TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/1 I416 2121514-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.02.2021
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Entscheidungsdatum

01.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I416 2121514-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH –BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 08.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen sie im Wesentlichen mit wirtschaftlichen Motiven begründete.

2.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 29.01.2016, Zl. XXXX , wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz abgewiesen (Spruchpunkte I. bzw. II.). Zudem wurde ihr kein Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 57 AsylG erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Es wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

3.       Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.02.2016, GZ: I405 2121514-1/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

4.       Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.10.2016, GZ: I405 2121514-1/13E, wurde die erhobene Beschwerde – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.06.2016 - als unbegründet abgewiesen.

5.       Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.03.2018 wurde über die Beschwerdeführerin die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet, woraus sie am 09.04.2018 entlassen wurde.

6.       Mit Formularvordruck „Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ vom 27.04.2018 sowie Schriftsatz der LEFÖ-IBF vom 26.04.2018 beantragte die Beschwerdeführerin die Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG, da sie am 09.04.2018 als Opfer und Zeugin von Menschenhandel zur Zl. XXXX polizeilich ausgesagt habe und als besonders schutzbedürftiges Opfer gemäß § 66a StPO eingestuft worden sei. Der Sachverhalt sei derzeit beim Landeskriminalamt XXXX anhängig und stehe sie für weitere polizeiliche wie gerichtliche Ermittlungen als Zeugin zur Verfügung. Zudem erhalte sie von LEFÖ-IBF Prozessbegleitung gemäß § 66 StPO und seien die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG gegeben. Sie verfüge über keinen Reisepass, habe jedoch bereits eine nigerianische Geburtsurkunde sowie ein Zertifikat von der nigerianischen Botschaft bezüglich eines Antrages auf Ausstellung eines Reisepasses organisieren können.

7.       Die belangte Behörde ersuchte am 27.04.2018 die Landespolizeidirektion XXXX um Abgabe einer Stellungnahme zum Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels, welche mit Schreiben vom 25.05.2018 mitteilte, dass die Beschwerdeführerin als Opfer von Menschenhandel anzusehen sei und bei der Staatsanwaltschaft XXXX , Zl. XXXX , eine Anzeige wegen § 217 StGB u.a. erstattet worden sei. Das Gerichtsverfahren gelte somit weiterhin als anhängig und lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz zur weiteren Gewährleistung der Strafverfolgung bzw. zur Durchsetzung von allfälligen zivilrechtlichen Ansprüchen vor.

8.       Die Beschwerdeführerin wurde sodann am 13.07.2018 niederschriftlich durch die belangte Behörde einvernommen.

9.       Am 26.07.2018 wurde von LEFÖ-IBF ein Antrag auf Heilung eines Mangels gemäß §§ 4 Abs. 1 Z 3 iVm 8 AsylG-DV gestellt, da die Beschwerdeführerin die für die Ausstellung eines Reisepasses nötige Bestätigung der lokalen Behörden in Nigeria nicht beschaffen könne.

10.      Die belangte Behörde stellte der Beschwerdeführerin am 20.08.2018 die beantragte Aufenthaltsberechtigung, gültig bis 19.08.2019, aus.

11.      Die Beschwerdeführerin stellte am 12.08.2019 einen Verlängerungsantrag „Besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG und legte ein Schreiben der LEFÖ-IBF datiert mit 09.08.2019 vor. Darin wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen einer kontradiktorischen Einvernahme im August 2018 am Landesgericht XXXX einvernommen und der Beschuldigte sodann am 04.07.2019 zu einer Haftstrafe von 3,5 Jahren verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführerin sei eine Summe von EUR 1.000,00 zugesprochen worden und würden derzeit alle nötigen Schritte vorbereitet, um zu gewährleisten, dass die Beschwerdeführerin auch tatsächlich die ihr zugesprochene Summe erhalte. Dafür sei es selbstverständlich notwendig, dass ihr Aufenthaltstitel im Sinne der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche ehestmöglich verlängert werde. Es seien zudem verschiedene Verfahren gegen mehrere involvierte „Madams“ anhängig, welche sich teilweise in Österreich, teilweise in anderen Ländern der EU befänden. Die Beschwerdeführerin hoffe, dass die Ermittlungen gegen diese Menschenhändlerin in Zukunft fortgeführt werden würden. Die Beschwerdeführerin legte eine Kopie ihres Reisepasses, ein ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1, einen psychotherapeutischen Befundbericht sowie das Strafurteil des Landesgerichtes XXXX zu XXXX bei.

