TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/26 W257 2182348-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.03.2021
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Entscheidungsdatum

26.03.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §75 Abs24
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W257 2182348-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert MANTLER, MBA, als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX alias XXXX Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, vertreten durch die „Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH“ z. Hd. Leopold-Moses-Gasse 4, 4. Stock, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.12.2017, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 2. und am 25. März 2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX geboren am XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX geboren am XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

1.       Verfahrensgang:

1.1.    Der Beschwerdeführer stellte am 12. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung fand am 13. Juli 2015 statt. Dabei brachte er vor, dass er aus Afghanistan stamme und verheiratet sei. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Er hätte zwölf Jahre die Grundschule und vier Jahre die Universität in Kabul besucht. Im Herkunftsland würden sich seine Frau, sein einjähriger Sohn, sein Vater ein Bruder und eine Schwester aufhalten. Die Familie würde in Helmand leben. Er hätte vor ca. einen Monat sein Heimatland legal mit dem Flugzeug verlassen. Er hätte sein Heimatland verlassen müssen, weil er für einen Arbaki in der Region XXXX gearbeitet hätte. Aufgrund dieser Tätigkeit wäre er von den Taliban brieflich bedroht worden.

1.2.    Am 9. März 2017 legte er neben Integrationsunterlagen ein ÖSD Zertifikat auf der Stufe A2, welches er am 1. Februar 2017 abgeschlossen hat, vor. Am 5. Oktober 2017 wurde er von der Behörde niederschriftlich einvernommen.

1.3.    Dabei brachte er vor, dass er aus Provinz Ghazni, im Bezirk Jaghori, aus dem Dorf XXXX stamme. Er hätte während seines Studiums vier Jahre dort gewohnt. Früher sei er Schiite gewesen, jetzt sei er ein evangelischer Christ. Er spreche Dari, Englisch und ein wenig Deutsch. Er hätte am 21. Juni 2013 seine Frau geheiratet und hätte mit ihr in XXXX und auch in Kabul einige Monate gelebt. Sie wohne derzeit bei ihrem Vater in XXXX Ihr Vater würde sie auch versorgen. Mit seiner Frau hätte er ein Kind. Er hätte sich 2015 dazu entschlossen, Afghanistan zu verlassen. Er hätte sein Land schließlich am 13. Juni 2016 verlassen.

1.4.    Er wäre in der Ghazni geboren und hätte seinen Vater in der Landwirtschaft geholfen. Er hätte die Schule bis zur Matura in Ghazni abgeschlossen und danach in Kabul vier Jahre lang Informatikwissenschaften studiert. Nach seinem Abschluss habe er bis zum Frühling 1394 (afghanische Zeitrechnung) beim Kommandanten Schujaie gearbeitet. Zusätzlich hätte er Abschlussarbeiten für andere Student:innen geschrieben und hätte so ein Zusatzeinkommen erwirtschaftet.

1.5.    Seine Frau, sein Sohn, sein jüngerer Bruder und eine Tante würden noch in Helmand wohnen. Diese Tante sei seine Schiegermutter. Eine weitere Tante würde in Kabul wohnen. Eine Tante und einen Onkel hätte er im Iran. Ein weiterer Onkel würde in Pakistan wohnen. Er hätte noch mit vier Kommilitonen Kontakt, welche in Kabul leben würden. Der letzte Kontakt zu einem Freund wäre vor ca einer Woche gewesen.

1.6.    Er hätte zwei Fluchtgründe:

1.6.1.  [Drohbrief, Anrufe]: Als er noch mit „Schujaie“ zusammengearbeitet hätte, hätte ihn die Taliban 2- bis 3-mal angerufen, sie hätten Paschtu mit ihm gesprochen, und ihm gesagt, dass er ihren Feinden dienen würde und er diese Tätigkeit aufgeben solle, sonst würden sie ihn umbringen. Er hätte dann mit einem Mitarbeiter des „Schujaie“ gesprochen, der ihn geraten hätte, nicht mehr zu arbeiten. „Schujaie“ sei einer der Kommandanten der Gruppierung der Arbaki. Er hätte ihn auch ein Schreiben gegeben, dies er der Behörde vorlegte (AS 133 und AS 139,141, OZ1; handschriftliche Schreiben, übersetzt auf AS 147). Er wäre von den Taliban nicht persönlich bedroht worden. Dies wäre der Hauptgrund der Flucht gewesen. Es hätte aber noch ein zweites Problem gegeben: [Streit mit den Mullahs]. Die Mullahs und der „Verein Payam“ hätten in der Region Jaghori zwei Bibliotheken unterhalten. In einem Teil hätten sich religiöse Bücher, in dem anderen Teil andere Bücher befunden. Die Mullahs wollten gegen den anderen Teil vorgehen, weil sie meinten, dass sich dort islamfeindliche Inhalte sich befinden würden. Er sei mit einem Freund zu den Mullahs gegangen und hätte sie versucht zu überreden. Dabei sei ein Streit ausgebrochen und er wäre von den Mullahs mit einem Spucknapf geschlagen worden. Daraufhin wäre er noch in dieser Nacht in die Hauptstadt von Jaghori geflüchtet, denn sein Freund hätte ihn gesagt, dass die Mullahs über ihn entscheiden sollen. Weil diese danach die Polizei verständigt hätten und diese nach ihn gesucht hätten, wäre er weiter nach Kabul geflohen und als er Geld von seiner Frau erhalten hätte, hätte er von Afghanistan fliehen können. Er hätte auch eine Anzeigebestätigung gegen ihn mitgebracht (AS 149, OZ 1, Übersetzung). Auf die Frage der Behörde, warum er nicht mehr zurückkehren könne, meinte er, dass sein Schwiegervater nun wisse, dass er Christ sei

