TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/29 W192 2180308-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.04.2021
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Entscheidungsdatum

29.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W192 2180308-2/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Christian SCHMAUS, Rechtsanwalt in 1060 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019, Zahl: 1095399601-151806952, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.12.2020 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 19.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 19.11.2015 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, an keinen Krankheiten zu leiden und der Einvernahme ohne Probleme folgen zu können. Er gehöre der paschtunischen Volksgruppe sowie dem moslemisch-sunnitischen Glauben an, stamme aus der Provinz Maidan Wardak und sei zuletzt als Security bei der UN tätig gewesen. Im Herkunftsstaat oder einem Drittstaat hielten sich seine Mutter, ein Bruder, zwei Schwestern, seine Ehefrau und seine vier minderjährigen Kinder auf. Der Beschwerdeführer habe seine Heimat rund 45 Tage zuvor illegal Richtung Iran verlassen, von wo aus er schlepperunterstützt über eine näher dargestellte Route nach Österreich weitergereist wäre. Afghanistan habe er aufgrund der zunehmend schlechten Sicherheitslage verlassen. Die Taliban und die Daesh würden unschuldige Menschen entführen, die bei ausländischen Unternehmen oder Organisationen arbeiten würden. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, getötet zu werden.

Mit Eingabe vom 15.01.2016 wurde durch den damaligen rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers eine Stellungnahme zur allgemeinen Lage in Afghanistan eingebracht, in welcher auf die dort nach wie vor prekäre und durch Gewalttaten der Taliban und des IS geprägte Sicherheitslage verwiesen wurde.

Am 11.10.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Beisein seines gewillkürten Vertreters einvernommen. Dabei brachte der Beschwerdeführer eingangs vor, sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen; gesundheitlich fühle er sich ok, doch bekomme er bei Stress manchmal Atemnot. Der Beschwerdeführer sei traditionell verheiratet und habe mittlerweile fünf Kinder. Seine Familienangehörigen würden unverändert in Afghanistan leben. Der Beschwerdeführer habe im Herkunftsstaat zunächst als Schneider gearbeitet, in der Folge sei er bei der UN und schließlich in einem Gewächshaus tätig gewesen. Er habe zwölf Jahre lang die Schule besucht und im Anschluss Buchhaltung gelernt.

Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, er habe in Afghanistan zunächst ein gutes Leben gehabt, bis im Jahr 2013 die Taliban zu ihm nach Hause gekommen wären, welche gewollt hätten, dass er mit ihnen kooperiere. Sie hätten Geld von ihm verlangt und gewusst, dass er „für die Ausländer“ arbeiten würde. Der Beschwerdeführer hätte die Möglichkeit schaffen sollen, dass sie „bei den Ausländern“ eindringen und ihre Interessen vorantreiben. Der Beschwerdeführer habe sofort gewusst, dass er nicht mitmachen wolle, hätte den Taliban jedoch mitgeteilt, dass er darüber nachdenken werde. Es sei etwa ein Monat vergangen, in dem er die Leute nicht mehr gesehen hätte. Dann sei er in eine Moschee geladen worden, in welcher viele Mitglieder der Taliban gewesen wären, welche mit ihm darüber gesprochen hätten, welche Pläne er habe und wie er sie unterstützen könnte. Der Beschwerdeführer habe erwidert, dass seine Mutter krank wäre und er drei Kinder hätte, weshalb er nicht helfen könne. Die Taliban seien dann sehr beleidigt und aggressiv dem Beschwerdeführer gegenüber gewesen und hätten ihm gedroht, diesen, genauso wie die Ausländer, umzubringen. Nach diesem Tag hätte der Beschwerdeführer große Angst gehabt; er habe versucht, sich zu verstecken und den Kontakt zu Menschen, mit Ausnahme der Teilnahme an wichtigen Ereignissen wie Hochzeiten und Beerdigungen, gemieden. Im Jahr 2015 sei er auf dem Nachhauseweg von den Taliban aufgehalten worden und hätte panische Angst gehabt, dass sie ihn sofort umbringen oder entführen würden; sie hätten ihn schwer beleidigt und ihm Vorwürfe gemacht. Der Beschwerdeführer hätte erwidert, dass er Landwirt sei und nicht helfen könne; sie hätten gesagt, dass ein Spion für die Ausländer immer ein solcher bleiben und der Beschwerdeführer lügen würde. Sie hätten gesagt, er solle den Mudschaheddin helfen, andernfalls würden sie ihm den Kopf abschneiden. Sie hätten auch Geld von ihm verlangt. Der Beschwerdeführer habe dann nach Hause gehen dürfen, es sei ihm jedoch mitgeteilt worden, dass sie wieder zu ihm kommen würden. Zwei Tage später sei ein Brief bei ihm zu Hause eingetroffen, in welchem gestanden wäre, dass jeder, der für die Ausländer arbeite, getötet werden müsse; außerdem sei in dem Brief gefordert worden, dass er 500.000 Afghani (ca. 9.000 USD) zahle, andernfalls würde er umgebracht werden. Als er das gelesen hätte, habe er flüchten müssen und hätte sich in der selben Nacht gegen 2 Uhr auf den Weg nach Kabul gemacht, von wo aus er nach Nimroz weitergereist wäre und Afghanistan schließlich endgültig verlassen hätte. Zwei andere Personen, welche ebenfalls einen derartigen Brief erhalten hätten, seien getötet worden.

Der Beschwerdeführer habe von Ende November 2004 bis Mai 2013 bei der UN gearbeitet. Zunächst hätte er als Wächter gearbeitet, in weiterer Folge hätte er Karriere gemacht und als Dolmetscher oder als Verbindungsmann für die Security gearbeitet. Jene Tätigkeit habe er beendet, da sein Vertrag nicht mehr verlängert worden wäre. Der UN-Stützpunkt, an welchem er gearbeitet hätte, habe sich in Kabul befunden; er sei für ein Büro, welches sich um Lebensmittel und Kinderprogramme gekümmert hätte, tätig gewesen. Der Beschwerdeführer habe nicht versucht, sich nach der Bedrohung durch die Taliban an die Behörden zu wenden, da er gehört hätte, dass anderen Personen mit derartigen Problemen nicht geholfen worden wäre. Die Taliban wäre an der Macht und die Regierung habe keinen Einfluss. Die Familie des Beschwerdeführers sei nicht bedroht worden, doch mache er sich große Sorgen um sie; ihre Gegend sei sehr unsicher. Dem Beschwerdeführer wäre es nicht möglich gewesen, an einem anderen Ort Afghanistans zu leben, da er sich sicher wäre, dass die Taliban, erleichtert durch die heutzutage verbreiteten sozialen Netzwerke, ihn überall finden würden. Der Beschwerdeführer sei sich sicher, dass die Taliban ihn nach einer Rückkehr finden und umbringen würden. Außerdem habe er hier schon viele Bücher gelesen, er sei ein anderer Mensch geworden und wisse nicht, ob er mit seinen jetzigen Gedanken und seiner Mentalität in Afghanistan zurechtkommen würde. Die Situation in Kabul sei sehr schwierig, die Menschen, die aus anderen Provinzen geflüchtet wären, seien, ebenso wie viele Leute aus dem Iran und Pakistan, nach Kabul gezogen. Mangels leistbarer freier Wohnungen würde dort eine hohe Obdachlosigkeit herrschen. Seine Familie lebe aktuell in ihrem Haus in Wardak. Dem Beschwerdeführer wurde in der Folge Länderberichtsmaterial zu seinem Herkunftsstaat ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme eingeräumt.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer aus, Grundversorgung zu beziehen und als Dolmetscher für eine näher bezeichnete Organisation zu arbeiten. Er sei in mehreren Vereinen Mitglied und lebe in einer WG mit anderen Asylwerbern. Der Beschwerdeführer führte auf die Frage nach seinem Tagesablauf auf Deutsch aus, dass er morgens der erwähnten Tätigkeit als Dolmetscher nachginge, Bücher lese und Volleyball spiele; mit der anwesenden Vertrauensperson spreche er über diverse Themen wie Frauenrechte, einmal wöchentlich besuche er eine Therapie.