12.      Mit Verbesserungsauftrag vom 12.08.2019 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, binnen vier Wochen ein Lichtbild, ein gültiges Reisedokument, ihre Geburtsurkunde oder ein gleichzuhaltendes Dokument, einen Mietvertrag und eine Versicherungspolizze vorzulegen.

13.      Die belangte Behörde ersuchte am 12.08.2019 die Landespolizeidirektion XXXX um Abgabe einer Stellungnahme zum Antrag der Beschwerdeführerin, welche mit Schreiben vom 11.11.2019 mitteilte, dass nunmehr sämtliche Ermittlungen abgeschlossen und mit Schreiben der StA XXXX sämtliche die Täterschaft betreffenden Verfahren eingestellt worden seien. Selbst wenn die Beschwerdeführerin als Opfer von Menschenhandel anzusehen gewesen sei, lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht (mehr) vor, da derartige Verfahren nicht mehr anhängig seien und die Anstrengung eines zivilrechtlichen Verfahrens zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche nicht behauptet worden oder aktenkundig sei.

14.      Die Beschwerdeführerin brachte am 29.08.2019 ihre Geburtsurkunde, einen Untermietvertrag, einen Versicherungsdatenauszug und am 31.01.2020 einen ZMR-Auszug sowie einen Mietvertrag ein. Mit E-Mail der LEFÖ-BF vom 17.02.2020 wurde der belangten Behörde eine Bewilligung der Fahrnis- und Gehaltsexekution sowie ein Bericht des Bezirksgericht XXXX vorgelegt.

15.      Die belangte Behörde stellte an das Bezirksgericht XXXX am 09.03.2020 ein Ersuchen um dringende Mitteilung bezüglich des Verfahrensstandes im Exekutionsverfahren zur Zl. XXXX , woraufhin am 10.03.2020 die Mitteilung erfolgte, dass die Exekutionsbewilligung dem Verpflichteten bislang nicht zugestellt habe werden können, da er seine neue Adresse nicht bekannt gegeben habe.

16.      Am 02.06.2020 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass beabsichtigt werde, ihren Verlängerungsantrag besonderer Schutz gemäß § 59 AsylG abzuweisen und wurde ihr eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme von zwei Wochen gewährt. Die entsprechende Stellungnahme langte mit E-Mail der LEFÖ-IBF am 18.06.2020 bei der belangten Behörde ein und wurden unter anderem ein Arztbrief, ein psychotherapeutischer Befundbericht sowie ein Prüfungsergebnis des ÖIF angehängt.

17.      Mit gegenständlichem Bescheid der belangten Behörde vom 23.10.2020 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vom 12.08.2019 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ihr eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt III.).

18.      Am 19.11.2020 legte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz ihrer damaligen Rechtsvertretung Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens ein. Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass die belangte Behörde im bekämpften Bescheid einige unrichtige Feststellungen getroffen habe, welche sich aus der Aktenlage nicht ergeben hätten. Zudem habe es die belangte Behörde verabsäumt, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zum Bestehen eines Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin in Österreich und in Nigeria zu ermitteln und Feststellungen zu ihrem äußerst kritischen Gesundheitszustand bzw. der medizinischen Versorgung in Nigeria zu treffen. Es seien außerdem mangelhafte Feststellungen zur Situation von Opfern von Menschenhandel getroffen worden und fehle im Allgemeinen eine nachvollziehbare Beweiswürdigung.

19.      Die Beschwerde samt Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht - am 27.11.2020 einlangend - vorgelegt.

20.      Am 10.12.2020 stellte die Beschwerdeführerin neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

21.      Am 19.01.2021 langte eine Vollmachtsbekanntgabe der nunmehr ausgewiesenen Rechtsvertretung ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist nigerianische Staatsangehörige und steht ihre Identität fest.

Am 12.08.2019 stellte die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels aus Gründen des § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG gemäß § 59 AsylG. Dieser Antrag wurde mit gegenständlichem Bescheid der belangten Behörde vom 23.10.2020 abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen.

Die Beschwerdeführerin stellte am 10.12.2020 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und ist dieses Verfahren derzeit bei der belangten Behörde anhängig.

2. Beweiswürdigung:

Der dargestellte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakte der belangten Behörde, des Aktes des Bundesverwaltungsgerichtes zum ersten Asylverfahren, GZ: I405 2121514-2, sowie des gegenständlichen Gerichtsaktes.