1.6.2.  [Konversion] und er wolle auch, dass er sich von seiner Ehefrau scheiden lassen solle. Auf die Frage, warum er konvertiert sei, meinte er, dass die Mullahs anders sprechen würden als sie handeln würden und dass er davon genug gehabt hätte. Er hätte auch zweimal die Bibel gelesen und festgestellt, dass es bei den Christen diese Feindseligkeit nicht geben würde. Er hätte gesehen, dass hier die Priester anders seien als die Mullahs in Afghanistan. Er wäre auch hier getauft worden (Anm.: Taufurkunde AS 163, OZ1, getauft durch die „persische Gemeinde“ in Linz. Anhand der angeführten Adresse XXXX konnte im Internet durch den Richter die „ XXXX “ als Verfasser der Taufurkunde ausgeforscht werden. Die Behörde befragte den BF auch bezüglich dieser „ XXXX “). Er gehe jeden Sonntag zur „ XXXX “ in Linz zu einer Messe. Auf Frage der Behörde, ob er von Ostern etwas wisse, meinte er, dass er Ostern nicht kenne. Auf die Frage der Behörde, was die Dreifaltigkeit sei, meinte er, dass es drei Personen in einer Persönlichkeit seien, nämlich Vater, Sohn und er Heilige Geist. Auf die Frage der fünf wesentlichen Unterschiede zwischen Christentum und Islam, meinte er, dass das Christentum keine Religion sei und Jesus würde bei den Christen als Gott gesehen werden, während hingegen im Islam Jesus nur ein Prophet sei. Von den 10 Geboten, konnte er drei nennen. Hier in Österreich hätte er 5 bis 6 Monate ehrenamtlich bei der Diakonie gearbeitet. Die im Bescheid auf Seite 23 (AS 261, OZ1) angeführten Schreiben wurden der Behörde vorgelegt.

1.7.    Das BFA wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch erwähnten Bescheid gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.) und erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 auch den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.-V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass den Drohbriefen vor dem Hintergrund der einschlägigen Länderberichte, wonach Drohbriefe zu 99 % gefälscht sind, hinsichtlich der darin enthaltenen Drohung durch die Taliban, kein Glauben geschenkt werden kann. Überdies hätte er vorgebracht, dass von den Taliban nie persönlich bedroht worden wäre. Hinsichtlich der Bedrohung bzw der Anzeige durch die Mullahs hätte er vage Angaben gemacht und könne Behörde daraus keine Bedrohung gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention erkennen. Hinsichtlich des dritten Fluchtgrundes, der vorgebrachten Konversion, führte die Behörde aus, dass sie einen Abfall vom Glauben aufgrund seiner vagen Angaben nicht erkennen könne. Aus seiner Aussage hinsichtlich des Grundes, warum er vom Glauben abgefallen sei, meinte er lediglich, dass „die Vorgehensweise der Menschen hier, dass was sie sagen und tun das gleiche ist“. Daraus könne die Behörde keinen eindeutigen Grund für den Abfall vom Glauben erkennen. Eine Rückkehr nach Kabul könne ihm zugemutet werden, auch weil keine Bedrohung erkannt worden wäre.

1.8.    Gegen den Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers, wobei er seine Aussagen inhaltlich aufrecht hält. Er meinte, dass (i) die Drohbriefe echt wären und von den Taliban stammen würden, (ii) das die Mullahs ihm bei der Polizei zur Anzeige gebracht hätten, weil er gegen die Verbrennung von islamfeindliche Büchern gewesen sei und (iii) sei er Hazara und Schiite, welche generell verfolgt werden würden (iv) und die Mullahs und die strenge islamische Lebensweise hätten ihn von der Religion abgebracht. Er hätte bereits in Afghanistan angefangen die Bibel zu lesen. Er hätte hier einen Taufkurs besucht und er hätte den Glauben gewechselt. Im Falle der Rückkehr würde ihm ein Todesurteil erwarten.

1.9.    Der Verwaltungsakt langte am 09.01.2018 am Bundesverwaltungsgericht ein und wurde entsprechend der Geschäftseinteilung der Gerichtsabteilung W257 zugewiesen (OZ 1).

1.10.   Am 02.04.2019 trat er aus der islamischen Glaubensgemeinschaft aus (OZ 5).

1.11.   Am 25.11.2019 legte er den Drohbrief in Originalfassung dem BvWG vor. Ein Freund wäre in Afghanistan gewesen und hätte den Brief mitgenommen (OZ 6).

1.12.   Unter OZ 7 wurden die Parteien am 04.02.2021 zu einer mündlichen Verhandlung für den 02.03.2021 unter Anschluss der Länderberichte eingeladen. Nachdem die bisherige Rechtsvertretung, der Verein Menschenrechte Österreich, die Vollmacht mit 31.12.2020 zurücklegte und der Beschwerdeführer bis zum 04.02.2021 keine neue Rechtsvertretung nannte, wurde die BBU GemBH als Rechtsberatung von dem Verhandlungstermin verständigt.

1.13.   Es wurden folgende Länderberichte übersandt:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 16.12.2020,

-        UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO),

-        Ecoi.net Themendossier zu Afghanistan: „Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif“ vom 26.05.2020 (ECOI Herat und Masar-e Sharif)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)

-        Arbeitsübersetzung Landinfo Report „Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne“ vom 23.08.2017 (Landinfo 1)

-        Arbeitsübersetzung Landinfo Report „Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban“ vom 29.06.2017 (Landinfo 2)

-        ACCORD Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) vom 05.06.2020 (ACCORD Covid-19).

