TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/29 W159 2142817-2

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Veröffentlicht am 29.04.2021
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Entscheidungsdatum

29.04.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W159 2142817-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkte I. bis III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2020, Zl. XXXX beschlossen:

A) Das Verfahren wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. wegen der Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGV eingestellt.

II.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2020, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.04.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

II. Gemäß § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen XXXX , StA. Afghanistan auf Dauer unzulässig ist und XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß §§ 54, 55, und 58 AsylG 2005 idgf erteilt wird.

Zu I. und II:

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang (Zu I. und II.):

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und sunnitischen moslemischen Glaubens, gelangte spätestens am 13.01.2016 irregulär nach Österreich und stellte an diesem Tag auch einen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, sein Nachbar sei vor etwa drei Jahren von der afghanischen Regierung festgenommen worden, da er Taliban gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei anschließend von den Einheimischen beschuldigt worden, den Nachbarn an die afghanische Regierung verraten zu haben und er sei mit dem Tode bedroht worden. Der Beschwerdeführer sei in den Iran geflüchtet und habe sich dort nicht mehr sicher gefühlt, als sein Nachbar vor etwa einem halben Jahr freigelassen worden sei. Deswegen sei er nach Europa weitergeflüchtet.

In der niederschriftlichen Einvernahme vom 10.11.2016 gab der Beschwerdeführer an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und sunnitischer Moslem. Er sei 21 Jahre alt, an sein Geburtsdatum könne er sich nicht erinnern. Er sei in XXXX in der Provinz Balkh geboren worden und dort aufgewachsen. Er sei ledig und habe keine Kinder. Befragt gab er an, er sei in seiner Heimat nicht politisch tätig gewesen und habe keiner politischen Partei angehört. Er habe keine Probleme mit Behörden (staatsähnlichen Institutionen) gehabt. Er habe in seinem Heimatland keine strafbaren Handlungen getätigt.

Der Beschwerdeführer gab an, er habe die Schule mit der zwölften Klasse abgeschlossen. Danach habe er seinem Land dienen wollen. Er habe sich bei der Afghanischen Regierung – Amnjat – beworben. Er sei nach Kabul bestellt worden und habe sich dort drei Monate aufgehalten und eine Prüfung abgelegt. Er sei nach XXXX zurückgekehrt und nach 15 Tagen aufgefordert worden einen Vorbereitungskurs in der Dauer von vier Monaten zu absolvieren. Danach sei er wieder nach Hause gefahren. Während seines Aufenthalts zu Hause, sei die Amnjat in das Dorf des Beschwerdeführers gekommen und habe es umstellt. Die Amnjat habe das Haus des Nachbarn, XXXX , fokussiert, die Stromzufuhr gekappt und sei auf das Dach geklettert, habe das Haus gestürmt und den Vater und den Bruder verhaftet sowie Gegenstände aus dem Haus konfisziert. Der Nachbar und die beiden anderen Brüder des Nachbarn seien auch verhaftet worden. Die Mutter von XXXX habe den Beschwerdeführer bedroht und ihn beschuldigt ihre Familie der Regierung übergeben zu haben. Sie werde nun veranlassen, dass der Beschwerdeführer den Taliban übergeben werde. Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1390 ausgereist und habe sich vier Jahre im Iran aufgehalten. Dreimal sei der Beschwerdeführer in dieser Zeit nach Afghanistan, XXXX abgeschoben worden. Er sei immer wieder in den Iran zurückgekehrt, aus Angst in Afghanistan getötet zu werden. Er habe nicht einmal seine sterbende Mutter besucht. Er habe auch in dieser Zeit nicht nach Europa reisen wollen, in der Hoffnung, dass gegen diese Leute seitens der afghanischen Behörden vorgegangen werde. Der Beschwerdeführer gab an, auch sein Bruder, ein Lehrer, habe wegen ihm das Land verlassen müssen. Diese Leute hätten gedroht, jeden und dessen Familie zu töten, der künftig mit der Amnjat etwas zu tun habe.

