TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/27 W247 2148705-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.04.2021
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Entscheidungsdatum

27.04.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
IntG §10 Abs2 Z1
VwGVG §28

Spruch


W247 2148705-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.04.2021, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III., erster Satz, des angefochtenen Bescheides wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III., zweiter Satz, wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß §§ 54 und 55 Abs. 1 iVm 58 Abs. 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., sowie § 10 Abs. 2 Z 1 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, idgF., wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV. Der Spruchpunkt III., dritter Satz und Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger Afghanistans, der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig.

I. Verfahrensgang:

1. Der BF reiste zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt, spätestens am 07.07.2015 unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am 08.07.2015 vor der Landespolizeidirektion XXXX erstbefragt, sowie am 11.04.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX , jeweils im Beisein eines dem Beschwerdeführer einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache DARI niederschriftlich einvernommen wurde.

2.1. Der BF brachte im Rahmen seiner Erstbefragung am 08.07.2015 vor, dass er minderjährig, sei, aus der Provinz XXXX stamme und über keinen Wohnsitz im Bundesgebiet verfüge. Er sei ledig, habe keine Dokumente und spreche muttersprachlich Dari, sowie Paschtu, Urdu und Englisch. Der BF gehöre der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und der tadschikischen Volksgruppe an. Er habe 12 Jahre die Grundschule in XXXX , in Pakistan, besucht, er habe keine Berufsausbildung und sei noch nie berufstätig gewesen. In Afghanistan verfüge der BF noch über seine Mutter und vier Geschwister, sein Vater und eine Schwester seien vor ca. 8 Monaten verstorben. Sein Bruder sei erst 9 Jahre alt und würde noch bei der Mutter des BF in seinem Heimatdorf wohnen. Eine Schwester lebe in der Provinz XXXX und zwei weitere Schwestern würden in XXXX leben. Die letzte Wohnadresse des BF sei im Dorf XXXX im XXXX in der Provinz XXXX in Afghanistan gewesen. Die finanzielle Situation der Familie des BF in Afghanistan sei schlecht und ein Onkel mütterlicherseits würde für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgen. Von 2011 bis 2015 habe der BF legal in der Stadt XXXX , in Pakistan, gelebt und sich im Zuge seiner Reise nach Österreich für etwa 2 Tage im Iran aufgehalten. Die Tazkira des BF befände sich in Afghanistan bei seiner Familie und sei er am 07.07.2015 nach Österreich eingereist. Den Entschluss zur Ausreise habe er vor ca. 3 Monaten gefasst und habe der BF seine Heimat vor ca. 3 Monaten unter Verwendung eines afghanischen Reisepasses, welchen ihm der Schlepper organisiert hätte, per Flugzeug vom Flughafen Kabul Richtung Iran verlassen. Nach einem zweitätigen Aufenthalt im Iran, sei der BF schlepperunterstützt über den Landweg unter Verwendung verschiedener Verkehrsmittel, teilweise auch zu Fuß, über ihm unbekannte Länder, nach Österreich gereist. Sein letzter Reiseabschnitt habe in einem unbekannten Waldstück begonnen, in welchem sie sich zuvor ca. 6 Tage aufgehalten hätten. In weiterer Folge sei der BF gemeinsam mit 13 weiteren Personen von diesem unbekannten Waldstück mit einem Kastenwagen nach Österreich gebracht worden, wobei die Autofahrt 10 Stunden gedauert habe und der Fahrer den BF und die übrigen Personen an einem dem BF unbekannten Ort dieser Stadt abgesetzt habe. Nach der Ankunft hätten sie sich getrennt und einige von ihnen seien auf der Straße von der Polizei kontrolliert worden. Im Zuge dieses Aufgriffs habe der BF bei der Polizei um Asyl angesucht, weil sein Reiseziel Österreich gewesen sei. Die Reise des BF habe ca. 3 Monate gedauert, er sei noch nie zuvor in Österreich gewesen und sein Onkel mütterlicherseits in Afghanistan habe Kontakt zum Schlepper hergestellt, sowie die Reise des BF organisiert. Sein Onkel habe USD 15.000 an den Schlepper bezahlt, dieser sei aus Kabul gekommen. Der letzte Fahrzeuglenker sei glaublich ein 30-jähriger Österreicher mit mittlerer Statur und Glatze gewesen.

2.2. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der BF an, er habe seine Heimat verlassen, weil er dort seine Ausbildung nicht fortsetzen hätte können. In XXXX gäbe es weder Schulen, noch Universitäten und hätten sich dort unterschiedliche Gruppierungen gebildet, die Jugendliche anwerben würden. Man könne dort kein freies Leben führen und der BF wolle in Österreich eine Ausbildung machen, ein sicheres Leben führen, sowie seine Familie finanziell unterstützen. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland habe der BF Angst vor dem Krieg. Von staatlicher Seite habe er jedoch mit keinen Sanktionen zu rechnen.

3. Am 24.07.2015 wurde ein Sachverständiger zur Erstellung einer medizinischen Altersdiagnose beauftragt, wobei das am 19.08.2015 erstellte Sachverständigengutachten ein wahrscheinliches Lebensalter des BF zwischen 16 und 18 Jahren zum Untersuchungszeitpunkt am 07.08.2015 feststellte. Aus diesem Grund konnte das vom BF angegebene Geburtsdatum aus gerichtsmedizinischer Sicht nicht ausgeschlossen werden und wurde der BF in der Folge im Verfahren als unbegleiteter Minderjähriger geführt.

4.1. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 11.04.2016 gab der BF im Wesentlichen an, sein Schwager, XXXX lebe seit 18-19 Jahren in Österreich, derzeit an der Adresse XXXX , wo er mit seiner Familie wohne. Zu ihm habe der BF regelmäßig Kontakt und lebe der BF derzeit in XXXX , in einer Unterkunft für Asylwerber. Sein in XXXX lebender Schwager unterstütze ihn, sonst habe der BF keine Verwandten in Österreich. Der BF habe einen Deutschkurs besucht und sei geplant, dass er eine HTL in XXXX besuche. In seiner Freizeit lerne er mit seiner Freundin, XXXX , geb. am XXXX , mit der er in einer festen Beziehung sei, Deutsch und spiele Kricket. Der BF sei auch seit einem Monat Mitglied in einem Kricketverein. Er sei gesund und nehme nur bei Bedarf Medikamente, wenn er nicht einschlafen könne. Der BF sei in Österreich nicht straffällig geworden und habe sich schon gut eingelebt, er habe Freunde gefunden. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, ledig und derzeit 17 Jahre alt. Das habe ihm seine Mutter gesagt und der Arzt habe das ebenfalls bestätigt. In afghanischer Zeitrechnung könne er sein Geburtsdatum nicht nennen. Der BF sei Tadschike und habe eine Tazkira besessen, welche ihm der Schlepper abgenommen habe. Dokumente seien für ihn nie beantragt worden. Er habe 12 Jahre die Grundschule besucht und zwar 9 Jahre in Afghanistan, sowie anschließend 3 Jahre lang in Pakistan, wobei er mit 5 oder 6 Jahren im Herkunftsstaat in die Schule gekommen sei und diese bis zu seinem 12. Lebensjahr besucht habe. Die ersten Klassen hätte der BF übersprungen, weil er den Stoff bereits zu Hause gelernt habe. Als der BF 12 Jahre alt gewesen sei, sei er wegen der Schule nach Pakistan gegangen, wo er in einem Hostel gelebt und die Schule besucht habe. Berufsausbildung habe der BF keine. Die Angaben zu seiner Familie in der Erstbefragung seien korrekt und halte sich seine Familie teils in XXXX und teils in XXXX auf. Der Vater des BF sei im Frühling 2015 verstorben, er sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung, der XXXX , gewesen und getötet worden. Damals sei der Vater des BF, dessen Schwester, deren Kind und deren Mann getötet worden, wobei der BF nicht wisse, wer sie getötet habe. Sein Vater sei seit 30 Jahren Mitglied der terroristischen Vereinigung und einer der wichtigsten Mitglieder gewesen.

