TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/14 I413 2187103-1

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Veröffentlicht am 14.05.2021
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Entscheidungsdatum

14.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I413 2187107-1/18E
I413 2187110-1/15E
I413 2187103-1/15E
I413 2187105-1/15E
I413 2187109-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerden des XXXX , geb. XXXX , der XXXX , geb. XXXX , des minderjährigen XXXX , geb. XXXX, der minderjährigen XXXX, geb. XXXX und der minderjährigen XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörige des Irak und vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4/4. Stock, 1020 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Außenstelle Wien vom 22.01.2018 zu Zl. XXXX, Zl. XXXX, Zl. XXXX, Zl. XXXX und Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.04.2021 zu Recht erkannt:

A)
Die Beschwerden werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. jeweils wie folgt zu lauten hat: „Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG wird Ihnen nicht erteilt.“

B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Verfahren des XXXX (Erstbeschwerdeführer), seiner Ehefrau XXXX (Zweitbeschwerdeführerin) sowie ihrer gemeinsamen minderjährigen Kinder XXXX (Drittbeschwerdeführer), XXXX (Viertbeschwerdeführerin) und XXXX (Fünftbeschwerdeführerin), alle Staatsangehörige des Irak, sind gemeinsam als Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG zu führen.

1.       Der Erstbeschwerdeführer stellte nach dessen illegaler Einreise in Österreich am 18.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er befragt nach seinen Fluchtgründen im Zuge seiner Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes ausführte, er wäre verfolgt und ein paarmal fast entführt worden.

2.       Mit 04.01.2016 stellte schließlich die Zweitbeschwerdeführerin für sich und die drei minderjährigen Kinder einen Antrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gab sie zu Protokoll, ihr Mann sei seit drei Monaten in Österreich, sie selbst sei zuerst nach Erbil geflohen, weil es in ihrem Heimatort nicht mehr sicher gewesen sei. Dann wäre sie weiter in die Türkei geflohen, weil auch dort alles durch Bomben zerstört worden sei und sie mit ihrer Familie zusammen sein wolle.

3. Jeweils am 09.01.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) einvernommen. Dabei gab der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen an, dass 2004 zwei Männer von ihm und seinem Schwager Esam jeweils 5.000 USD gefordert hätten, welche sie jedoch nicht bezahlt hätte. Später habe er dann bei einer Autofahrt mit seinem Schwager eine Schussverletzung am Bein, sein Schwager eine Kugel in die Hand und eine leichte Verletzung am Bauch erlitten. Schließlich sei sein Schwager Esam erschossen worden. Anfang 2008 habe ein Fahrgast den Erstbeschwerdeführer gefragt, wie es mit der Anzeige weitergehe und ob er schon als Zeuge erschienen sei, woraufhin der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie nach Bagdad zurückgekehrt wäre. 2008 bis Ende 2010 habe der Erstbeschwerdeführer normal mit seiner Familie gelebt, dann sei einmal versucht worden, sein Auto von der Beifahrerseite aufzubrechen. Der Erstbeschwerdeführer sei diesem Typen nachgelaufen, wobei ihn jemand auf den Kopf geschlagen und der Erstbeschwerdeführer sein Bewusstsein verloren habe. 2012 wäre die Familie schließlich nach Erbil gefahren und hätte dort gelebt. Als der Erstbeschwerdeführer von einem Auftrag in Kirkuk zurückgekehrt sei, wäre ein Auto hinter ihm her gewesen und er mit einer Pistole bedroht worden. Nach diesem Vorfall sei der Erstbeschwerdeführer bis zu seiner Ausreise in Erbil geblieben, wobei er sicher gewesen sei, dass es die Leute von 2004 gewesen wären. Die Zweitbeschwerdeführerin führte aus, sie sei aufgrund ihres Mannes wegen der Familienzusammenführung nach Österreich gekommen. Sie selbst und ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

4.       Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden vom 22.01.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

5.       Gegen die gegenständlich angefochtenen Bescheide wurde fristgerecht durch den damaligen Rechtsvertreter Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

6.       Mit Schriftsatz vom 22.02.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 23.02.2018, legte die belangte Behörde den Verwaltungsakt samt der Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor.

7.       Mit Ersuchen vom 08.05.2018 bzw. Fax vom 17.05.2018 wurde um Richtigstellung des Namens des Erstbeschwerdeführers gebeten.