Es wurde ein Unterstützungsschreiben und eine Tazkira sowie die schriftliche Übersetzung der Tazkira vorgelegt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt vom 06.12.2016, Zl. XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten unter Spruchpunkt I. sowie II. abgewiesen. Im Spruchpunkt III. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gem. § 46 FPG zulässig ist. Im Spruchpunkt IV. wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Die Behörde gab an, sie habe das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geglaubt. In der rechtlichen Beurteilung wurde unter Spruchpunkt I. angeführt, dass der Beschwerdeführer keine tatsächliche, glaubhafte, asylrelevante Verfolgung gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention seiner Person vorgebracht habe. Im Spruchpunkt II. wurde auf die sichere Heimatprovinz und innerstaatliche Fluchtalternativen verwiesen. Im Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei, da der internationale Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Status des Schutzberechtigten abgewiesen worden sei. Im Spruchpunkt IV. wurde die Rückkehrentscheidung mit einer Frist für die freiwillige Ausreise verbunden.

Der Beschwerdeführer erhob, vertreten durch den XXXX Beschwerde gegen alle Spruchpunkte des Bescheides vom 06.12.2016

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.2019, Zl. W 246 2142817-1/35E wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wurde stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. Der Beschwerdeführer erhielt eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 18.02.2020. Der erkennende Richter hat das Fluchtvorbringen nicht geglaubt. Er stellte fest, dass der Beschwerdeführer an einer chronischen Hepatitis B Infektion mit steigender Viruslast leide, welche eine antivirale Therapie erfordere. Aufgrund dieser Erkrankung würde der unter Einschränkungen bei der Arbeitssuche und –ausübung leiden und die innerstaatlichen Fluchtalternativen, insbesondere die Städte XXXX , XXXX und XXXX seinen unzumutbar.

Mit Antrag vom 07.01.2020 wurde die Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG begehrt. Der Beschwerdeführer gab an, dass die Voraussetzung unverändert vorliegen würden und er den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung für die höchstzulässige Dauer stelle.

In der niederschriftlichen Einvernahme zum Aberkennungsverfahren am 17.07.2020 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Zl. XXXX gab der Beschwerdeführer an, er sei nunmehr gesund. Er müsse nur mehr alle sechs Monate zur Untersuchung gehen. Alle Werte seien normal, er würde keine Medikamente mehr brauchen. Zu seiner Familie befragt gab der Beschwerdeführer an, er habe fünf Brüder und drei Schwestern. Ein Bruder würde in Kabul und der Rest der Familie in XXXX leben. Die gesamte Familie hätte Corona gehabt. Seine Familie würde von der Landwirtschaft leben.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2020, Zl. XXXX wurde unter Spruchpunkt I. der mit Erkenntnis vom 18.02.2019, Zl. W 246 2142817-1/35E zuerkannte Status des subsidiären Schutzberechtigten von Amtswegen aberkannt, unter Spruchpunkt II. der Antrag vom 07.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen und unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Unter Spruchpunkt IV. wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und unter Spruchpunkt VI. eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang, einschließlich der letzterwähnten niederschriftlichen Einvernahme dargestellt, die Beweismittel aufgelistet und Feststellungen zu Afghanistan getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten lediglich zuerkannt worden sei, weil er damals an chronischer Hepatitis B mit steigender Viruslast gelitten hätte und eine antivirale Therapie erforderlich gewesen sei. In der Einvernahme am 17.07.2020, habe der Beschwerdeführer selbst angegeben, dass er gesund sei und keinerlei Medikamente mehr bedürfe. Da der Beschwerdeführer nunmehr uneingeschränkt arbeitsfähig sei, seine Familie im Heimatland leben würde, er im afghanischen Umfeld aufgewachsen sei, er in der Lage sei sich anzupassen und zu integrieren, könne eine Rückkehr kein Problem darstellen. Der in Österreich gewonnene Erfahrungsschatz werde dem Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr zu Gute kommen und hilfreich sein.