Nachgefragt, warum der Vater des BF Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen sei, gab der BF an, dass sein Vater auch Terrorist gewesen sei. Befragt dazu, ob der BF wisse, was ein Terrorist wäre, antwortete er, dass diese Krieg führen, Regierungsmitglieder töten und Leute töten würden. Auf Frage, was die Aufgabe des Vaters des BF gewesen sei, meinte der BF, dass dieser für die Provinz XXXX zuständig gewesen sei. Neuerlich nachgefragt, gab der BF an, dass sein Vater Pläne gemacht und immer mit höheren Personen Kontakt gehabt habe. Die Mutter des BF sei Hausfrau gewesen und habe zuletzt als Lehrerin gearbeitet, wobei sie dann aufgehört habe. Sein Vater habe keine saubere Arbeit gehabt, doch woher sein Vater Geld bekommen habe, wisse der BF nicht, glaublich von der Partei. Der BF habe noch einen Onkel mütterlicherseits in XXXX . Seine Mutter lebe seit dem Tod des Vaters es BF beim Onkel des BF in XXXX , dem Distrikt XXXX , im Dorf XXXX . Sein Onkel heiße XXXX , seinen Nachnamen kenne der BF nicht. Der Onkel des BF betreibe selbständig, mit einem Partner einen Supermarkt und der BF habe regelmäßig Kontakt zu seinen im Herkunftsland lebenden Familienangehörigen. Solange der Vater des BF am Leben gewesen sei, hätten sie genug Geld gehabt, doch nach dem Tod seines Vaters sei es weniger gewesen, weil dieser, sowie dessen Leute, andere erpresst hätten. Zuletzt habe der BF nach dem Tod seines Vaters in der Provinz XXXX im Distrikt XXXX im Dorf XXXX gelebt. Er habe sich dort eineinhalb Monate aufgehalten und sein Onkel habe ihm geholfen über den Iran Richtung Europa zu reisen. Der BF habe immer in seinem Heimatort gelebt, jedoch drei Jahre in Pakistan die Schule besucht, wobei er in den Ferien zu Hause gewesen sei. Wann genau er Afghanistan verlassen habe, wisse der BF nicht. Der Vater des BF habe ein Eigentumshaus besessen, welches sein Onkel nach dem Tod seines Vaters verkauft habe. Die Mutter des BF lebe seit dem Tod seines Vaters bei seinem Onkel. Bis 18 Uhr sorge die Regierung in der Herkunftsregion des BF für Sicherheit und ab 18 Uhr die XXXX . Der BF habe keine Besitztümer im Herkunftsland und sein Vater sei Mitglied der XXXX gewesen. Die Schwestern des BF seien verheiratet und sein Onkel habe für die Flucht des BF USD 15.000 bezahlt, die er vom Verkauf des Hauses habe.

4.2. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der BF an, dass er zwei Probleme gehabt habe, nämlich ein Politisches und ein Religiöses. Als ältester Sohn seines Vaters habe der BF von ihm lernen müssen und sei oft mit ihm unterwegs gewesen, wobei die Parteimitglieder seines Vaters nur Terroristen gewesen seien. Der Vater des BF sei zusammen mit der Schwester des BF getötet worden. Das Problem des BF sei, dass er viel Zeit mit seinem Vater verbracht habe und bei vielen Besprechungen dabei gewesen sei, weshalb er alle Personen kenne. Der BF wisse nicht, wer seinen Vater getötet habe, ob es die eigenen Leute, die Taliban oder die Regierung gewesen sei. Die eigenen Leute seien es nicht gewesen und hätten die Mitglieder dem BF gesagt, er müsse den Weg seines Vaters weiterführen, oder solle mit seiner Familie weggehen. Der BF sei eine Woche in einem Trainingscamp gewesen, wobei er gelernt habe, wie er eine Waffe zerlege. Jeder habe dann 3-4 Tage frei gehabt, um seine Familie zu besuchen, wobei der BF nach Hause gegangen und nicht mehr zurückgekehrt sei. Der BF habe sich eineinhalb Monate zu Hause versteckt und immer wieder hätten Personen nach ihm gefragt. Der Onkel des BF habe ihm geholfen in den Iran und von dort nach Europa zu flüchten. Das religiöse Problem habe auch mit der XXXX zu tun, weil diese töten und Schulen im Namen XXXX anzünden würden. Weitere Fluchtgründe habe der BF nicht. Er wolle niemanden töten, jeder Mensch habe das Recht auf Leben und wolle der BF auch Freiheiten haben. Damit meine er, er wolle nicht, dass ihm jemand befehle, jemanden zu töten. Hier (Anm.: in Österreich) sei es besser, niemand könne jemandem etwas mit Gewalt antun. Gefragt, warum der BF bei seiner Erstbefragung diesbezüglich nichts vorgebracht habe, gab dieser an, dass er 6 Tage und Nächte unterwegs gewesen sei. Die Dolmetscherin habe ihm befohlen nur seine eigenen Fluchtgründe darzulegen und habe er nicht die ganze Geschichte vorbringen können. Die Dolmetscherin sei damals bei der Polizei laut mit dem BF geworden und habe gesagt, er solle nur seine eigenen Probleme schildern. Sie habe die Geschichte des Vaters des BF nicht hören wollen, sondern lediglich die Fluchtgründe des BF. Der Vater der Dolmetscherin sei bei einer Partei namens „ XXXX “ gewesen und der Vater des BF sei bei den XXXX gewesen. Diese beiden Gruppen hätten sich gehasst. Was für ein Interesse die Dolmetscherin gehabt hätte, nicht alles richtig zu protokollieren, wisse der BF nicht. Sie hätte den BF immer wieder auf seine Probleme hingewiesen und hätte gesagt, dass er älter sei. Befragt dazu, woher der BF wisse, dass der Vater der Dolmetscherin bei dieser Partei (Anm.: „Khalq“) gewesen sei, gab der BF an, hier in die Moschee und beten zu gehen. Er habe sich vorgestellt und gesagt, wer sein Vater sei. Nachdem er gefragt worden wäre, wer seine Dolmetscherin sei, habe er erfahren, dass alle Schwestern (Anm.: der Dolmetscherin) ebenfalls Dolmetscher seien. Sie hätten gefragt, ob er die Fragen gut verstanden hätte und dort habe er das über ihren Vater erfahren. Er besuche die XXXX Moschee in XXXX jeden Freitag. Er besuche gerade diese Moschee, weil in seiner Nähe nur türkische Moscheen seien. Nachgefragt, warum den BF die nachträglich erhaltenen Informationen, nämlich, dass der Vater der Dolmetscherin Mitglied der „ XXXX “ Partei sei, Einfluss auf seine Erstbefragung gehabt haben solle, gab der BF an, dass sie (Anm.: die Dolmetscherin und der BF) sich nicht gekannt hätten und sie eigentlich gut übersetzt hätte. Sie hätte doch nur seinen eigenen Fluchtgrund wissen wollen. Der BF hätte die Geschichte von Anfang an erzählen sollen, doch sie (Anm.: die Dolmetscherin) habe ihm die Zeit nicht gegeben.

Befragt dazu, warum sich der BF in der Moschee vorgestellt habe, wolle er sich doch von den Taten seines Vaters distanzieren und damit nichts zu tun haben, antwortete der BF, dass er sich dort nicht vorgestellt habe, aber es sei eine afghanische Moschee und man müsse EUR 15 bezahlen, um dort Mitglied zu sein. Der BF gehe nur zu den Feiertagen dorthin. Auf Vorhalt der Steigerung seines Fluchtvorbringens gab der BF an, dass sie (Anm.: die Dolmetscherin) gewollt habe, dass er irgendetwas sage, da habe er es einfach gesagt. Er sei 6 Tage unterwegs und sehr müde gewesen. Der BF habe bei der Ersteinvernahme nicht gewusst, was er da unterschreibe und hinterher seien noch 10 weitere Personen gekommen.

