und außerdem haben wir dort niemanden. Wir waren vor 4 Jahren schon einmal abgeschoben und bei der Rückkehr wurde auf uns geschossen.

LA: Das gleiche war auch für Österreich gültig. Hier hatten sie auch niemanden und die Sprache und Kultur sind auch unterschiedlich. Was sagen Sie dazu?

VP: Ja, man kann es nicht vergleichen, hier ist es sicher. Nirgends in Afghanistan ist es sicher.

LA: Welche Befürchtungen/Ängste haben Sie für den Fall einer Rückkehr in Ihr Heimatland, speziell nach Kabul?

VP: Ich weiß dass mein Onkel, wenn ich meinen Fuß nach Afghanistan setze töten wird. Dieser ältere Onkel (m) hat es immer noch abgesehen auf uns. Damals als meine Onkel (m) in den Iran gekommen sind, haben Sie meinen Vater verprügelt. Er hat ein Trauma davongetragen.

LA: Sonst irgendwelche Befürchtungen?

VP: Ich habe alles gesagt, das waren alle meine Gründe. Wir konnten ja nicht in den Iran oder nach Afghanistan, daher war Europa die einzige Option um in Sicherheit leben zu können.

LA: Sonst irgendwelche Befürchtungen die Sie jetzt bei einer Rückkehr hätten?

VP: Ich habe ihnen alles gesagt.

LA: Glauben Sie wirklich Ihr Onkel (m) würde Sie in Kabul suchen? Er wüsste ja nicht mal dass Sie dort sind?

VP: Ersten geht das gar nicht das ich dort hinfliege, weil ich jetzt Christ bin. Früher oder später würde er es erfahren. Vielleicht lebt er ja auch in Kabul.

LA: Weshalb haben Sie die Befürchtung bzgl. des Christentums erst jetzt erwähnt?

VP: Ich bin seit 6 Monaten erst ein Christ, deshalb habe ich jetzt das Problem. Aber meine Angst ist mein Onkel (m).

LA: Wissen Ihre Eltern das Sie Christ sind?

VP: Ja, ich habe es meinem Vater und meiner Mutter gesagt. Ab heute will ich auch jeden sagen dass ich ein Christ bin.

LA: Sind sie schon Christ? Sind Sie schon getauft?

VP: Ja, ich bin Christ aber bin noch nicht getauft. In 5 Monaten werde ich getauft.

Anmerkung: AW legt eine Bestätigung eines Bibelkurses (Fehler: Beginn Mai 2017 statt Mai 2016) und eine Austrittsbestätigung des Magistrats vor. Zum Akt.

LA: Sie sagten Sie seien Christ! Seit wann sind Sie einer?

VP: Seit 6 Monaten

LA: Welche Gründe waren vorhanden, dass Sie sich für das Christentum entschieden haben?

VP: Nachdem ich die Sprache gelernt habe, habe ich die Fam. Leitner kenengelernt und auch einige Iraner die bereits Christen waren. Wir haben die Bibel auf Farsi gelesen und dann habe ich den Entschluss gefasst. Nachdem ich die Bibel gelesen habe, habe ich den Entschluss gefasst, da war ich ganz sicher.

LA: Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit dem Christentum?

VP: Seit 6 Monaten, gehe ich in die Kirche und beschäftige mich damit.

LA: Wie schätzen Ihren Wissensstand bzgl. des Christentums ein?

VP: Ich bin erst seit 6 Monaten dabei es zu lernen.

LA: Sie haben gesagt Sie haben die Bibel gelesen, komplett oder Teile?

VP: Ich habe nur Teile der Farsi-Bibel gelesen.

LA: Aus welchen Teilen besteht die Bibel?

VP: Es gibt 27 neue Bücher und 39 alte Bücher, also insgesamt 66 Bücher.

LA: Womit beginnt Bibel, was ist das erste Thema um das es da geht?

VP: Die Bibel besteht aus 2 Teilen, dem Alten und Neuen Testament.

LA: Haben Sie den Anfang der Bibel gelesen?

VP: Ich weiß es nicht, ich habe nur Teile gelesen.

LA: Schildern Sie mir etwas, was Sie gelesen haben!