Die Umstände wurden in der rechtlichen Begründung zu Spruchteil I. noch näher ausgeführt und weiters darauf hingewiesen, dass bei einer Rückkehr seine Versorgung grundsätzlich gesichert wäre. Aufgrund der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sei auch die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abzuweisen gewesen (Spruchpunkt II.) Die Voraussetzungen des § 57 AsylG würden nicht vorliegen (Spruchpunkt III.) Zu Spruchpunkt IV. wurde insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keiner Beschäftigung nachgehen würde und nach wie vor Unterstützung durch den Staat bedürfe. Der Besuch eines Deutschkurses oder einer Berufsausbildung würde noch kein schützenswertes Privatleben begründen. Zu Spruchpunkt V. wurde dargelegt, dass im vorliegenden Fall keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vorliege und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe. Im Spruchpunkt VI wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Der Beschwerdeführer erhob am 10.08.2020, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen alle Spruchpunkte des Bescheides, in vollem Umfang fristgerecht Beschwerde. In dieser wurde auf die Mangelhaftigkeit des Bescheides hingewiesen. Der Beschwerdeführer sei gesund und jung, sei seit 4,5 Jahren in Österreich und unbescholten. Seit er den Status des subsidiär Schutzberechtigten hätte, habe er sich beim AMS registriert und Deutschkurse absolviert. Es sei auch festzuhalten, dass sich die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage seit Anfang 2016 nicht wesentlich verbessert hätten. Diese Gründe hätte u.a. zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsbestätigung geführt.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 20.04.2021 an, zu der die belangte Behörde entschuldigt nicht erschien und der Beschwerdeführer in Begleitung seiner nunmehrigen Rechtsvertretung, BBU GmbH, vertreten durch XXXX anwesend war.

Befragt gab der Beschwerdeführer an, er sei psychisch und physisch in der Lage sind, der mündlichen Verhandlung ohne Probleme zu folgen.

Die Rechtsvertretung brachte den Arbeitsvertrag mit der Firma XXXX , eine Bestätigung des Arbeitsverhältnisses, die Lohn- und Gehaltsabrechnungen von August 2020 bis März 2021 und einen Mietvertrag in Vorlage. Außerdem brachte die Rechtsvertretung vor, dass der Beschwerdeführer seit über fünf Jahren durchgehend im österreichischen Bundesgebiet leben würde, unbescholten sei und sich um eine umfassende Integration bemühe. Er habe durch die vorgelegten Unterlagen bewiesen, dass er die bisher in Österreich verbrachte Zeit erfolgreich genutzt habe, um sich in vielerlei Hinsicht in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Er habe Deutschkurse besucht und würde bereits gut Deutsch sprechen. Er habe seinen Arbeitswillen unter Beweis gestellt und würde in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen und sei somit selbsterhaltungsfähig. Überdies würde er mit seiner Freundin, die subsidiär schutzberechtigt sei, im gemeinsamen Haushalt leben. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung würden die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich und an der Fortführung seines bestehenden Privatlebens überwiegen. Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich als unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 EMRK erweisen. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkt I., II. und III. des Bescheides werde nach Rücksprache mit dem Beschwerdeführer zurückgezogen.

Befragt gab der Beschwerdeführer an, er würde sich seit mehr als fünf Jahren in Österreich aufhalten, das genaue Datum seiner Einreise wisse er nicht. Er habe sich zwischenzeitlich in keinem anderen Staat aufgehalten.

Der Beschwerdeführer gab an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und sunnitischer Moslem. Er würde seine Religion in Österreich ausüben. Er führte weiter aus, er sei am XXXX , in XXXX , in der Provinz Balkh geboren worden und habe er bis zu seinem 20. Lebensjahr in Balkh gelebt. Danach habe er sich sechs Monate in Kabul aufgehalten. Anschließend sei er in den Iran gereist und habe etwa dreieinhalb Jahre dort gelebt. Dann sei er nach Europa weitergereist. Seit er im 20. Lebensjahr Afghanistan verlassen habe, sei er nicht mehr zurückgekehrt. Er verfüge über Familienangehörige, drei Schwestern und fünf Brüder sowie eine Tante mütterlicherseits, in Afghanistan. Seine Eltern seien beide eines natürlichen Todes sowie eine Tante, verstorben. Er würde nur mit einem Bruder in Kontakt stehen. Seine Familienangehörigen würden arbeiten gehen und gerade so viel verdienen, dass sie das Leben finanzieren könnten. Seine Familie könnte den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht unterstützen. Befragt gab der Beschwerdeführer an: „Während der Quarantäne habe ich meine Familie unterstützt, weil sie wegen Corona sonst verhungert wären. Sie waren nicht krank, aber wegen der Quarantänemaßnahmen konnten sie nicht arbeiten.“

Der Richter erkundigte sich nach der schulischen oder sonstigen Ausbildung des Beschwerdeführers in Afghanistan. Der Beschwerdeführer erzählte, er habe 12 Jahre lang die Schule besucht und auch abgeschlossen und ein Jahr als Polizist gearbeitet. Darüber hinaus habe er während seiner Schulzeit in der Landwirtschaft gearbeitet. Zurzeit würde er weder an einer psychischen noch an einer körperlichen Krankheit leiden. Seit ihm vor einem Jahr der subsidiäre Schutz aberkannt worden sei, würde er jedoch unter extremen Stress leiden. Er habe trotzdem gearbeitet. Seine Hepatitis-B-Erkrankung sei ausgeheilt.

