TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/22 W105 2152091-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2021
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Entscheidungsdatum

22.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W105 2152091-1/19E

Im Namen der Republik!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 15.03.2017, Zl. 1118954205/160846902, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden „Beschwerdeführer“) stellte am 15.06.2016 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 16.06.2016 führte der Antragsteller einerseits aus, Pashtune aus der Provinz Kunar zu sein sowie führte der Antragsteller ins Treffen, dass ihm Herkunftsstaat noch seine Mutter sowie drei erwachsene Brüder und drei erwachsene Schwestern leben würden. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Antragsteller wörtlich zu Protokoll: „Ich war in einer Beziehung mit einem Mädchen. Der Onkel dieses Mädchens war Mitglied der Taliban. Nachdem ihr Onkel über unsere Beziehung erfahren hatte, töteten sie dieses Mädchen. Danach waren sie hinter mir her. Ich fürchte um mein Leben und flüchtete aus diesem Grund nach Österreich. Auf weitere Nachstoßfrage, was er für den Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat befürchte, führte der Antragsteller an, er fürchte von den Taliban getötet zu werden.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2017 gab der Antragsteller an, gesund zu sein und keinerlei Medikamente zu nehmen und auch arbeiten zu können. Er sei in der Provinz Kunar geboren und aufgewachsen und habe immer dort gelebt. Er habe keine Schule besucht und als Hirte gearbeitet. Seine Brüder hätten sich um die Grundstücke gekümmert, angebaut und geerntet. Die Familie habe etwa 80 Felder gehabt. Im Weiteren bekräftigte der Antragsteller unter namentlicher Aufzählung die Existenz volljähriger männlicher und weiblicher Geschwister im Herkunftsstaat. Diese würden alle im Heimatdorf leben. An weiterer Stelle der Einvernahme gab der Antragsteller an, dass seine Brüder mittlerweile das Heimatdorf verlassen hätten und nach Jalalabad übersiedelt seien. Inhaltlich führte der Antragsteller an, er habe drei Jahre lang mit einem Mädchen eine Beziehung geführt. Er habe sodann die Ältesten geschickt, damit sie für ihn um ihre Hand anhalten würden. Die Ältesten hätten sich versammelt und seien zu ihren Eltern gegangen. Die Mutter sei einverstanden gewesen. Nur ihr Onkel sei gegen eine Heirat gewesen. Die Bitte der Ältesten sei bei der Versammlung abgelehnt worden. Im Weiteren führte der Antragsteller an, er und das Mädchen hätten einander geliebt und sei er dann zur Nachtzeit zu ihr nach Hause gegangen und habe sich mit ihr unterhalten, als ihre Mutter aufgeschrien habe. Der Onkel habe in diesem Gemeinschaftswort gleich nebenan gewohnt, die Waffe gezogen und das Mädchen getroffen. Er habe für sie nichts machen können und sei nach Hause geflüchtet. Sein eigener Onkel habe ihm sodann geraten, so schnell wie möglich unterzutauchen und habe ihn nach Jalalabad geschickt. Etwa acht Tage sei er dort gewesen und habe sodann sein Bruder einen Schlepper organisiert. Der Onkel der verstorbenen Freundin sei ein Talib. Sein Onkel habe die Flucht des Antragstellers entschieden und gemeint, der Mann sei mit ihm nun verfeindet und werde sich rächen. Das Mädchen und er hätten in „einer Gegend“ gelebt und vor drei Jahren eine Beziehung begonnen. Zwischen den beiden Dörfern habe es Beziehungen gegeben und hätten sie sich getroffen und unterhalten. Er selbst habe dann die Ältesten geschickt. Das Mädchen sei jünger als er gewesen und nicht verwandt mit ihm. Auf Nachfrage, ob es in der Gegend eine Moschee gegeben habe, antwortete der Antragsteller, es habe eine kleine Moschee gegeben und sei diese von seinem Großvater errichtet worden. Auf Nachstoßfrage, warum er die Ältesten geschickt habe, gab der Antragsteller an, dass seine Mutter und sein Bruder um die Hand des Mädchens angehalten hätten und seien sie regelmäßig hingegangen und hätten die Frauen untereinander gesprochen. Der Onkel habe sich jedoch quergestellt, jedoch hätten sie seiner Mutter keine abweisende Antwort gegeben. Erst beim nächsten Mal sei dies gekommen und sei der Onkel des Mädchens dagegen gewesen. Der Vater des Mädchens sei bereits vorverstorben.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.03.2017 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt aus, der Antragsteller habe keine Gefährdungslage in Afghanistan glaubhaft vorgetragen und liege keine allgemeine Gefährdungslage für seine Heimatprovinz vor. Im vorliegenden Fall liege auch eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative vor. Er sei arbeitsfähig, leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung und habe verwandtschaftliche Bindungen im Herkunftsstaat. Den vorgetragenen Fakten zu dem Fluchtvorbringen werde die Glaubhaftigkeit nicht zuerkannt. So habe er in freier Erzählung und bei weiteren Fragen seitens der Behörde immer nur vage und komplett unpersönlich über jenes Mädchen gesprochen und sei diesem gegenüber zu halten, dass er aufgefordert gewesen sei, mit allen Details und lebensnahen Vortrag seine Fluchtgeschichte darzulegen. Er habe jedoch mit keinerlei Emotionen oder Einzelheiten über die Geliebte aufwarten können. Erst auf Hinweis, dass es eigentlich nicht üblich sei, als Werber selbst um die Hand einer Frau anzuhalten, sondern dies eigentlich durch die Eltern gemacht werde, habe er in Widerspruch zur freien Erzählphase angegeben, dass seine Mutter und sein Bruder um die Hand angehalten hätten. Auch zum genauen Hergang des zu Tode Kommens des Mädchens habe er nur vage und unplausible Angaben getätigt. So habe er angegeben, mit dem Mädchen bereits am Nachmittag gesprochen zu haben und sei niemand bei ihr gewesen und sei es weiter nicht plausibel, dass ein heiratsfähiges Mädchen einen Mann abends in ihr Haus lasse; dies vor dem Hintergrund der drohenden Konsequenzen. Ein weiterer gravierender Widerspruch ergebe sich diesbezüglich zur Erstbefragung, wonach der Antragsteller angegeben habe, das Mädchen sei aufgrund dessen getötet worden, weil der Onkel des Mädchens von der Beziehung erfahren habe. Im Rahmen vor der Einvernahme vor dem BFA finde sich hier doch darauf kein Hinweis; sondern vielmehr habe der Onkel sich offensichtlich ohne genaue Kenntnisnahme sofort zur Feuereröffnung nach Anrufung der Mutter entschlossen.

4. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2020 wurden die Parteien auf die vormals neuesten Länderinformationsunterlagen hingewiesen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete mit Schriftsatz vom 24.06.2020 eine schriftliche Stellungnahme, in welcher ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nicht in eine existentielle Notlage im Sinn der Artikel 2 und 3 EMRK geraten würde, zumal der Beschwerdeführer auch nie in eine spezielle vulnerable Gruppe nach UNHCR oder EASO Richtlinien falle. Zu den bereits getroffenen Feststellungen zur COVID-19-Lage ergebe sich keine Änderung. Dass der Beschwerdeführer an Erkrankungen leiden würde, aufgrund derer dieser im Hinblick auf COVID-19 zu einer vulnerablen Gruppe zu zählen wäre, ist im Verfahren nicht vorgebracht worden und auch nicht erkennbar. Im Weiteren wurde seitens der belangten Behörde auf eine in der Strafregisterauskunft aufscheinende strafrechtliche Verurteilung hingewiesen.

5. Im Rahmen der am 24.11.2020 abgehaltenen öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde der Antragsteller einer niederschriftlichen Einvernahme unterzogen. Das Beschwerderechtsgespräch gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

„RV: Es gibt ein Dokument – nicht übersetzt – von der Jirga des Dorfes im Original, eine Bestätigung für ehrenamtliche Arbeit aus dem Jahr 2017 und die Tazkira im Original (es werden Kopien zum Akt genommen).

Der D nimmt das vorgelegte Dokument der angeblichen Dorf-Jirga kurz in Augenschein: Es ist handschriftlich und ist offenbar aufgrund der schlechten Handschrift nicht aus dem Stand übersetzbar. So, wie das geschrieben ist, brauche ich längere Zeit, um eine sinnhafte Übersetzung liefern zu können.

RV: Ich würde gern die Verlobte des BF als Zeugin für die Integration beantragen.

R: Wir werden eine Kopie des Dokumentes erstellen und wird der D gebeten, die Übersetzung ehestmöglich dem Gericht vorzulegen.

Die Z wird gebeten, den Saal zu verlassen.

Z verlässt den Saal um 09:23 Uhr.

