Entscheidungsdatum
15.03.2021Norm
ASVG §293 Abs1 litaSpruch
W226 2191125-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch RA Dr. Wolfgang WEBER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018, Zl. 811422904-180114213, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.12.2020 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die BF wurde November 2011 im Bundesgebiet aufgegriffen.
2. Am 25.11.2011 stellt sie einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesaylamtes vom 12.12.2011 hinsichtlich der Gewährung von Asyl und subsidiären Schutzes negativ entschieden wurde. Zudem wurde gegenüber der BF eine Ausweisung in ihren Herkunftsstaat die Ukraine ausgesprochen. Dieser Bescheid wurde am 28.12.2011 rechtskräftig.
3. Am XXXX heiratete die BF standesamtlich einen österreichischen Staatsbürger. Seit 03.03.2014 hat sie durchgehend einen Hauptwohnsitz in Österreich angemeldet. Ihr wurden von der Magistratsabteilung 35 (im Folgenden: MA 35) laufend Aufenthaltstitel erteilt. Der letzte Aufenthaltstitel („Rot-Weiß-Rot-Karte“) hatte eine Gültigkeit bis XXXX .
4. Am 22.06.2017 stellte die BF bei der MA 35 einen Verlängerungsantrag des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte-plus“.
5. Am 13.09.2017 wurde der Akt von der MA 35 wegen des Fehlens von Erteilungsvoraussetzungen für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels zur Aufenthaltsbeendigung gemäß § 25 Abs. 1 NAG dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) übermittelt, wobei das BFA in weiterer Folge ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einleitete.
6. Die BF wurde vom BFA von der beabsichtigten Vorgehensweise (Erlassung einer Rückkehrentscheidung) mit Schreiben vom 02.02.2018 informiert. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte sie Gebrauch und beantwortete sie die Fragen der belangten Behörde zusammengefasst wie folgt:
Sie lebe laut Meldezettel seit 03.03.2014 in Österreich, sei geschieden, aber verlobt. Sie habe einen volljährigen Sohn der in Österreich lebe. Sie gehe einer selbstständigen Tätigkeit nach und bekomme 200 EUR freiwilligen Unterhalt von ihrem Exmann. Sie sei krankenversichert und habe das Deutschzertifikat A2 sowie den Kurs B1-3 absolviert. Neben ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter würden noch ihre Schwester und deren Tochter im Bundesgebiet leben. Sie würden sich dreimal pro Woche treffen und besuche sie auch regelmäßig ihre Schwiegereltern. In der Ukraine würden ihr Bruder und ihre Mutter leben, diese würden eine Pension bekommen. Ihr Lebensmittelpunkt befinde sich in Österreich, sie besuche viele kulturelle Veranstaltungen und mache oft Ausflüge ins Waldviertel. Eine Rückkehr in ihre Heimat wäre für sie und die Leute die sie pflege ein sehr einschneidendes Erlebnis, da sich ihr Lebensmittelpunkt hier befinde.
Die BF legte unter anderem folgende Unterlagen vor:
- Befristeter Wohnungsmietvertrag (01.07.2016-30.06.2019),
- Kopie des ukrainischen Reisepasses,
- Schreiben der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft betreffend den Eintritt in die Pflichtversicherung ab 01.10.2017,
- Überweisung an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft,
- E-Card,
- ÖSD-Karte: Grundstufe Deutsch A2,
- Lohnzettel aus dem Jahr 2017,
- Bestätigung für den Besuch eines Deutschkurses B1.3,
- Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem: Entstehen der Gewerbeberechtigung mit 01.07.2017 für das freie Gewerbe der Personenbetreuung,
- diverse Kontoauszüge,
- Vereinbarung eines Betreuungsunternehmens,
- Vertrag betreffend die Verrichtung von Reinigungstätigkeiten (Beginn: 13.11.2017 für die Dauer eines Jahres, 400 EUR/Monat),
- diverse Honorarnoten betreffend die Verrichtung von Betreuungsleistungen (Haushalts- und Personenbetreuung),
- Versicherungsdatenauszug.
7. Ohne die BF persönlich einvernommen zu haben, erließ die belangte Behörde mit Bescheid vom 27.02.2018, Zl. 811422904-180114213, gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.)