Der Richter erkundigte sich was er zurzeit machen würde. Der Beschwerdeführer antwortet: „Ich bin Koch und Grillmeister XXXX . Das ist ein Burgerrestaurant.“ Er habe diesen Job seit etwa 8 Monaten. Das Restaurant sei auch während des Lockdowns geöffnet, die Kunden hätten die Möglichkeit sich die Speisen abzuholen. „Früher habe ich zwölf Stunden am Tag gearbeitet, jetzt bin ich in der Kurzarbeit und arbeite ich zwei bis drei Mal wöchentlich jeweils acht Stunden.“ Befragt gab er an, er würde 1.180 Euro netto im Monat verdienen.

Vorher hätte er nicht arbeiten dürfen, er habe jedoch freiwillige Arbeiten geleistet und dafür gäbe es auch Bestätigungen.

Der Richter erkundigte sich, ob der Beschwerdeführer in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft leben würde. Der Beschwerdeführer führte aus: „Ich lebe mit meiner Freundin zusammen. Ich möchte sie näher kennenlernen, wenn ein Jahr vergangen ist, dann möchte ich sie heiraten. Wir sind auch noch nicht nach islamischen Recht verheiratet. Wir möchten dann auch staatlich heiraten.“ Seine Freundin würde XXXX heißen, sei afghanische Staatangehörige und habe den Titel einer subsidiären Schutzberechtigten in Österreich. Vor dem Lockdown hätten sie zusammengearbeitet, derzeit nicht. Sie sei auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle.

Er selbst habe keine Kinder, jedoch würde seine Freundin zwei Kinder – einen 16-jährigen Sohn und eine elfjährige Tochter - haben. Sie würden in einem gemeinsamen Haushalt leben. „Wir haben ein sehr gutes Verhältnis miteinander, weil der leibliche Vater nicht da ist. Meine Freundin hat sich von dem Kindesvater scheiden lassen. Er ist in Afghanistan. Ich bin den Kindern wie ein Vater.“

Der Beschwerdeführer gab befragt weiters an: „Ich habe einen A1-Kurs besucht und erfolgreich abgeschlossen und war dabei einen Deutschkurs im Niveau A2 zu absolvieren. Dann kam der Lockdown und ich konnte den Kurs nicht weiter fortsetzen und danach habe ich die Ladung für die Einvernahme bekommen, wo mir der subsidiäre Schutz aberkannt wurde und mir gesagt wurde, dass ich eine Arbeit suchen soll und diese Arbeit habe ich dann gefunden und gehe ich dieser Arbeit jetzt nach und deshalb konnte ich den A2-Kurs nicht mehr weiter besuchen. Von der Arbeit aus ist mir gestattet, eine Stunde später zur Arbeit zu kommen, damit ich den Deutschkurs besuchen kann und ich habe vor, den Deutschkurs A2 zu besuchen.“ Nach dem Lockdown würde der Beschwerdeführer gerne den Führerschein machen. Der Beschwerdeführer gab an, er habe auch europäische Freunde. Seine Freizeit würde er mit seiner Freundin und den Kindern verbringen. Im Moment hätten sie nicht viele Möglichkeiten für Aktivitäten.

Der Richter ersuchte den Beschwerdeführer den Alltag auf Deutsch zu schildern. Der Beschwerdeführer erzählte auf Deutsch: „Ich stehe um 08.00 Uhr auf und duschen und esse dann Frühstück. Dann gehe zur Arbeit. Ich arbeite acht Stunden. Dann komme ich wieder nach Hause.“ Er gab weiters an, er würde in einer Mietwohnung wohnen. Seine Freundin und er seien Hauptmieter und sie würden mit den Kindern der Freundin in dieser Wohnung wohnen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen (Zu I. und II.):