R an BF: Können Sie mir etwas zum Inhalt des vorgelegten Dokuments dieser Jirga berichten?

BF: Mein Onkel väterlicherseits hat Teilnehmer von der Jirga zu jener Person, mit der ich Probleme hatte, geschickt. Diese Person hat diese Jirga abgelehnt. Die Jirga-Teilnehmer waren Weißbärtige und Älteste und diese haben diesen vorgelegten Zettel unterschrieben. Ob dieser Zettel von den Weißbärtigen geschrieben worden ist oder von meinem Bruder, weiß ich nicht.

R: Kennen Sie den Inhalt? Haben Sie das gelesen, wissen Sie, was da drinnen steht? Sie haben das vorgelegt. Zu welchem Zweck?

BF: Mein Bruder hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass er die Jirga-Teilnehmer zu dieser Person oder Familie geschickt hat. Diese wurde von ihnen bzw. von dieser Person abgelehnt. Das sei der Inhalt des Schriftstückes, sagte mein Bruder. Diese Ablehnung wurde auch von jenen Weißbärtigen, die an der Jirga teilnehmen wollten, auch mit ihren Unterschriften auf dem Zettel bestätigt.

R: Was hätte die Jirga tun sollen?

BF: Die Jirga hätte abgehalten werden sollen bzw. die Jirga-Teilnehmer waren bereit, für mich Frieden zu schließen.

R: Ich habe eingehend Ihr bisheriges Vorbringen studiert. Möchten Sie hiezu etwas richtigstellen oder ergänzen?

BF: Nein, alles ist richtig.

R: Sie standen demgemäß etwa drei Jahre lang zu einem Mädchen des Dorfes in einer Beziehung. Was können Sie mir da darüber erzählen?

BF: Sie war unsere Nachbarin. Wir haben unsere Tiere in die Berge getrieben. Sie hat die Tiere ihrer Familie in die Berge getrieben und ich meine.

R: Ist es in Ihrem Dorf normal, dass auch junge Mädchen oder Frauen die Tiere ohne männliche Begleitung in die Berge treiben?

BF: Nein, das war nicht so, dass sie alleine unterwegs war. Entweder wurde sie von ihrer Mutter oder von ihrem kleinen Bruder begleitet. Sie war nicht weit weg von zu Hause unterwegs. Ihr Haus lag am Fuß des Berges. Der Berg an sich war nicht weit weg.

R: Wie streng ist denn die Trennung von Männern und Frauen in Ihrem Dorf?

BF: Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.

R wiederholt die Frage.

BF: Diese Trennung ist sehr streng zwischen Männern und Frauen. Wenn man nicht Familienangehöriger ist, ist es sehr schwierig. Was uns betrifft, ist es etwas Anderes, weil wir von klein auf gemeinsam aufgewachsen sind.

R: Wie muss ich mir das also vorstellen, wenn Sie sagen, Sie hatten eine Beziehung zu diesem Mädchen?

BF: Wir haben uns nicht zu Hause bei ihr oder bei mir getroffen. Wir haben uns in den Bergen getroffen und wir hatten auch keinen telefonischen Kontakt.

R: Wie konnten Sie das Mädchen treffen, wenn immer jemand sie begleitete?

BF: Sie hat nicht ihr Gesicht vor mir versteckt, weil wir von klein auf zusammen aufgewachsen sind.

R: Heißt das, Sie haben das Mädchen auch allein treffen können?

BF: Wir haben uns getroffen, aber das heißt nicht, dass wir uns heimlich getroffen hätten.

R: Wie haben Sie sich dann getroffen – in aller Öffentlichkeit?

BF: Dort gab es niemanden, wir haben uns auf dem Berg getroffen. Unsere Häuser lagen am Fuß des Berges.

R: Also ist es in Ihrem Dorf nicht so streng, dass eine junge Frau nicht gänzlich ohne männliche Begleitung das Haus verlassen darf?

BF: Es ist schon streng in unserem Dorf, aber unser Dorf liegt abgelegen von allen anderen Wegen. Es gibt keine anderen Wege, die neben unserem Dorf oder in unser Dorf führen – es gibt keine Passanten bzw. keine fremden Menschen.

R: Sie haben vor der Behörde erster Instanz angegeben, dass Sie einander geliebt hätten. Was können Sie mir über Ihre Freundin berichten?

BF: Was meinen Sie, was soll ich Ihnen berichten?