Auf anschließende Befragung durch die anwesende gewillkürte Vertreterin brachte der Beschwerdeführer vor, Maidan Wardak werde durch die Taliban kontrolliert. Er mache sich Sorgen um seine Kinder. 1995 habe ein Talib um die Hand seiner Schwester angehalten; der Vater des Beschwerdeführers habe nicht eingewilligt und sei aus diesem Grund umgebracht worden. Seiner Tochter werde dasselbe drohen, wenn sie dreizehn werde. Dem Beschwerdeführer wäre es nicht möglich, gemeinsam mit seiner Familie in Kabul zu überleben. Seine in Österreich aufgenommenen Kontakte zu Amnesty International würden im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ein zusätzliches Problem für den Beschwerdeführer bedeuten.

Der Beschwerdeführer legte eine Kopie seiner Tazkira sowie Kopien diverser Zertifikate über die Teilnahme an UN-Lehrgängen, Arbeits- und Lohnzettel sowie ein Bestätigungsschreiben über die Tätigkeit des Beschwerdeführers beim UN-World Food Programme im Zeitraum November 2004 bis Februar 2013, eine Bestätigung vom 23.08.2017, wonach sich der Beschwerdeführer in traumatherapeutischer Behandlung befände, sowie ein umfangreiches Konvolut an Unterlagen zur Bestätigung seiner Integrationsbemühungen vor.

Am 30.10.2017 wurde (in Missachtung der aufrechten Zustellvollmacht) eine mit 19.10.2017 datierte Ausfertigung eines den Antrag abweisenden Bescheids an die Abgabestelle des Beschwerdeführers zugestellt.

Mit Eingabe vom 31.10.2017 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme zu den anlässlich der Einvernahme ausgehändigten Länderinformationen, in welcher zusammengefasst ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer sei in Afghanistan beinahe neun Jahre lang (2004-2013) für die Vereinten Nationen, genauer gesagt für das World Food Programme (UN/WPF), tätig gewesen, wo er als Wachmann begonnen und im weiteren Verlauf beruflich aufgestiegen wäre. Aufgrund der Bedrohungen in Zusammenschau mit Umstrukturierungen im Sicherheitssektor habe sich der Beschwerdeführer bewusst entschlossen, nicht um eine Vertragsverlängerung bzw. Übernahme in die neue Struktur zu ersuchen. Dem Beschwerdeführer sei seitens der Taliban mehrfach mit seiner Ermordung gedroht worden, zunächst im Jahr 2013 und abermals im Jahr 2015, was sodann fluchtauslösend gewesen wäre. Der Beschwerdeführer falle unter mehrere der durch die Richtlinien des UNHCR definierten Risikoprofile, primär jenes der Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen bzw. jenes der Zivilisten, die vermeintlich die Regierung oder die internationale Gemeinschaft unterstützen. Im Jänner 2017 sei es abermals zu einem enormen Anstieg sicherheitsrelevanter Vorfälle in Bezug auf internationale Organisationen bzw. humanitäre Organisationen gekommen. Zudem sei der Beschwerdeführer unter das Risikoprofil der als „verwestlicht“ wahrgenommenen Personen einzuordnen. Für den Beschwerdeführer ergebe sich daraus eine kumulierte Verfolgungsgefahr; so wäre er nach einer etwaigen Rückkehr aus dem westlichen Ausland im Speziellen gefährdet, als Spion für die internationale Gemeinschaft oder ausländische Mächte verdächtigt zu werden, da er schon vor seiner Flucht aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit bei gleichzeitiger Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Taliban der Spionage oder der Unterstützung der „Ausländer“ bezichtigt worden und seine pro-westliche Gesinnung demnach bekannt gewesen wäre. Durch die Taliban sei zunächst versucht worden, den Beschwerdeführer für ihre Zwecke zu rekrutieren, sei es durch Kampfteilnahme oder Ermöglichung eines Anschlages auf seinen ehemaligen Arbeitgeber, bevor er – nach Verweigerung der Unterstützung – vor die „Wahl“ zwischen Geldzahlung und Ermordung gestellt worden wäre. Der Beschwerdeführer falle demnach zusätzlich unter die potentielle Risikogruppe der Männer im wehrfähigen Alter. Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers stünde zu einem großen Teil unter Einfluss der Taliban. Mit der Verweigerung der Unterstützung der Taliban (sei es hinsichtlich der aktiven Beteiligung an Kampfhandlungen, des Bereitstellens einer Sicherheitslücke für einen Anschlag auf die ehemalige UN-Arbeitsstelle oder hinsichtlich des geforderten Geldbetrages) habe der Antragsteller seine pro-rechtsstaatliche, pro-westliche und Anti-Taliban Haltung deutlich gemacht, wobei sich diese ebenso bereits aus dessen beinahe neunjähriger Anstellung bei den Vereinten Nationen ergebe. Verwiesen werde auf einige ähnlich gelagerte Fälle, in welchen durch das BVwG der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden wäre. Der afghanische Staat sei nicht in der Lage, den Beschwerdeführer vor der dargelegten Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu schützen; eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde dem Beschwerdeführer fallgegenständlich nicht zur Verfügung, da er aufgrund der asylrelevanten Verfolgung durch die Taliban auch anderorts als in seiner Heimatprovinz keinen ausreichenden Schutz finden könne und sich eine solche überdies aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan als nicht zumutbar erweise. Aus diversen näher bezeichneten Berichten ergebe sich eine prekäre Sicherheitslage in Maidan Wardak, wo es auch im Jahr 2017 regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen und weiteren sicherheitsrelevanten Vorfällen gekommen wäre. Auch in Kabul komme es regelmäßig zu Anschlägen, welche ein „real risk“ für Zurückkehrende begründen würden; überdies wären die Aufnahmekapazitäten gerade in Ballungsräumen aufgrund der hohen Zahl von Rückkehrern v.a. aus Pakistan und dem Iran bereits ausgeschöpft. Der Beschwerdeführer nehme aktuell traumatherapeutische Sitzungen in Anspruch, welche in Afghanistan nicht in dieser Form gesichert wären, was folglich negative Auswirkungen auf dessen psychische und psychosomatische Gesundheit haben würde. Letztlich sei auf die herausragenden Integrationsschritte des Beschwerdeführers hinzuweisen, welcher – wie durch die zahlreich vorgelegten Bestätigungen belegt werde – mittlerweile ein schützenswertes Privatleben in Österreich führe.