Der Vater des BF sei General bei der XXXX gewesen, doch wo sein Arbeitsplatz gewesen wäre, wisse der BF nicht. Sein Vater habe ihm gesagt, dass er für die Regierung gearbeitet habe und er hätte sich zwei bis drei Monate zu Hause versteckt, dann sei er wieder weg gewesen. Welche Funktion sein Vater bei der Regierung ausgeübt habe, wisse der BF nicht. Auch seit wann sein Vater für die Regierung gearbeitet habe, wisse der BF nicht, ebenso wenig, was er dort gemacht habe. Sein Vater hätte ihm nur erzählt, dass er bei der Regierung arbeite und beim XXXX mitmache. Vielleicht habe sein Vater den BF auch belogen, damit er besser dastehe. Der BF habe niemandem erzählen können, was sein Vater gearbeitet habe, es sei eine Schande gewesen und nach seinem Tod hätte man dem BF gesagt, er müsse die Arbeit seines Vaters weiterführen. Die anderen hätten Angst gehabt, der BF würde sie bei der Regierung verraten. Einen Monat habe der BF Unterricht erhalten und gelernt, wie man Regierungsmitglieder töte. Korrigiert gab der BF an, es sei nur eine Woche gewesen und habe er viele religiöse Bücher erhalten. Es sei über seinen Vater gesprochen worden und der BF habe gelernt, wie man mit einer Waffe umgehe. Sie hätten Angst gehabt von der Regierung erwischt zu werden. Nach einer Woche habe der BF sich drei Tage freigenommen, sei zu seiner Mutter gefahren, weil sie Krebs gehabt habe und hätte den XXXX gesagt, dass er dabei sei, damit sie ihn gehen lassen würden. Bevor der BF jemanden habe töten müssen, sei er gegangen. In Afghanistan sei es Tradition, dass jeder Vater seinen ältesten Sohn überall hinnehme, damit er alles lerne. Einmal sei der BF mit seinem Vater in XXXX gewesen, wo sein Vater Meetings gehabt habe. Sein Vater hätte sich gewünscht, dass der BF so werde, wie er. Der BF habe seinen Vater nur dreimal begleitet. Zu Hause habe der BF immer Essen gebracht, wenn andere gekommen seien. Er (Anm.: der Vater des BF) sei immer bewaffnet gewesen. Das Ausbildungscamp sei ebenfalls in XXXX gewesen. Aufgefordert das Camp genau zu beschreiben, führte der BF aus, dass es in einem Wald gewesen sei und es keine Gebäude gegeben habe. Es sei ein Hügel gewesen und XXXX sei eine Hochburg für die Taliban, sowie die XXXX . 5-6 Personen hätten den BF dort kontrolliert, er sei jedoch alleine dort gewesen und hätten sie ihn wegen seines Vaters dorthin mitgenommen. Zu seinem Tagesablauf befragt, führte der BF aus, dass er fünfmal täglich habe beten müssen, vor 6 Uhr morgens den Koran gelesen und Sport getrieben habe. Es habe etwas zu essen gegeben und rauchen sei verboten gewesen. Am Nachmittag hätten sie gelernt, wie man eine Waffe zerlege und schieße. Der BF habe auch eine Waffe mit verbundenen Augen zerlegt, sowie wieder zusammengebaut und sei im Wald ausgesetzt worden, damit er keine Angst habe, alleine im Wald zu sein. Deshalb nehme der BF jetzt auch Medikamente, oft könne er nicht einschlafen. Das Lager sei 80-90 km von seinem Wohnort entfernt gewesen. Der BF sei in das Lager mitgenommen und bedroht worden, wobei sie zu ihm gesagt hätten, er kenne alle wichtigen Menschen und hätten sie Angst gehabt, dass der BF zur Regierung gehe. Der BF habe mitgehen müssen, damit seiner Familie nichts passiere, weil sie gewusst hätten, wo er wohne und ins Dorf gekommen seien, wobei sie mit ihnen Tee getrunken, sowie gesagt hätten, dass der Vater des BF ein guter Mann gewesen sei. Die Mutter des BF habe immer wieder nach Pakistan gehen müssen, um sich behandeln zu lassen, wobei der BF mitgehen habe müssen. Der Bruder des BF sei für diese Leute nicht interessant gewesen. Der BF habe zu ihnen gesagt, er müsse noch eine Nacht bei seiner Familie bleiben und sei am nächsten Tag nach XXXX gefahren, wobei sie dem BF die Augen verbunden hätten. Nach dieser Woche habe der BF 1000 Afghani erhalten, er habe sich darüber gefreut, weil die Fahrtkosten lediglich 100 Afghani betragen hätten und ihm noch 900 Afghani geblieben seien. Nach dem Tod seines Vaters habe sich der BF eine Woche in dem Camp befunden, im Anschluss habe er sich bei seinem Onkel versteckt, weil sie nicht gewusst hätten, wo sein Onkel wohne. Der BF habe seiner Mutter alles erzählt und habe sich ca. einen Monat bei seinem Onkel aufgehalten. Er sei erst nach einem weiteren Monat ausgereist, weil es gedauert habe, bis alles organisiert gewesen sei. Der BF sei minderjährig gewesen und es sei schwer gewesen, ein Visum für den Iran zu erhalten. Befragt dazu, warum sich die gesamte Familie des BF noch im Herkunftsstaat aufhalten könne, gab er an, dass seine Schwestern ein gutes Leben hätten und verheiratet seien, sowie Kinder hätten. Der BF habe seinen Vater zu den Besprechungen begleitet, nicht seine Schwestern, deswegen hätten sie den BF gewollt. Die XXXX wüssten nicht, wo die Mutter des BF wohne, sie sei jetzt alt. Der BF wisse, dass die Regierung seinen Vater habe töten wollen, weil sie (Anm.: die XXXX ) eine Terrororganisation seien und gegen die Amerikaner kämpfen würden. Die Schwester des BF sei mit ihrem Kind, ihrem Ehemann und dem Vater des BF in Pakistan gewesen, als sein Vater verraten worden sei und auf das Auto, in welchem sie alle gesessen seien, geschossen worden sei. Der BF habe das Video von diesem Vorfall. Daraufhin spielte der BF ein Video auf seinem Handy ab, auf dem ein Kind, eine männliche Person und eine weitere Person tot zu sehen seien. Davon existiere ein Video, weil Leute es aufgenommen hätten. Es sei beim Begräbnis gefilmt worden, Afghanen würden das so machen. Das Video habe der BF von seiner Mutter erhalten, weil der BF nicht beim Begräbnis habe sein dürfen. Freunde seines Vaters hätten es aufgenommen, damit der BF nicht gesehen werde, deshalb nehme er auch Medikamente. Der BF könne noch Kommandant XXXX nennen, er sei ursprünglich auf der Provinz XXXX , derzeit wohne er in Pakistan. XXXX arbeite zurzeit durch die Partei in der Regierung. Kommandant XXXX sei aus der Provinz XXXX . XXXX seien zwei Personen unter demselben Namen, einer trage einen roten und einer einen schwarzen Bart. Sie seien hohe Mitglieder und für verschiedene Provinzen zuständig. Es gebe auch noch den Ingenieur XXXX , sein Interview könne man auf Youtube ansehen. Richter XXXX gäbe es auch noch. Der BF habe keine Möglichkeit gehabt sich in eine andere Region seines Herkunftslandes zu begeben, man brauche in Afghanistan viel Geld, der BF wisse nicht, wer das bezahlen und wie er leben solle.