R: Wenn man sich in ein Mädchen oder in eine Frau verliebt, dann muss es dafür Gründe geben. Was können Sie mir über diese junge Frau erzählen?

BF: Wir sind von klein auf zusammen aufgewachsen. Ich habe mich kennengelernt und als ich erwachsen geworden bin, hat sie mir gut gefallen, ich habe mich in sie verliebt. Wir hatten drei Jahre lang eine Beziehung. Ich habe auch meiner Mutter gesagt, ich wollte sie heiraten bzw. wollte ich meine Mutter zu ihrer Familie schicken, um um ihre Hand anzuhalten.

R: Was können Sie mir über Ihre heute als Zeugin namhaft gemachte Freundin erzählen?

BF: Mit dieser jungen Dame bin ich seit zweieinhalb Jahren zusammen, wir wollen heiraten. Ihre Mutter wollte auch heute zum Gericht kommen.

R: Erzählen Sie etwas Konkretes über Ihre Freundin.

BF: Ich mag sie etwa seit zweieinhalb Jahren, ich möchte mit ihr zusammenleben, ich möchte sie heiraten.

R: Was mögen Sie an ihr?

BF: Von Kopf bis zu den Füßen. Es gefällt mir alles von ihr.

R: Können Sie das konkretisieren?

BF: Es gefällt einfach alles von ihr, ihr Lächeln, wenn sie spricht. Ich kann Ihnen sagen, dass ich ohne sie nicht mehr leben kann. Zweimal hatten wir bis jetzt einen Streit. Wir haben miteinander gestritten. Aufgrund des Streites habe ich mich am linken Arm/an der linken Hand verletzt, weil ich traurig war. Das heißt, ich kann nicht ohne sie.

R: Können Sie mir nun also etwas über Ihre Freundin in Afghanistan berichten, nachdem Sie so nett über Ihre Freundin in Österreich berichtet haben?

BF: Ich habe in Afghanistan ausschließlich in meinem Dorf gelebt. Ich hatte nie mein Dorf verlassen, weder war ich in Jalalabad noch woanders. Außer meinem Dorf habe ich nichts in Afghanistan gesehen.

R wiederholt die Frage.

BF: Sie stellten mir die Frage über meine Freundin in Afghanistan. Deswegen habe ich ausgeführt, dass ich in Afghanistan außer meinem Dorf, keine anderen Städte, keine anderen Orte gesehen habe. In Österreich bzw. in Europa habe ich mich weiterentwickelt. Daher konnte ich etwas mehr über meine jetzige Freundin hier berichten.

R: Können Sie mir gar nichts über Ihre Freundin in Afghanistan erzählen?

BF: Ich war in sie verliebt, sie hat mir gut gefallen, ich wollte sie heiraten. Ich habe es auch meiner Mutter mitgeteilt, dass ich sie heiraten möchte.

R: Aufgrund welcher Vorzüge/Eigenschaften haben Sie sich in dieses Mädchen verliebt?

BF: Sie war ein hübsches Mädchen und auch ein fleißiges. Sie war auch eine gute Arbeiterin.

R: Hatten Sie in Ihrem Leben in Ihrem Dorf jemals mit den Taliban oder einer bewaffneten Gruppierung zu tun?

BF: Nein, ich hatte nichts zu tun mit den Taliban oder einer anderen bewaffneten Gruppierung, aber ich habe einmal eine Gruppe von 14 oder 15 bewaffneten Taliban auf einem Berg gesehen. Darunter war auch der Onkel mütterlicherseits meiner damaligen Freundin.

R: Wurden Sie vor Ihrer Ausreise konkret bedroht?

BF: Der Onkel mütterlicherseits meiner damaligen Freundin hat auf meine Freundin geschossen. Dabei wurde sie verletzt. Danach habe ich Afghanistan verlassen. Sie wurde zuerst angeschossen, dann habe ich Afghanistan verlassen. Dann habe ich erfahren, dass sie getötet worden ist.

R: Hatten Sie also die Angst, dass sich der Zorn auch gegen Ihre Person richten würde?

BF: Ja, gänzlich, der Zorn wurde gegen mich gerichtet.

R: Woraus ergibt sich das?

BF: Wie meinen Sie das ganz genau?

R: Woher können Sie wissen, dass Sie selbst einer Bedrohungssituation ausgesetzt waren?

BF: Nach dem Vorfall mit dem Mädchen habe ich Afghanistan verlassen. Danach gab es auch einen Versuch, eine Jirga abzuhalten und dieser ist gescheitert.