8.       Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Abteilung L502 abgenommen und an die Abteilung I413 neu zugewiesen.

9.       Mit 22.02.2021 wurde an die Staatendokumentation eine Anfrage hinsichtlich der Sicherheits- und Gefährdungslage, der Versorgung, des Schulzuganges, der medizinischen Versorgung etc. in Hinblick auf Kinder in Anbar, insbesondere in Falludscha und al-Qa‘im, gestellt. Eine mit 10.03.2021 datierte entsprechende Anfragebeantwortung wurde dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

10.      Der damalige Rechtsvertreter der Beschwerdeführer teilte mit Schriftsatz vom 04.03.2021 mit, dass das Vollmachtsverhältnis zu ihm mit sofortiger Wirkung aufgelöst sei. Einlangend mit 16.03.2021 wurden die Vollmachten der nunmehrigen Rechtsvertretung dargetan.

11.      Mit Schriftsätzen vom 30.03.2021 und 06.04.2021 wurden Urkunden zu den Beschwerdeführern in Vorlage gebracht.

12.      Am 14.04.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit sämtlicher Beschwerdeführer, ihrer Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin für die arabische Sprache statt, in dessen Rahmen mit den Beschwerdeführern die gegenständliche Beschwerdesache erörtert wurde. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen.

13.      Mit Schriftsatz vom 15.04.2021 wurden weitere die Beschwerdeführer betreffende Urkunden dargetan.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Irak. Es handelt sich bei ihnen um einen volljährigen Mann (Erstbeschwerdeführer), seine volljährige Ehegattin (Zweitbeschwerdeführerin) sowie ihre drei minderjährigen Kinder (Drittbeschwerdeführer, Viertbeschwerdeführerin und Fünftbeschwerdeführerin). Die Beschwerdeführer bekennen sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und sind der Volksgruppe der Araber zugehörig. Ihre Identität steht fest.

Keiner der Beschwerdeführer leidet an einer lebensbedrohlichen oder dauerhaft behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung. Sie fallen nicht unter die Risikogruppe gemäß der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind beide erwerbsfähig.

Der Erstbeschwerdeführer wurde in Falludscha in der Provinz al-Anbar geboren (etwa. 50 km westlich von Bagdad). Aufgewachsen ist er in al-Qa’im, wo er auch bis 2004 gelebt und die Schule besucht hat. Der Vater des Erstbeschwerdeführers war die meiste Zeit in Bagdad aufhältig. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde ebenfalls in Falludscha in der Provinz al-Anbar geboren, wo sie auch aufwuchs. Sie lebte dort bis zu ihrer Verehelichung in einem im Eigentum ihrer Familie stehenden Haus. In al-Qa’im fand im Jahr 2005 die Hochzeit des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin statt, wobei die Eheleute auch für die Dauer von etwa einem Jahr gemeinsam in al-Qa’im lebten, zudem auch in Falludscha und Bagdad. Bis zur Ausreise war die Familie schließlich in Erbil wohnhaft.

Im Irak war der Erstbeschwerdeführer als Taxifahrer, Installateur, Mechaniker und Tankwagenfahrer berufstätig. Aufgrund seiner Berufserfahrung hat er eine Chance, auch künftig am irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen, da es im Irak mehrere Arbeitsmöglichkeiten gibt, bei denen der Beschwerdeführer viel Geld verdienen kann. Die Zweitbeschwerdeführerin erwarb im Irak ein Diplom eines Lehramtinstituts und übte den Beruf der Arabisch-Lehrerin sowohl in al-Qa’im als auch in Falludscha aus. Aufgrund ihrer Ausbildung und Berufserfahrung hat auch sie eine Chance, künftig am irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

In al-Qa’im befindet sich das nach wie vor im Eigentum der Familie des Erstbeschwerdeführers stehende dreistöckige Haus mit ca. 230 m2, bestehend aus ca. sieben Zimmern plus Küche, in welchem eine fünfköpfige Familie problemlos leben kann.

