Entscheidungsdatum
24.03.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W151 2188710-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch BBU GmbH gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2018, Zl. XXXX wegen §§ 3, 8, 10 und 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 und 55 FPG 2005 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.02.2021 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, (AsylG) der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX , geb. XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch Bf) reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte die Erstbefragung des Bf durch Organwalter der Landespolizeidirektion Vorarlberg.
2. Am 11.01.2018 und 19.01.2018 fand die niederschriftliche Einvernahme des Bf vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt.
3. Mit Schreiben vom 22.01.2018 erstattete der Bf eine Stellungnahme.
4. Mit Bescheid vom 16.02.2018 wies das BFA den Antrag des Bf auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
6. Die Beschwerde wurde samt den bezugnehmenden Verwaltungsakten am 09.03.2018 dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt.
7. Am 26.02.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. Des Weiteren legte der Bf ein Schreiben mit einer Stellungnahme sowie Nachweise seiner Integration in Österreich vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Bf heißt XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in XXXX , Pakistan geboren. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an. Seine Muttersprache ist Dari. Auch spricht er Urdu und Englisch. Der Bf ist gesund, ledig und hat keine Kinder. Er besuchte vier Jahre die Grundschule und insgesamt sieben Jahre die Mittelschule.
Der Bf konnte glaubhaft machen, dass sein Vater zum Christentum konvertierte und es deswegen zu Schwierigkeiten für ihn und seine Familie in Pakistan kam, so dass er im Jahr 2013 mit seiner Familie Pakistan verlassen musste und nach Afghanistan ging. Ebenso konnte der Bf glaubhaft vermitteln, dass es in der Folge auch in Afghanistan auf Grund der Konversion seines Vaters zu Problemen kam und er gemeinsam mit seiner Familie im Jahr 2014 nach Pakistan zurückkehrte. Weiters gelang es dem Bf glaubhaft zu machen, dass es in Pakistan auf Grund der Religionszugehörigkeit seines Vaters wiederum zu Problemen kam, so dass er mit seinem Vater im Jahr 2015 Pakistan verlassen musste, da sie bedroht wurden.
Der Bf hat zwei jüngere Schwestern und einen jüngeren Bruder, die mit seiner Mutter in Pakistan blieben, als er mit seinem Vater flüchtet. Von seinem Vater wurde er während seiner Flucht in XXXX getrennt. Den letzten Kontakt mit seiner Mutter hatte er im Zug auf der Strecke Bosnien/Kroatien. Mittlerweile hat er zu seinem in Österreich lebenden Onkel mütterlicherseits Kontakt.
Seit September 2020 bersucht der Bf den Pflichtschulabschlusslehrgang an der VHS XXXX . Zuvor besuchte er im Schuljahr 2016/2017 die Übergangsstufe für Flüchtlinge am Ausbildungszentrum für Sozialberufe und 2017/2018 den Unterricht im Projekt Externe Hauptschule ISOP. Auch wirkt er beim Projekt „Miteinander der Generationen und Kulturen“ mit und leistete von Februar 2020 bis zum 25.02.2021 63,5 Stunden an Remunerantentätigkeiten bei der Caritas Flüchtlingshilfe.
Der Bf ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtgrund:
Der Bf konnte glaubhaft machen, vom islamischen Glauben abgefallen zu sein, keinen anderen Glauben, wie das Christentum, auszuüben sowie kein Interesse an Religionen zu haben, da viele Probleme in seinem Leben auf Glauben und Religion zurückzuführen sind. So gab er schon er seiner Erstbefragung bei der Polizei, dann auch bei seiner Einvernahme durch das BFA sowie bei der mündlichen Verhandlung glaubhaft an, keinen Glauben zu haben.
Er konnte glaubhaft vermitteln, dass er religiöse Vorschriften wie regelmäßiges Beten und Fasten nicht einhält. Sowie, dass er weder Moscheen noch Kirchen aus religiösen Gründen besucht. In Österreich besuchte er lediglich eine Kirche, um diese imRahmen eines Schulausfluges zu besichtigen, somit ohne religiösen Hintergrund. Bereits in Pakistan und Afghanistan besuchte er die Moschee unregelmäßig und nicht aus religiöser Überzeugung, sondern vielmehr um Zugang zum dort zur Verfügung gestellten Essen zu haben.
Er konnte glaubhaft vermitteln, Atheist zu sein, denn er sieht keine Vorteile durch die Ausübung eines Glaubens oder die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft. Seine atheistische Einstellung ist somit auf Grund seiner Familiengeschichte nachvollziehbar und somit glaubhaft und lässt keine asyltaktischen Erwägungen erkennen.