-        Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zu Arbaki-Milizen (Struktur, Aktivitäten in der Provinz Faryab im Jahr 2015, Übergriffe auf Zivilbevölkerung) [a-10202]

Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen gegeben. Die Parteien nahmen von dieser Gelegenheit nicht Gebrauch. Es langte keine Stellungnahme ein.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2.       Feststellungen

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

2.1.    Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch erwähnten Namen und ist am XXXX , alias am XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsbürger. Er ist in Afghanistan im Familienverband seiner Eltern und seiner beiden Brüder und seiner Schwester aufgewachsen, arbeitete nebenbei in der Landwirtschaft und maturierte in der Provinz Jaghori. Sein Vater verstarb an einem natürlichen Tod, seine Mutter und ein Bruder von ihm kamen ebenso ums Leben. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er besaß ein iranisches Visum vom 10.06.2015 bis zum 08.09.2015. Er ist in diesem Zeitraum legal von Afghanistan in den Iran mit dem Flugzeug ausgereist. Er ist mit seiner Frau namens XXXX traditionell verheiratet und hatten einen gemeinsamen Haushalt. Der Ehe entspringt ein einjährige Kind namens XXXX

2.1.1.  Er hat in Ghazni 12 Jahre die Schule besucht, maturierte dort. Das er in Kabul Informationstechnologie studierte bzw dieses Studium abschloss, kann nicht festgestellt werden. Er arbeitete in der Landwirtschaft und bis 2014 bei dem Kommandanten „Schujaie“, ein Kommandant der Arbaki. Es kann nicht festgestellt werden, welche Tätigkeiten er bei dem Kommandanten vorgenommen hat.

2.1.2.  Er spricht die Sprachen Dari (Muttersprache), Paschto, Englisch und Deutsch.

2.1.3.  Ein Onkel von ihm lebt in Pakistan, ebenso seine ältere Schwester. Ein Onkel und eine Tante von ihm leben im Iran.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

2.2.1.  Er ist vom Glauben abgefallen.

Der Beschwerdeführer verfügt über weitreichende Kenntnisse bezüglich des christlichen Glaubens der Freikirche Österreich, er praktiziert diesen und ist dieser Glaube für ihn identitätsstiftend.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer bloß zum Schein konvertiert ist.

Im Hinblick auf die aktuelle Situation in Afghanistan kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer asylrelevanteren Verfolgung unterliegt.

2.2.2.  Einen weiterern asylrelevanterer Grund konnte nicht festgestellt werden.

2.3.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf die unter Punkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. eingebrachten Länderfeststellungen.

1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation:

Religionsfreiheit:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Apostasie, Blasphemie, Konversion:

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

1.2.2. Auszug aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan zur Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa vom 01.06.2017, a-10159:

„Nach Angaben des US-Nachrichtendiensts Central Intelligence Agency (CIA) seien 99,7 Prozent der Bevölkerung Afghanistans Muslime. Der Anteil der Sunniten liege bei 84,7 bis 89,7 Prozent, während jener der Schiiten bei 10 bis 15 Prozent liege. Nichtmuslimische Gruppen würden 0,3 Prozent der Bevölkerung ausmachen (CIA, Stand 1. Mai 2017). Laut US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) würden zu den nichtmuslimischen Gruppen vor allem Hindus, Sikhs, Bahá'í und Christen zählen. Bezüglich Zahl der christlichen Gemeinden im Land würden keine verlässlichen Schätzungen vorliegen (USDOS, 10. August 2016, Section 1). Nach Angaben des niederländischen Außenministeriums handle es sich dabei wahrscheinlich um einige Dutzend Personen (BZ, 15. November 2016, S. 65). Laut Angaben der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD), eines evangelikalen Netzwerks verschiedener Kirchen und Gemeinschaften in Deutschland, gehe „[e]ine optimistische Schätzung […] davon aus, dass es mehrere Tausend einheimische Christen“ im Land gebe (EAD, 9. Juni 2015). Die staatliche United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt unter Berufung auf Berichte afghanischer Flüchtlinge in Europa, dass unter anderem die Zahl der Christen in Afghanistan seit dem Wiedererstarken der Taliban im Jahr 2015 vermutlich erheblich zurückgegangen sei (USCIRF, 26. April 2017).

1) Vom Islam abfallende Personen (Apostaten)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als „Weggehen“ vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließe:

[…]

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die „heilige Religion des Islam“ als Religion Afghanistans fest. Angehörige anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten:

[…]

Bezug nehmend auf den soeben zitierten Artikel 130 der afghanischen Verfassung schreibt Landinfo im August 2014, dass dieser Artikel hinsichtlich Apostasie und Blasphemie relevant sei, da Apostasie und Blasphemie weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt würden. (Landinfo, 26. August 2014, S. 2). Im afghanischen Strafgesetzbuch existiere keine Definition von Apostasie (Landinfo, 4. September 2013, S. 10; USDOS, 10. August 2016, Section 2). Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten „hudud“-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten „hudud“-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine staatliche Einrichtung der USA zur Beobachtung der Situation hinsichtlich der Meinungs- Gewissens- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2017, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017).