Aktuell leben die Eltern, die Brüder sowie Schwestern des Erstbeschwerdeführers in der Türkei, wobei die Mutter im Moment im Irak aufhältig ist, um ihre Pension zu beantragen. Eine weitere Schwester des Erstbeschwerdeführers lebt in der Provinz al-Anbar, in Ramadi, ein weiterer Bruder in Deutschland. Zu allen Familienangehörigen pflegt der Erstbeschwerdeführer den Kontakt, jedoch in unterschiedlichem Ausmaße. Zudem leben auch Verwandte des Erstbeschwerdeführers in Bagdad, zu welchen jedoch kein Kontakt besteht. Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin (Mutter, Geschwister) lebt nach wie vor in Falludscha in einem im Eigentum ihrer Familie stehenden Haus, wobei im ersten Stock ihr Bruder mit Frau und vier Kindern lebt, zwei Brüder und eine Krankenschwester im Erdgeschoss mit der Mutter der Zweitbeschwerdeführerin. Mit ihrer Familie steht die Zweitbeschwerdeführerin in Kontakt.

Der Erstbeschwerdeführer verließ im Oktober 2015 illegal den Irak und erreichte über Griechenland und Osteuropa schließlich Österreich, wo er am 18.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Zweitbeschwerdeführerin reiste zusammen mit ihren Kindern im Dezember 2015 illegal aus dem Irak aus, dies zu einem Zeitpunkt, zu dem ihr Mann bereits in Österreich internationalen Schutz beantragt hatte. Am 04.01.2016 stellte die Zweitbeschwerdeführerin für sich und ihre drei minderjährigen Kinder im Bundesgebiet die entsprechenden Anträge auf internationalen Schutz.

Alle Beschwerdeführer leben im Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt. Ansonsten verfügen sie in Österreich über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte, auch anderweitige soziale Kontakte von maßgeblicher Bedeutung liegen nicht vor.

Die Beschwerdeführer sind nicht selbsterhaltungsfähig und bestreiten ihren Lebensunterhalt in Österreich über die staatliche Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer verfügt seit dem 19.03.2021 über eine Gewerbeberechtigung zur Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (KFZ-Service), wobei er eine entsprechende Tätigkeit erst mit Mai 2021 aufnehmen wollte. Seit dem 19.03.2021 ist er auch als gewerblich selbständig Erwerbstätiger bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, daneben aber weiterhin auch als Asylwerber bzw. Flüchtling sozialversichert.

In Zusammenhang mit der Integration der Beschwerdeführer bleibt auszuführen wie folgt:

Der Erstbeschwerdeführer war ab dem 13.01.2016 als freiwilliger Mitarbeiter beim Projekt „Refugees for Refugees“ als Friseur tätig, was er jedoch wieder beendet hat. Am 27.10.2016 nahm er am StartWien-Charta Workshop teil, weiters (zumindest) im Zeitraum vom 16.10.2017 bis Januar 2018 an der Kursmaßnahme „Start Wien, Integration ab Tag 1“. Im Zeitraum vom 04.04.2017 bis zum 30.06.2017 besuchte er einen Deutschkurs auf dem Niveau A1, eine Sprachprüfung hat er jedoch nicht abgelegt. Die Deutschkenntnisse des Erstbeschwerdeführers liegen in Anbetracht seines fünfeinhalbjährigen Aufenthalts in Österreich auf einem sehr niedrigen Niveau. Er kann sich in der deutschen Sprache nicht verständlich ausdrücken.

Die Zweitbeschwerdeführerin nahm ebenfalls am 27.10.2016 am StartWien-Charta Workshop teil, weiters am 03.11.2016 am StartWien Info-Modul „Gesundheit“. Am 13.01.2021 bestand sie ihre mündliche Prüfung auf dem Sprachniveau A1 positiv, jedoch spricht auch die Zweitbeschwerdeführerin in Anbetracht ihres knapp fünfeinhalbjährigen Aufenthalts in Österreich Deutsch nur auf einem sehr niedrigen Niveau.

Die drei minderjährigen Beschwerdeführer sprechen sehr gut Deutsch, zuhause sprechen sie mit den Eltern auch Arabisch. Der Drittbeschwerdeführer besucht aktuell die achte Schulstufe der Schulart „Allgemeine Sonderschule“, wobei er in allen Pflichtgegenständen zum Halbjahreszeugnis nach dem Lehrplan „Allgemeine Sonderschule“ beurteilt wurde. Die Viertbeschwerdeführerin besucht die fünfte Schulstufe einer öffentlichen Mittelschule und wurden auch bei ihr sämtliche Pflichtgegenstände beurteilt. Beide Minderjährigen sind zudem Mitglieder des österreichischen Karatebundes. Die Fünftbeschwerdeführerin besucht aktuell den Kindergarten.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführer:

Die Zweitbeschwerdeführerin sowie die gemeinsamen minderjährigen Kinder, Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer/-in, bringen keine eigenen Fluchtgründe vor, sondern beziehen sich auf den Fluchtgrund des Erstbeschwerdeführers.