Die Behörde stellte fest, dass die BF ukrainische Staatsbürgerin sei und ihre Identität feststehe. Sie sei geschieden und für niemanden sorgepflichtig. Die BF sei im arbeitsfähigen Alter, ihr Gesundheitszustand sei ungeklärt und auch ihr Bildungsstand sei nicht eindeutig geklärt. Sie sei laut ZMR seit 03.03.2014 in Österreich aufhältig und sei ihr durch die MA 35 zuletzt ein Aufenthaltstitel bis 29.06.2017 erteilt worden. Derzeit verfüge sie nicht über die Erteilungsvoraussetzungen zur Verlängerung ihres Aufenthaltstitels Rot-Weiß-Rot-Karte (plus). In Österreich lebe ihr Sohn mit seiner Gattin sowie ihre Schwester samt Tochter. Die BF habe laut ihren Angaben einen Lebensgefährten, welchen sie dreimal pro Woche sehe. Ein gemeinsamer Wohnsitz bestehe nicht. In der Ukraine würden die Mutter und ihr Bruder leben.
Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die BF einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgehe, ihr Einkommen aber nicht zur gesicherten Finanzierung ihres Unterhalts reiche und sie damit nicht selbsterhaltungsfähig sei.
In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall § 52 Abs. 4 Z 4 FPG erfüllt sei, zumal im Zuge des Verfahrens bei der MA 35 festgestellt worden sei, dass die BF trotz selbständiger Erwerbstätigkeit nicht über ausreichend finanzielle Mittel zur Sicherung ihres Unterhalts im Bundesgebiet verfüge, sodass die Gefahr bestehe, dass die BF zu einer Belastung der Gebietskörperschaft werden könnte. Daher würden betreffend den von ihr am 22.06.2017 gestellten Verlängerungsantrages die Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen.
Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass die BF zwar familiäre Bindungen im Bundesgebiet habe, ihr Aufenthalt im Bundesgebiet (laut ZMR seit 03.03.2014) aber als relativ kurz zu bezeichnen sei. Sie erfülle laut MA 35 mangels eines gesicherten Unterhaltes nicht die Erteilungsvoraussetzungen und habe das Ermittlungsverfahren ergeben, dass die BF trotz selbstständiger Erwerbstätigkeit nicht über ausreichend Eigenmittel zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes verfüge und damit anzunehmen sei, dass sie zu einer Belastung der Gebietskörperschaft werden könnte. Die öffentlichen Interessen im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit würden höher wiegen als die privaten Interessen der BF.
8. Gegen diesen Bescheid brachte die BF fristgerecht eine Beschwerde ein, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhalts, mangelhafte bzw. unrichtige Bescheidbegründung sowie Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung der Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurden. Zusammengefasst wurde darin ausgeführt, dass sich die BF seit 2014 durchgehend in Österreich befinde. In der Ukraine habe sie keine Familie und keinen aufrechten Kontakt. Ihr Verlobter lebe in Österreich und unterstütze sie. Eine Hochzeit sei beabsichtigt, der Termin beim Standesamt stehe aber noch nicht fest. Die BF falle Österreich nicht zur Last. Sie habe alle Dokumente vorgelegt, die beweisen würden, dass sie durch ihre berufliche Tätigkeit als Pflege- und Reinigungskraft finanziell abgesichert sei und sie auch von ihrem Verlobten unterstützt werde. Es würden ausreichende Existenzmittel und eine umfassende Krankenversicherung zur Verfügung stehen. Der Verlobte mache derzeit eine Ausbildung zum Installateur und verdiene derzeit 1.200 EUR/Monat, wovon er die BF unterstütze. Zusätzlich verdiene er geringfügig 200 EUR für diverse Aushilfstätigkeiten. Die BF habe keinen regelmäßigen Kontakt zu ihrer Mutter und ihrem Bruder im Heimatland. In Österreich würde ihr Sohn, die Schwiegertochter, ihre Schwester und ihre Nichte leben. Sie würden einander regelmäßig besuchen. Der Bescheid würde nicht auf die konkrete Situation der BF eingehen und ihr Privat- und Familienleben völlig außer Acht lassen. Es bestehe keinerlei Bindung mehr zum Heimatstaat. Abschließend wurde auf die Situation der Krimataren sowie auf das Bestehen von gewaltsamen Zusammenstößen in der Ukraine hingewiesen. Insgesamt hätte die Behörde zum Ergebnis kommen müssen, dass dem Verlängerungsantrag der BF Folge zu geben sei und keine Abschiebung zu erlassen sei. Eine Abschiebung würde gegen das Recht und Privat- und Familienleben gemäß Art. 8 EMRK verstoßen.