2. Mit dem Beschwerdeführervertreter am 09.11.2017 zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Die Behörde beurteilte die Behauptung, der Beschwerdeführer sei einer Bedrohung seitens der Taliban ausgesetzt gewesen, als nicht glaubhaft und merkte an, dass dessen Angaben auch im Fall einer Wahrunterstellung keinen Asylgrund im Sinne der GFK darstellen würden. Soweit der Beschwerdeführer angeführt hätte, erstmals im Jahr 2013 durch die Taliban bedroht worden zu sein, sich aufgrund dessen für zwei Jahre aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen zu haben und im Jahr 2015 ein zweites Mal bedroht, beschimpft und brieflich zur Zahlung von Schutzgeld aufgefordert worden zu sein, sei es für die Behörde einerseits nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Bedrohung der Taliban über einen derart langen Zeitraum ziehen sollte und andererseits, weshalb der Beschwerdeführer seine Heimat nicht sogleich im Jahr 2013 verlassen hätte. Weiters scheine es äußerst unrealistisch, dass eine terroristische Organisation wie die Taliban ausschließlich die Person des Beschwerdeführers, nicht jedoch dessen Familie, hätte bedrohen sollen. Sollte von den Taliban tatsächlich eine derart große Gefahr ausgehen, wie vom Beschwerdeführer behauptet, schiene es „doch äußerst seltsam“, dass der Genannte seine ganze Familie mit mittlerweile fünf Kindern im Vertrauen, dass diesen nichts passieren werde, alleine zurücklassen würde. Die Begründung des Beschwerdeführers dahingehend, weshalb er sich nicht an die afghanischen Behörden gewendet hätte, sei als frei erfunden zu werten, da dies im Hinblick auf die UN als dessen ehemaligen Arbeitsgeber ein logischer und mit Sicherheit auch zielführender Schritt gewesen wäre. Die Befürchtung des Beschwerdeführers, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan durch die Taliban überall gefunden werden zu können, sei angesichts des nicht existenten Meldesystems praktisch auszuschließen. Selbst wenn man den Angaben des Beschwerdeführers Glauben schenken würde, so ließe sich aus diesen keine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK ableiten, zumal der Beschwerdeführer eine Verfolgung durch Dritte vorgebracht hätte, in Bezug auf die der Staat sehr wohl schutzwillig und schutzfähig wäre. Das Bundesamt ginge daher davon aus, dass es sich beim gegenständlichen Vorbringen des Beschwerdeführers um erfundene Tatsachen handeln würde, „um sich eine bessere wirtschaftliche Zukunft in einem anderen Land mittels Vortäuschung einer asylrelevanten Verfolgung zu erschleichen.“

Der Beschwerdeführer sei im Herkunftsland keiner Gefahr aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und Glaubensrichtung ausgesetzt, dieser hätte sein gesamtes Leben in Afghanistan verbracht und wäre mit der Landessprache und der dortigen Kultur vertraut. Zudem lebe die gesamte Familie des Beschwerdeführers nach wie vor in einem eigenen Haus in Afghanistan, der Beschwerdeführer verfüge über eine hohe schulische Bildung und einschlägige berufliche Ausbildung. Dem Beschwerdeführer sei es bis zur Ausreise möglich gewesen, für den Lebensunterhalt seiner Familie zu sorgen, weshalb erwartet werden könne, dass ihm dies auch nach einer Rückkehr neuerlich möglich sein werde. Alternativ zu einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Maidan Wardak stünde dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen, zumal die Stadt über einen internationalen Flughafen sicher zu erreichen wäre.

Der Beschwerdeführer befinde sich erst seit November 2015 im Bundesgebiet, er sei während dieses Zeitraums keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen, habe zu keinem Zeitpunkt auf einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet vertrauen können und im Verfahrensverlauf keine gewichtigen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet dargelegt. Der Beschwerdeführer habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet und keine besondere Integrationsverfestigung aufgezeigt, weshalb sich eine Rückkehrentscheidung als gerechtfertigt erweisen würde.

3. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 07.12.2017, eingelangt am 11.12.2017, fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Verfahren der Erstbehörde weise erhebliche, die Grenze der Willkür überschreitende, Verfahrensmängel auf. Dem Beschwerdeführer sei anlässlich der Einvernahme vom 11.10.2017 eine dreiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme zu dem ihm ausgehändigten Länderberichtsmaterial eingeräumt worden, die Ausfertigung des Bescheides sei jedoch bereits am 19.10.2017, sohin acht Tage nach der niederschriftlichen Einvernahme, erfolgt. Obgleich der zuständige Referent eine Berücksichtigung der am 31.10.2017 eingebrachten Stellungnahme telefonisch zugesichert hätte, sei dies, soweit ersichtlich, in gänzlich ungeeigneter Weise erfolgt, zumal sich der am 30.10.2017 mangelhaft zugestellte mit dem am 09.11.2017 rechtmäßig zugestellten Bescheid beinahe deckungsgleich erweisen würde. Hierdurch sei Parteivorbringen gänzlich ignoriert und verfahrensmaßgebliches Vorbringen offensichtlich bewusst außer Acht gelassen worden. Neben der mangelnden Würdigung der in Vorlage gebrachten Stellungnahme habe das BFA es gänzlich verabsäumt, sich mit den in Vorlage gebrachten Beweismitteln sowohl aus dem Herkunftsland, als auch aus Österreich, in nachvollziehbarer Weise auseinanderzusetzen. Der Beschwerdeführer habe ein Konvolut an Unterlagen in Vorlage gebracht, welche dessen Beschäftigung beim UN-World Food Programme nachweisen würden; eine Würdigung jener Unterlagen lasse sich dem angefochtenen Bescheid jedoch nicht entnehmen. Angesichts der von der Behörde getroffenen Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Antragstellers sei es nicht nachvollziehbar, wie die Behörde zum Ergebnis habe gelangen können, dass der afghanische Staat eine Schutzfähigkeit und -willigkeit in Bezug auf Übergriffe durch die Taliban aufweisen würde. Der afghanische Staat habe notorischerweise zunehmend mit Machtverlust und einer Verschlechterung der Sicherheitslage zu kämpfen, angesichts mangelnder staatlicher Kontrolle über mehr als 40% des Landes sei von keiner Schutzfähigkeit auszugehen. Der Beschwerdeführer habe vor dem Bundesamt sämtliche an ihn gerichteten Fragen beantwortet und sich zu einer nähergehenden Schilderung bereiterklärt. Dass der Beschwerdeführer nicht gemeinsam mit seiner Familie geflohen wäre, erscheine in keiner Weise ausreichend, um auf die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens zu schließen. Desweiteren sei das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf eine Verfolgungsgefahr aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeiten und seiner nunmehrigen westlichen Orientierung gänzlich unerwähnt geblieben. Überdies habe es das Bundesamt verabsäumt, die in Vorlage gebrachten Beweismittel im Hinblick auf die Notwendigkeit therapeutischer Maßnahmen entsprechend zu würdigen und den Beschwerdeführer zu Unrecht als gesund eingestuft. Die in Vorlage gebrachten Integrationsnachweise seien mit dem schlichten Hinweis auf den nur kurzen Aufenthalt abgetan worden. Die Behörde habe es weiters verabsäumt, den Beschwerdeführer mit den erstmals im angefochtenen Bescheid aufgegriffenen (vermeintlichen) Widersprüchen zu konfrontieren. Den Länderfeststellungen seien keine Informationen zur Verfolgungsgefahr von ehemaligen Mitarbeitern der UN zu entnehmen. Ebensowenig habe sich die Behörde einzelfallbezogen mit einer möglichen Neuansiedelungsoption des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Die angefochtene Entscheidung bestünde zu einem großen Teil aus Textbausteinen und es bleibe gänzlich unnachvollziehbar, welche Aspekte des Vorbringens überhaupt gewürdigt und welche – letztlich unbegründet – außer Acht gelassen worden wären. Der Beschwerdeführer habe durchwegs gleichlautend vorgebracht, aufgrund seiner (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung Opfer von asylrelevanter Verfolgung in Afghanistan geworden zu sein und dies auch in Hinkunft zu werden. Desweiteren habe er vorgebracht, dass ihm aufgrund seiner in Österreich gesetzten exilpolitischen Tätigkeit in Verbindung mit seinem durchgeführten Lebenswandel auch aufgrund eines diesbezüglichen Nachfluchtgrundes Verfolgung im Herkunftsland drohe. Der Beschwerdeführer erfülle mehrere der in den UNHCR-Richtlinien genannten Risikoprofile. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde diesem nicht offen, da der Beschwerdeführer einerseits vor der asylrelevanten Verfolgung durch die Taliban auch andernorts in seinem Herkunftsstaat keinen Schutz finden könnte, andererseits sei ihm eine solche aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Verbindung mit der seiner speziellen Situation nicht zumutbar. Stahlmann führe aus, dass die Verfolgungsreichweite der Taliban aufgrund der enormen Effizienz ihres Spitzelnetzwerks landesweit gegeben wäre. Da der Beschwerdeführer durch seine Kooperationsverweigerung persönlich zum Ziel von Verfolgung durch die Taliban geworden wäre, sei es diesem aufgrund des stetig wachsenden Einflusses selbiger nicht möglich, in Afghanistan effektiv Schutz vor Verfolgung zu finden. Die Familie des Beschwerdeführers befinde sich derzeit in einer gänzlich aussichtslosen Situation und könne nur mit Mühe überleben. Der Beschwerdeführer habe durch Beendigung seines Arbeitsverhältnisses und Aufgabe seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit seine Position und Stellung verloren, seiner Familie wäre es entgegen den Ausführungen im angefochtene Bescheid nicht möglich, diesen zu unterstützen. Aus verschiedenen näher angeführten Berichten ergebe sich, dass sich die Sicherheitslage im gesamten Land, insbesondere auch in Kabul, zuletzt verschlechtert hätte. Weiters werde durch einen aktuellen EASO-Bericht aus August 2017 verdeutlicht, dass es auch arbeitsfähigen jungen Männern in Großstädten in aller Regel nicht möglich wäre, ohne sozialen (Familien-)Anschluss vor Ort Zugang zu sicherer und ausreichender Unterkunft, existenzsichernder Arbeit und (medizinischer) Grundversorgung zu finden. Der Beschwerdeführer sei trotz seines vergleichsweise kurzen Aufenthalts bereits sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert, was insbesondere durch das im Rahmen der Einvernahme vorgelegte, mehr als 40 Seiten umfassende, Dokument nachgewiesen werden konnte. Der Verweis auf die Aufenthaltsdauer vermöge eine substantiierte Auseinandersetzung mit diesem Themenkreis jedenfalls nicht zu ersetzen. Der Beschwerdeführer sei im Rahmen des § 7 GVG wiederholt legalen Tätigkeiten nachgegangen und überdies in diversen Einrichtungen und Vereinen ehrenamtlich aktiv gewesen, er weise bereits ausgezeichnete Kenntnisse der deutschen Sprache auf und habe sich – soweit möglich – um politische Partizipation bemüht. Beantragt wurde die zeugenschaftliche Einvernahme eines Freundes und Unterstützers des Beschwerdeführers, welcher ein vollständiges Bild über die Erfolge des Beschwerdeführers bei der Integration sowie dessen politischer Einstellung und westlicher Orientierung geben könne.