Der Erstbeschwerdeführer war in seinem Herkunftsland Irak weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe noch aufgrund seiner politischen Gesinnung eine Verfolgung ausgesetzt. Er hat den Irak nicht aus Furcht vor Verfolgung verlassen, vielmehr haben ihn wirtschaftliche Erwägungen zur Ausreise bewogen.

Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak werden die Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt sein.

1.3. Zu einer Rückkehrgefährdung der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer werden im Falle ihrer gemeinsamen Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihnen ihre Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für sie in al-Anbar, im Speziellen in al-Qa’im, die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer/innen befinden sich in einem anpassungsfähigen Alter und haben die Möglichkeit, im Irak kostenfrei eine Schul- und Berufsausbildung zu erhalten, die es ihnen ermöglichen wird, selbsterhaltungsfähig zu werden. Ein Risiko der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer/innen, häuslicher Gewalt ausgesetzt zu sein, besteht nicht. Darüber hinaus besteht hinsichtlich der mj. Viert- und Fünftbeschwerdeführerin auch keine Gefahr, einer Genitalverstümmelung zum Opfer zu fallen bzw. eine Verehelichung im Kindesalter zu erfahren. Den minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer/innen droht im Irak keine Kinderarmut, da ihre Eltern über ein ca 230 m2 großes Haus verfügen, in denen sie ausreichend Platz haben zu wohnen und ihre Eltern aufgrund der für ihren Vater bestehenden Möglichkeiten viel Geld zu machen, da es dort für ihn mehrere Arbeitsmöglichkeiten gibt, wodurch er für den Unterhalt seiner mj Kinder und seiner Ehefrau sorgen kann.

1.4. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

1.4.1. Allgemeine Sicherheitslage:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

1.4.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:

Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2021 gab es nach vorläufigen geschätzten Angaben bis April 235 zivile Todesopfer (Statista 06.05.2021).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Quellen:

- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019,https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (19.08.2020): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2020*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 07.05.2021

1.4.3. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak:

Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).

In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018).

1.4.3.1. Gouvernement Anbar

Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum und Schwerpunkt der IS-Aktivitäten, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019; vgl. Joel Wing 3.2.2020). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat bis Mitte 2019 stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019) und ab Mitte 2019 hat sich Anbar zu einem sekundären Schauplatz entwickelt, mit einem Rückgang der Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle im einstelligen Bereich (Joel Wing 3.2.2020).

Im November 2019 gab es im Gouvernement Anbar keine sicherheitsrelevanten Vorfälle. Im Dezember 2019 waren es fünf Vorfälle mit zwölf Toten und zwei Verletzten (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 war Anbar mit einer Steigerung von fünf Vorfällen im Dezember 2019 auf sieben im Jänner 2020, mit acht Toten und 76 Verletzten das einzige Gouvernement mit einer Zunahme an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit einer Steigerung von fünf Vorfällen. Zu diesen Vorfällen zählen der iranische Raketenangriff auf die Militärbasis Ain Al-Assad, bei dem 64 amerikanische Soldaten verwundet wurden, ein Angriff mit einer Autobombe (VBIED) gegen einen Armeekonvoi, Entführungen und Angriffe mit Schusswaffen (Joel Wing 3.2.2020; vgl. BasNews 16.1.2020). Im Februar 2020 waren es fünf Vorfälle mit je zwei Toten und Verletzten (Joel Wing 5.3.2020).

Quellen:

- Anadolu Agency (13.12.2019): Death toll in Iraq from suspected terror blasts hits 15, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/death-toll-in-iraq-from-suspected-terror-blasts-hits-15/1672348, Zugriff 13.3.2020

- BasNews (16.1.2020): Car Bomb Hits Iraqi Army Convoy, Kills Two, http://www.basnews.com/index.php/en/news/iraq/574768, Zugriff 13.3.2020

- Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (25.11.2019): Islamic State Forcing People Out Of Rural Diyala, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/11/islamic-state-forcing-people-out-of.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new-offensive.html, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (23.12.2019): Car bomb kills 2 Iraqi soldiers, wounds one in western Anbar, https://www.kurdistan24.net/en/news/649d80f9-2f80-474a-b371-331269bb7792, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (7.8.2019): ISIS increases activity in Iraq's disputed territories, https://www.kurdistan24.net/en/news/16f3d2f2-8395-40b8-94f3-ebbd183f398d, Zugriff 13.3.2020

- NINA - National Iraqi News Agency (29.12.2019): An Officer and /3 / fighters were wounded by a suicide bombing, west of Tharthar Valley, https://ninanews.com/Website/News/Details?key=804671, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (12.12.2019): ISIS militants kill 11 PMF in Saladin attack: security officials, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/121220193, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (3.12.2019): Diyala villagers flee spike in attacks by resurging Islamic State, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/03122019, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019, Zugriff 13.3.2020

- USIP - United States Institute of Peace (2011): Iraq‘s Disputed Territories, https://www.files.ethz.ch/isn/128591/PW69.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Xinhua (22.12.2019): Iraqi soldier killed, 7 civilians wounded in separate attacks in Iraq, http://www.xinhuanet.com/english/2019-12/22/c_138648985.htm, Zugriff 13.3.2020

Al-Anbar ist das größte und eines der am dünnsten besiedelten Gouvernorate im Irak. Das Gouvernorat hat sieben Bezirke: Ana, Fallujah, Haditha, Heet, al-Qaim, Ramadi und al-Rutba und grenzt an drei Länder: Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien. Die Hauptstadt von Anbar ist Ramadi. Für das Jahr 2019 wurde die Einwohnerzahl des Gouvernements auf 1 818 318 geschätzt. Das Gouvernement wird überwiegend von sunnitischen Arabern bewohnt.

Straßensicherheit

Verschiedene militärische Gruppen und Sicherheitsakteure sorgten für die Sicherheit in der Provinz al-Anbar; zu ihnen gehörten die ISF, die Polizei, lokale und externe PMU einschließlich schiitischer und sunnitischer Stammesmilizen. Einem Bericht von Al Monitor zufolge „ist in der Provinz al-Anbar eine Vielzahl von Kontrollpunkten verstreut, an denen unterschiedliche Sicherheitskräfte tätig sind. Diese behindern das Fortkommen und sorgen aufgrund der ineffektiven Kommunikation zwischen den diensthabenden Verantwortlichen für Verwirrung über ihre Zuständigkeiten.“ 2019 und auch 2020 wurden weiterhin gelegentliche Anschläge durch aufständische Gruppen einschließlich ISIL auf Straßen und an Kontrollstellen in der Provinz al-Anbar gemeldet. Laut Angaben von iMMAP im Juni 2020 gab es Meldungen zu explosionsgefährlichen Stoffen auf Straßen in der Provinz al-Anbar in und um Rutbah, Falludscha, Ramadi, Heet und auf der Straße zwischen al-Qa‘im und dem Grenzübergang.

Zwei der drei offiziellen Grenzübergänge zwischen Irak und Syrien liegen in der Provinz al-Anbar, der Übergang al-Qa‘im-Bukamal und der Übergang Tanf-Walid weiter südlich, die Berichten vom März 2020 zufolge geschlossen blieben. Der Grenzübergang zwischen Irak und Syrien in al-Qa’im wurde von der irakischen Regierung am 30. September 2019 geöffnet und unterstand der Kontrolle durch die Grenzpolizei, auch wenn verschiedene PMU weiterhin Präsenz rund um den Hauptkontrollpunkt zeigten. Der Grenzübergang Turaybil-Karameh zu Jordanien sowie der Grenzübergang Arar zu Saudi-Arabien sind ebenfalls in der Provinz al-Anbar gelegen. Medienberichten zufolge war der Grenzübergang Turaybil-Karameh 2019 in Betrieb, während der Übergang Arar geschlossen blieb, seine Wiedereröffnung aber für Oktober 2020 geplant war. Der Grenzübergang Arar und die in seiner Nähe gelegene Stadt Al-Nukhaib wurden von PMU kontrolliert, darunter die irakischen Hisbollah-Brigaden, Al-Najaba, Khorasani und Imam Ali.