Mit der Beschwerde wurde eine Überweisungsbestätigung vorgelegt.
9. Am 25.05.2020 teilte der Rechtsvertreter der BF dem erkennenden Gericht mit, dass die BF in Besitz einer „Karta Polaka“ sei, mit der sie regelmäßig jedes Jahr vom polnischen Konsulat in XXXX ein Visum D (gültig für 1 Jahr) zuerkannt erhalte. Sie gehe in Österreich einer Beschäftigung nach, könne aber das letztgültige Visum nicht verlängern, weil sie den Antrag nur beim Konsulat in XXXX einbringen könne, derzeit aber keine Möglichkeit habe, dorthin zu reisen. Da sich die BF die ganze Zeit legal in Österreich aufgehalten habe und einer Berufstätigkeit nachgegangen sei, wurde vom Rechtsvertreter angeregt, das gegenständliche Verfahren einzustellen bzw. den Bescheid des BFA aufzuheben bzw. dem BFA eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Es wurden eine Kopie des Reisepasses der BF, der „Karta Polaka“ sowie ein Beleg betreffend die Überweisung eines Betrages an die Sozialversicherung in Vorlage gebracht.
10. Die BF wurde im Zuge einer Beschwerdeverhandlung vom 17.12.2020 durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu den polnischen Visa, ihren Deutschkenntnissen, ihrem Beziehungsstatus, zum Aufenthalt ihres Sohnes, ihren Angehörigen in der Ukraine, zu ihrer derzeitigen bzw. den früher ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, ihrem aktuellen monatlichen Einkommen sowie zu ihren Befürchtungen betreffend eine Rückkehr in die Ukraine befragt. Abschließend ersuchte der Rechtsvertreter der BF um eine vierwöchige Frist, um eine abschließende Stellungnahme betreffend die finanzielle Situation der BF erstatten zu können bzw. die betreffenden Dokumente vorlegen zu können.
Im Zuge der Verhandlung legte die BF folgende Unterlagen vor:
- Dienstzettel vom 10.05.2019 betreffend die Beschäftigung der BF in einer Pension als „Stubenmädchen“,
- Kontoauszug der Sozialversicherung,
- Informationsabrechnung eines Friseurbetriebes,
- Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2018,
- Diplom Deutsch A2,
- Kontoauszüge betreffend die Überweisungen der Wohnungsmiete und an die Gesundheitskasse,
- E-Mail des Verlobten,
- „Eidesstattliche Erklärung“ des Verlobten, datiert mit 13.12.2020, wonach dieser die BF im Jahr 2021 heiraten wolle,
- Vereinbarung über Betreuungsleistungen für die Mutter des Verlobten (Stundensatz 23 EUR), datiert mit 01.02.2020,
- Verlängerung des Mietverhältnisses der BF um weitere drei Jahre bis 30.06.2022, datiert mit 22.03.2019.
11. Am 14.01.2021 wurden folgende Unterlagen in Vorlage gebracht:
- Mietvertrag des Verlobten,
- Lohn-/Gehaltsabrechnungen des Verlobten für November und Dezember 2020,
- Monatsstatistik des Umsatzes/Ertrages des Verlobten (2019 bis 2020).
12. Am 19.01.2021 wurde die Steuererklärung der BF für das Jahr 2020 übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF ist Staatsangehörige der Ukraine, ihre Identität steht fest.
Sie wurde im November 2011 im Bundesgebiet aufgegriffen und stellte am 25.11.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesaylamtes vom 12.12.2011 hinsichtlich der Gewährung von Asyl und subsidiären Schutzes negativ entschieden wurde. Zudem wurde gegenüber der BF eine Ausweisung in ihren Herkunftsstaat die Ukraine ausgesprochen. Dieser Bescheid wurde am 28.12.2011 rechtskräftig.
Am XXXX heiratete die BF standesamtlich einen österreichischen Staatsbürger, von welchem sie sich am XXXX wieder scheiden ließ.