4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.10.2018 zu Zahl W192 2180308-1 wurde der bekämpfte Bescheid in Erledigung der Beschwerde behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Begründend verwies das Bundesverwaltungsgericht auf näher dargestellte Ermittlungsmängel, welche im vorliegenden Fall den Eindruck hätten entstehen lassen, dass die belangte Behörde notwendige Verfahrensschritte, nämlich die Ermittlung des länderspezifischen objektiven Hintergrunds der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsbefürchtung, die Erörterung der Länderfeststellungen mit dem Beschwerdeführer respektive die Auseinandersetzung mit der am 31.10.2017 eingebrachten schriftlichen Stellungnahme sowie dem bereits in der Einvernahme vom 11.10.2017 angedeuteten möglichen Nachfluchtgrund, an das Verwaltungsgericht delegieren zu versucht hätte.

5. Am 09.01.2019 fand im Zuge des fortgesetzten Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers im Beisein seiner gewillkürten Vertretung und einer Vertrauensperson statt. Der Beschwerdeführer brachte vor, gesund zu sein und ab und zu Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan zu haben. Die Bedingungen sowie die Sicherheitslage seien sehr schlecht. An seinen Fluchtgründen habe sich nichts geändert, die Situation in ihrem Dorf sei jedoch aufgrund eines Machtgewinns der Taliban noch schlimmer geworden. In Österreich dolmetsche er für eine näher angeführte Organisation, lebe in einer WG mit anderen Asylwerbern und er spreche bereits sehr gut Deutsch.

Vorgelegt wurden eine Therapiebestätigung vom 08.01.2019, eine Bestätigung über die Teilnahme an zwei durch Amnesty International im September 2018 abgehaltenen eintägigen Workshops, eine Bestätigung über dessen gemeinnützige Tätigkeit als Dolmetscher, eine Bestätigung über die Mitgliedschaft in einem Verein aus November 2018, diverse Fotos, welche den Beschwerdeführer bei Aktivitäten für eine Pfarre zeigen, eine Bestätigung über dessen Hilfe bei der Renovierung des Pfarrsaals, sowie eine Bestätigung über die Absolvierung eines Deutschkurses auf dem Niveau C1 und die Anmeldung zu einer Deutschprüfung auf dieser Stufe.

6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, nicht jedoch die präzise Identität des Beschwerdeführers fest. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes seien nicht glaubhaft, es könne nicht festgestellt werden, dass dieser einer asylrelevanten Gefährdung im Herkunftsstaat ausgesetzt sei. Beweiswürdigend wurde hierzu ausgeführt, der Beschwerdeführer habe anlässlich seiner Erstbefragung lediglich auf die allgemein prekäre Sicherheitslage in Afghanistan, nicht jedoch auf eine persönliche Verfolgung seiner Person Bezug genommen. Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, der durch „high profile“-Angriffe regierungsfeindlicher Gruppen gefährdeten Risikogruppe anzugehören. Aus dem vorgelegten Schreiben der Human Ressource Abteilung des UN World Food Programme ginge hervor, dass dieser ausschließlich als Sicherheitswachmann tätig gewesen wäre; dessen Angaben hinsichtlich darüber hinausgehender Tätigkeiten seien als unglaubwürdige Steigerung seines Vorbringens zu werten. Zudem sei es keinesfalls glaubhaft, dass die Taliban diesen angesichts des Beginns seiner Tätigkeit im Jahr 2004 erstmals im Jahr 2013 hätten bedrohen sollen. Im Falle einer tatsächlichen Verfolgung wäre es zudem nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer trotzdem an gesellschaftlichen Anlässen wie Hochzeiten und Begräbnissen teilgenommen hätte, einer landwirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen und zwei weitere Jahre in seinem zu Hause in der Heimatprovinz wohnhaft gewesen wäre. Weshalb man diesen (erst) zwei Jahre später erneut bedrohen und ihm unterstellen hätte sollen, „Spion“ zu sein, sei nicht nachvollziehbar, zumal er zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr für die UN tätig gewesen wäre. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb sich die Bedrohung durch die Taliban nicht auch auf die Familienmitglieder des Beschwerdeführers erstreckt hätte, welche sich weiterhin an der früheren Adresse des Beschwerdeführers aufhalten würden. Konkrete Anhaltspunkte dahingehend, dass die staatlichen Institutionen Afghanistans im Hinblick auf eine mögliche Verfolgung durch einzelne Taliban-Kämpfer im gesamten Staatsgebiet weder schutzfähig noch schutzwillig wären, seien aus den vorliegenden Informationen zur aktuellen Lage in Afghanistan nicht ersichtlich. Zudem existiere in Afghanistan kein Meldewesen, sodass es dem Beschwerdeführer offenstehen würde, sich den vorgebrachten Problemen durch Umzug in einen anderen Landesteil zu entziehen. Dass dieser in ganz Afghanistan gesucht und gefunden werden würde, sei als äußerst unwahrscheinlich und widersprüchlich zur im Länderinformationsblatt beschriebenen allgemeinen Lage zu bewerten. Diesem wäre ein Neustart in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Dass dieser aufgrund eines Workshops von Amnesty International, welcher einige Stunden gedauert hätte, exilpolitisch tätig und aus diesem Grund einer Verfolgung ausgesetzt sein würde, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar, zumal der Besuch jenes Workshops in Afghanistan überdies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht bekannt geworden wäre.