4.3. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte der BF getötet zu werden, weil er eine Woche mit den Leuten dort (Anm.: im Trainingscamp) gewesen, von dort geflüchtet sei und sie verraten habe. Es gäbe sicher Videos von ihm und würde er 5 Jahre lang von der Regierung inhaftiert. Seine Angehörigen könnten weiter in Afghanistan leben, weil die Ehemänner seiner Schwestern arbeiten würden. Der BF habe Probleme mit den XXXX , den Taliban und der Regierung. Er habe Probleme mit den Taliban, weil sie Feinde der XXXX seien, doch sei der BF diesbezüglich nie persönlich belangt worden. Der BF habe keine Probleme mit der Regierung. Er sei eine Woche bei diesen Leuten gewesen, was ein Fehler gewesen sei. Der BF habe in dieser Woche jedoch nichts getan. Damals sei der BF mit diesen Leuten wegen seiner Mutter und seinem Bruder mitgegangen. Sie hätten ihn bedroht, er habe nichts gegen die Regierung gemacht. Straffällig sei der BF im Herkunftsstaat nicht gewesen. Sein Großvater habe XXXX geheißen, vom Stamm der XXXX , er sei bereits verstorben. Er habe in XXXX , seinem Heimatort gelebt und sei bei der Armee gewesen, welchen Rang er gehabt habe, wisse der BF nicht. Die Freundin des BF sei österreichische Staatsbürgerin.

4.4. Der BF brachte erstinstanzlich folgende Unterlagen in Vorlage:

?        Arztbrief vom 06.04.2016 von Dr. XXXX , FA für Kinder- und Jugendpsychiatrie;

?        Befund vom 28.01.2016 des Landesklinikum XXXX Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde;

?        4 handschriftliche Unterstützungserklärungen;

?        Bericht vom 06.04.2016 von der Einrichtung XXXX

?        Bestätigung der Volkshilfe XXXX vom 07.04.2016 über die Absolvierung eines Deutschkurses von 29.11.2015 bis 07.04.2016;

?        Schülerausweis HTL XXXX ;

5. Mit Schriftsatz vom 27.04.2016 nahm der BF durch seine damalige rechtsfreundliche Vertretung Stellung zu den Länderberichten, wobei im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der BF als Sohn eines führenden Parteimitgliedes der XXXX deren Ideologie nicht teile und sich keinesfalls dieser Gruppierung anschließen und Menschen töten wolle. Der BF sei bereits eine Woche in einem Trainingscamp gewesen und habe ein paar Tage nach Hause zurückkehren dürfen, wobei er diese Zeit genutzt habe, um sich zu verstecken und zu fliehen. Überdies wurde auf die UN-Kinderrechtskonvention hingewiesen und vorgebracht, dass das Kindeswohl immer an erster Stelle stehe. Der BF sei noch ein Kind und habe sich Österreich dazu verpflichtet die UN-Kinderrechtskonvention umzusetzen, sowie die Rechte von Minderjährigen besonders zu schützen. In Afghanistan sei dieser Schutz nicht gegeben und müsse eine Kindeswohlprüfung tatsächlich Grundlage der gegenständigen Entscheidung hinsichtlich aller Spruchpunkte sein. Es sei darüber hinaus auf Art. 5 und 10 der Rückführungsrichtlinie Rücksicht zu nehmen, wonach sich ein Mitgliedstaat vergewissern müsse, dass Kinder einem Mitglied der Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Rückkehrstaat übergeben würden. Das Vorbringen des BF sei überdies substantiiert, kohärent, sowie plausibel gewesen und dürfe darauf hingewiesen werden, dass die Minderjährigkeit des BF auch im Rahmen der Glaubwürdigkeitsprüfung beachtet werden müsse. Dazu wurde Judikatur des VwGH zitiert und ausgeführt, dass daraus klar ersichtlich sei, dass es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bedürfe. Der BF sei insbesondere einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt, weil er aus einem Trainingscamp geflohen und nicht mehr dorthin zurückgekehrt sei. Ihm würde daher Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe Familie, sowie der politischen/religiösen Gesinnung drohen, da sich der BF geweigert habe, den Weg seines Vaters weiterzuführen. Diese Verfolgung sei auch im Lichte der Länderberichte glaubwürdig, wobei vorweg zu sagen sei, dass diese sehr allgemein gehalten seien und sich nicht am individuellen Vorbringen des BF orientieren würden. Kinderspezifische Herkunftslandinformationen würden sich darin lediglich in sehr eingeschränktem Maße befinden. Gerade dies sei jedoch Grundvoraussetzung für ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren und werde hinsichtlich erhöhter Ermittlungspflichten in Asylverfahren von Kindern auf beispielhafte Erkenntnisse des Asylgerichtshofes verwiesen. In der Folge wird auf mehrere zusätzliche Berichte betreffend die Gruppierung der XXXX , nämlich den Afghanistan Midyear Report 2015, die Auskunft der SFH Länderanalyse und insbesondere die UNHCR-Richtlinien, verwiesen. Im Lichte der UNHCR-Richtlinie zum internationalen Schutz treffe das dort genannte Risikoprofil auf den BF zu und sei zweifelsohne der Konventionsgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie gegeben. In der Folge wurde Judikatur des VwGH zur Asylrelevanz der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie zitiert. Darüber hinaus sei der BF aufgrund der ihm zumindest unterstellten politische und/oder religiösen Gesinnung einer Verfolgung ausgesetzt, weil er vorgebracht habe, dass er sich geweigert habe, XXXX zu unterstützen. Seine Flucht könne nicht anders ausgelegt werden, als ein politisch bzw. religiös Andersdenkender zu sein. Der BF sei aufgrund seines Aufenthalts in jenem Trainingscamp bereits Opfer einer Zwangsrekrutierung gewesen und sei es notorische Tatsache, dass regierungsfeindliche Gruppierungen, Afghanen, die ihre Unterstützung verweigern, als Feinde betrachten würden. Ein tatsächlicher und effizienter Schutz durch staatliche Behörden sei in Afghanistan nicht gegeben, weshalb der BF einer konkreten Bedrohung ausgesetzt gewesen sei. Aus diesen Gründen wäre dem BF der Asylstatus zuzuerkennen.

Allgemein habe sich auch die Sicherheitslage in Afghanistan seit dem Jahr 2015 wieder verschlechtert und werde außerdem auf das Gutachten des länderkundigen Sachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly anlässlich einer Verhandlung vor dem BVwG am 20.01.2015 zu W119 XXXX verwiesen. Auch auf die Situation von Kindern wurde besonders hingewiesen, wobei der Jahresbericht der UNAMA 2015, ein Afghanistan Update der SFH vom 13.09.2015 und ein ORF Bericht zitiert wurden. Der BF stamme aus XXXX , wo die Sicherheitslage besonders prekär sei und nach den EASO Berichten zu den volatilsten Provinzen Afghanistans gehöre, weil es häufig zu aufständischen Aktivitäten durch regierungsfeindliche Akteure komme. EASO berichte außerdem, dass die Taliban in vielen Gebieten XXXX aktiv sind, zumal die Provinz auf der Strecke nach XXXX gelegen sei. Insgesamt sei eine Rückkehr nach XXXX für den minderjährigen BF unzumutbar. Auch in XXXX habe eine signifikante Verschlechterung der Sicherheitslage stattgefunden, wie aus den Länderberichten hervorgehe, wobei Berichte der SFH aus den Jahren 2012, 2014, sowie 2015, der ANSP Bericht Q4. 2012 und erneut das landeskundliche Sachverständigengutachten von Dr. Sarajjudin Rasuly zitiert wurden. Dem BF sei es nicht zumutbar nach Afghanistan zurückzukehren, weil sich dieser keine Existenzgrundlage aufbauen könne. Der BF habe kein soziales Netz oder Familienangehörige in XXXX und seine Mutter, als einziger lebender Elternteil, lebe in XXXX . Aus der Rechtsprechung des BVwG sowie des ehemaligen Asylgerichtshofes gehe hervor, dass eine Existenzsicherung nur bei Bestehen eines familiären und sozialen Netzwerks am Rückkehrort möglich sei, weshalb gegenständlich keinesfalls davon ausgegangen werden könne, dass der BF seine Existenz sichern könnte. Der BF könne sich aufgrund seiner bisherigen Lebenserfahrung seinen Lebensunterhalt nicht sichern, weil er weder Berufsausbildung, noch Berufserfahrung habe. Dazu werde auf ein Erkenntnis des BVwG aus dem Jahr 2014 verwiesen. Der BF hätte bei einer Rückkehr niemanden, der ihn unterstützen könne, eine Wohnung oder Arbeit zu finden. Mangels Berufsausbildung und Berufserfahrung würde er auf dem schlechten Arbeitsmarkt in XXXX keine Arbeitsstelle finden und stünde ihm ohne familiäres oder soziales Netzwerk kein sicherer Aufenthaltsort für die Nacht zur Verfügung. Aufgrund der Tatsache, dass der BF keine Anknüpfungspunkte in XXXX habe und aufgrund seiner individuellen Umstände, sei eine Ausweisung sowie eine Abschiebung nach Afghanistan im Rahmen von Art. 3 EMRK nicht zulässig und dem BF wäre jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren.