Es ist davon ausgehen, dass er auch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keinen Glauben ausüben oder religöse Bräuche befolgen würde. Daher droht dem Bf bei seiner Rückkehr nach Afghanistan individuell und konkret Lebensgefahr sowie ein Eingriff in seine körperliche Integrität aufgrund seiner Apostasie und Bekenntnislosigkeit.
Weitere Feststellungen bezüglich des Fluchtgrundes des Bf waren nicht notwendig, da seine glaubhafte Apostasie bereits einen relevanten Asylgrund darstellt.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Stand 16.12.2020 (im Folgenden „LIB“);
Religionsfreiheit
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden. In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (LIB, Kapitel 17).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt. Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul. Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde. Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (LIB, Kapitel 17).
Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB, Kapitel 17).
Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (LIB, Kapitel 17).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (LIB, Kapitel 17).
Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (LIB, Kapitel 17).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (LIB, Kapitel 17).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (LIB, Kapitel 17).
Apostasie, Blasphemie, Konversion
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (LIB, Kapitel 17.4).
Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (LIB, Kapitel 17.4).
Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren. Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIB, Kapitel 17.4).
Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen, und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIB, Kapitel 17.4).
Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (LIB, Kapitel 17.4).
Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (LIB, Kapital 17.4).
Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen engagiert sich politisch, kulturell und sozial und verleiht der Zivilgesellschaft eine starke Stimme. Diese Fortschritte erreichen aber nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Gerichten sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Afghanistan wurde 2017 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2020 gewählt. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog. Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 12).
Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken den Zugang der Bürger zu Justiz in Bezug auf Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen ein. In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt. Beschwerden gegen Menschenrechtsverletzungen können an die Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC) gemeldet werden, welche die Fälle nach einer Sichtung zur weiteren Bearbeitung an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Einige Bürgerinnen berichten von Regierungsbeamten, die sexuelle Gefälligkeiten als Gegenleistung verlangen, wenn Frauen sich mit der Bitte um Dienstleistungen an Regierungseinrichtungen wenden. Die gemäß Verfassung eingesetzte AIHRC bekämpft Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte; das Komitee für Drogenbekämpfung, Rauschmittel und ethischen Missbrauch sowie der Jusitz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (LIB, Kapitel 12).
Menschenrechtsverteidiger werden immer wieder sowohl von staatlichen, als auch nicht-staatlichen Akteuren angegriffen; sie werden bedroht, eingeschüchtert, festgenommen und getötet. Maßnahmen, um Menschenrechtsverteidiger zu schützen waren zum einen inadäquat, zum anderen wurden Misshandlungen gegen selbige selten untersucht. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Straflosigkeit für Amtsträger, die Menschenrechte verletzen, stellen ernsthafte Probleme dar. Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft sowie Gewalt gegen Journalisten (LIB, Kapitel 12).
1.3.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchsuchender des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom 30. August 2018 sowie den dazugehörigen Begleitbrief;
Konversion vom Islam
Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie, also als Glaubensabfall betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, sie fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten „ungeheuerlichen Straftaten“, die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grund und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten (UNHCR-RL, Kapitel 5.b)).
Bekehrungsversuche, um Personen zum Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion zu bewegen, sind Berichten zufolge laut der Hanafi Rechtslehre ebenfalls rechtswidrig und es stehen darauf dieselben Strafen wie für Apostasie. Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können, so wird berichtet, selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. In der Regel haben Beschuldigte laut Berichten indes keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien (UNHCR-RL, Kapitel 5.b)).
Andere Handlungen, die gegen die Scharia verstoßen
[…]
Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) (UNHCR-RL, Kapitel 5.c)).
Zusammenfassung
UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass für Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, einschließlich Personen, die der Blasphemie oder der Konversion vom Islam bezichtigt werden, sowie für Angehörige religiöser Minderheiten abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu bieten (UNHCR-RL, Kapitel 5.d)).
Personen, die vermeintlich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen
Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben (UNHCR-RL, Kapitel 6.).
In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters tätig sind, in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder Tabak konsumieren. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft, ja sogar getötet (UNHCR-RL, Kapitel 6.).
In Gebieten, die von mit dem Islamischen Staat verbundenen Gruppen kontrolliert werden, wird Berichten zufolge ein sittenstrenger Lebensstil durch strikte Vorschriften und Bestrafungen durchgesetzt. Es wird berichtet, dass Frauen strenge Regeln, einschließlich Kleidungsvorschriften, und eingeschränkte Bewegungsfreiheit auferlegt wurden (UNHCR-RL, Kapitel 6.).