VP: Ich habe in der Bibel gelesen, das Jesus gesagt hat, das die Erlösung nur herbeigeführt werden kann wenn man Jesus im Herzen trägt. Ich glaube das im Evangelium von Johannes 14.6 steht, dass wenn man an Jesus glaubt das man mit Jesus Hilfe zu Gott kommt.

LA: Was hat Jesus so gemacht, haben Sie darüber gelesen?

VP: Es gibt viele Taten, er hat es geschafft mit der Hilfe von Engel geschafft, 5000 Menschen mit Fisch und Brot zu versorgen.

LA: Was glauben Sie, wollte Jesus mit dieser Tat erreichen?

VP: Er wollte den Menschen den richtigen Weg zeigen und damit er die Menschen vor dem Unrecht sein bewahren kann.

LA: Welche Christliche Glaubensrichtung fühlen Sie sich zugehörig?

VP: Römisch Katholisch.

LA: Welche gibt es noch?

VP: Katholisch, Protestant und die dritte habe ich vergessen.

LA: Welche christlichen Feiertage kennen Sie?

VP: Ich kenne die drei wichtigsten Weihnachten, Ostern und Pfingsten und das letzte Abendmahl.

LA: Was ist da passiert, beim letzten Abendmahl?

VP: Das war der Abend bevor er gekreuzigt wurde. Er gab ihnen Brot und Wein und sagte das ist sein Blut. Deshalb gibt es bei der Messe Wein.

LA: Welcher ist der höchste römisch katholische Feiertag?

VP: Pfingsten

LA: Sicher?

VP: Ja, ich weiß es.

LA: Sagt Ihnen der Begriff Sakramente etwas?

VP: Ja, die Taufe, die Beichte, die Heirat. Bei uns gibt es 7 bei den Protestanten gibt es 2.

LA: Sind Sie mit voller Überzeugung Christ?

VP: Ja.

LA: Warum wollen Sie kein Moslem mehr sein?

VP: Nachdem mir meine Freunde das Christentum beigebracht haben, habe ich erkannt dass der einzige Weg zur Erlösung der Weg des Christentums ist.

LA: Waren Sie gläubiger Muslim?

VP: Nein, ich wurde nur als Moslem geboren.

LA: Dann ist es verwunderlich, dass Sie sich gerade jetzt so religiös zeigen? Was sagen Sie dazu?

VP: Ich war ja nur ein Moslem, aber als ich hier war hatte ich die Möglichkeit mich selbst zu erkundigen und daher habe ich den Entschluss gefasst Christ zu werden.

LA: Was sagt Ihr Vater dazu, dass Sie Christ sind?

VP: Sie waren nicht dagegen. Wen es in meiner Hand liegen würde, dann würde ich auch meine Eltern überreden Christ zu werden.

LA: In der Unterkunft, wer weiß aller dass sie Christ sind?

VP: Alle wissen es. Und die Kirche ist gleich bei der Unterkunft.

LA: Würden Sie Jude werden, wenn Sie in Israel wären?

VP: Nein, ich glaube nicht. Ich weiß es nicht. Nachdem ich die Bibel gelesen habe, habe ich den Glauben entdeckt. Nachdem ich jetzt das Christen

LA: Was ist Ihre Freundin für eine Glaubensrichtung?

VP: Sie ist eine Afghanin, sie ist Muslima.

LA: Was sagen die Eltern der Freundin?

VP: Sie wissen nicht dass wir zusammen sind.

LA: Würden Sie den Eltern des Mädchen sagen wenn mehr daraus wird, das Sie Christ sind?

VP: Ich weiß ob ich sie nicht heiraten werde. Vielleicht heirate ich eine Christin.

LA: Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie nach Afghanistan, speziell Kabul, zurück müssten?

VP: Ich würde sagen in der Bibel steht, Jesus hat gesagt, dass ihn niemand leugnen darf, sonst wird er dasselbe tun. Ich trage sogar ein Kreuz um den Hals, und würde dass auch weiter tun.

AL: Das wäre sehr gefährlich?

VP: JA, das wäre dumm, deswegen kann ich nicht zurück, da ich nicht sagen kann ich bin ein Christ.

LA: Wenn Sie nach Afghanistan zurück müssten, würden Sie sich wieder zum Islam bekennen?

VP: Ich weiß es nicht. Ich kann das nicht sagen, ich kann nicht einfach sagen ich bin ein Moslem.