6. Am 14.10.2016 wurde die Dolmetscherin der Ersteinvernahme des BF aufgefordert hinsichtlich der vom BF vorgebrachten Behauptungen betreffend ihre Person und die ihres Vaters, eine Stellungnahme abzugeben, wobei sie zusammenfassend ausführte, dass es richtig sei, dass die „ XXXX “ Partei bzw. die kommunistische Volkspartei und die XXXX gegensätzliche politische Gesinnungen seien. Sie wolle klarstellen, dass weder sie, noch ihr Vater in Afghanistan oder Österreich Anhänger der kommunistischen Volkspartei seien oder jemals gewesen wären. Sie würden auch mit dieser Partei nicht sympathisieren und hege ihr Vater keine Feindschaften, weder in Afghanistan, noch abseits davon, welche die Dolmetscherin austrage. Die politische Gesinnung eines Familienmitgliedes habe weder mit der Person der Dolmetscherin, noch mit ihrer Arbeit zu tun und lege sie als amtsbekannte Dolmetscherin viel Wert auf professionelles Arbeiten, wozu sie auch die strikte Trennung von Beruflichem und Privatem zähle. Es mache den Anschein, als sei der BF bei seiner Erstbefragung überfordert gewesen und hätte ein Problem damit gehabt, dass eine moderne, afghanische Frau für eine staatliche Behörde arbeite. Es sei dabei wichtig zu wissen, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Frauenbild vieler Menschen aus Afghanistan und dem Frauenbild in Österreich gebe. Sie sei vermutlich die erste Landsfrau, die er ohne Ganzkörperverschleierung und auch noch bei öffentlicher Arbeit für eine staatliche Behörde, außerhalb des Hauses, gesehen habe. Es sei auch die Information mitgeteilt worden, dass die Schwestern der Dolmetscherin arbeiten würden, weshalb sie davon ausgehe, dass wahrscheinlich auch Informationen über die Tätigkeit ihrer Mutter ausgetauscht worden seien. Die westlich, liberale Einstellung von Personen ihrer Familie, sei für Menschen aus streng konservativen Verhältnissen sehr irritierend und werde dies in der Folge auch als abwertend empfunden. In diesem Fall werde dem Familienoberhaupt, dem Vater der Dolmetscherin, die Schuld gegeben und man erkläre dieses „moderne“ und „arbeitsorientierte“ Verhalten mit einer Zugehörigkeit zu einer Arbeiterpartei, also mit einer kommunistischen, politischen Gesinnung. Die Äußerungen des BF seien haltlos und würden sich auf Hörensagen beziehen. Sie als Dolmetscherin stelle auch nicht die Fragen, sondern sei nur dafür zuständig Fragen nach bestem Wissen und Gewissen zu übersetzen. Das Vorbringen des BF würde implizieren, dass sie die Fragen stelle, was inkorrekt sei, weil in jeder Einvernahme Fragen eines Exekutivbeamten bzw. eines Leiters der Amtshandlung gestellt würden. Überdies liege für Erstbefragungen ein vorgefertigtes Formular vor und sei es üblich, dass Polizisten und Referenten darauf hinweisen, dass man seine eigenen Fluchtgründe vorbringen müsse und nicht die seiner Familie. Es sei auch gewöhnlich, dass Asylwerber, die nicht dem angegebenen Alter entsprechen würden, bewertet würden, um auf die Wahrheitspflicht hinzuweisen. Man müsse sich vorstellen, dass diese Menschen aus anderen Verhältnissen kommen und meist mit dem System in Österreich überfordert seien. Die Dolmetscherin wolle darauf hinweisen, dass sie stets eine neutrale Stellung beziehe und sie ihre langjährige Erfahrung, Professionalität und Kompetenz auszeichne, die sie seit Jahren bei den Behörden unter Beweis stelle und für die sie auch geschätzt werde.

7.1. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 11.01.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

7.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zur Lage in seinem Herkunftsstaat und führte rechtlich aus, dass die Ausführungen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft gewesen seien bzw. diese keine Asylrelevanz hätten. Es hätte keine Verfolgung im Konventionssinn glaubhaft gemacht werden können. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr eine Verfolgung drohen würde. Er könnte in XXXX leben und seinen Lebensunterhalt bestreiten, dort verfüge er auch über seine Schwestern. Der BF sei jung, gesund und verfüge über eine mehrjährige Schulausbildung, weshalb es ihm möglich wäre, sich beispielsweise in XXXX eine neue Lebensgrundlage aufzubauen.

7.3. Beweiswürdigend führte das BFA im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus, dass der BF bei seiner Einvernahme vor dem BFA eine völlig andere Fluchtgeschichte präsentiert habe, als bei seiner Erstbefragung. Der BF sei insgesamt nicht glaubwürdig, weil er bei seiner Einvernahme vor dem BFA, befragt dazu, warum er die Thematik der Zwangsrekrutierung durch Mitglieder der XXXX bei der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt habe, angab, er sei 6 Tage sowie Nächte unterwegs gewesen und die Dolmetscherin hätte ihm befohlen nur seine eigene Fluchtgeschichte zu erzählen. Konkret habe der BF auch nicht logisch nachvollziehbar ausführen können, welches Interesse die langjährig amtsbekannte Dolmetscherin gehabt hätte, seinen Fluchtgrund nicht vollständig bzw. unrichtig zu übersetzen. Darüber hinaus habe der BF unverständlich angegeben, dass sein Vater nicht nur für die XXXX , sondern auch für die Regierung gearbeitet habe, wobei der BF zur beruflichen Tätigkeit seines Vaters nur sehr vage Angaben gemacht habe. Der BF sei nicht in der Lage gewesen darzulegen, welche Aufgaben andere Personen der Partei innegehabt hätten, obwohl der BF selbst vorbrachte, bei mehreren Treffen dabei gewesen zu sein. Insgesamt seien die Angaben des BF vage und allgemein gewesen. Überdies seien auch die Angaben zum Tod seines Vaters unkonkret gewesen und habe der BF die genauen Hintergründe, auch hinsichtlich des vorgespielten Videos, nicht logisch nachvollziehbar erklären können. Betreffend das vom BF besuchten Trainingscamp verstrickte sich dieser in Widersprüche, indem er zunächst angab, dort ein Monat, dann doch nur eine Woche dort gewesen zu sein. Aus der vorgebrachten Zwangsrekrutierung könne überdies keine persönliche Gefahrensituation erkannt werden, hätte der BF doch mit diesen Personen zu Hause Tee getrunken und darum gebeten, erst am nächsten Tag in das Camp fahren zu müssen. Nach seiner Flucht sei es dem BF auch möglich gewesen, noch ca. einen Monat unbehelligt im Heimatland zu leben, wobei es keinerlei Vorfälle gegeben hätte. Am Ende der Einvernahme habe der BF im Übrigen sein Vorbringen gesteigert, in dem er angab, bei einer Rückkehr auch einer Gefährdung durch die Taliban ausgesetzt zu sein, weil diese Feinde der XXXX seien, wobei der BF dazu keine weiteren logisch nachvollziehbaren Angaben gemacht hätte. Insgesamt konnte trotz Berücksichtigung der Minderjährigkeit des BF keine asylrelevante Verfolgung der BF iSd GFK festgestellt werden. Dem BF wäre es möglich sich in XXXX niederzulassen, zumal er dort über zwei Schwestern mitsamt deren Familien verfüge. Außerdem sei der BF jung, gesund, arbeitsfähig, verfüge über eine 12-jährige Schulausbildung und spreche Englisch. Er könne Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und sei insgesamt anzunehmen, dass ihm der Aufbau einer Zukunft in XXXX zuzumuten und er sich aus eigenen Kräften den Lebensunterhalt verdienen könnte, weshalb dem BF in einer Gesamtschau auch keine Gefahren drohen, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden.