UNHCR ist auf Grundlage der oben dargelegten Begründung der Ansicht, dass für Personen, die in der Wahrnehmung regierungsfeindlicher Kräfte gegen deren Auslegung islamischer Grundsätze, Normen und Werte verstoßen, – abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles – ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion, der ihnen zugeschriebenen politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu bieten, bestehen kann (UNHCR-RL, Kapitel 6).
2. Beweiswürdigung:
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der darin enthaltenen niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des bekämpften Bescheides, der Beschwerde sowie den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers gründen sich auf dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers. Die Feststellungen zu Alter, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und Herkunft sowie die Schulbildung des Bf stützen sich auf seine unbedenklichen Angaben vor der Polizei, im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari sowie auf seine Angaben in der mündlichen Verhandlung. Aus diesen ergibt sich auch die Identiät des Bf.
Die Angaben des Bf zu seinem seinem Familienstand, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Pakistan sowie Afghanistan waren im Wesentlichen gleichbleibend, widerspruchsfrei und weitgehend chronologisch stringent. Seine Angaben bezügliche der Konversion seiners Vaters waren glaubhaft, da der Beschwerdführer als Person glaubwürdig erschien und diese auch im Zusammenspiel mit seiner Einstellung gegenüber Religionen und seiner Apostasie im Einklang stehen.
Die Feststellungen zur Integaration und zum Schulbesuch des Bf in Österreich ergeben sich aus den vorgelegten unbedenklichen Nachweise.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einem Einblick in das Strafregister.
2.2. Zu den vorgebrachten Fluchtgründen:
Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV270 BlgNR 18. GP; AB 328 BlgNR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der VwGH-Judikatur entnommen wurden). Demzufolge hat das Vorbringen des Asylwerbers genügend substantiiert, in sich schlüssig, plausibel und der Asylwerber zudem persönlich glaubwürdig zu sein.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.6.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.5.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).
Der Bf erfüllt diese Voraussetzungen und konnte aus den nachstehenden Erwägungen den Fluchtgrund der Apostasie glaubhaft machen:
Die Glaubhaftmachung des Fluchtgrundes der Apostasie durch den Bf, die sich in der Nichtausübung des – hier fluchtkausalen - islamischen Glaubens zeigt, gründet auf seinen diesbezüglichen gleichbleibenden, glaubwürdigen und widerspruchsfreien Angaben im gesamten Verfahren:
Bereits schon bei der Erstbefragung durch die LPD Vorarlberg im Jahr 2015 gab er an, keine Religionszugehörigkeit zu haben (Siehe Niederschrift der Erstbefragung, Seite 1). Auch bei seiner Einvernahme beim BFA im Jahr 2018 brachte er vor, bekenntnislos zu sein, und begründete es damit, dass alle Probleme in seinem Leben auf die Religion zurückzuführen seien (Siehe Aktenseite, Seite 123). Bei der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG führte er dazu aus, er habe kein Interesse an jeglicher Religion, da Religion zu Problemen führen kann und die Religion immer schon die Ursache für seine Probleme und die seiner Familie gewesen sei (Siehe Seiten 7ff des Protokolls der mündlichen Verhandlung). Demnach sei, wie sich auch aus der Aktenlage ergibt, sein Vater zum Christentum konvertiert, wodurch es für ihn und seine Familie zu Problemen in Pakistan kam, sodass die Familie im Jahr 2013 Pakistan verlassen musste und nach Afghanistan ging. In Folge kam es aus den selben Gründe auch in Afghanistan wieder zu Problemen, sodass die Familie neuerlich 2014 nach Pakistan zurückkehrte und von dort 2015 wegen der neuerlichen Bedrohungen aufgrund der Konversion des Vaters wieder flüchten mussten.
Für das erkennende Gericht war diese in der mündlichen Verhandlung ausgeführte Begründung für den Glaubensabfall des Bf aus der Lebenserfahrung heraus nachvollziehbar. Gerade der Umstand, dass der Bf bereits in jungen Jahren durch die als glaubhaft erachtete Konversion seines Vaters zum Christentum immer wieder Länderwechsel mit seiner Familie vollziehen musste, ließ aus der Lebenserfahrung heraus den Rückschluss zu, dass der Bf aus diesem Grund sein Interesse an jeglicher Religion, so auch an der in Afghanistan vorherrschenden isamlischen Religion verlor, was dazu führt, dass er auch nicht willens ist, diese auszuüben und nach den gebotenen islamischen Riten zu leben.