In einem Bericht des USDOS von 2020 heißt es: „Bei der Grenzsicherung bestand nach wie vor eine kritische Fähigkeitslücke, da die ISF nur über begrenzte Fähigkeiten verfügen, die Grenzen Iraks zu Syrien und Iran umfassend zu sichern.“ Die Grenze mit Syrien südlich der KRI blieb durchlässig und bot sich an für Aktivitäten des ISIL und anderer terroristischer Netzwerke sowie für Schmuggel und andere strafbare Aktivitäten. Von Iran unterstützte PMU erhielten ihre Präsenz an den größeren Grenzübergängen des Irak aufrecht. Berichten aus dem Jahr 2019 zufolge operierten Einheiten der Kataib Hisbollah entlang der Grenze und unterhielten Kontrollpunkte an der Grenzstraße (Fernstraße 20). Derselben Quelle zufolge kontrollierte Kataib Hisbollah auch den Einreisepunkt Husseibah und wurden die Grenzübergänge Akashat über einen Stützpunkt der Kataib Hisbollah am Flugfeld H-3 nahe Rutbah koordiniert

Quelle:

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation_DE.pdf, S 52, Zugriff 11.05.2021

Im Jahr 2014 übernahm der ISIL die Kontrolle über die Städte des Gouvernements und die ISF flohen weitgehend und gaben ihre Positionen auf. Die Militäroffensive zur Rückeroberung des ISIL-Territoriums wurde im November 2017 formell abgeschlossen. Die ISF haben die Gesamtverantwortung für die Sicherheit innerhalb des Gouvernements, eine Quelle gab jedoch an, dass die staatliche Autorität schwach sein soll. Einige Teile des Gouvernements Anbar, insbesondere entlang der syrischen und irakischen Grenze mit weiten Wüstengebieten, gelten als schwer zu kontrollieren. Mehrere PMU operieren ebenfalls in Anbar, doch die mangelnde Koordination unter ihnen, das Fehlen einer einheitlichen Sicherheitsstrategie und die Unklarheit darüber, wem gegenüber sie rechenschaftspflichtig sind, haben zu Besorgnis und Misstrauen in der Zivilbevölkerung geführt. Stammesführer und sunnitische Kleriker haben immer noch ein hohes Maß an Autorität in lokalen Angelegenheiten. Tribal Mobilization Forces sind auch im Gouvernement Anbar stationiert und ISIL ist immer noch in Anbar präsent. Sicherheitslücken, die durch die Verlegung von ISF zu Anti-Regierungs-Protesten, die COVID-19-Abriegelung sowie den Abzug der meisten US-Truppen aus dem Irak entstanden sind, wurden Berichten zufolge vom ISIL ausgenutzt, um an Stärke zu gewinnen und sich neu zu gruppieren. ISIL-Operationen wurden aus dem gesamten Gouvernement Anbar berichtet, hauptsächlich aus den westlichen Wüstengebieten. Ab März 2020 halten die US-Streitkräfte Berichten zufolge weiterhin zwei Militärstützpunkte im Gouvernement Anbar nahe der irakisch-syrischen Grenze.

Im Rahmen einer Eskalation der Feindseligkeiten zwischen den USA und dem Iran kam es zwischen Dezember 2019 und Januar 2020 zu einer Reihe von Angriffen, einschließlich Luftangriffen, im Irak, von denen einige aus dem Gouvernement Anbar gemeldet wurden. In der Folge versuchten beide Seiten, die Krise zu deeskalieren. Anti-ISIL-Sicherheitsmaßnahmen und Militäroperationen unterschiedlichen Ausmaßes werden Berichten zufolge im Gouvernement Anbar, insbesondere im Westen Anbars, in den Jahren 2019 und 2020 fortgesetzt. ISIL-Überreste führten häufig asymmetrische Angriffe gegen die irakische Bevölkerung und die Sicherheitskräfte im Gouvernement durch. Nach April 2019 kam es in Anbar wieder zu versuchten Angriffen mit vielen Opfern sowie zu einer verstärkten Einschüchterung ländlicher Stämme mit Terrortaktiken wie versuchten Selbstmordanschlägen auf Märkte, Moscheen und Hirten. Im ersten Quartal 2020 stiegen die durchschnittlichen monatlichen ISIL-Angriffe in Anbar auf 27,6, das Dreifache des Durchschnitts von 2019. Bombenanschläge am Straßenrand wurden häufiger eingesetzt und zielten meist auf zivile Fahrzeuge der PMU mit weicher Außenhaut. Für denselben Zeitraum wurden größere taktische Operationen mit Männern gemeldet, die mit Panzerfäusten und Mörsern bewaffnet waren, sowie mehr Scharfschützenangriffe auf Dorf-Mukhtars. Es wurde berichtet, dass Anbar nicht mehr wie früher das Zentrum der Aufständischen ist und die Angriffe bis Juni 2020 weitgehend zurückgegangen sind.