R: Hatten Sie während Ihres Aufenthalts in Afghanistan bis zur Ausreise den Eindruck verfolgt zu werden?

BF: Davor hatte ich weder Feindschaft mit jemandem noch Probleme.

R: Nach dem Attentat?

BF: Nach dem Attentat auf das Mädchen habe ich Afghanistan verlassen. Ich blieb dort noch ungefähr drei Nächte und dann verließ ich mein Land.

R: Drei Nächte in Ihrem Haus?

BF: Nein, nicht in unserem Haus, sondern woanders.

R: Wo?

BF: Bei einem Freund meines Onkels väterlicherseits.

R: Im Dorf?

BF: Nein, außerhalb unseres Dorfes in Jalalabad.

R: Wie weit ist Jalalabad von Ihrem Dorf entfernt?

BF: Acht Stunden entfernt.

R: Wie sind Sie dorthin gelangt?

BF: Nach dem Vorfall bin ich nach Hause gekommen. Dann hat mein Onkel väterlicherseits mich nach Jalalabad geschickt. Ich bin in einem Auto nach Jalalabad geschickt worden.

R: Gerechnet von dem Attentat auf Ihre Freundin – wie lange haben Sie sich noch in Afghanistan aufgehalten?

BF: Insgesamt drei Nächte.

R: Vor dem BFA haben Sie angegeben, noch zehn Tage nach diesem Vorfall in Afghanistan geblieben zu sein. Wie kommt dieser Aussageunterschied zustande?

BF: Ich bin dort drei Nächte lang geblieben. Danach, auf der Flucht zur Grenze, verbrachte ich noch etwa zehn oder elf Nächte. Ich wusste nicht, wo ich danach war.

R: Haben Sie im selben Dorf wie Ihre Freundin gewohnt?

BF: Ja.

R: Sie haben vor dem BFA angegeben: „Die Beziehung hat vor drei Jahren begonnen und es gab schon Beziehungen zwischen den Dörfern … Wir haben uns getroffen und unterhalten.“ Das würde eher indizieren, dass die Freundin im Nachbardorf wohnte.

BF: Zwischen unserem Haus und dem Haus des Mädchens liegt ein Bach, aber es fließt kein Wasser. Aber es handelt sich um dasselbe Dorf.

R: Wer hat um die Hand dieses Mädchens angehalten?

BF: Was meinen Sie?

R: Sie haben vorhin gesagt, dass die Mutter angehalten hat.

D: Es wurde gesagt, sie wollte anhalten.

BF: Ja, meine Mutter war auch dort, meine Mutter ist auch zu ihnen gegangen, zu ihrer Mutter, und hat um die Hand angehalten bzw. gebeten – ich glaube zweimal war das. Aber die Mutter des Mädchens hat das abgelehnt.

R: Warum haben Sie vor dem BFA gesagt, dass die Mutter und der älteste Bruder um die Hand des Mädchens angehalten hätten?

BF: Meine Mutter und mein ältester Bruder gingen zu der Mutter des Mädchens, um um die Hand anzuhalten. Die Mutter des Mädchens lehnte das ab und sagte, dass der Onkel mütterlicherseits des Mädchens das nicht wollte.

R: Sie haben jetzt zweimal gesagt, dass die Mutter zu dem Mädchen gegangen ist. Vor dem BFA haben Sie u.a. auch noch gesagt, dass Ihre Mutter und Ihr Bruder regelmäßig zu der Mutter des Mädchens gegangen wären. Was stimmt nun?

BF: Der Onkel mütterlicherseits von dem Mädchen war dagegen. Meine Mutter ist mehrmals zu der Mutter des Mädchens gegangen. Die beiden Mütter haben miteinander darüber gesprochen.

R hält dem BF die Widersprüche vor.

BF: Es gibt keine Aussagenunterschiede bei mir. Wir ich schon sagte, dass meine Mutter bei der Mutter des Mädchens gewesen ist und mit ihr gesprochen hat. Das Problem war der Onkel mütterlicherseits des Mädchens.

R: Haben Sie das Mädchen in den letzten drei Jahren allein treffen können?

BF: Nein. So ein Treffen zwischen mir und ihr gab es nicht, wo wir alleine gewesen wären. Es gibt nur 40 Häuser in unserem Dorf.

R: Gibt es dort auch eine Moschee?

BF: Ja.

R: Sie haben vor dem BFA berichtet, wer die Moschee gebaut hat. Wer hat die Moschee gebaut?