Die Sicherheitslage in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat sei als ausreichend stabil zu bezeichnen. Beim Beschwerdeführer handle es sich um eine erwachsene, arbeitsfähige Person, der es jedenfalls zumutbar sei, im Falle einer Rückkehr selbst für ihr Auskommen zu sorgen. Dieser habe in Afghanistan eine Ausbildung absolviert, Berufserfahrung gesammelt und verfüge dort über ein soziales Netzwerk. Im Verfahren hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, weshalb dieser bei seiner Rückkehr nach Afghanistan seinen Lebensunterhalt nicht, wie bereits im Vorfeld seiner Ausreise, durch eigene berufliche Tätigkeit bestreiten könnte. Zudem bestünde für ihn die Möglichkeit, Unterstützung nichtstaatlicher und internationaler Hilfsorganisationen in Anspruch zu nehmen.

Der Beschwerdeführer sei seinen Angaben zufolge verheiratet und habe fünf Kinder, welche in Afghanistan leben würden. In Österreich habe er keine Familienangehörigen; dieser sei in Afghanistan aufgewachsen und sozialisiert worden, habe dort die Schule abgeschlossen und Berufserfahrung erlangt. Demgegenüber befinde er sich erst seit kurzer Zeit auf Grundlage eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts in Österreich. Der Beschwerdeführer verfüge über nachgewiesene Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1, habe Workshops von Amnesty International besucht und an diversen Integrationsmaßnahmen teilgenommen. Jedoch habe er sein Privatleben zu einem Zeitpunkt begründet, als der Ausgang seines Asylverfahrens ungewiss gewesen sei, weshalb eine Rückkehrentscheidung im Ergebnis keinen unverhältnismäßigen Eingriff in dessen durch Art. 8 EMRK geschützte Rechte begründe.

7. Gegen diesen, dem Beschwerdeführer am 18.03.2019 zugestellten, Bescheid brachte der gewillkürte Vertreter des Beschwerdeführers am 17.04.2019 fristgerecht einen Beschwerdeschriftsatz ein, in welchem zusammengefasst ausgeführt wurde, das Verfahren der Behörde sei abermals durch erhebliche Verfahrensmängel belastet. Im Unterschied zum ersten Verfahrensgang sei der Beschwerdeführer überhaupt nicht von den dem Bescheid zugrunde liegenden Länderinformationen in Kenntnis gesetzt worden; obgleich die Einholung einer Anfragebeantwortung gegenüber der rechtlichen Vertretung angekündigt worden wäre, sei eine solche in der Folge nicht vorgehalten worden. Hätte sich die Behörde – entsprechend dem Beschluss des BVwG vom 04.10.2018 – mit der den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr zu erwartenden Verfolgungssituation entsprechend auseinandergesetzt, Ermittlungen angestellt und dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben, zu diesem Stellung zu beziehen, wäre sie zu dem Ergebnis einer dem Beschwerdeführer in Afghanistan drohenden asylrelevanten Verfolgung gelangt. Die Behörde habe sich mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismitteln unzureichend auseinandergesetzt und abermals keine einzelfallbezogenen Länderfeststellungen getroffen. Der einschreitende Rechtsanwalt sei – in Zusammenschau mit den nicht vorgehaltenen Länderinformationen – der berechtigten Annahme gewesen, dass noch eine Aufforderung zur Stellungnahme einlangen würde. In der Bescheidbegründung werde zudem wiederholt auf Anfragebeantwortungen hingewiesen, welche dem Bescheid wiederum nicht zu entnehmen seien. Bei Durchführung entsprechender Ermittlungstätigkeiten wäre das BFA zu dem Schluss gelangt, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit für die Vereinten Nationen und seiner Flucht infolge der Drohungen durch die Taliban mit der fürs Verfahren erforderlichen Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung von Seiten der Taliban drohe, bei welcher es sich um einen nichtstaatlichen Akteur iSd Art. 6 StatusRL handle. In der Begründung des angefochtenen Bescheides bleibe gänzlich unnachvollziehbar, welche Aspekte des Vorbringens überhaupt gewürdigt und welche – letztlich unbegründet – außer Acht gelassen worden wären. Der Beschwerdeführer habe durchwegs gleichlautend angegeben, aufgrund seiner (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung Opfer von asylrelevanter Verfolgung in Afghanistan geworden zu sein und dies auch in Hinkunft zu werden. Desweiteren habe er vorgebracht, dass ihm ebenso aufgrund seiner in Österreich gesetzten exilpolitischen Tätigkeiten in Verbindung mit seinem durchgeführten Lebenswandel aufgrund eines Nachfluchtgrundes asylrelevante Verfolgung im Herkunftsland drohe. Der Beschwerdeführer falle aufgrund seiner Tätigkeit für das World Food Programme der Vereinten Nationen unter eines der durch UNHCR definierten Risikoprofile und sei bereits mehrfach mit der Ermordung durch die Taliban bedroht worden. Überdies drohe ihm aufgrund seiner Tätigkeit bei Amnesty International in Österreich auch asylrelevante Verfolgung als Menschenrechtsaktivist, zudem drohe ihm aufgrund seiner westlich orientierten Wertehaltung Verfolgung ausgehend von radikalen Strömungen der gesamten afghanischen Gesellschaft. Den Taliban seien der Beschwerdeführer und seine Tätigkeiten bekannt geworden, dieser habe sich aus Sicht der Taliban eines Kapitalverbrechens schuldig gemacht, was eine unbefristete Verfolgungsgefahr nach sich ziehe. Es sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Beschwerdeführer auf der schwarzen Liste geführt würde und ihm daher Folter, menschenunwürdige Bestrafung und gegebenenfalls auch der Tod im Falle einer Rückkehr und einer Ausforschung durch die Taliban, welche über ein landesweites Netzwerk verfügen würden, drohen würde. Dem Beschwerdeführer sei es aufgrund der volatilen Sicherheitslage sowie der wirtschaftlich aussichtslosen Lage nicht möglich, in seine Herkunftsprovinz Maidan Wardak zurückzukehren, zumal ihm dort die reale Gefahr des Eintritts eines ernsthaften Schadens drohen würde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei aufgrund der landesweit bestehenden Verfolgungsgefahr als nicht relevant zu qualifizieren, zudem erweise sich eine solche als nicht zumutbar. In den aktuellen UNHCR-Richtlinien werde zur Sicherheits- und Versorgungslage in sämtlichen Provinzhauptstädten ausgeführt, dass diese desaströs sei. Diese Städte würden mehr als 54% aller Binnenvertriebenen beherbergen, die Versorgung könnte aufgrund der anhaltenden Dürre nicht gewährleistet werden. Der Bericht von ACCORD zur Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage, in Herat, Mazar-e Sharif und Kabul vom 07.12.2018 verdeutliche, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Schutzalternative in keiner Weise zumutbar sei. Gerade die fehlende Nahrungsmittelsicherheit und mangelndes Trinkwasser würden eine massive Bedrohung der derzeitigen Versorgungslage in Afghanistan darstellen. Angesichts des in näher angeführten Berichten dokumentierten fehlenden Zugangs zu menschenwürdigem Lebensraum, Nahrungsmitteln, Wasser und medizinischer wie auch hygienischer und sanitärer Infrastruktur auf dem gesamten Gebiet Afghanistans und insbesondere in Mazar-e Sharif, in Zusammenschau mit seinem Gesundheitszustand, stünde dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Schutzalternative nicht zur Verfügung. Aus näher angeführten Berichten ergebe sich, dass in Mazar-e Sharif zuletzt ein enormer Anstieg der Kriminalitätsrate zu verzeichnen gewesen sei, zudem sei die Stadt von Korruption, politischer Einflussnahme und fehlender Polizeipräsenz geprägt. Zudem habe sich die Versorgungslage in der Stadt massiv verschlechtert, 85% der BewohnerInnen würden unterhalb der Armutsgrenze leben, die Ernährungslage sei im Jahr 2018 als „angespannt“ eingestuft worden. Seit 2016 gebe es keine humanitären Organisationen mehr, welche Binnenvertriebene und Rückkehrer in Mazar-e Sharif unterstützen würden. Ein Leben in Würde, welches nach Art. 1 GRC schützenswert sei, wäre dem Beschwerdeführer unter diesen Umständen jedenfalls nicht möglich. Der Beschwerdeführer habe sich trotz seines vergleichsweise kurzen Aufenthalts bereits sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert, was durch das Konvolut an Unterlagen und Nachweisen zu ehrenamtlicher Tätigkeit, Deutschkenntnissen, Integration in ein österreichisches Netzwerk, Partizipation in Menschenrechtsaktivitäten als ordentliches Mitglied von Amnesty International und unzählige weitere Aktivitäten belegt werde. Beantragt wurde die zeugenschaftliche Einvernahme eines Freundes und Unterstützers des Beschwerdeführers, welcher dessen Erfolge bei der Integration sowie dessen politische Einstellung und westliche Orientierung bezeugen könne.