Die BF hat seit 03.03.2014 dauerhaft einen Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet und wurden ihr von der MA 35 laufend Aufenthaltstitel erteilt (zuletzt mit Gültigkeit bis 29.06.2017). Am 22.06.2017 stellte die BF bei der MA 35 einen Verlängerungsantrag des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte (plus)“.
Aktuell ist die BF mit einem österreichischen Staatsbürger verlobt, die Hochzeit soll noch im Jahr 2021 stattfinden.
Der Verlobte der BF ist im Bereich der Eventtechnik tätig.
Die BF ist selbstständig erwerbstätig, sie übt seit 01.07.2017 das freie Gewerbe der Personenbetreuung aus. Daneben geht sie aktuell einer geringfügigen Beschäftigung in einem Friseurbetrieb nach. Die BF ist sozialversichert. Im Jahr 2020 hat sie laut der vorgelegten Steuererklärung 16.340,91 EUR steuerlichen Gewinn erzielt.
Die BF ist Mieterin einer Wohnung. Sie hat die Deutsch-Prüfung (Niveau A2) bestanden und Deutsch-Kurse auf dem Niveau B1 besucht.
Der volljährige Sohn der BF lebt mit seiner Frau mittlerweile in Polen, beide kommen die BF regelmäßig in Österreich besuchen.
Die BF ist strafgerichtlich unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
Die Identität und Staatsangehörigkeit der BF steht aufgrund des vorgelegten ukrainischen Reisepasses fest.
Die Feststellungen zum Aufgriff der BF im Bundesgebiet und dem geführten Asylverfahren ergibt sich aus dem Akteninhalt und der Einsichtnahme ins IZR.
Die Feststellung zur Heirat bzw. Scheidung der BF ergibt sich ebenso aus dem Akteninhalt bzw. den glaubwürdigen Angaben der BF in der Beschwerdeverhandlung (vgl. S. 3 Verhandlungsprotokoll).
Die Feststellungen zur Wohnsitzmeldung der BF in Österreich, der Ausstellung von Aufenthaltstiteln sowie den zuletzt von ihr gestellten Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels ergibt sich aus den eingeholten ZMR und IZR-Auszügen.
Der Umstand, dass die BF aktuell mit einem Österreicher verlobt ist bzw. die Hochzeit 2021 geplant ist, ergibt sich aus ihren eigenen glaubwürdigen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (vgl. S. 5 Verhandlungsprotokoll) sowie den vorgelegten Unterlagen des Verlobten.
Die Feststellungen zur Arbeit des Verlobten ergibt sich ebenso aus den eigenen Angaben der BF in der Beschwerdeverhandlung bzw. aus den vorgelegten Unterlagen des Verlobten (Lohn-/Gehaltsabrechnungen).
Die Feststellungen zur selbstständigen Tätigkeit der BF, ihrer geringfügigen Beschäftigung sowie der bestehenden Sozialversicherung folgen aus den eigenen Angaben der BF (insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung) sowie den zahlreichen dazu vorgelegten Unterlagen. Die Feststellung zu den Einkünften der BF im Jahr 2020 ergibt sich aus der vorgelegten Steuererklärung.
Die Feststellung, dass die BF Mieterin einer Wohnung ist, ergibt sich aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung sowie den von ihr während des Verfahrens vorgelegen Unterlagen (Mietvertrag, Verlängerung des Mietvertrages).
Der Umstand, dass die BF die Deutsch-Prüfung auf dem Niveau A2 bestanden hat und sie zudem Deutschkurse auf dem Niveau B1 besucht hat, ergibt sich aus den diesbezüglich vorgelegten Unterlagen sowie den eigenen Angaben der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (vgl. S. 2 Verhandlungsprotokoll).
Die Feststellungen zum Sohn der BF ergeben sich aus den glaubwürdigen Angaben der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (vgl. S. 5 Verhandlungsprotokoll).
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus der Einsichtnahme ins Strafregister.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Anzuwendende Rechtslage:
§ 52 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:
" (4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.
nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,
1a.
nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,
2.
ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3.
ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4.
der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5.
das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.“
Der mit „Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel“ betitelte § 11 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes lautet (auszugsweise):
(1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn
1.
gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;
2.
gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;
3.
gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;
4.
eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;
5.
eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder
6.
er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1.
der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
2.
der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;
3.
der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;
4.
der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
5.
durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;
6.
der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und
7.
in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.
…
(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.