ACLED meldete im Berichtszeitraum insgesamt 240 Sicherheitsvorfälle (durchschnittlich 2,9 Sicherheitsvorfälle pro Woche) im Gouvernorat Anbar, von denen die meisten als Kämpfe und Vorfälle von entfernter Gewalt/Explosionen codiert wurden. Sicherheitsvorfälle gab es in allen Bezirken des Gouvernements, wobei die größte Gesamtzahl im Bezirk Al-Rutba verzeichnet wurde. UNAMI registrierte 34 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, von denen 30 im Jahr 2019 und 4 vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2020 stattfanden (durchschnittlich 0,4 Sicherheitsvorfälle pro Woche für den gesamten Bezugszeitraum).

Im Berichtszeitraum verzeichnete UNAMI insgesamt 120 zivile Opfer (50 Tote und 70 Verletzte) bei den oben genannten Vorfällen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt. Im Einzelnen wurden 105 Opfer im Jahr 2019 und 15 Opfer von Januar bis zum 31. Juli 2020 gemeldet. Im Vergleich zu den offiziellen Zahlen für die Bevölkerung im Gouvernorat entspricht dies 7 zivilen Opfern pro 100 000 Einwohner für den gesamten Bezugszeitraum.

Am 30. Juni 2020 stammten 10 % der gesamten IDP-Bevölkerung im Irak aus dem Gouvernement Anbar. Die Rückkehr in das Gouvernement Anbar übersteigt die Vertreibung, und das Gouvernement Anbar weist weiterhin die zweithöchste Zahl an Rückkehrern auf, mit insgesamt 1 503 468 Rückkehrern zum 30. Juni 2020. Das Gouvernement Anbar beherbergt die dritthöchste Anzahl von Rückkehrern, die unter "schweren Bedingungen" leben. Das Gouvernement Anbar beherbergt außerdem eine Gesamtzahl von 36 162 Binnenvertriebenen. 44 % der Binnenvertriebenen im Gouvernement Anbar werden als in "kritischen Unterkünften" lebend eingeschätzt; damit ist Anbar das Gouvernement mit dem höchsten Anteil an Binnenvertriebenen, die in "kritischen Unterkünften" im Irak leben. Im Laufe des Jahres 2019 wurden Berichten zufolge viele Binnenvertriebene durch erzwungene und verfrühte Rückkehr und erzwungene oder erzwungene Abwanderung aus Lagern und informellen Siedlungen im gesamten Irak, auch im Gouvernement Anbar, in eine sekundäre Vertreibung gezwungen.

Anbar ist eines der Gouvernements mit einer hohen Anzahl an kritischen Infrastrukturschäden als Folge des Konflikts. Dies betrifft insbesondere Schäden an Wohnhäusern, in der Landwirtschaft, an wichtigen kommunalen Dienstleistungen sowie in Industrie und Handel. Die Wiederaufbau- und Rehabilitationsprojekte wurden im Gouvernement Anbar in den Jahren 2019 und 2020 fortgesetzt, eine Quelle berichtete jedoch, dass der Wiederaufbau in den vom Konflikt stark betroffenen Gouvernements, einschließlich Anbar, auch im Jahr 2019 nur langsam vorankam. Berichten zufolge stellt die Kontamination mit Kampfmitteln ein Hindernis für die sichere Rückkehr von Binnenvertriebenen sowie für die Bereitstellung humanitärer Aktivitäten in mehr als einem Drittel der untersuchten Bezirke in Anbar dar.

Al-Anbar zählt zu jenen Gebieten, in denen willkürliche Gewalt stattfindet, allerdings nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um stichhaltige Gründe für die Annahme nachzuweisen, dass eine in das Gebiet zurückgekehrte Zivilperson einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) QD ausgesetzt wäre.