8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.08.2019 wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die als fluchtkausal geltend gemachte landesweite Bedrohung durch Angehörige der Taliban auf Grund der 2013 beendeten Tätigkeit des Beschwerdeführers als Sicherheitsmitarbeiter für die Vereinten Nationen nicht glaubhaft sei. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde vom Bundesverwaltungsgericht dahin begründet, dem Beschwerdeführer sei aufgrund seiner individuellen Umstände als gesunder Mann ohne maßgebliche Vulnerabilitätsaspekte, der über Schulbildung, Berufserfahrung und Möglichkeiten zur Unterstützung durch ein familiäres Netz verfüge, ein wirtschaftliches Überleben unter würdigen Bedingungen in den urbanen Zentren, insbesondere in Mazar-e Sharif möglich. Die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 stützte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere darauf, dass die Integration des Beschwerdeführers in Österreich trotz nicht in Abrede gestellter Integrationsbemühungen nicht im hohen Grad ausgeprägt sei und eine tiefgreifende Aufenthaltsverfestigung nicht erkannt werden habe können.

9. Der Verfassungsgerichtshof hat das dargestellte Erkenntnis vom 07.08.2019 mit Erkenntnis vom 28.11.2019, Zahl: E 3283/2019-9, mit nachstehender Begründung behoben:

„3.1. Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene sogenannte Wahrunterstellung erweist sich als nicht tragfähig. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass dem Beschwerdeführer, der von 2004 bis 2013 für das UN World Food Programme zunächst als Sicherheitsmitarbeiter, dann als Dolmetscher in Afghanistan tätig war, selbst dann, wenn die ihm aus diesem Grund widerfahrenen Drohungen der Taliban in den Jahren 2013 und 2015 für wahr gehalten würden, jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in der mehr als 500 Kilometer von seinem Heimatort entfernten Stadt Mazar-e Sharif offen stünde, weil nicht anzunehmen sei, dass die Taliban ihn dort suchen bzw. finden würden.

3.1.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist eine Wahrunterstellung nur dann statthaft, wenn sie vollständig vom Vorbringen des Beschwerdeführers ausgeht, oder die Entscheidung offenlegt, von welchen als hypothetisch richtig angenommenen Sachverhaltsannahmen bei der rechtlichen Beurteilung konkret ausgegangen wird, um sowohl den Verfahrensparteien als auch den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts die Überprüfung zu ermöglichen, ob einerseits die derart erfolgte rechtliche Beurteilung – und daher auch die Annahme, keine (allenfalls: ergänzenden) Feststellungen zum Vorbringen treffen zu müssen – dem Gesetz entspricht (vgl. etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0177; 25.3.2015, Ra 2014/18/0168; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069; 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

3.1.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, als ehemaliger und langjähriger Mitarbeiter eines UN-Programmes zu einer Gruppe mit Risikoprofil zu gehören, die ausweislich der Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, S 49-50, im ganzen Land von regierungsfeindlichen Kräften verfolgt werde, nämlich zu jener der "Mitarbeiter humanitärer Hilfs- und Entwicklungsorganisationen", hinsichtlich derer Angriffe nicht nur auf hochrangige oder exponierte Mitarbeiter, wie das Bundesverwaltungsgericht vermeine, sondern etwa auch auf Bauarbeiter und LKW-Fahrer registriert seien. Das Bundesverwaltungsgericht hat selbst festgestellt, dass "NGO-Personal und Mitarbeiter von internationalen Menschenrechtsorganisationen […] in der Regel Ziele aufständischer Gruppierungen [sind]" (angefochtenes Erkenntnis, S 68). Ungeachtet der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Wahrunterstellung ist die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten für den Verfassungsgerichtshof daher nicht nachvollziehbar.

3.2. Auch die Refoulementprüfung ist mit Willkür belastet. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass dem Beschwerdeführer als gesundem, arbeitsfähigen Mann mit Berufserfahrung und nach wie vor in Afghanistan aufhältigen volljährigen Angehörigen (Mutter und drei Geschwister) eine Ansiedlung in Mazar-e Sharif möglich sei, auch ohne dass ihm an diesem Ort ein familiäres Netzwerk zur Verfügung stünde. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Vater von fünf minderjährigen Kindern handelt. Der Beschwerdeführer fällt daher nicht in jene Personengruppe, der nach den UNHCR-Richtlinien und den entsprechenden Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes (angefochtenes Erkenntnis, S 97) grundsätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative auch ohne soziales Netzwerk offensteht, jene der alleinstehenden jungen Männer oder der Ehepaare ohne Kinder im erwerbsfähigen Alter (vgl. VfGH 11.6.2019, E 2887/2018). In diesem Lichte ist für den Verfassungsgerichtshof ebenfalls nicht nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer oder seine Mutter und drei Geschwister, deren Geschlecht und Familienstand nicht festgestellt wurden, für die insgesamt siebenköpfige Familie des Beschwerdeführers sorgen könnten, zumal dieser nach Mazar-e Sharif gewiesen wird, seine Familie sich aber in Maidan Wardak befindet, wohin er nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes aber wegen der schlechten Sicherheitslage nicht zurückkehren kann (vgl. VfGH 12.3.2019, E 2314/2018). Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist daher unter Außerachtlassung des konkreten Sachverhaltes erfolgt.

3.3. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Nichterteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG entbehren jeglichen Begründungswertes (vgl. VfGH 26.2.2019, E 4675/2019; 9.6.2017, E 3235/2016; 21.9.2017, E 786/2017; 11.6.2018, E 836/2018). Es ist für den Verfassungsgerichtshof mit Blick auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK nicht ersichtlich, wie das Bundesverwaltungsgericht trotz der beträchtlichen urkundlichen Nachweise der Bemühungen des Beschwerdeführers um Integration zu dem Ergebnis kommt, diese sei "nicht im hohen Grad ausgeprägt". Hierfür wäre eine eingehende Auseinandersetzung mit den angebotenen Beweismitteln erforderlich gewesen, die nicht erfolgt ist.