LA: Im Koran steht, dass man eine Abkehr vortäuschen darf um Ziel zu erreichen! Woher weiß ich dass Sie nicht solche Ziele verfolgen bzw. bei einer Rückkehr wäre das nur eine Scheinkonversion gewesen und Sie hätten keine Bedrohung/Gefährdung?

VP: Wenn ich die Absicht gehabt hätte, mit einer Lüge Asyl zu bekommen, dann hätte ich das ja schon bei der Erstbefragung gesagt. Ich habe die Entscheidung aber erst vor 6 Monaten aus dem Herzen getroffen.

LA: Würde Ihnen im Fall der Rückkehr etwas von Seiten der staatlichen Behörden drohen?

VP: Mit der afghanischen Regierung nicht. Aber als Christ hätte ich mit der Bevölkerung Probleme.

LA: Wollen Sie sonst noch etwas sagen?

VP: Ich habe alles gesagt.

LA: Es wird nunmehr mit Ihnen erörtert, auf welcher Basis und unter Zugrundelegung welcher Länderfeststellungen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in Ihrem Fall zur Entscheidung gelangen wird. Sie haben die Möglichkeit, im Anschluss dazu Stellung zu nehmen. Die Behörde vollzieht das Asylgesetz. Weiters werden Ihre bisherigen Einvernahmen herangezogen sowie die auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat beziehende Staatendokumentation des BFA. Diese ist zur Objektivität verpflichtet und unterliegt der Beobachtung eines Beirates. Es ist daher davon auszugehen, dass sämtliche Feststellungen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen stammen, ausgewogen zusammengestellt wurden und somit keine Bedenken bestehen, sich darauf zu stützen.

Es werden Ihnen nun die relevanten Teile der Länderfeststellungen (Lage in der Heimatprovinz, Lage der Volksgruppe und der Religionsgruppe, etc.) Ihres Heimatlandes mit Stand von 25.09.2017 zur Kenntnis gebracht.

Aus der allgemeinen Lage selbst ist ebenso wie aus Ihren persönlichen Merkmalen (Abstammung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) nichts abzuleiten, das auf eine Verfolgung oder Furcht vor solcher im Sinne der GFK und den darin genannten Gründen schließen ließe.

Die Konversion ist noch genauer zu prüfen.

Ebenso ist nichts festzustellen, dass eine reale Gefahr für Ihre Leben oder die Gesundheit bedeuten würde oder für Sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Weder lässt sich eine solche Gefahr aus der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat noch aus einer etwaigen lebensbedrohlichen und in Ihrem Herkunftsstaat nicht ausreichend behandelbaren Erkrankung Ihrer Person ableiten. Zudem ist festzuhalten, dass es Ihnen zuzumuten ist, selbst unter durchaus schweren Bedingungen am Arbeitsmarkt nach einer Beschäftigung zu suchen und möglicherweise durch das Verrichten von Gelegenheitsarbeiten Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Stellungnahme AW

VP: Ich habe alles gesagt. Im Iran geht es nicht mehr, in Afghanistan auch nicht es ist schwierig ich bitte um die Möglichkeit hier zu bleiben.

LA: Möchten Sie noch weitere Angaben machen? Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen und gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände?

VP: Ich möchte keine weiteren Angaben machen. Ich konnte alles umfassend vorbringen. Ich habe keine Einwände.

LA: Wie haben Sie den Dolmetscher verstanden? Gab es zu irgendeinem Zeitpunkt Schwierigkeiten den Dolmetscher zu verstehen?

VP: Sehr gut. Es gab keine Schwierigkeiten. (Anmerkung: Auf Nachfrage seitens LA bestätigt auch der Dolmetscher, dass er den AW ebenfalls sehr gut verstanden hat)

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Ich habe keine Einwendungen, es wurde alles richtig protokolliert.

[…]

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

4. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und zentral ausgeführt, dass der Antragsteller im Iran geboren und auch dort aufgewachsen sei. In Afghanistan habe er nur wenige Tage nach seiner Abschiebung vom Iran nach Afghanistan verbracht. Anschließend sei er wieder in den Iran zurückgekehrt. Hier in Österreich sei der Beschwerdeführer vom muslimischen zum christlichen Glauben konvertiert. Die übrigen Familienmitglieder – abgesehen von zwei Brüdern – würden sich nach wie vor im Iran aufhalten. Der Beschwerdeführer habe sich in Österreich vorbildlich integriert, beherrsche die deutsche Sprache bereits ausgezeichnet und verfüge über ein breites Netzwerk an Unterstützern und Freunden. Im Weiteren wurde auf einen Bericht von ACCORD vom Juni 2017 über die Situation von Apostaten in Afghanistan verwiesen.