BF: Die Dorfbewohner haben die Moschee gebaut.

R: Vor dem BFA haben Sie gesagt: „Es gibt eine kleine Moschee in der Gegen, die hat mein Großvater errichtet.“

BF: Es kann sein, dass es sich um ein Übersetzungsmissverständnis im Protokoll des BFA handelt. Ich habe damals angegeben, dass mein Großvater eine Mühle aufgebaut hätte.

R: Was würden Sie selbst annehmen: Jetzt ist das eine sehr persönliche Sache, die im Dorf Unruhe gestiftet hat und diese andere Familie erzürnte … Glauben Sie, dass das landesweit in Afghanistan Auswirkungen haben würde?

BF: Ich könnte nie dem Onkel mütterlicherseits des Mädchens entkommen. Er könnte mich überall in Afghanistan ausfindig machen.

R an RV: Haben Sie in diesem Zusammenhang Fragen?

RV: Wieso denken Sie, dass der Onkel des Mädchens Sie finden könnte?

BF: Ich habe Angst um mein Leben. Er ist ein Angehöriger der Taliban und die Taliban sind überall in Afghanistan präsent.

RV: Hat der Onkel des Mädchens Sie in jener Nacht erkannt, wusste er, dass Sie das bei dem Mädchen waren?

BF: Die Mutter des Mädchens hat den Onkel von dem Mädchen gerufen. Dann hat er davon erfahren.

R an BF: Waren Sie mit dem Mädchen intim?

BF: Nein.

RV: Was genau wird Ihnen durch den Onkel bzw. durch die Familie des Mädchens vorgeworfen?

BF: Sie werfen mir einen Eingriff auf ihre Ehre vor, dass ich die Ehre ihrer Familie beschmutzt hätte. Sie wollen uns beide töten. Das Mädchen wurde bereits getötet und nun wollen sie mich auch töten.

RV: Haben Sie in Afghanistan die Schule besucht?

BF: Nein.

RV: Haben Sie jemals außerhalb Ihres Heimatdorfes gelebt?

BF: Nein.

RV: Könnte Ihre Familie im Fall einer Rückkehr Sie unterstützen bzw. wüssten Sie, an wen Sie sich wenden müssten, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

BF: Nein, sie können mich nicht unterstützen.

RV: Sie haben gesagt in der Einvernahme, dass Sie in Ihrer Heimat als Hirte bzw. in der Landwirtschaft tätig waren. Haben Sie jemals eine andere Tätigkeit ausgeführt?

BF: Nein.

RV: Sollten Sie in Österreich eine Aufenthaltsberechtigung bekommen, was ist Ihr Plan für die Zukunft?

BF: Ich würde einen Deutschkurs absolvieren.

R an BF: Sie haben noch gar keinen Deutschkurs absolviert?

BF: Ich habe bereits Deutschkurse gemacht. Ich kann nicht zu den Prüfungen für die Deutschkurse, weil ich von einem Platz zum anderen verlegt wurde. Ich kann aber auf Deutsch lesen und schreiben. Ich habe bereits Deutschkurse gemacht, aber Prüfungen habe ich nicht gemacht. Ich wollte sagen, dass meine Freundin einen Rettungskurs macht und ich werde weitere Deutschkurse besuchen und dann einen Job suchen.

RV: Können Sie auf Paschtu lesen und schreiben?

BF (auf Deutsch): Nein.

R an BF: Sie unterhalten sich mit Ihrer Freundin auf Deutsch, nehme ich an?

BF: Ja, auf Deutsch.

Z betritt um 10:35 Uhr den Verhandlungssaal.

XXXX ,

geb. XXXX ,

obdachlos gemeldet,

keine Berufsangabe

R: Wo schlafen Sie tatsächlich oder wo wohnen Sie?

Z: Unterschiedlich, bei meinem Freund oder bei meiner Mutter.

R belehrt die Zeugin.

R: Welche Schulbildung?

Z: Pflichtschulabschluss und ein Jahr Handelsakademie.

R: Möchten Sie kurz Stellung nehmen dazu, warum Sie keinen richtigen Wohnsitz haben?

Z: Dazu möchte ich nichts sagen.

R: Wie haben Sie den heute anwesenden BF kennengelernt?

Z: Durch meine ehemalige beste Freundin. Wir waren früher jeden Tag draußen und sie hat gesagt, sie möchte mir jemanden vorstellen und so haben wir uns kennengelernt.