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, sunnitisch muslimischen Glaubens und führt den Namen XXXX . Das Geburtsdatum wurde mit XXXX festgelegt. Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan in der Provinz Balkh, Distrikt: XXXX , geboren und ist dort aufgewachsen. Er lebt mit einer Afghanin, XXXX - sie hat den Titel einer subsidiären Schutzberechtigten in Österreich und den Kindern seiner Lebensgefährtin – ein 16-jähriger Sohn, eine elfjährige Tochter – in einem Haushalt. Der Beschwerdeführer empfindet für die Kinder wie ein Vater. Der Vater der Kinder lebt in Afghanistan und ist von der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers geschieden. Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin haben gemeinsam eine Mietwohnung, als Hauptmiete, gemietet. Die Freizeit verbringt das Paar mit den Kindern gemeinsam. Das Paar und die Kinder leben als „Patchworkfamilie“ zusammen. Es besteht daher – zumindest ansatzweise – ein Familienleben in Österreich.

Es ist nicht erforderlich zu den Fluchtgründen Feststellungen zu treffen.

Der Beschwerdeführer gelangte (spätestens) am 13.01.2016 irregulär nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hat Österreich seither nicht verlassen. Er steht mit einem seiner Brüder, unregelmäßig, telefonisch in Kontakt. Seine Geschwister leben in Afghanistan und können zurzeit gerade ihren Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft bestreiten. Der Beschwerdeführer hat während der Quarantäne in Afghanistan, seinen Bruder und dessen Familie finanziell unterstützt. Die Familie wäre nicht in der Lage den Beschwerdeführer bei einer möglichen Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.2019, Zl. XXXX wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. Der Beschwerdeführer erhielt eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr. Der Beschwerdeführer war an einer chronischen Hepatitis B Infektion mit steigender Viruslast erkrankt, welche eine antivirale Therapie erforderte. Er ist jedoch nunmehr gesund.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2020, Zl. XXXX wurde unter Spruchpunkt I. der mit Erkenntnis vom 18.02.2019, Zl. XXXX zuerkannte Status des subsidiären Schutzberechtigten von Amtswegen aberkannt, unter Spruchpunkt II. der Antrag vom 07.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen und unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Unter Spruchpunkt IV. wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und unter Spruchpunkt VI. eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben nunmehr gesundet ist, die Werte sind normal und er benötigt keine Medikamente mehr.

Der Beschwerdeführer war bemüht nach Erhalt des Status des subsidiär Schutzberechtigten sofort Arbeit zu finden und meldete sich beim AMS. Er arbeitet nunmehr in der Gastronomie, im „ XXXX “, als Koch und Grillmeister, seit 31.08.2020 und verdient etwa 1.300 Euro netto monatlich, während Corona sind es 1.100 Euro netto monatlich.

Der Beschwerdeführer hat den Deutschkurs A1 besucht und erfolgreich abgeschlossen, Er besucht einen Deutschkurs A2, der während des Lockdown in der Coronakrise abgebrochen wurde. Er sprich jedoch spricht Deutsch, wie das während der Verhandlung ersichtlich war. Der Beschwerdeführer ist bemüht ein Deutschdiplom zu absolvieren. Er hat europäische Freunde, mit denen er auch etwas Freizeit verbringt.

Der Beschwerdeführer ist gesund und hat keinen Eintrag in das Strafregister.

In Anbetracht der rechtskräftig negativen Asylentscheidung und der Zurückziehung der Beschwerde hinsichtlich der Aberkennung des subsidiären Schutzes und der Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, ist es auch nicht erforderlich, länderkundliche Feststellungen zu treffen.

Beweis wurde erhoben (In dem vorliegenden Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzes):

- durch Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, am 17.07.2020,

- durch Befragung im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes am 20.04.2021,

- durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde zur Zl. XXXX ,

- durch Vorlage des Arbeitsvertragen zwischen dem Beschwerdeführer und dem Restaurant XXXX und von Gehaltsabrechnungen von XXXX von.08.2020 bis 03.2021

- durch einen Mietvertrag vereinbart zwischen XXXX und dem Beschwerdeführer und seiner Lebensgefährtin XXXX

- sowie Einsichtnahme in den aktuellen, den Beschwerdeführer betreffenden Strafregisterauszug.