5. Im Rahmen der am 17.12.2020 abgeführten öffentlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde vor dem Hintergrund der zwischenzeitig vorliegenden Taufbescheinigung versucht, die innere Einstellung des Antragstellers im Hinblick auf seine Konversion näher zu beleuchten. Unter einem wurden drei Zeugen einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer ist ein afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der Beschwerdeführer ist im Iran geboren und aufgewachsen. Der Antragsteller hat im Iran keine ordentliche Schulbildung genossen, ist illegal ins österreichische Bundesgebiet eingereist und beantragte am 31.10.2015 die Gewährung internationalen Schutzes.

Im Rahmen seiner Integrationsbestrebungen und Kontakten zu einer Deutsch- und Religionslehrerin entwickelte der Beschwerdeführer ein Interesse für das Christentum. Mit 21.11.2017 erklärte der Antragsteller vor dem Magistrat der XXXX seinen Religionsaustritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft. Der Antragsteller wurde am XXXX nach römisch-katholischem Ritus in XXXX getauft. Der Antragsteller hat die Pflichtschulabschluss-Prüfung bestanden, sowie einen Berufsorientierungskurs absolviert. Der Antragsteller ist Mitglied in einem Sportverein, für den er auch Wettkämpfe bestreitet.

Der Antragsteller ist in der örtlichen christlichen Pfarre hervorragend integriert und werden ihm von einer Vielzahl an Mitgliedern der örtlichen Pfarre die besten Eigenschaften bescheinigt. Der Antragsteller hat in der Vergangenheit an verschiedenen Projekten und ehrenamtlichen Tätigkeiten teilgenommen. Der Antragsteller verfügt über eine Reihe an Empfehlungs- und Referenzschreiben. Der Antragsteller hat einen Berufsorientierungskurs erfolgreich abgeschlossen. Der Antragsteller verfügt in Österreich über ein Netzwerk ihn unterstützender und betreuender Personen.

Es kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung vom islamischen Glauben zum Christentum konvertiert ist. Es ist nicht anzunehmen, dass er bereit ist, seinen christlichen Glauben – insbesondere auch nicht in islamischer Umgebung – zu verleugnen. Die Familie des Beschwerdeführers ist über die Konversion des Beschwerdeführers in Kenntnis.

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

Auszug Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (aktualisiert am 21.07.2020)

15. Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Anmerkung: Zu Konversion, Apostasie und Blasphemie siehe Unterabschnitt Fehler! Textmarke nicht definiert..

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

[…]

15.2. Christentum und Konversion zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha‘i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 21.6.2019). USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen (USDOS 26.10.2009). Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (RA KBL 1.6.2017).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 1.6.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 2.9.2019). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (USDOS 21.6.2019).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (RA KBL 1.6.2019).

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 2.9.2019; vgl. USCIRF 4.2018, USDOS 21.6.2019), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 21.6.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (WA 11.12.2018; vgl. AA 2.9.2019). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (USDOS 21.6.2019).

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren (USDOS 21.6.2019). Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv (CURE 8.2018); bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet (NYP 24.4.2014). Auch gibt es in Kabul den Verein „Pro Bambini di Kabul“, der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (PBdK o.D.; vgl. AF 4.1.2019).

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen und Urkunden.