Es waren somit auch keine asyltaktischen Überlegungen des Bf für die Apostasie zu erkennen, sondern geht das erkennende Gericht aufgrund der Lebensgeschichte des Bf davon aus, dass der Bf aus innerer Überzeugung von jeglichem Glauben, somit auch vom islamischen Glauben abgefallen ist. Daher ist auch davon auszugehen, dass der Bf im Fall einer Rückkehr keine religösen islamischen Vorschriften oder Bräuche einhalten würde.
Dieser Eindruck wurde zusätzlich auch durch das Vorbringen des Bf, auch in Österreich keinerlei religiöse Vorschriften einzuhalten und keine Moschee oder andere Gotteshäuser zu besuchen, bekräftigt. Auf Befragen des erkennenden Gerichtes räumte er zwar ein, im Rahmen von Schulausflügen schon auch Kirchen bertreten zu haebn, dies habe aber lediglich touristischen und nicht religiösen Zwecken gedient. Dies wurde vom erkennenden Gericht im Einklang gesehen mit der Aussage des Bf, er habe in Pakistan und Afghanistan zwar Moscheen besucht, dies aber nur aus Gründen der dortigen Essensausgabe zu bestimmten Tagen und nicht um eine Religionsausübungshandlung zu setzen. (Siehe Seite 7 des Protokolls der mündlichen Verhandlung). Auch wolle es sich mit anderen nicht über Religion bzw. den Islam unterhalten, da er keinerlei Konflikte aufgrund Glaubens- und Religionsfragen hervorrufen wolle (Siehe Seiten 11f des Protokolls der mündlichen Verhandlung).
Das erkennende Gericht konnte somit auf Grund all dieser in der mündlichen Verhandlung und auch im Behördenverfahren so getätigten Aussagen den Eindruck gewinnen, dass der Bf tatsächlich bekenntnislos ist und sich aus freier persönlicher Überzeugung von jeglichem Glauben abgewandt hat und nicht willens oder fähig ist, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan sich wieder dem Islam zuzuwenden.
Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln.
Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 38/2011) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
3.1. Zu Spruchteil A)
Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0012; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).
Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551; 29.06.2006, 2002/20/0167).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793¿19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.03.2011, 2008/23/1101).
Im gegenständlichen Fall sind die dargestellten Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl, nämlich eine glaubhafte Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ausgeführten Grund, gegeben, weil es dem Beschwerdeführer – wie sich aus der Beweiswürdigung ergibt – gelungen ist eine Verfolgung glaubhaft zu machen. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich nämlich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfoglt zu werden, begründet ist:
Es wird eine asylrelevante Verfolgungsgefahr aus Gründen der Religion erkannt. Die geltendgemachte Furcht des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan ist asylrelevant, weil sie im kausalen Zusammenhang zwischen seiner Apostasie und der daraus resultierenden Verfolgung des Bf aufgrund der Scharia, die die Apostasie als Verbrechen betrachtet und diese mit der Todesstrafe ahndet. Auch besteht für Personen, die gegen die Scharia verstoßen, die Gefahr der gesellschaftlichen Ächtung sowie der Gewalt durch Familienanghörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die Taliban und weitere regierungsfeindliche Kräfte.
Auf Grund der im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Erwägungen ist es dem Beschwerdeführer gelungen glaubhaft zu machen, dass der behauptete Sachverhalt verwirklicht worden ist. Ein Beweis desselben ist nicht erforderlich und ist der Beschwerdeführer mit seinen Angaben diesem herabgesetzten Maßstab bei Abwägung der Gesamtumstände gerecht geworden.
Der Beschwerdeführer konnte somit glaubhaft machen, dass ihm in seinem Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung auf Grund seiner Apostasie droht.
Anhaltspunkte für das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bestehen nicht, da auf Grund der in ganz Afghanistan gültigen Scharia und in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie aufgrund der bestehenden Traditionen und Intoleranz gegenüber Apostaten in der afghanischen Bevölkerung, anzunehmen ist, dass die Situation für den Bf im gesamten Staatsgebiet gleich ist.
Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des Beschwerdeführers stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Da dem Bf gemäß § 3 Abs 1 AslyG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, wurden die restlichen Spruchpunkte gegenstandslos und war über diese nicht mehr abzusprechen.
B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.
Schlagworte
Apostasie Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsfreiheit religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W151.2188710.1.00Im RIS seit
20.08.2021Zuletzt aktualisiert am
20.08.2021