3.4. Vor diesem Hintergrund lagen auch die Voraussetzungen für das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung nicht vor, weil nach dem bisher Gesagten der maßgebliche Sachverhalt noch nicht geklärt ist (vgl. zB VfGH 11.6.2018, E 1815/2018).“

10. Das Bundesverwaltungsgericht hat im fortgesetzten Verfahren am 28.12.2020 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilgenommen haben, während das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keinen Vertreter entsandt hat. Dabei wurden die Rückkehrbefürchtungen und die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers erörtert.

Vom Beschwerdeführer wurden Unterlagen zum Beleg seiner Integrationsschritte in Österreich vorgelegt, darunter diverse Fotos, welche ihn bei Aktivitäten in Österreich zeigen, ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag, Unterstützungsschreiben aus seinem privaten Umfeld, eine Bestätigung seines Engagements bei Amnesty International sowie ein Schreiben einer Heilpädagogin/klinischen Psychologin, welchem sich entnehmen lässt, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung in Behandlung steht.

11. Am 19.01.2021 wurde durch den bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme eingebracht, in welcher ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer stehe bereits aufgrund seiner nachweislichen und von Seiten des erkennenden Gerichts als glaubhaft erachteten Tätigkeit als Mitarbeiter des World Food Programmes der Vereinten Nationen im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Maidan Wardak im Fokus asylrelevanter Verfolgung durch die Taliban. In sämtlichen Berichten des letzten Jahres werde ausgeführt, dass die Taliban an Stärke gewonnen hätten, gleichzeitig die Kämpfe gegen afghanische Staatsbürger intensiviert und sich klar zum Dschihad gegen Abtrünnige und Ungläubige bekannt hätten. Jedem, der (auch nur vermeintlich) die Regierung unterstütze, oder dem Spionage angelastet werde, drohe die Todesstrafe. Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers sei aufgrund seiner strategischen Lage ein zentrales Ziel des Kampfes und werde zum größten Teil von Taliban kontrolliert. Dass die subjektive Furcht des Beschwerdeführers vor asylrelevanter Verfolgung durch die allerorts agierenden und vernetzten Taliban infolge seiner Anstellung als Mitarbeiter einer international agierenden Hilfsorganisation auch objektiv nachvollziehbar sei, ergebe sich aus den Richtlinien des UNHCR, welche als ein eigenes Risikoprofil Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen anführen. Auch in den Leitlinien des EASO werde von Tötungen, Entführungen und Misshandlungen gegen Mitarbeiter humanitärer Organisationen berichtet. Ausgangspunkt für die asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers auch pro futuro sei dessen beinahe zehnjährige Tätigkeit als humanitärer Arbeiter, im Rahmen derer er sich mit Themen vertiefend auseinandergesetzt hätte, welche von Seiten der Taliban als islamfeindlich qualifiziert würden. Zudem sei er aufgrund seiner Tätigkeit als security guard, der unter anderem für die Betreuung ausländischer Gäste zuständig gewesen wäre und bei dieser Funktion auch Dolmetschungen vorgenommen hätte, in einer exponierten Position gewesen. Der Beschwerdeführer sei in dieser Funktion im gesamten Land unterwegs gewesen, weshalb davon auszugehen sei, dass seine Mitarbeit den Taliban bekannt sei. Angesichts der de facto Kontrolle durch die Taliban in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers Maidan Wardak sei mit der für das Verfahren erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass seine Tätigkeit in Zusammenschau mit seiner mehr als fünfjährigen Ortsabwesenheit in den jeweiligen Kommissionen der Taliban, wobei eine seit 2013 explizit für die Überwachung der humanitären Arbeit zuständig sei, dokumentiert sei. Zum Nachweis, dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Mitarbeiter einer humanitären Organisation bekannt sei, sei eine länderkundige Recherche vor Ort bei einer gerichtsbekannten Sachverständigen in Auftrag gegeben worden. Durch seine Flucht ins westliche Ausland habe der Beschwerdeführer den gegen ihn seitens der Taliban erhobenen Vorwurf der Spionage bekräftigt. Vor dem Hintergrund der Änderung der Taktik der Taliban im relevanten Zeitraum, nämlich gezielt gegen (auch vermeintlich) Abtrünnige vorzugehen und diese gezielt zu adressieren und gegebenenfalls zu töten, erweise sich das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Drohungen im Vorfeld der Ausreise als nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund des bereits gegen ihn von einem islamischen Gericht erlassenen Urteil, der Fatwah, die seine Tötung auf Basis religiöser Überlegungen legitimiere, habe der Beschwerdeführer zur Rettung seines Lebens keine andere Möglichkeit gesehen, als die Flucht aus Afghanistan anzutreten.

Zudem habe sich der Beschwerdeführer in Österreich exilpolitisch betätigt, indem er sich aktiv für Menschenrechte, vor allem für Frauenrechte, eingesetzt hätte und dies durch diverse Bestätigungen nachgewiesen. Diese exilpolitische Tätigkeit des Beschwerdeführers und sein damit zum Ausdruck gebrachtes Bekenntnis zu Demokratie, Frauenrechten und Rechtsstaat seien in der Exilgemeinschaft bekannt. Es würde ihm daher aufgrund dieser bereits in Afghanistan angelegten Haltung im Falle einer Rückkehr asylrelevante Verfolgung drohen. Durch seine nach außen hin gelebte politische Haltung verwirkliche er die UNHCR-Risikoprofile der Menschrechtaktivisten und der als verwestlicht wahrgenommenen Personen. Dem Beschwerdeführer drohe daher auch aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeit und seiner auch nach außen hin getragenen Einstellung (Teilnahme an Demonstrationen, an Flugblätter-Aktionen, an Diskussionen etc.), d.h. aufgrund seiner (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung im Fall einer Rückkehr asylrelevante Verfolgung. Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz Maidan Wardak sei höchst prekär. Die Ehefrau und Kinder des Beschwerdeführers könnten mittlerweile nur durch seine Geldleistungen überleben und würden ein von der Umwelt gänzlich abgeschnittenes Leben führen. Eine generelle Verfolgung von weiblichen Familienangehörigen und kleinen Kindern werde im Berichtsmaterial nicht angeführt, wenn auch solche im Einzelfall vorkommen und das Risiko mit zunehmendem Alter der Kinder steigen würde. Aufgrund des landesweiten Einflussbereichs der Taliban, ihrer Kontrolle über große Teile des afghanischen Staatsgebiets sowie ihrer wieder stärker etablierten quasistaatlichen Stellung, stehe auch dem Beschwerdeführer nach wie vor keine relevante innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die Taliban seien aufgrund ihrer landesweiten Netzwerke in der Lage, einzelne Individuen im gesamten Staatsgebiet ausfindig zu machen. Es sei mit der für das Verfahren maßgeblichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Beschwerdeführer auf der schwarzen Liste der Taliban geführt werde und ihm daher Folter, menschenunwürdige Bestrafung und gegebenenfalls der Tod bei einer Rückkehr und Ausforschung durch die Taliban drohen würden. Zudem würde der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr umgehend für seine Ehefrau und seine Kinder sorgen müssen. Zudem seien auch die Städte Mazar-e Sharif, Herat und Kabul von sich verschlechternden Sicherheits- und Versorgungsbedingungen betroffen.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit über fünf Jahren in Österreich, weise hervorragende Deutschkenntnisse auf und werde angesichts des vorgelegten Arbeitsvorvertrages mit Erhalt eines Zugangs zum Arbeitsmarkt umgehend selbsterhaltungsfähig sein. Dieser habe sich zahlreiche soziale Bindungen im Bundesgebiet aufgebaut und engagiere sich ehrenamtlich beim Verein Projekt Integrationshaus sowie als Aktivist bei Amnesty International. Angesichts der herausragenden Integration sei unter Berücksichtigung der psychischen Beschwerden des Beschwerdeführers auszusprechen, dass eine Rückkehrentscheidung dauerhaft unzulässig sei.