2.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Identität, Werdegang und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich unwiderleglichen Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Die getroffene Feststellung zur Konversion des Beschwerdeführers zum römisch-katholischen Glauben ergibt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden Austrittserklärung aus der islamischen Glaubensgemeinschaft und der vorliegenden Taufbescheinigung, aus der Gesamtbetrachtung des Verhaltens des Antragstellers im Rahmen der örtlichen Wiener christlichen Gemeinde, seinen erworbenen dargestellten Kenntnissen über christliche Glaubensinhalte, damit einhergehend seinem als vorbildlich zu bezeichnenden Integrationsbemühungen sowie zentral durch die Bekräftigung der vorliegenden Ernsthaftigkeit der Hinwendung zum christlichen Glauben durch die einvernommenen Zeugen im Rahmen des abgeführten Beschwerdeverfahrens. Im Verfahren sind keine Umstände hervorgetreten, welche die Glaubhaftigkeit und Ernsthaftigkeit der Konversion zum römisch- katholischen Glauben in Zweifel ziehen würden. Hervorzuheben ist insgesamt, dass die Bemühungen des Antragstellers zum Christentum zu konvertieren bereits im Mai 2017 begonnen haben, er in der Zwischenzeit das einjährige Katechumenat durchlaufen hat und er im Zeitraum bis zur gegenständlichen Entscheidung tatsächlich regelmäßig und intensiv am kirchlichen Leben teilnimmt. Die aktive Teilnahme am Kirchenleben wurde insbesondere durch die Aussage des einvernommen römisch- katholischen Priesters der örtlichen Pfarre überzeugend hervorgetragen.

Auf Grund der nunmehrigen Lebensumstände und der glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers kann daher davon ausgegangen werden, dass diese Tatsache der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum über das persönliche Umfeld des Beschwerdeführers hinaus auch nach außen hin bekannt geworden ist, zumal auch die im Iran befindliche Familie darüber informiert wurde.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner Konversion vom Islam zum Christentum war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Christen und Konvertiten in Afghanistan, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen.

2.3.    Zum Herkunftsstaat:

Es wurde vor allem Einsicht genommen in folgende Erkenntnisquellen des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (aktualisiert!): Religionsfreiheit; Christen und Konversionen zum Christentum

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquelle sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH vom 19.10.2000, 98/20/0233).

Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).

"Glaubhaftmachung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH vom 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH vom 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH 28.05.2009, 2007/19/1248; 23.01.1997, 95/20/0303) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Allein aus der Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit kann das Vorliegen von Verfolgung im Sinne der GFK aber nicht abgeleitet werden (VwGH, 09.11.1995, Zahl 94/19/1414). Es sind darüber hinausgehende konkret gegen den Asylwerber gerichtete, von staatlichen Stellen ausgehende bzw. von diesen geduldete Verfolgungshandlungen gegen seine Person erforderlich, um die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers zu erweisen (VwGH 08.07.2000, Zahl 99/20/0203; 21.09.2000, Zahl 98/20/0557).

Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/83/EG (Status-Richtlinie) kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftsstaates beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.

Bei einer erst nach Verlassen des Herkunftsstaates erfolgten Konversion eines Fremden vom Islam zum Christentum ist zu prüfen, ob die Konversion allenfalls bloß zum Schein erfolgt ist. Hat der Fremde nicht behauptet, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wieder vom christlichen Glauben zum Islam übertreten zu wollen, und ist der Fremde nicht nur zum Schein zum Christentum konvertiert, kommt es nicht auf die Frage an, welche Konsequenzen der Asylwerber wegen einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten hätte. Vielmehr ist maßgeblich, ob er bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion (allenfalls sogar mit der Todesstrafe) belegt zu werden (VwGH 24.10.2001; Zahl 99/20/0550; 19.12.2001, Zahl 2000/20/0369; 17.10.2002; Zahl 2000/20/0102; 30.06.2005, Zahl 2003/20/0544).

Aus dem oben zur Person des Beschwerdeführers festgestellten Sachverhalt und den Feststellungen zur Situation der Christen in Afghanistan, insbesondere der vom Islam zum Christentum konvertierten Personen, ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als Person mit christlicher Überzeugung im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund seiner religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite – ohne dass in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme – als auch von staatlicher Seite ausgesetzt wäre. Dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum den afghanischen Behörden oder anderen Personen im sozialen Umfeld verborgen bleiben würde, kann nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Im gegenständlichen Fall liegt daher das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers im Sinne eines Nachfluchtgrundes vor (vgl. auch Beweiswürdigung).

Auf Grund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts nach der Scharia und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insbesondere gegenüber Konvertiten, und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ergibt. Es ist daher hinsichtlich dieses dargestellten Verfolgungsrisikos davon auszugehen, dass keine inländische Fluchtalternative besteht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner religiösen Überzeugung eines vom Islam zum Christentum konvertierten Mannes verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans (des Staates seiner Staatsangehörigkeit) befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des Beschwerdeführers stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Christentum Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Konversion mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W105.2181689.1.00

Im RIS seit

20.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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