…“
§ 293 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 84/2019, lautet (auszugsweise):
„§ 293.(1) Der Richtsatz beträgt unbeschadet des Abs. 2
a)
für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung,
aa)
wenn sie mit dem Ehegatten (der Ehegattin) oder dem/der eingetragenen PartnerIn im gemeinsamen Haushalt leben
1 120,00 € (Anm. 1, 1a),
bb)
wenn die Voraussetzungen nach sublit. aa nicht zutreffen
882,78 € (Anm. 2),
…
Anm. 2:
für 2017: 889,84 €
für 2018: 909,42 €
für 2019: 933,06 €
für 2020: 966,65 €
für 2021: 1000,48€
…“
Zur Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall:
Die belangte Behörde geht in ihrer Entscheidung davon aus, dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels an die BF gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG ein Versagungsgrund (nach § 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht und stützte sich dabei – ohne dies im Bescheid näher ausgeführt zu haben – offenbar auf die positive Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG, zumal in der Entscheidung der Behörde begründend ausgeführt wurde, dass das Einkommen der BF – trotz ihrer selbstständigen Tätigkeit – nicht zur gesicherten Finanzierung ihres Unterhalts reiche, sie damit nicht selbsterhaltungsfähig sei, sodass die Gefahr bestehe, dass die BF zu einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft werden könnte.
§ 11 Abs 2 NAG normiert relative Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel. Diese müssen, neben dem Fehlen von absoluten Versagungsgründennach Abs. 1 leg cit. erfüllt sein, um einem Fremden einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Sämtliche Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. stehen unter dem Vorbehalt einer möglichen Prüfung nach Art. 8 EMRK. Es kann daher trotz Vorliegens eines oder mehrerer dieser Voraussetzungen ein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn es zur Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens verfassungsgesetzlich geboten ist (vgl. Peyerl/Czech in Abermann, Czech, Kind, Peyerl (Hrsg.), NAG – Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (2016) § 11 Rz 16).
Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Gemäß § 11 Abs. 5 NAG führt der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass sein Unterhalt für die beabsichtigte Aufenthaltsdauer gesichert erscheint. Der Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel kommt auch durch Spareinlagen in Betracht (vgl. VwGH 13.11.2018, Ra 2017/22/0130, mwN). Die Dauer, für die das Vorhandensein der notwendigen Unterhaltsmittel nachzuweisen ist, beträgt bei einem befristeten Aufenthaltstitel im Hinblick auf § 20 Abs. 1 NAG - soweit nichts anderes bestimmt ist - in der Regel zwölf Monate (vgl. neuerlich VwGH 31.05.2011, 2009/22/0260; VwGH 18.10.2012, 2011/23/0129).
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das BFA im vorliegenden Fall zwar Ermittlungen durchgeführt hat und die BF im schriftlichen Parteienverkehr aufgefordert Fragen zu beantworten bzw. Unterlagen vorzulegen; wie die Behörde aber zu dem Ergebnis gelangt, dass die BF zu einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft werden könnte, ist dem erlassenen Bescheid nicht zu entnehmen, zumal darin nicht konkret ausgeführt wird, von welcher Einkommenssumme/Einkommenshöhe die Behörde im Falle der BF ausgegangen ist.
Unabhängig davon, hat sich – nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und Vorlage weiterer Unterlagen – nunmehr herausgestellt, dass die positive Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG gegenwärtig vorliegt. Der Richtsatz des § 293 ASVG beträgt für das Jahr 2020 gemäß § 293 Abs. 1 lit a sublit. bb ASVG 966,65 EUR. Bezogen auf das Jahr 2020 müsste der BF somit ein Betrag in der Höhe von 11.599,90 EUR zur Verfügung gestanden sein, was von der BF durch Vorlage ihrer Steuererklärung und unter Berücksichtigung ihrer monatlichen Fixkosten (laut ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung in etwa 400 EUR pro Monat), nachgewiesen werden konnte.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die BF im Jahr 2021 zu einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft werden könnte, zumal die BF durch ihre nach wie vor ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Personenbetreuerin bzw. die geringfügige Beschäftigung in einem Friseurbetrieb über regelmäßige Einkünfte verfügt und dazu dem erkennenden Gericht auch diverse Unterlagen/Bestätigungen vorlegen konnte. Die BF hat in den letzten Jahren auch keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen und ist sie auch für niemanden unterhaltspflichtig. Letztlich kann auch vor dem Hintergrund, dass die BF derzeit mit einem erwerbstätigen österreichischen Staatsbürger verlobt ist, welchen sie laut ihren eigenen Angaben im Jahr 2021 ehelichen will, nicht davon ausgegangen werden, dass die BF zu einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft werden wird.