Die Internationale Humanistische und Ethische Union (International Humanist and Ethical Union, IHEU), ein Zusammenschluss von über 100 nichtreligiösen humanistischen und säkularen Organisationen in mehr als 40 Ländern, bemerkt in ihrem im November 2016 veröffentlichten „Freedom of Thought Report 2016“, dass sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen weiterhin auf Auslegungen des islamischen Rechts nach der Hanafi-Rechtslehre stützen würden. Das Office of Fatwa and Accounts innerhalb des Obersten Gerichtshofs Afghanistans würde die Hanafi-Rechtsprechung auslegen, wenn ein Richter Hilfe dabei benötige, zu verstehen, wie die Rechtsprechung umzusetzen sei:

[…]

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) Folgendes bezüglich der Rechtspraxis:

‚Zwar gibt es drei parallele Rechtssysteme (staatliches Recht, traditionelles Recht und islamisches Recht/Scharia), doch letztendlich ziehen sich viele Richter, wenn die Lage irgendwie politisch heikel wird, auf das zurück, was sie selber als Scharia ansehen, statt sich etwa auf die Verfassung zu berufen. Die Scharia ist nicht gänzlich kodifiziert, obwohl verschiedenste Rechtskommentare etc. existieren, und zudem gibt es zahlreiche Widersprüche in den Lehrmeinungen.‘ (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Michael Daxner, Sozialwissenschaftler, der das Teilprojekt C9 „Sicherheit und Entwicklung in Nordost-Afghanistan“ des Sonderforschungsbereichs 700 der Freien Universität Berlin leitet, bemerkte beim selben Expertengespräch vom Mai bezüglich der Auslegung des islamischen Rechts und islamischer Prinzipien:

‚Sehr oft stammen die liberalsten Auslegungen von Personen, die etwa an einer Einrichtung wie der Al-Azhar in Kairo studiert haben und daher mit den Rechtskommentaren vertraut sind. Man kann sich indes kaum vorstellen, wie wenig theologisch und religionswissenschaftlich versiert die Geistlichen auf den unteren Ebenen sind. Wenn ein Rechtsgelehrter anwesend ist, der etwa von der Al-Azhar kommt, kann er die Sache auch ein Stück weit zugunsten des Beschuldigten drehen, denn je mehr glaubwürdige Kommentare dem Scharia-Text zugefügt werden, desto besser sieht es für die Betroffenen aus.‘ (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Apostasie bzw. Konversion vom Islam ein:

‚Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten ‚ungeheuerlichen Straftaten‘, die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwalt-schaft fallen.

Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist.‘ (UNHCR, 19. April 2016, S. 61)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im August 2016 veröffentlichten Länderbericht zur internationalen Religionsfreiheit (Berichtsjahr 2015), dass laut Hanafi-Rechtlehre Männer bei Apostasie mit Enthauptung und Frauen mit lebenslanger Haft zu bestrafen seien, sofern die Betroffenen keine Reue zeigen würden. Richter könnten zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweifel am Vorliegen von Apostasie bestünden. Laut der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte würde der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion Apostasie darstellen. In diesem Fall habe die betroffene Person drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen. Widerruft sie nicht, so habe sie die für Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Die genannten Entscheidungsempfehlungen würden in Bezug auf Personen gelten, die geistig gesund und vom Alter her „reif“ seien. Dieses Alter werde im Zivilrecht mit 18 Jahren (bei Männern) bzw. 16 Jahren (bei Frauen) festgelegt. Gemäß islamischem Recht erreiche eine Person dieses Alter, sobald sie Anzeichen von Pubertät zeige:

[…]

Auch der Bericht von Landinfo vom September 2013 behandelt unter Berufung auf verschiedene Quellen die rechtlichen Folgen von Apostasie. Das Strafrecht sehe gemäß Scharia die Todesstrafe für erwachsene zurechnungsfähige Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen hätten. Diese Rechtsauffassung gelte sowohl für die schiitisch-dschafaritische als auch für die (in Afghanistan dominierende) sunnitisch-hanafitische Rechtsschule. Nach einer Einschätzung in einer Entscheidung des britischen Asylum and Immigration Tribunal aus dem Jahr 2008 sei das Justizwesen in Afghanistan mehrheitlich mit islamischen Richtern besetzt, die den Doktrinen der hanafitischen bzw. dschafaritischen Rechtssprechung folgen würden, welche die Hinrichtung von muslimischen Konvertiten empfehlen würden. Die Strafen für Frauen im Falle von Apostasie seien indes weniger schwer: sie würden „gefangen gehalten“. Die sunnitisch-hanafitische Rechtslehre sehe dabei eine mildere Bestrafung vor als die schiitisch-dschafaritische. Während letztere vorsehe, dass (weibliche) Apostatinnen täglich jeweils zu den Gebetszeiten ausgepeitscht würden, sehe die hanafitische Lehre vor, dass sie jeden dritten Tag geschlagen würden, um sie zu zur Rückkehr zum Islam zu bewegen. Neben Frauen seien auch Kinder, androgyne Personen und nichtgebürtige Muslime im Fall von Apostasie von der Todesstrafe ausgenommen. Bezüglich der Anwendung der Scharia und der strafrechtlichen Konsequenzen für Apostasie liege kein Erfahrungsmaterial speziell zu Afghanistan vor. Zugleich sei Landinfo der Auffassung, es gebe Grund zur Annahme, dass etwaige gerichtliche Entscheidungen in diesem Bereich unterschiedlich ausgefallen seien, jedoch den soeben beschriebenen Richtlinien entsprechen würden, wobei die Variationen eventuell weniger ausgeprägt sein könnten. Dies gelte auch für die zivilrechtlichen Folgen von Apostasie. Wie Landinfo bemerkt, könne in Afghanistan gemäß Verfassung und religiösen Rechtsmeinungen die Todesstrafe verhängt werden, wenn ein Fall von Konversion vor Gericht komme. Dies gelte sowohl für das staatliche als auch für das traditionelle Rechtssystem:

[…]

Dem USDOS zufolge seien aus dem Berichtsjahr 2015 keine Fälle von tätlichen Übergriffen, Inhaftierungen, Festnahmen oder Strafverfolgung wegen Apostasie bekannt (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

UNHCR schreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender Folgendes über zivilrechtliche und gesellschaftliche Folgen einer (vermeintlichen) Apostasie bzw. Konversion:

‚Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grund und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren.

Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können Berichten zufolge selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. […]

Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).‘ (UNHCR, 19. April 2016, S. 61-62)

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, eine andere sei als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen sei mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen seien:

[…]

Die IHEU bemerkt in ihrem Bericht vom November 2016, dass nur sehr wenige Fälle von „Ungläubigen“ bzw. Apostaten verzeichnet würden, was wahrscheinlich jedoch bedeute, dass viele Konvertiten und Andersgläubige zu viel Angst davor hätten, ihren Glauben öffentlich kundzutun. Der Übertritt vom Islam werde selbst von vielen Personen, die sich allgemein zu demokratischen Werten bekennen würden, als Tabu angesehen. (IHEU, 1. November 2016)

Laut einem Artikel von BBC News vom Jänner 2014 stelle Konversion bzw. Apostasie in Afghanistan nach islamischem Recht eine Straftat dar, die mit der Todesstrafe bedroht sei. In manchen Fällen würden die Leute jedoch die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Apostaten zu Tode prügeln, ohne dass die Angelegenheit vor Gericht gelange:

[…]

Weiters bemerkt BBC News, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich sei, ohne dass sie den Islam praktizieren würden oder sogar dann, wenn sie „Apostaten“ bzw. „Konvertiten“ würden. Solche Personen seien in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren würden. Gefährlich werde es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Es gebe kein Mitleid mit Muslimen, die „Verrat an ihrem Glauben“ geübt hätten, indem sie zu einer anderen Religion konvertiert seien oder aufgehört hätten, an den einen Gott und an den Propheten Mohammed zu glauben. In den meisten Fällen werde ein Apostat von seiner Familie verstoßen:

[…]“

3.       Beweisaufnahme

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

?        Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA samt Vorakten, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA sowie die Beschwerde

?        Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)

?        Einvernahme des BF am 02.03.2021 und am 25.03.3021 und des Zeugen im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 25.03.2021

?        Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke

?        Einsichtnahme in die in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich eingebrachten Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF

4.       Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

4.1.    Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

4.1.1.  Die Feststellungen zum Namen des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben im behördlichen und gerichtlichen Verfahren. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden – Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

4.1.2.  Das er am XXXX geboren wurde ergibt sich aus den der Behörde vorgelegten afghanischen Reisepass (AS 47ff, OZ1). Es wird – zwecks Aktenkontinuität das Geburtsdatum des Reisepasses als „alisa-Geburtsdatum“ geführt. Die Feststellung des Visums ergibt sich auch aus dem Reisepass. Die Feststellung, dass er mit dem iranischen Visum in den Iran ausgereist ist, ergibt sich aus den Akten und auch aus seinen Angaben.

4.1.3.  Die Feststellung, dass er nicht vom Glauben abgefallen ist, ergibt sich aus der Beweiswürdigung hstl seines Nachfluchtgrundes.

4.1.4.  Seine Sprachkenntnisse ergeben sich durch seine Angaben und durch die vorgelegten Unterlagen. Er hat die Sprachkurs ÖSD auf dem europäischen Referenzrahmen A2 am 17.01.2017 absolviert. Seine Arbeitserfahrung ergibt sich aus seinen Angaben.

4.1.5.  Die negative Feststellung hinsichtlich seiner universitären Bildung ergibt sich ausfolgender Würdigung:

Er meinte vor der Behörde und auch vor dem Gericht, dass er an der UNI in Kabul Informatik studiert hätte und auch abgeschlossen hätte. Das Gericht nahm vor der Verhandlung Einsicht in die Internetseite der UNI Kabul und legte dem Verfahren ein Auszug aus der Studienarchetektur vor. Auffallend ist, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage war folgendes zu erklären: „ICT-Projekt Management“, welches im ersten Semester unterrichtet wird (er hätte es gelernt, könne es aber nicht erklären) und er konnte auch keine Erklärung abgeben was unter „Cloud-Computing“ zu verstehen ist. Dies wird im 2 Semester unterrichtet. Selbst zu „Data Warehouse“ konnte er lediglich erklären, dass dies ein Platz ist, wo Informationen gespeichert werden. Auf die Frage, warum er denn so auffällig über sein Studium wisse, meinte er:

„Um ehrlich zu sein als ich begonnen habe zu studieren war diese Fachrichtung ganz neu und war eine selbstständiges Fach, früher war das Computerwissenschaften und es wurde mit Physik und Chemie unterrichtet. Das gehört alles zu der Wissenschaft. Diese Dinge die wir damals gelernt haben waren hauptsächlich Theorie, wir hatten nicht sehr viele Praxisstunden.“

Selbst wenn Informationstechnologie mit Physik und Chemie gemeinsam unterrichtet wurde, das für sich genommen schon sehr unwahrscheinlich ist, dann hätte er die groben Begriffe wie Cloud-Computing zumindest ansatzweise erklären können. Weil er das nicht konnte, gilt es für das Gericht als erwiesen, dass er tatsächlich die Universität nicht besucht hat und wenn ja, dann sicherlich nicht abgeschlossen hat.

4.1.6.  Das nicht festgestellt werden kann, was er bei dem genannten Kommandanten gearbeitet hat, ergibt sich daraus, dass er einerseits eine Bestätigung von ihm ausgestellt bekommen hat, auf dem vermerkt ist, dass er im Kulturbereich gearbeitet hätte, und er selbst mein, dass er in der Logistik gearbeitet hätte. Er konnte diesen Wiederspruch in der mündlichen Verhandlung auch nicht entkräften und musst deswegen – soweit es relevant ist – eine negative Feststellung getroffen werden.