Die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt und steht ihre Identität aufgrund der im Akt einliegenden Kopie des vorgelegten nigerianischen Reisepasses der Beschwerdeführerin fest.

Die Feststellungen zum Verlängerungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des § 57 AsylG sowie zum abweisenden Bescheid der belangten Behörde samt Rückkehrentscheidung vom 23.10.2020, gründen ebenso auf dem unbedenklichen Akteninhalt, in welchem sowohl der gegenständliche Antrag als auch der abweisende Bescheid enthalten sind.

Die Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin am 10.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und dieser Asylantrag noch offen ist, ergibt sich aus dem aktuell eingeholten Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Behebung des Bescheides:

Der mit „Erkenntnisse“ betitelte § 28 VwGVG lautet:

„§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

(6) Ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen, so hat das Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

Nach § 10 Abs. 1 AsylG ist die Rückkehrentscheidung mit der negativen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz "zu verbinden", nach § 52 Abs. 2 FPG hat sie "unter einem" zu ergehen; sie setzt also die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz voraus. Auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren - unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - bereits anhängig ist, darf die Rückkehrentscheidung (unbeschadet eines allenfalls weiter bestehenden unrechtmäßigen Aufenthalts des Fremden) grundsätzlich nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergehen. Zugleich mit der Rückkehrentscheidung ist nämlich die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, dass die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber - jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaat - das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, vorwegnehmen (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0146).

Diese Überlegungen sind auch vor dem Hintergrund der seit 01.11.2017 geltenden neuen Rechtslage aufrechtzuerhalten. Sie gelten auch für ein anhängiges Verfahren über einen Asylfolgeantrag (vgl. VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0138; 25.09.2018, Ra 2018/21/0107).

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ist nicht zulässig. In einem solchen Fall ist ein anhängiges Rückkehrentscheidungsverfahren einzustellen, und eine bereits erlassene erstinstanzliche, mit Beschwerde bekämpfte Rückkehrentscheidung ist vom Verwaltungsgericht ersatzlos zu beheben. Eine Aussetzung des Rückkehrentscheidungsverfahrens bis zur Beendigung des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz kommt nicht in Betracht, weil es nach der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz jedenfalls einzustellen wäre: sei es, weil Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wurde, sei es, weil eine negative Entscheidung und damit einhergehend eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG iVm § 52 Abs. 2 FPG bzw. ein Ausspruch über die dauerhafte Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder ein Ausspruch nach § 8 Abs. 3a AsylG ergangen ist (vgl. VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0349; 04.08.2016, Ra 2016/21/0162).

Wie aus dem aktuellen IZR-Auszug zu entnehmen ist, stellte die Beschwerdeführerin am 10.12.2020 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, über den die belangte Behörde noch nicht entschieden hat. Demnach ist in der vorliegenden Konstellation, in welcher die Beschwerdeführerin während des aufrechten Beschwerdeverfahrens über eine Rückkehrentscheidung einen Asylantrag stellt, der Bescheid, der über die Rückkehrentscheidung abspricht, ohne dass über ihren Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde, ersatzlos zu beheben.

Daran vermag auch die verfahrensgegenständliche Fallkonstellation, wonach die belangte Behörde zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch keine Kenntnis von der Antragstellung gehabt hat, nichts zu ändern.

Im Lichte der oben genannten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat das Bundesverwaltungsgericht mangels Erledigung des Antrags auf internationalen Schutz vor Ausspruch der Rückkehrentscheidung ebendiese sowie die damit untrennbar verbundenen Spruchpunkte ersatzlos zu beheben, da die belangte Behörde für den gegenständlichen Abspruch vor Erledigung des Antrags auf internationalen Schutz nicht zuständig war. Eine etwaige Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG wird zudem im derzeit anhängigen Asylverfahren zu prüfen sein.

Die mit der Rückkehrentscheidung in Spruchpunkt II. verbundenen Nebenaussprüche, die auf der Rückkehrentscheidung beruhen, sind ebenso aus dem Rechtsbestand zu entfernen und hatte das erkennende Gericht somit sämtliche Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids ersatzlos aufzuheben.

Im gegenständlichen Fall konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage geklärt erscheint. Zudem konnte gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG die Verhandlung entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Abschiebung Anhängigkeit Asylantragstellung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Behebung der Entscheidung Entscheidungszeitpunkt ersatzlose Behebung Folgeantrag freiwillige Ausreise Frist Kassation Rückkehrentscheidung behoben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I416.2121514.2.00

Im RIS seit

20.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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