Im Übrigen wird noch darauf hingewiesen, dass nach der Judikatur des VwGH ein geringfügiges Unterschreiten der Richtsatzgrenzen iSd ASVG nicht schadet (vgl. VwGH 10.12.2019, Ra 2018/22/0288).
Zum Eingriff der Rückkehrentscheidung in das Privat- und Familienleben der BF:
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idF der Novelle BGBl. I Nr. 53/2019, lautet (auszugsweise):
"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
…“
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der Begriff des Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst das persönliche und hauptsächliche Umfeld eines Menschen, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (EGMR 13.10.2011, 41548/06, Trabelsi/DE; EGMR [GK] dran 20.06.2008, 1638/03, Maslov/AT). Dazu zählen auch berufliche und geschäftliche Beziehungen. Wie stark das Privatleben ausgeprägt ist, hängt in erster Linie von der Dauer des Aufenthalts ab. Für die Annahme eines in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK valenten Privatlebens ist keine konkrete Mindestaufenthaltsdauer erforderlich. Die bereits in Österreich verbrachte Zeit und die dabei erfolgte Integration ist erst bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten vgl. Peyerl/Czech in Abermann ua. (Hrsg), NAG § 11 Rz 38).
Der Begriff des Familienlebens in Art. 8 EMRK umfasst jedenfalls die Beziehung von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten und schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).
Im vorliegenden Fall geht die belangte Behörde davon aus, dass eine Rückkehrentscheidung im Fall der BF zulässig ist, weil die BF hier zwar familiäre Bindungen habe, ihr Aufenthalt im Bundesgebiet (laut ZMR seit 03.03.2014) aber als relativ kurz zu bezeichnen sei. Zudem wurde erneut darauf hingewiesen, dass sie trotz der selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht über ausreichend Eigenmittel zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes verfüge und damit anzunehmen sei, dass sie zu einer Belastung der Gebietskörperschaft werden könnte, weshalb insgesamt die öffentlichen Interessen im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit höher wiegen würden als die privaten Interessen der BF.
Auch hierzu haben sich einige Änderungen ergeben, zumal zu berücksichtigen ist, dass die BF nunmehr schon seit über 7 Jahren im Bundesgebiet lebt, hier seit mehreren Jahren einer (selbstständigen) Erwerbstätigkeit nachgeht – und sich damit ihren Lebensunterhalt selbst verdient -, sie keine Sozialhilfeleistungen des Staates in Anspruch genommen hat, sich Deutschkenntnisse angeeignet hat und letztlich aufgrund der Verlobung bzw. der beabsichtigen Hochzeit eine innige Beziehung mit einem österreichischen Staatsbürger führt. Bei einer gewichten Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit den gegenläufigen familiären und privaten Interessen ist bei einer Gesamtbetrachtung im konkreten Einzelfall nunmehr von einem Überwiegen der familiären und privaten Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet auszugehen.
Da die positive Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG gegenständlich nunmehr gegeben ist und auch davon auszugehen ist, dass eine Rückkehrentscheidung zum gegenständlichen Zeitpunkt nicht zulässig ist, liegen die Voraussetzungen für die Erlassung der Rückkehrentscheidung nicht (mehr) vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben war.
3.2. Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheides:
Nachdem im gegenständlichen Erkenntnis Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – mit welchem gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde – ersatzlos behoben wurde, waren auch die weiteren, damit verbundenen Aussprüche (Spruchpunkte II. und III.) ersatzlos zu beheben, zumal sie infolge der Behebung der amtswegig erlassenen Rückkehrentscheidung ihre rechtliche Grundlage verlieren.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich zudem als klar und eindeutig. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Abschiebung Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung Einkommen ersatzlose Behebung freiwillige Ausreise Frist Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen rechtmäßiger Aufenthalt Richtsatz Rückkehrentscheidung behoben SelbsterhaltungsfähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W226.2191125.1.00Im RIS seit
20.08.2021Zuletzt aktualisiert am
20.08.2021