4.1.7.  Die übrigen Feststellungen – insbesondere seine Verwandten außerhalb von Afghanistan - ergeben sich entweder aus seinen Aussagen, den Aussagen des Zeugen oder aus den vorgelegten Unterlagen.

4.2.    Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

4.2.1.  Zum Feststellungspunkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.):

4.2.2.  Zum grundsätzlichen Grund Afghanistan zu verlassen:

Vor der Behörde meinte er: „Das (Anm. damit gemeint die Angelegenheit bzgl. den Drohbriefen) ist der Hauptgrund warum ich geflüchtet bin. Mein zweiter Grund ist: Ich hatte Probleme aufgrund meiner Religion – und Volksgruppenzugehörigkeit.“ (Anm.: In der Folge schilderte er den Vorfall mit den Mullahs). Sh AS 112, OZ1.

Im Bescheid auf Seite 115 führt die belBeh aus, dass der Vorfall mit den Mullahs der „Hauptgrund“ der Flucht gewesen sei.

In der Beschwerde führten sie dagegen aus. „Mein primärer Fluchtgrund waren die Probleme mit den Taliban aufgrund meiner Tätigkeit für die Arbakis. ... Dennoch schreibt die Behörde in der Beweiswürdigung, dass die Probleme aufgrund der Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit der „Hauptfluchtgrund“ gewesen sind aus Afghanistan zu flüchten. ... Es bestätigt lediglich, dass sich die Behörde keineswegs ausgiebig mit meinem Vorbringen beschäftigt hat! Ich habe dies nachweislich nicht so angegeben!“

Vor dem Gericht änderten sie ihr si dorthin vorgebrachte meinen und meinten, dass die Angelegenheit wegen den Mullahs (die Religion – und Volksgruppenzugehörigkeit) der Hauptfluchtgrund gewesen sei. Auf diesen klaren Widerspruch angesprochen konnte er keine schlüssige Erklärung abgeben:

R: Bei der Behörde und in der Beschwerde meinten Sie, dass der Hauptgrund die Drohbriefe waren und heute erzählen Sie mir vorerst von der Sache mit den Mullahs, was war nun der Hauptgrund Ihrer Flucht?

BF: Nein, ich habe auch damals gesagt, dass der Hauptgrund die Beleidigung gegenüber den Mullahs war und das war der zweite Grund. Zuerst habe ich die Geschichte mit XXXX erzählt.

R: Auf Seite 10 der Einvernahme vor der Behörde sagten Sie „Die Sache mit den Taliban-Briefen war der Hauptgrund“ und in der Beschwerde auf Seite 3 sagten Sie noch einmal, dass das der Hauptgrund war, nämlich die Drohbriefe. Jetzt frage ich Sie nochmal, was war der Hauptgrund Ihrer Flucht?

BF: Der Hauptgrund war, dass gegen mich ein Haftbefehl ausgestellt worden ist und die Probleme mit den Mullahs die ich hatte, das ist wahr.

R: Warum haben Sie bei der Behörde in der Beschwerde was anderes angegeben?

BF: Ich habe all das was ich heute auch gesagt habe dort auch erzählt, nur in umgekehrter Reihenfolge. Zuerst habe ich über XXXX erzählt und dann die Geschichte mit den Mullahs und ich hatte auch damals gesagt, dass der Hauptgrund warum ich Afghanistan verlassen habe der zweite war das was ich gesagt habe, also die Problematik mit den Mullahs.

Damit konnte er auf die wiederholten Fragen, warum er den Hauptfluchtgrund nunmehr ändert, keiner Erklärung zuziehen, die seitens des Gerichts Anlass geboten hätte, seine Gedanken nachzuvollziehen womit sich der Widerspruch erklären ließe. Im Zusammenhang mit den nachfolgenden Aspekt wird der BF in seiner Person unglaubwürdig.

4.2.3.  Zum Wahrheitsgehalt der vorgelegten Drohbriefe:

Die Behörde brachte eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Taliban Drohbriefen vom 28.07.2016 in das Verfahren ein und stützte sich auf diesem Bericht. Die Ausführungen sind im Wortlaut aus dem Bescheid, Seite 113 zu entnehmen. Zusammengefasst ergibt sich daraus, dass nur 1% dieser Briefe ernsthafte Bedrohungen sind, die anderen sind gefälschte Dokumente um eine Bedrohung durch die Taliban in Europa vorzutäuschen. Der Beschwerdeführer bestreitet das in der Beschwerde, indem er sich auf Länderberichte ua aus dem Jahr 2012 (UNHCR 2012, USDOS 2014, AIHCR 2012) bezieht. Diese Berichte sind jedoch gegenüber der Staatendokumentation vom Juli 2016 älteren Datums. Der Beschwerdeführer vermeint, dass der Bericht der Staatendokumentation vom 28.07.2016 „zweifelhaft“, jedoch verabsäumt er darzulegen aus welchen Gründen dies so wäre. Er meinte, dass Taliban durchaus mit Drohbriefen vorgehen und hätte er auch einen Anruf von den Taliban bekommen.

In Würdigung kann hier festgehalten werden: Die vermeintlichen Drohbriefe wurden nicht ihm selbst übergeben, sondern einem Mittelsmann namens Ismail. Dieser stünde in engen Kontakt mit dem Kommandanten der Akbari, für den er gearbeitet hätte. Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht konnte der Beschwerdeführer nur sehr oberflächliche Angaben dazu machen, wie der Brief zu Ismail kam und warum er nicht ihm direkt übergeben wurde.