Mit Eingabe vom 05.03.2021 übermittelte der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers das Ergebnis einer Vor-Ort-Recherche im Herkunftsort des Beschwerdeführers sowie eine bezugnehmende Stellungnahme.

Zum Ergebnis der Vor-Ort-Recherche wurde durch die Autorin in einem Bericht vom 28.02.2021 ausgeführt, eine Kontaktperson der Autorin sei in die Heimatregion des Beschwerdeführers gefahren und habe dort mit Dorfbewohnern und den Dorfältesten gesprochen. Diese hätten zunächst zu den Lebensumständen der Familie des Beschwerdeführers berichtet, dass dessen Ehefrau und Kinder sich ausschließlich zu Hause aufhielten und die Kinder aus Sicherheitsgründen keine Schule besuchten. Die wirtschaftliche Situation der Familie werde als sehr schlecht beschrieben, da diese über keinerlei Einkommensquelle verfüge. Die Ehefrau des Beschwerdeführers werde von Dorfbewohnern dahingehend unterstützt, als sie mit Getreide, Gemüse und Milchprodukten aus deren privaten Landwirtschaften versorgt werde. Die Dorfgemeinde sei bemüht, jede im Dorf lebende Frau zu schützen, sofern diese ohne ein männliches Familienoberhaupt leben müsse. Die befragten Personen hätten somit erklärt, dass der Ältestenrat die Verantwortung für den Schutz der Ehefrau und den minderjährigen Kindern vor den Taliban übernommen hätte und ihre Sicherheit gewährleiste, dies sei Teil des Ehrenkodex der Paschtunen.

Die Dorfbewohner seien zudem dazu befragt worden, ob bekannt sei, dass der Beschwerdeführer für die Vereinten Nationen gearbeitet hätte. Diesbezüglich sei ausgesagt worden, dass der Beschwerdeführer über mehrere Jahre für diese ausländische Organisation tätig gewesen sei. Von 2013 bis 2015 sei dieser nicht mehr für die Ausländer tätig gewesen, sondern habe zurückgezogen und unauffällig im Dorf gelebt und ein Gewächshaus betrieben, welches zwischenzeitlich nicht mehr in Betrieb sei. Die befragten Dorfbewohner hätten einstimmig angegeben, über die Probleme des Beschwerdeführers mit den Taliban informiert zu sein. Zu den im Jahr 2015 vorgefallenen Bedrohungen hätten die Dorfältesten angegeben, dass die Taliban zu jenem Zeitpunkt jede Person, die jemals für die Regierung bzw. ausländische Organisationen gearbeitet hätte, der Spionage für die Regierung bezichtigt und deshalb verfolgt und bedroht hätten. Berichtet worden sei von einigen Fällen einer tatsächlichen Spionagetätigkeit von Dorfbewohnern, welche das Vertrauen der Taliban in die Dorfbevölkerung zerstört und seitens der Dorfältesten als Grund für die Bedrohung des Beschwerdeführers im Jahr 2015 erachtet würden. Desweiteren sei von den Dorfbewohnern auf die sehr schlechte Sicherheitslage in der Gegend verwiesen worden, in welcher die Taliban nach wie vor über großen Einfluss verfüge. Die Taliban seien nach wie vor in den umliegenden Dörfern präsent und aktiv und es würden gezielte Angriffe gegen Regierungsmitarbeiter und Militärangehörige stattfinden.

In der Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters wurde ausgeführt, dass laut Rechercheergebnis die Tätigkeit des Beschwerdeführers sowie dessen Flucht und die unmittelbar zuvor erfolgte Bedrohung des Beschwerdeführers bekannt seien und die Taliban eine hohe Präsenz in dessen Herkunftsregion aufweise. Gerade in Zusammenschau mit seiner Weigerung, die Taliban finanziell zu unterstützen, und seiner Flucht ins Ausland wäre der Beschwerdeführer aktuell und pro futuro von Verfolgungshandlungen, die die Intensität der Asylrelevanz klar übersteigen, bedroht. Sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Tätigkeit seien den Taliban bekannt, die schwarze Listen von Personen führen würden, die in den Fokus von Verfolgung geraten wären, welche landesweit ausgetauscht würden. Dem Rechercheergebnis sei weiter zu entnehmen, dass die Familie des Beschwerdeführers lediglich mit der Unterstützung der dortigen Dorfgemeinschaft leben würde, jedoch unter desaströsen Bedingungen. Die Unterstützung würde im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers nicht weiter bestehen. Eine zumutbare innerstaatliche Neuansiedelungsalternative für die gesamte Familie in einer der als vermeintlich sicher geltenden Städte sei vor dem Hintergrund der EASO-Leitlinien ebenfalls zu verneinen. Dem Beschwerdeführer wäre abseits der auch in diesen Städten bestehenden Risiken für Leib und Leben eine Niederlassung ohne seine Familie und ohne jeglichen Kontakt in einer der Städte jedenfalls nicht zumutbar.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, bekennt sich zum islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung und stammt ursprünglich aus der Provinz Maidan Wardak.

Der Beschwerdeführer, welcher Paschtu und Dari auf muttersprachlichem Niveau sowie Urdu, Englisch und Deutsch beherrscht, hat im Herkunftsstaat zwölf Jahre lang die Schule besucht und im Anschluss zunächst als Schneider sowie in der Folge im Zeitraum von 2004 bis Anfang 2013 als Sicherheitsmitarbeiter für das World Food Programme der Vereinten Nationen in Kabul gearbeitet. Seine Aufgabe war es insbesondere, ausländische Besucher und Fahrzeuge am Tor zu kontrollieren und hinein zu begleiten sowie deren Sicherheit zu gewährleisten. Auch begleiteten sie etwa Transporte von Lebensmitteln in andere Provinzen.

Nachdem sein Arbeitsverhältnis nicht verlängert wurde, ging dieser bis zu seiner Ausreise im Herbst 2015 einer landwirtschaftlichen Tätigkeit in seiner Heimatprovinz nach. Gemeinsam mit einer weiteren Person gründete er ein Gewächshaus und war so in der Lage, den Lebensunterhalt für seine Familie zu sichern. Der Beschwerdeführer hat seinen Herkunftsstaat im Herbst 2015 illegal und schlepperunterstützt verlassen, ist über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn illegal nach Österreich gelangt und hat am 19.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die Tätigkeit des Beschwerdeführers für das World Food Programme der Vereinten Nationen ist in dessen Heimatort bekannt geworden und er wurde dort im Vorfeld seiner Ausreise im Jahr 2015 durch in der Herkunftsregion agierende Mitglieder der Taliban bedroht. Es ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dieser bei einer Rückkehr in seine unmittelbare Herkunftsregion mit Sanktionen durch dort agierende Mitglieder der Taliban zu rechnen hätte. Der Beschwerdeführer hätte im Falle seiner Rückkehr und Niederlassung in Mazar-e Sharif oder Herat keine Verfolgung durch Angehörige der Taliban in Zusammenhang mit seiner im Jahr 2013 beendeten Tätigkeit für die Vereinten N

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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