2. Die Beweise werden wie folgt gewürdigt:

Für den Beschwerdeführer wurde bei er asylrechtlichen Erstbefragung das Geburtsdatum „ XXXX “ protokolliert. Unbestritten ist der Umstand, dass der Beschwerdeführer afghanischer Staatsangehöriger ist, der Volksgruppe der Tadschiken angehört, sunnitischer Moslem ist und sich seit dem 13.01.2016 im österreichischen Bundesgebiet befindet, wobei er das Bundesgebiet zwischenzeitlich nicht verlassen hat.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer zur Gänze selbsterhaltungsfähig ist, ergibt sich aus den zahlreichen vom Restaurant „ XXXX “ vorgelegten Lohnabrechnungen. Dort ist der Beschwerdeführer als Koch, seit 31.08.2020 tätig. Er hat mit den Arbeitskollegen auch Freundschaften geschlossen.

Der Beschwerdeführer führt in Österreich (zumindest ansatzweise) ein Familienleben. Er lebt mit einer Afghanin, XXXX in einem gemeinsamen Haushalt. Sie hat den Titel einer subsidiären Schutzberechtigten in Österreich und zwei Kinder aus ihrer geschiedenen Ehe. Der Beschwerdeführer gab glaubhaft vor dem BVwG an, er empfinde für die Kinder wie ein Vater. Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin haben gemeinsam eine Mietwohnung, als Hauptmiete, gemietet. Dies ist aus dem vorgelegten Mietvertrag ersichtlich.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nunmehr gesund ist, ergibt auch aus seinen eigenen Aussagen in der Beschwerdeverhandlung und der Nichtvorlage gegenteiliger medizinischer Befunde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu I. A.:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG die Entscheidungen und Anordnungen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Beschluss.

In welchen Fällen das Verfahren einzustellen ist, regelt das VwGVG nicht. Die Einstellung steht nach allgemeinem Verständnis am Ende jener Verfahren, in denen ein Erledigungsanspruch nach Beschwerdeeinbringung verloren geht, worunter auch der Fall der Zurückziehung der Beschwerde zu subsumieren ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG, Anm. 5).

Aufgrund der Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. - III. ist das Verfahren hinsichtlich dieser beiden Spruchpunkte rechtskräftig geworden und das Verwaltungsgericht hat das diesbezügliche Verfahren lediglich mit Beschluss einzustellen (siehe VwGH vom 29.04.2015 Fr 2014/20/0047-11).

Zu II. 1. und 2. A)

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBL I Nr 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Dauer des Aufenthaltes, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung maßgeblich. Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (Vgl. VfGH vom 29.09.2007, B 1150/07-9).

Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Unter Volljährigen reicht das rechtliche Band der Blutsverwandtschaft allein nicht, um ein Familienleben iSd. Art 8 MRK zu begründen. Hier wird auf das tatsächliche Bestehen eines effektiven Familienlebens abgestellt, darüber hinaus müssen zusätzliche Merkmale einer Abhängigkeit gegeben sein, die über die sonst üblichen Beziehungen hinausgehen. Vgl. ua. EGMR 30.11.1999 (Baghli gegen Frankreich) Ziff 35; EGMR Ezzouhdi (FN 9) Ziff 34; EGMR 10.07.2003 (Benhebba gegen Frankreich); EGMR 17.01.2006 (Aoulmi gegen Frankreich).

Dazu ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer ein Familienleben in Österreich führt. Er lebt hier in einer Lebensgemeinschaft mit einer Afghanin, welcher der Status der subsidiär Schutzberechtigten zugesprochen wurde. Seine Lebensgefährtin ist geschieden, ihr Ex-Mann lebt in Afghanistan. Seine Lebensgefährtin hat zwei Kinder, einen 16-jährigen Sohn und eine elfjährige Tochter. Für beide Kinder, empfindet der Beschwerdeführer wie ein Vater, wie er vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft angegeben hat.

Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und den Kindern in einer Mietwohnung in Linz. Diese Wohnung haben der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin gemeinsam gemietet, wie aus dem Mietvertrag ersichtlich ist. Die Freizeit verbringt die Patchworkfamilie gemeinsam.

Unter „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua. gegen Lettland).

Hierbei ist neben diesen (beispielhaft angeführten) Kriterien, aber auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VfGH vom 12.06.2007, B 2126/06; VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07-9; VwGH vom 24.04.2007, 2007/18/0173; VwGH vom 15.05.2007, 2006/18/0107, und 2007/18/0226).