„Warum wurden die Drohbriefe dem Herrn Ismail übergeben und nicht ihnen direkt?

BF: Der Ismail hat in Uruzhgan gearbeitet und er hat gegen die Taliban die an der Grenze Uruzhgan waren gekämpft und diesen Drohbrief hat er dort bekommen. Ich meine damit in Uruzhgan.

R wiederholt die Frage.

BF: Ich war ja selber nicht dort, hätte er es mir direkt gegeben, hätte er mich sicher umgebracht.

R: Erzählen Sie genauer wie der Drohbrief zu Herrn Ismail kam.

BF: Ich weiß es wirklich nicht, im Haus von Herrn XXXX hat Herr Ismail mir diesen Brief gegeben.“

Wäre das der Anlass das Land zu verlassen – er berichtete vor der Behörde und in der Beschwerde, dass dies der Hauptgrund gewesen sei – dann ist von einem um Flüchtling, der durch die Briefe so sehr Angst bekommt, zu erwarten, dass er konkretere und genauere Angaben darübermachen könne. Selbst wenn er dies nicht kann, weil ihm die Kenntnisse fehlen, dann kann man jedenfalls erwarten, dass er sich darüber Gedanken macht und zumindest eine Spekulation anstellen könne. Auch dies hat er nicht vorgenommen – seine Angaben blieben oberflächlich. Unklar blieb zudem auch, weswegen er den Drohbrief nicht gleich auf der Flucht mitnahm. Er hätte sich diesen erst – so vor der Behörde – zusenden lassen. Wenn der Brief tatsächlich so wichtig war, dann ist anzunehmen, dass ein Flüchtling alles daran setzt im aufzunehmenden Land die Bedrohung nachzuweisen. Einer plausiblen Antwort, warum er es allerdings unterlassen hat, ein so für ihn wichtiges Dokument sich erst nachsenden zu lassen, bleib er schuldig.

„R: Bei der Behörde sagten sie, sie haben sich den Drohbrief von AFG nach Ö zusenden lassen. Warum haben sie diesen Brief nicht gleich mitgenommen?

BF: Das wusste ich wirklich nicht, ich hatte damals einen Freund, er hieß Salman. Er war Beamte und war zuständig für die Sicherheit. Er hat in Jaghuri gearbeitet und er hat diesen Haftbefehl später für mich geschickt.“

Damit ist es für das Gericht vor dem Hintergrund der Berichte der Staatendokumentation bewiesen, dass die Briefe gefälscht sind, dass er keinen Brief von den Taliban erhalten hat und durch diesen nicht bedroht worden ist.

Das er selbst nicht bedroht wurde, brachte er selbst vor dem Gericht vor:

„R: Wären Sie nicht von der Polizei gesucht worden, hätten Sie dann Afghanistan verlassen?

BF: Ich glaube nicht. Ich konnte dort weiterhin leben, zwar waren die Taliban auch in Uruzhgan, aber ich hätte woanders hinziehen können, mein Hauptproblem waren die Mullahs.“
Schließlich legte er der Behörde zwei Übersetzung von Drohbriefen vor, meinte aber nur einen erhalten zu haben. Aus der gerichtlichen Verhandlungsschrift:

„R: Wie viele Drohbriefe haben sie erhalten?

BF: Einen. Ich habe diesen Drohbrief von einer Person namens Ismail. Er war der Stellvertreter von XXXX und gab mir diesen Brief.

R: Wenn Sie nur einen Drohbrief bekommen haben, wieso legen Sie dann zwei Übersetzungen von Drohbriefen vor?

BF: Ein Brief ist von XXXX persönlich und der andere ist der Drohbrief. XXXX selbst hat es bestätigt, dass ich diesen Drohbrief bekommen habe.

R verweist auf AS 147 und 161. Es liegen zwei Übersetzungen von zwei unterschiedlichen Drohbriefen vor.

R: Sie haben zwei Drohbriefe vorgelegt.

BF: Ein Drohbrief ist seitens der Regierung wo die Polizei hinter mir her ist und der andere betrifft die Taliban.

R liest zusammengefasst AS 147 und 161 vor.

BF: Ja, ein Brief ist von den Taliban und einer betrifft diesen Drohbrief von den Mullahs die hinter mir her sind und der dritte ist eine Bestätigung von XXXX Ich habe nur drei Briefe abgegeben. Ich habe die Übersetzungen nicht gelesen.“

Festgehalten wird, dass zwei Übersetzungen von Drohbriefen und zwar von den Taliban stammen im Akt befindlich sind. Diese hat der Beschwerdeführer der Behörde vorgelegt, sh AS 147 und 161, OZ1. Der BF konnte nicht erklären wie es zu diesen beiden Drohbriefen kam. Bestritten wird nicht, dass sich auch andere Übersetzungen, die der BF erwähnte, beinhaltet sind, doch sind auch zwei Übersetzungen von Briefen der Taliban, somit zwei Drohbriefe im Akt ersichtlich wobei der BF nicht im Stande war, dies aufzuklären. Damit ist auch unter diesem Gesichtspunkt für das Gericht klar, dass die vom BF vorgelegten Briefe nicht von den Taliban stammen, gerade weil er nicht einmal selbst weiß, wieviel Drohbriefe bzw Übersetzungen von Drohbriefen er der Behörde vorgelegt hat.