7.4. Die belangte Behörde kam zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat geltend gemacht hätte. Es ergebe sich auch keine Gefährdungslage nach § 8 AsylG und erscheint eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar.

7.5. Demnach – so die belangte Behörde – könnte der vom Beschwerdeführer behauptete Fluchtgrund nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und in weiterer Folge zur Gewährung des Asylstatus führen. Aus seinem Vorbringen sei nichts ersichtlich, das im Falle ihrer Rückkehr, insbesondere nach XXXX , eine unmenschliche Behandlung oder existenzbedrohende Notlage erkennen lassen würde. Es seien im Verfahren keine Ansatzpunkte einer besonderen Integration des Beschwerdeführers in Österreich hervorgekommen, zumal dieser zwar einen Deutschkurs besuche, doch weder ausreichend Deutsch spreche, noch selbsterhaltungsfähig sei, keine privaten Bindungen im Bundesgebiet habe und erst seit kurzer Zeit in Österreich aufhältig sei, sodass eine Rückkehrentscheidung insgesamt zulässig sei.

8. Mit Verfahrensanordnung vom 11.01.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

9. Mit fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz vom 20.02.2017, eingelangt bei der belangten Behörde am selben Tag, wurde für den BF durch seinen damaligen rechtsfreundlichen Vertreter das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid des BFA, zugestellt am 23.01.2017, in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger Tatsachenfeststellung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und unrichtiger Beweiswürdigung erhoben.

Begründend wurde beschwerdeseitig ausgeführt, dass der BF im Alter von 16 Jahren in Österreich einen Asylantrag gestellt habe und ursprünglich aus der Provinz XXXX stamme. Sein Vater, seine Schwester und deren Familie seien im Frühling 2015 von einem Mitglied der XXXX getötet worden, weil sein Vater einer terroristischen Gruppierung in XXXX angehört habe. Da der BF die Dolmetscherin für befangen gehalten habe, habe der BF auf Englisch handschriftlich eine Eingabe verfasst, auf die nun verwiesen werde. Der BF habe sein Heimatland auch aufgrund der prekären Sicherheitslage in Afghanistan verlassen. Die Furcht des BF vor Verfolgung durch radikale XXXX , sei unmittelbar ihn betreffend und politisch religiös, da diese ihn als Nachfolger seines Vaters rekrutieren, sowie Macht in Afghanistan erlangen wollen würden. Die belangte Behörde habe die dem BF drohende Gefahr bei einem der zahlreichen Anschläge in XXXX oder seiner Heimatprovinz XXXX ums Leben zu kommen, seine Furcht vor der XXXX , sowie deren Gegner verkannt. Insbesondere habe sie auch die aussichtslose Lage als Minderjähriger in Bezug auf seine Lebensgrundlage verkannt. In XXXX herrsche eine fragliche Sicherheitslage und würden die Taliban in verschiedenen Distrikten operieren. Aus den Länderberichten ergebe sich auch die mangelnde Schutzwürdigkeit des Staates in vielfacher Weise. Die Zentralregierung habe nur eingeschränkte Herrschaftsgewalt und existiere somit keine effektive staatliche Ordnungsmacht, sodass Zivilisten ungehindert Angriffen der Taliban ausgesetzt seien. Auch Rückkehrer aus dem Westen stünden im Visier der Taliban. Der BF sei vielfältiger individueller Gefahr im Herkunftsstaat ausgesetzt: Zwangsrekrutierung, Entführung bis hin zur Ermordung durch Mitglieder der XXXX , afghanischen Regierungskräften, tödlicher Beteiligung an Kampfhandlungen, sowie auch aufgrund der prekären Allgemeinlage, ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt, unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu sein. Die vorgebrachten Fluchtgründe würden ein relevantes Intensitätsausmaß darstellen, das als Verfolgung iSd GFK zu sehen ist. Auch in XXXX fänden nahezu täglich sicherheitsrelevante Vorfälle statt. Dass der BF in Afghanistan über eine Lebensgrundlage verfüge, könne nicht als gesichert gelten. Für Minderjährige würde es weder adäquate staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen, ebenso wenig staatliche soziale Sicherungssysteme geben. Das Bundesamt habe insgesamt trotz hoher Vulnerabilität Minderjähriger, nicht die Minderjährigkeit des BF hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes berücksichtigt. Es habe die Tatsache außer Acht gelassen, dass der BF als Minderjähriger in Afghanistan einer umso höheren, qualifizierten und somit asylrelevanten Gefahr ausgesetzt sei. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde drohe dem BF daher eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK und der Zusatzprotokolle Nr. 6 und Nr. 13. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien nicht in der Lage Ruhe und Ordnung durchzusehen, sie seien vielmehr von Taliban infiltriert. Die Berichte des Bundesamtes sprächen ebenfalls von einer Verschlechterung und Ausweitung des Konfliktes in Afghanistan. Durch eingeschränkte Zugänglichkeiten vieler Distrikte würden humanitäre Maßnahmen unmöglich. Eine Ausweisung aus Österreich würde nicht dem Kindeswohl entsprechen und habe sich Österreich durch die Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung verpflichtet das Kindeswohl bei allen Maßnahmen vorranging zu beachten.

In Österreich werde der BF adäquat versorgt und betreut, er besuche Deutschkurse und habe die Möglichkeiten Bildungschancen wahrzunehmen. Überdies habe er eine österreichische Freundin, mit der er sich in einer festen Beziehung befinde und einen Verwandten in Österreich. Bei richtiger Interessenabwägung hätte das BFA zum Ergebnis gelangen müssen, dass das persönliche Interesse des BF am Verbleib in Österreich gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung überwiege. In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge dem BF unter Anberaumung einer mündlichen Verhandlung 1.) den Status eines Asylberechtigten zuerkennen; 2.) bei Abweisung des obenstehenden Antrags subsidiären Schutz gewähren; 3.) bei mangelnder Gewährung subsidiären Schutzes einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; 4.) die Rückkehrentscheidung hinsichtlich des Herkunftsstaates Afghanistan ersatzlos aufheben; sowie 5.) feststellen, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan unzulässig ist. Als Beilage angefügt ist eine mehrseitige, handschriftliche, persönliche Erklärung des BF in englischer Sprache.

10. Die Beschwerdevorlage vom 24.02.2017 und der Verwaltungsakt langten beim Bundesverwaltungsbericht (BVwG) am 28.02.2017 ein.