R: Wann war das genau?

Z: Länger als zweieinhalb Jahre, glaube ich.

R: Gibt es gemeinsame Aktivitäten?

Z: Wir sind jeden Tag draußen, spazieren.

R: Teilweise schlafen Sie bei ihm?

Z: Ja, am Wochenende.

R: In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen, wovon Sie leben.

Z: Ich lebe vom Sozialamt, ich bekomme 917 EUR.

R: Möchten Sie an diesem Zustand von sich aus etwas ändern?

Z: Schon, ja.

R: Haben Sie einen konkreten Plan?

Z: Ja, ich möchte zur Rettung.

R: Gibt es in der Richtung schon Aktivitäten?

Z: Am 11. Dezember schaue ich mir das. Da ist Kursbeginn.

R: Was können Sie mir über das Leben des BF erzählen, was ist das wichtig, wie kommunizieren Sie miteinander?

Z: Ja und wenn er etwas nicht versteht, dann umschreibe ich es, sodass er es dann versteht.

R: Hat Ihr Freund schon Integrationsaktivitäten gesetzt, einen Werte- und Orientierungskurs gemacht?

Z: Nein, aber das bei der Gemeinde.

RV: Ich verweise auf die vorgelegte Bestätigung.

R an Z: Wissen Sie, ob der BF schon einen Deutschkurs gemacht hat?

Z: Ja.

R: Wann und wo?

Z: 2017/2018, ich bin mir jetzt nicht sicher. Ich glaube, es war 2018.

R: Wo wohnt der BF?

Z: In der XXXX in XXXX , im Bezirk XXXX .

R: Ist das eine Gemeinschaftsunterkunft oder ist er privat untergebracht?

Z: Es ist eine Gemeinschaftsunterkunft, aber es ist ganz gut.

R: Haben Sie gemeinsame Pläne für die Zukunft?

Z: Wir wollen heiraten und Kinder bekommen, wenn wir eine Arbeit haben.

RV: Keine Fragen.

Ende der Befragung von Z um 10:45 Uhr.

R: Ich habe zu ihrem Verfahren keine weiteren Fragen. Wollen Sie noch etwas angeben?

BF: Ich habe nichts mehr zu sagen.

R gibt RV die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

RV: Ich ersuche um Einräumung einer Frist für die Einbringung einer Stellungnahme.

R: Ich gewähre eine Frist von zwei Wochen.

Der D wird gebeten, in derselben Frist das überreichte Dokument der Jirga zu übersetzen.

R: Der Dolmetscher wird Ihnen jetzt die gesamte Verhandlungsschrift rückübersetzen. Bitte passen Sie gut auf, ob alle Ihre Angaben korrekt protokolliert wurden. Sollten Sie einen Fehler bemerken oder sonst einen Einwand haben, sagen Sie das bitte.

BF: Ich bitte um eine Rückübersetzung.“

6. Mit Schriftsatz vom 07.12.2020 erstattete die vormalige Vertretung des Antragstellers eine schriftliche Stellungnahme, in welcher darauf hingewiesen wurde, dass der Antragsteller bereits in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein Schreiben vorgelegt habe, aus welchem sich ergebe, dass eine Beilegung des Konfliktes zwischen dem Antragsteller und dem Onkel seiner damaligen Freundin nicht habe beigelegt werden können. Der Onkel der verstorbenen Freundin habe dem Antragsteller wiederholt Rache geschworen. Dieser Onkel der verstorbenen Freundin sei überdies ein Kommandant der Taliban und verfüge über ein weitreichendes Netzwerk in Afghanistan, welches er zu einem Vergeltungsschlag gegen den Beschwerdeführer nutzen könnte. In diesem Zusammenhang wurde auf den Auszug eines erstellten Gutachtens zur privaten Verfolgung durch Talibanmitglieder verwiesen. Im Weiteren wurde auf die schwierige Allgemeinsituation im Hinblick auf die vorherrschende Pandemie in Afghanistan verwiesen. Gemäß einer Erklärung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 12.03.2020 sei aufgrund der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden prekären Gesundheits- Hygiene und Versorgungslage eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar. In diesem Zusammenhang wurde auf die schlechte medizinische Versorgung in Afghanistan verwiesen.