4.2.4.  Zu dem Aspekt wegen den Mullahs

Er meinte, dass er mit den Mullahs darüber stritt welche Bücher Inhalt einer Bibliothek seien. Er wäre mit einem Spucknapf geschlagen worden und später hätten die Mullhas ihn über die Polizei gesucht. Sie hätten ihn islamfeindliche Haltung vorgeworfen. Er sei nach Kabul geflohen und hätte dort gewartet. In dieser Zeit hätte er sich vom Iran ein Visum besorgt bzw besorgen lassen und wäre ausgeflogen. Abgesehen davon, dass die Mullhas ihn nicht mit dem Tode bedroht haben, sondern ihn durch die Polizei gefahndet hätten, ist dieses Vorbringen in einem zentralen Punkt vollkommen unglaubwürdig. In Kabul hätte er sich von der Polizei versteckt. Dann sei er aber im Juni 2015 mit dem Visum in den Iran ausgeflogen. Er meinte, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst hätte, ob die Polizei am Flughafen/Passkontrolle ihn fahnden oder nicht. Mit dieser Ungewissheit hätte er sich absichtlich zur Polizei begeben, damit er in den Iran ausfliegen kann. Das ist für das Gericht vollkommen unglaubwürdig, denn wenn er sich tatsächlich von der Polizei versteckt hätte, dann wäre er wohl nicht absichtlich zur Polizei/Passkontrolle gegangen und wäre mit dem Flugzeug ausgereist, er hätte wohl den Landweg gewählt. Er meine darauf angesprochen:

R: Wenn Sie von der Polizei gesucht wurden wie konnten Sie dann bei der Polizei am Flughafen vorbeigehen?

BF: Meine Akte war noch nicht in Kabul angekommen, in Afghanistan dauert alles viel länger als hier.

R: Das wussten Sie zu dem Zeitpunkt wo sie eingecheckt haben?

BF: Nein, das wusste ich nicht.

R: Sie begaben sich absichtlich zur Polizei obwohl sie nicht wussten, dass Sie gesucht werden?

BF: Wenn ich über das Land illegal geflohen wäre, wäre die Gefahr viel höher gewesen, denn Iran übergibt diese Leute der Regierung und da wäre die Gefahr viel größer.

Die Erklärung ist für das Gericht weder glaubhaft noch logisch nachvollziehbar. Er bot dem Gericht keine Erklärung die schlüssig nachvollziehbar wäre, damit dieser Widerspruch aufgelöst hätte werden können. Er wird von der Polizei gesucht dies nach seinen Schilderungen Anlass zur Flucht bot, gleichzeitig aber begibt er sich in den Check-In am Flughafen, zur Polizei, in der Ungewissheit, ob sie nicht von seiner Fahndung bereits wissen. Er setzt sich somit absichtlich der Gefahr aus, für die er aus Afghanistan flüchtet. Diese Zweifel sind nicht nur spekulativ, sondern der Widerspruch und er Zweifel liegen offen auf der Hand.

Damit steht für das Gericht fest, dass er wegen seiner „Volks- und Religionszugehörigkeit“ bzw wegen dem Aspekt hinsichtlich der Mullhas nicht geflohen ist und auch keiner Verfolgung ausgesetzt war oder einer solche wiederauflebt, wenn er nach Afghanistan wieder zurückkehrt.

4.2.5.  Zum Fluchtgrund der Apostasie bzw der Konversion (Feststellungspunkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).

Vorausgeschickt wird, dass er bei der Behörde angab, Christ (evangelisch) zu sein. Dies war 05.10.2017. Vorausgeschickt wird auch, dass er sich vor den Mullahs – sofern die Erzählungen hinsichtlich der Bibliothek stimmen – nicht zum christlichen Glauben bekannte, sondern sich mit ihnen lediglich über den Inhalt der Bibliothek gestritten hätte. Insofern er vorbringt, die Bibel in Afghanistan gelesen zu haben, verbindet er selbst es damit, dass er sich einfach einmal informieren hätte wollen.

Es steht jedoch fest, dass er den Zugang zum Glauben allerdings bereits in Afghanistan gesetzt hat. Dies hat er bei seiner Einvernahme vor dem BvWG am 25.03.2021 deutlich unter Beweis gestellt. Der Islam war für ihn immer etwas Erdrückendes, dies hat sich dann auch gezeigt, als er gegen die Mullahs auftrat. Das Gericht folgt dem Fluchtgrund deswegen nicht, fest steht allerdings, dass er bereits hier sich gegen die Autorität der Mullahs gewährt hat.

Aus zeitlichen Gründen wurde die erste Verhandlung am 02.03.2021 unterbrochen und am 25.03.2021 fortgeführt. Der Grund war, dass für den erkennenden Richter nicht genug Zeit bis zum Verhandlungsschluss übrigblieb, um ihn eingehend zu seiner vorgebrachten Apostasie zu befragen. Am 12.03.2021 beantragte der BF die Einvernahme des Pastors für die Verhandlung am 25.03.2021. Der Pastor XXXX wurde daraufhin für den 25.03.2021 als Zeuge geladen. Am 25.03.2021 konnte allerdings nicht der Pastor erscheinen, sondern sandte dieser (angekündigt mit einem Schreiben des Pastors) einen Stellvertreter von ihm.

4.2.6.  Das Gericht geht von folgender Würdigung aus:

Alleine „aus der Prüfung der der persönlichen religiösen Praxis und der Integration in die Pfarrgemeinde“, so wie es die „Resolution betreffend religiöse Verfolgung aufgrund von Konversion zum Christentum als Asylgrund, staatlicher Eingriff in innere Angelegenheiten der Evangelischen Kirche und weitere Fragen zur Wahrung des Menschenrechts auf Asyl vom 07.12.2019“ der Generalsynode der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich“ vorsieht, lässt sich nicht ableiten, ob der BF tatsächlich vom Glauben abgefallen ist. Das Gericht hat daher seine innere Überzeugung zu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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