11. Mit Schriftsatz vom 29.05.2018 brachte der damalige rechtsfreundliche Vertreter des BF eine Beschwerdeergänzung ein, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wird, dass der BF sein Vorbringen steigerte, zumal er in der Erstbefragung keine Aussagen bezüglich der XXXX Partei getätigt habe. Dem sei entgegenzuhalten, dass sich der BF aufgrund der Aufforderung der Dolmetscherin, nur seine eigenen Fluchtgründe vorzubringen, lediglich auf die Fluchtgründe bezogen habe, die mit keiner weiteren Person in Zusammenhang stünden. Dabei habe es sich um ein Missverständnis gehandelt, weil der BF davon ausgegangen sei, dass er nur über sich berichten dürfe, aber nicht über Dritte. Er habe missverstanden, dass sich die Dolmetscherin auf alle Gründe, die ihn dazu bewegt hätten, sein Heimatland zu verlassen, bezogen habe. Die belangte Behörde halte es überdies für nicht nachvollziehbar, dass der BF so wenig über die Arbeit seines Vaters wisse. Dem ist entgegenzuhalten, dass der BF selbst angegeben habe, dass er sich nicht sicher sei, ob sein Vater wirklich bei der Regierung gearbeitet habe, oder ob dies nur eine Lüge gewesen sei, um seine wirkliche Tätigkeit vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Der Vater des BF habe dies zu ihm gesagt und sei es nicht zulässig dem BF aus diesem Grund die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Der BF habe auch mehrere Personen der Partei namentlich aufgezählt, weshalb das Argument, der BF hätte nicht gewusst, wie die hohen Tiere der Partie hießen, ins Leere gehe. Überdies könne der BF nur Vermutungen anstellen, wer den Anschlag auf seinen Vater verübt habe. Die belangte Behörde erwecke jedoch den Anschein, als würde sie den Angaben des BF prinzipiell nicht glauben. Sofern das BFA es als unlogisch empfinde, dass sich der BF geirrt habe und einmal, statt von einer Woche Aufenthalt von einem Monat gesprochen habe, sei dem zu entgegnen, dass sich der BF lediglich einmal versprochen habe und er diesen Versprecher bereits im nächsten Satz korrigiert habe. Aufgrund der Nervosität, handle es sich dabei um keine besondere Auffälligkeit und keineswegs um ein Argument, das gegen die Glaubwürdigkeit des BF sprechen könnte. Wenn die belangte Behörde sich nicht vorstellen könne, wie der Aufenthalt des BF im Camp ausgesehen habe, wäre es ihre Aufgabe gewesen, nachzufragen, sofern sie die Schilderungen für zu wenig detailliert und vorstellbar gehalten habe. Halte die belangte Behörde es für unlogisch, dass der BF mit den XXXX Tee getrunken habe, sei anzumerken, dass ihn sein Vater bereits mehrmals zu Besprechungen mitgenommen habe und für die Partei klar gewesen sei, dass der BF die Aufgaben seines Vaters übernehmen würden, weshalb dieses Argument keinen Widerspruch darstelle. Die Partei habe überdies kein Interesse an den weiblichen Familienmitgliedern, weil sie nicht als Kämpferinnen rekrutiert werden könnten, weshalb es nicht unlogisch sei, dass die Mutter des BF ohne Gefährdung durch die XXXX im Herkunftsstaat lebe. Außerdem sei es logisch, dass die Taliban einen Grund hätten, gegen den BF vorzugehen, weil dessen Vater einer feindlichen Partei angehört habe.

In der Folge wurde noch auf das Gutachten von Friederike Stahlmann verwiesen, welches vom 28.03.2018 stamme und Ende April veröffentlicht wurde, weshalb es bisher nicht in das Verfahren eingebracht werden konnte. Hiermit solle es in das Verfahren eingebracht werden. Der BF habe sich überdies sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert, habe vielfach Anstrengungen unternommen und spreche sehr gut Deutsch. Er habe seinen Aufenthalt genützt freundschaftliche und soziale Kontakte aufzubauen, weshalb beantragt werde die Vertrauensperson XXXX , geb. XXXX in einer allfälligen mündlichen Verhandlung als Zeugin zum Beweis für die Integrationsbemühungen des BF zu laden.

12. Mit Ladung vom 24.03.2021 übermittelte das BVwG dem Beschwerdeführer eine Auflistung der aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan, mit der Information, dass es beabsichtigt seiner Entscheidung diese Feststellungen zu Grunde zu legen. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen 10 Tagen einlangend schriftlich Stellung zu nehmen, wovon die Beschwerdeseite keinen Gebrauch machte.

13. Mit Schriftsatz vom 06.04.2021 übermittelte das BVwG das neue Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Afghanistan mit der Möglichkeit binnen einer Woche einlangend schriftlich Stellung zu nehmen, wovon die Beschwerdeseite keinen Gebrauch machte, oder sich dazu in der Verhandlung mündlich zu äußern.

14. Am 08.04.2021 fand vor dem BVwG unter der Beiziehung eines dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetschers für DARI eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

Die Niederschrift lautet auszugsweise:
„[…]

RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, sowie Ihren Wohnort in Ihrem Herkunftsstaat an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.

BF: Ich heiße XXXX mit Nachnamen. Ich bin am XXXX in der Provinz XXXX , in XXXX , XXXX geboren. Das war auch meine letzte Adresse, XXXX . Ich bin afghanischer Staatsangehöriger.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Meine Muttersprache ist Dari, ich bin sunnitisch und Tadschike.

RI: Haben Sie Dokumente aus Ihrem Herkunftsstaat, welche Ihre Identität beweisen? Wenn ja, welche? Und zählen Sie sie bitte auf.

BF: Ich persönlich hatte nur eine Tazkira. Unterwegs hat das der Schlepper abgenommen.

RI: Hatten Sie jemals einen Reisepass?

BF: Ja.

RI: Was ist mit dem passiert?

BF: Der Schlepper hat alles abgenommen.

RI: Sie hatten eine Tazkira und einen Reisepass, alles wurde abgenommen?

BF: Richtig. Denn, ohne Reisepass kann man nicht aus Afghanistan ausreisen.

RI: Haben Sie irgendwelche Kopien, Ablichtungen des Reisepasses?

BF: Nein.

RI: Wann haben Sie diesen Reisepass beantragt, wann ist er ausgestellt worden?

BF: Anfang 2015. Diesen Reisepass hat mein Onkel ms. (mütterlicherseits) beantragt und auch erhalten.

RI: Haben Sie sich außer an dem von Ihnen angegebenen, letzten Wohnort im Afghanistan auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?

BF: Nein, nur dort habe ich gelebt.

RI: Sie haben vor dem BFA bei Ihrer Einvernahme am 11.04.2016 angegeben, drei Jahre in XXXX , in Pakistan zur Schule gegangen zu sein, ich nehme an, Sie haben auch dort gelebt?

BF: Weil Sie gefragt haben, wo ich in Afghanistan sonst gelebt habe.

RI: Ich habe gefragt: „Haben Sie sich außer an dem von Ihnen angegebenen, letzten Wohnort im Afghanistan auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?“

BF: Es tut mir leid, ich habe Afghanistan damit gemeint.

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie bisher ausgeübt? Sowohl im Herkunftsstaat als auch in Österreich sowie auch in Pakistan. Bitte einen möglichst chronologischen Ablauf.

BF: Die ersten drei Klassen habe ich zu Hause gelernt. Als ich in der neunten Schulstufe war bin ich nach Pakistan gegangen und die letzten drei Jahre habe ich in Pakistan gelebt, in Pakistan, XXXX . Im Jahre 2017 habe ich die HTL in XXXX besucht. Das war quasi eine Vorbereitung für die Hauptschule. Seit September 2019 besuche ich die Tourismusschule XXXX .