Nach ständiger Rechtssprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Gerade dieser Umstand trifft auf den Beschwerdeführer nicht zu, zumal er (rechtskräftig) mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2016, Zl. 1059495505-150350667, den Status eines subsidiär Schutzberechtigten und die dazugehörige befristete Aufenthaltsberechtigung erhalten hat und daher spätestens seit diesem Datum über ein staatliches Aufenthaltsrecht verfügt hat und sich nicht bloß aufgrund der Asylantragsstellung im Inland aufhalten durfte.

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach integrationsbegründete Schritte in einem Zeitraum, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein habe müssen, zu relativieren sind (VwGH vom 28.02.2019 Ro 2019/01/003, jüngst VwGH vom 10.04.2020 Ra 2019/19/0430) trifft im vorliegenden Fall ebenfalls nicht zu, wobei der Verwaltungsgerichtshof auch erst jüngst ausgeführt hat, dass auch eine im Zuge eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangte Integration nicht ohne Gewicht ist (VwGH vom 06.04.2020 Ra 2020/20/0055-9)

In die Interessenabwägung ist auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat mit einzubeziehen, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Zwar hat der VwGH zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, Zl. 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479), der Beschwerdeführer ist seit 08.04.2015 in Österreich aufhältig. Er hat seine Familie nicht in Afghanistan besucht und hat die „magische Grenze“ der Aufenthaltsdauer von fünf Jahren überschritten.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich gut integriert. Der Beschwerdeführer hat einen Freundeskreis, auch aus Europäern aufgebaut, mit welchen er auch Teile seiner Freizeit verbringt.

Der Beschwerdeführer ist selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer arbeitet als Koch seit 31.08.2020 im XXXX für 40 Stunden. Er verdient etwa 1.300 Euro netto monatlich, während der Corona-Maßnahmen sind es 1.100 Euro netto monatlich.

Der Beschwerdeführer hat noch kein Deutschdiplom erworben, jedoch spricht er Deutsch, wie das während der Verhandlung ersichtlich war. Der Beschwerdeführer ist bemüht ein Deutschdiplom zu absolvieren.

Der Beschwerdeführer ist nicht vorbestraft.

Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 1. 7. 2009, U992/08 bzw. VwGH 17. 12. 2007, 2006/01/0216; 26. 6. 2007, 2007/01/0479; 16. 1. 2007, 2006/18/0453; 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; 22. 6. 2006, 2006/21/0109; 20. 9. 2006, 2005/01/0699), im gegenständlichen Fall überwiegen aufgrund der dargestellten Gründe in einer Gesamtabwägung aller Umstände die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründeten Rechtfertigungen erkennen lassen (vgl. VwGH 22. 2. 2005, 2003/21/0096; vgl. ferner VwGH 26. 3. 2007, 2006/01/0595, sowie VfSlg 17.457/2005). Die vom Bundesamt verfügte Rückkehrentscheidung des Beschwerdeführers nach Afghanistan ist daher nicht im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.

Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen (siehe auch BVwG vom 04.12.2017, W107 2163499-1/13E).

Da die maßgeblichen Umstände in ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, war die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (in diesem Sinne auch schon AsylGH vom 11.08.2009, Zl. B5 241.319-2/2009/3E, AsylGH vom 29.10.2009, Zl. D8 263154-0/2008/20E, AsylGH vom 09.11.2009, Zl. D7 242438-9/2008/20E, AsylGH vom 27.10.2009, Zl. E3 249.769-2/2009/5E, AsylGH vom 29.01.2010 D3 400226-1/2008/15E, u.a.).

Gemäß dem (mit 01.10.2017 in Kraft getretenen) § 55 Abs. AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 leg. cit. eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Auch wenn der Beschwerdeführer derzeit auf Kurzarbeit ist (wegen der Corona Krise), so übersteigt sein Einkommen in Anbetracht des „Regeleinkommen“ (von ca. 1.100 € Netto) jedenfalls erheblich die monatliche Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG.

Das Bundesverwaltungsgericht erteilt dem Beschwerdeführer aus diesem Grund mit konstitutiver Wirkung den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 für die Dauer von zwölf Monaten (§ 54 Abs. 2 Asylgesetz 2005). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer diesen Aufenthaltstitel in Kartenform auszustellen.

Zu Spruchteil I. + II. B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Familienleben Integration Interessenabwägung Lebensgemeinschaft Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Selbsterhaltungsfähigkeit Teileinstellung teilweise Beschwerderückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W159.2142817.2.00

Im RIS seit

20.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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