Mit Schreiben vom 09.02.2021 wurde der Antragsteller auf neueste Länderinformationsunterlagen verwiesen und wurde ihm eine Frist zweier Wochen zur Stellungnahme eingeräumt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX geb. Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischer Moslem. Er ist kinderlos und ledig. Der Antragsteller wurde in der Provinz Kunar/Afghanistan geboren und hat er den überwiegenden Teil seines Lebens dort verbracht.

Der Antragsteller verfügt im Herkunftsstaat über kernfamiliäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter sowie mehrerer volljähriger Brüder und Schwestern. Der Antragsteller leidet an keinen wesentlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Der Antragsteller wurde im Herkunftsstaat sozialisiert und ist mit den allgemeinen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut.

Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX wegen Vergehens gem. § 27 (2a) Suchmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, bedingt auf Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit konkret und individuell weder physischer noch psychischer Gewalt ausgesetzt.

1.2.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder durch andere Personen.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

1.3. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit Juni 2016 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 15.06.2016 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Antragsteller hat bis dato keine Prüfung des Erwerbs seiner Kenntnisse der deutschen Sprache absolviert, verfügt jedoch über lediglich geringfügige Deutschkenntnisse.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die vom Antragsteller ins Treffen geführten Umstände und Ereignisse im Herkunftsstaat können mangels Glaubhaftigkeit nicht als maßgeblich wahrscheinliche Sachverhaltsgrundlage der Entscheidung zugrunde gelegt werden.

Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Der Antragsteller stammt aus der afghanischen Provinz Kunar. Kunar ist zu den volatilen Provinzen im Osten Afghanistans zuzurechnen.

Die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif bieten grundlegende Versorgungsmöglichkeiten und Infrastruktur (Unterkunft, Trinkwasser, Hygiene, Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeitsplätze) für die Inanspruchnahme einer IFA, auch wenn es Rückkehrer auf dem angespannten Ressourcenmarkt schwer haben. Die Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif ist ungeachtet der Dürre des letzten Jahres nicht derart problematisch, dass ein Leben dort unmöglich oder auch nur unzumutbar wäre.

Der BF kann vorübergehend Rückkehrunterstützung in Anspruch nehmen. Angesichts seiner bisherigen Lebenserfahrung ist nicht davon auszugehen, dass der BF in den für eine Wiederansiedelung in Aussicht genommenen Städten in eine existenzbedrohende oder menschenunwürdige Situation geraten würde.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan landesweit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Falle der Rückkehr in die Städte Mazar-e-Sharif und Herat ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Bei einer Rückkehr kann er mit Unterstützung seiner in Afghanistan lebenden Verwandten rechnen und könnte seine Existenz dort auch – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, in den Städten Mazar-e-Sharif und Herat eine einfache Unterkunft zu finden.

Der Beschwerdeführer kann die Städte Mazar-e-Sharif und Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Auch die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden den Verfahrensparteien einerseits übermittelten und andererseits allgemein bekannten Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB), Stand Dez. 2020

-        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

-         EASO Country Guidance: Afghanistan December 2020 (EASO)

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2.1 Auszug Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand: 16.12.2020)

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).en COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

[…]

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, Kapitel 5).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (LIB, Kapitel 7).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Kapitel 5).

1.5.1.1. Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 4).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (LIB, Kapitel 5).

Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen. Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4).

Im September starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (LIB, Kapitel 4). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt. Für den Berichtszeitraum 01.01.2020-30.09.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012. Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (LIB, Kapitel 5).

Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung, wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben. Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (LIB, Kapitel 4).

1.5.1.2. COVID-19

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt. Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis 16.11.2020 43.240 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 1.617 Tote. Mit dem Herannahen der Wintermonate deutet der leichte Anstieg an neuen Fällen darauf hin, dass eine zweite Welle der Pandemie entweder bevorsteht oder bereits begonnen hat (LIB, Kapitel 3).

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind. Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden. Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet. Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (LIB, Kapitel 3).

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. UNOCHA erwartet, dass 2020 bis zu 14 Millionen Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u. a. Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung) angewiesen sein werden. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, so leben in urbanen Gebieten rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze (LIB, Kapitel 22).

Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 22).

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (LIB, Kapitel 22).

Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst. Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes. Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne. Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (LIB, Kapitel 3).

Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (LIB, Kapitel 22).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 22).

Der durchschnittliche Verdienst eines ungelernten Tageslöhners in Afghanistan variiert zwischen 100 AFN und 400 AFN pro Tag (LIB, Kapitel 22).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte normalerweise die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.). Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (LIB, Kapitel 3).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt. Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden (LIB, Kapitel 23).

Zahlreiche Staatsbürger begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pa

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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