RV legt vor:

-        ein Zeugnis zur Integrationsprüfung des BF vom 21.09.2018, Sprachniveau B1,

-        zwei Jahreszeugnisse des BF der höheren Bundeslehranstalt für Tourismus, XXXX aus den Schuljahren 2019/2020 und 2020/2021,

-        ein Praktikantenarbeitsvertrag der Tourismusschule XXXX für den Zeitraum Juli bis September 2021 vom 30.03.2021,

-        ein Praktikantenarbeitsvertrag mit der Tourismusschule XXXX für den Zeitraum 1. Juni bis 31. August 2020, vom 28.05.2020 sowie die entsprechenden Lohnzetteln, Gehaltsabbrechnungen und Arbeitsbescheinigungen,

-        ein Vorvertrag dem BF betreffend vom 30.03.2021 zwischen XXXX und dem BF für den Fall einer entsprechenden Aufenthaltsberechtigung des BFs;

Die Unterlagen werden in Kopie zum Akt genommen.

RI: Betreffend Vorvertag: D. h., Sie würden schon in die Arbeitswelt einsteigen. Haben Sie Ihre Ausbildung bei der Tourismusschule schon abgeschlossen?

BF: Ich kann dort Teilzeit arbeiten, wenn ich Dokumente habe, kann ich Teilzeit arbeiten und nebenbei die Schule machen.

RI: Wie viele Jahre brauchen Sie noch, um die Tourismusschule abzuschließen?

BF: Ein Jahr und zwei, drei Monate. Im Juli schließe ich das zweite Lehrjahr ab und im September beginnt das dritte Lehrjahr und dann bis Juli.

RI: Wenn Sie Sie die Schule abgeschlossen haben, haben Sie dann einen Lehrabschluss oder die Matura, welchen Ausbildungsstand haben Sie dann?

BF: Ich habe dann eine dreijährige Ausbildung im Bereich Hotellerie. Ich kann dann im Bereich Tourismus und Gastronomie, z. B. im Service oder in der Küche arbeiten.

RI: Wenn ich mir Ihr Semesterzeugnis 2020/2021 anschaue sehe ich, dass Sie in vier Fächern ein „nicht genügend“ haben. Besteht für Sie überhaupt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie das Jahr positiv abschließen werden?

BF: Ich kann eine Wunschprüfung…

RI: Was ist eine „Wunschprüfung“?

BF (teilweise auf Deutsch): Zur „Wunschprüfung“ gehört freiwillige Mitarbeit, freiwillige Hausübungen und so eine kleine mündliche Prüfung. Wenn man das nicht schafft, dann hat man immer noch die Möglichkeit einer Nachprüfung.

RI: In vier Gegenständen mit „nicht genügend“ ist es schwer durchzukommen.

BF: Ich brauche nur 2, 3 %, ich habe mich schon für die Semesterprüfung angemeldet.

RI: Von wann bis wann haben Sie in XXXX , Pakistan, gelebt und warum sind Sie gerade dort zur Schule gegangen?

BF: Ungefähr Ende 2011 bis ca. September 2014 war ich dort. In Afghanistan gibt es die Möglichkeit Auslandsklassen zu besuchen. Man muss sich dafür anmelden. Man muss aber wieder zurückkehren und dort kann man in einem Internat leben.

RI: Welche Art von Schule war das in XXXX und haben Sie diese abgeschlossen? Wenn ja, wann?

BF: Die Schule war eine FSC, die letzten zwei Jahre waren wie ein College. In Pakistan, von der ersten Klasse bis zur zehnten Klasse heißt „Schule“ und elfte und zwölfte Klasse heißt „College“.

RI: Haben Sie jemals eine Universität besucht?

BF: Nein.

RI: VORHALTUNG: Sie haben vor der klinisch-forensischen Untersuchungsstelle des Ludwig-Boltzmannsinstituts in Graz im Beisein eines Übersetzers angegeben (AS 73), dass Sie im Herkunftsstaat 12 Jahre eine Schule besucht hätten, 2 Jahre davon eine Universität. Wieso weicht Ihre Angabe von dem Bisherigen ab.

BF: Nein, ich habe vielleicht einen Fehler gemacht. Ich habe so gemeint, dass die Schule – die insgesamt 12 Jahre ist – bis zur neunten Klasse in Afghanistan besucht habe und die restlichen 3 Jahren in Pakistan.

RI: Waren Sie jemals an einer Universität?

BF: Nein.

RI: Bis zu welchem Datum genau haben Sie in XXXX gelebt?

BF: Es war Ende 2014, genau kann ich es nicht sagen. Nach den Prüfungen bin ich nach Afghanistan zurückgekehrt.

RI: D. h. Sie haben die Schule abgeschlossen?

BF: Ja, dort.

RI: Wann sind Sie aus dem Herkunftsstaat ausgereist?

BF: Richtung Österreich meinen Sie?

RI: Ja.

BF: Es war im 4. oder 5. Monat im Jahr 2015.

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zurzeit in Afghanistan und in welcher Stadt?

BF: Meine Mutter und meine Onkel ms. leben alle in XXXX . Meine Onkel und Tanten vs. (väterlicherseits) leben in XXXX .

RI: Was ist mit Ihrem Bruder und Ihre Schwestern?

BF: Meine Schwestern sind alle verheiratet und leben in XXXX . Meine älteste Schwester lebt in London. Mein Bruder ist derzeit in XXXX .

RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie im Afghanistan und wenn ja wie regelmäßig?

BF: Ich bin mit meiner Familie, mit meinem Bruder und Schwestern in Kontakt. Je nachdem einmal im Monat oder einmal pro Woche.

RI: Wie halten Sie Kontakt?

BF: Über „Whats App“.

R: Zwischen einmal in der Woche und einmal im Monat.

BF: Es hängt von mir ab.

RI: Wie geht es Ihrer Mutter gesundheitlich?

BF: Gut.

RI: Welche Art von Krebs hatte Ihre Mutter bei Ihrer Abreise aus Afghanistan und seit wann ist sie davon genesen?

BF: Sie hatte Brustkrebs. Das war vor 10 Jahren, jetzt geht es ihr gut. Aber trotzdem geht sie alle 6 Monate zu einer Untersuchung.

RI: Seit wann ist der Krebs bei ihr geheilt?

BF: Seit 7, 8 Jahren.

RI: Wie finanziert Ihre im Afghanistan lebende Familie ihren Unterhalt?

BF: Wir haben Grundstücke und ein Haus. Mein Onkel ms. hilft auch. Meine Mutter ist ja die Schwester von meinem Onkel. Der Onkel unterstützt auch meine Mutter.

RI: Haben Sie Verwandte, die außerhalb von Afghanistan leben? Wenn ja, wo?

BF: Mein Schwager, der in Österreich gelebt hat, jetzt lebt er in England, London und meine Schwester auch.

RI: Wie heißt Ihre Schwester?

BF: Meine Schwester heißt XXXX .

RI: Wann hat Ihre Schwester XXXX Afghanistan verlassen?

BF: Vor 2 oder 3 Monaten.

RI: Wann hat Ihr Schwager Österreich verlassen?

BF: Vor 2 Jahren.

RI: Wie lang hat Ihr Schwager in Österreich gelebt?

BF: 16 oder 17 Jahre lang, so genau weiß ich es nicht.

RI: Wieso hat Ihr Schwager 16 Jahre in Österreich gelebt und Ihre Schwester XXXX , die mit ihm verheiratet war, bis vor 2, 3 Monate in Afghanistan?

BF: Ich kann nicht sagen, das war seine Entscheidung, es war sein Leben. Es war seine Entscheidung.

RI: D. h., er hat 14 Jahre in Österreich ohne seine Ehefrau gelebt?

BF: Am Anfang war er ledig. Erst seit 9 Jahren ist er verheiratet.

RI: Haben Sie Verwandte, welche sich zurzeit im Bundesgebiet aufhalten?

BF: Nein.

RI: Welchen Aufenthaltsstatus hatte Ihr Schwager im Bundesgebiet?

BF: Er hat die österreichische Staatsbürgerschaft.

RI: Wie hat Ihr Schwager Ihre Schwest

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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