Quelle:

-        EASO Country Guidance, https://easo.europa.eu/country-guidance-iraq-2021; S 36, Zugriff 11.05.2021

Im Jahr 2018 wurden in der Provinz al-Anbar 46 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, welche zu 86 Todesopfern geführt hatten. Dies entspricht einem erheblichen Rückgang gegenüber dem Vorjahr, in dem 170 Vorfälle mit 761 zivilen Todesopfern erfasst wurden. Die aus der Zahl der Todesfälle je 100 000 Einwohner abgeleitete Intensität der Gewalt ging von 45,3 im Jahr 2017 auf 5,1 im Jahr 2018 zurück. Im Vergleich dazu wurden im Jahr 2014 noch 1 739 zivile Todesopfer verzeichnet.

Für das Jahr 2019 (Jan – Dez) verzeichnete EASO bei 30 Vorfällen 43 getötete Zivilpersonen und im ersten Halbjahr 2020 (Jan – Jul) bei 4 Vorfällen 7 getötete Zivilpersonen.

Quellen:

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, March 2019, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/2019_03_13_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation_DE.pdf, S 70, Zugriff 11.05.2021

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation_DE.pdf, S 61, Zugriff 11.05.2021

1.4.3.2. Sicherheits- und humanitären Lage von Kindern in Anbar insbesondere in Fallujah und Al Qa’im:

Auch innerhalb des letzten halben Jahres kam es in der Provinz Anbar, bzw. in den Distrikten Fallujah und Al Qa’im zu sicherheitsrelevanten Vorfällen, bei denen auch Zivilpersonen getötet oder verletzt wurden. Die Quellen verzeichnen eine steigende Aktivität des sog. Islamischen Staates. Hinzukommen militärische Auseinandersetzungen zwischen US-Streitkräften und pro-iranischen Milizen, auch an der Grenze zu Syrien, und hier ebenfalls im Bezirk Al Qa’im. Trotzdem sehen die internationale Militärkoalition und ihre irakischen Partner eine Verbesserung der Sicherheitslage in Anbar. In der detaillierten Aufzählung von ACLED wurden während der letzten sechs Monate keine Kinder als Opfer von gewaltsamen Zusammenstößen verzeichnet. Zuletzt wurden im August 2020 drei Kinder bei einer Granatenexplosion in Anbar getötet. Einer Studie von IOM zufolge, durchgeführt im Herbst 2020, waren 19% der Eltern in Al Qa’im und 26% jener in Fallujah bezüglich der Sicherheit ihrer Kinder besorgt.

Nach dem Irak-Blogger und Experten, Joel Wing, wurden für die Provinz Anbar im Februar 2021 sieben getötete Personen verzeichnet, wobei fast alle Opfer Soldaten und Stammes-Mitglieder der MPF gewesen sind, die versuchten, eine Autobombe zu entschärfen. Attacken des IS verebbten im Februar 2021. In den ersten vier Jänner-Wochen verzeichnete er sechs Tote, im Dezember 2020 drei, im November 2020 sieben.

Asharq Al-Awsat, eine der größten arabischen Zeitungen der Welt mit Redaktionssitz in London und im Besitz des saudischen Königshauses, berichtet im Februar 2021 von Befürchtungen sowohl von Einwohnern Fallujahs als auch von Sicherheitsbeamten, dass der US-Amerikanische Truppenabzug ein Sicherheitsvakuum in der Region schaffen könnte.

Die „Global Coalition“, aus 82 Mitgliedern bestehend, die sich dem Kampf gegen den sog. Islamischen Staat (Daesh) verschrieben haben, berichtet im Februar 2021, dass sich die Sicherheitslage in der Provinz Anbar, als vormalige Hochburg des sog. IS (Daesh), deutlich verbesserte habe und es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) ermögliche, eine Reihe von Initiativen zur Wiederherstellung der Normalität für die Bewohner zu starten. Dazu gehören die Aufhebung der nächtlichen Ausgangssperre, die seit 2003 in Kraft war, die Verlegung von Militäreinheiten aus der Provinz und die Wiedereröffnung wichtiger Autobahnen und Straßen, damit die Bewohner wieder frei und sicher in andere irakische Gouvernements und darüber hinaus reisen können. Die ISF würden auch eng mit humanitären Organisationen zusammenarbeiten, um Hilfsgüter an bedürftige Familien zu verteilen, und hätten mehrere Feldkrankenhäuser eröffnet, um einige der bedürftigsten und verzweifelteren Menschen in Anbar medizinisch zu versorgen.

EASO vermerkt in seinem Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom Oktober 2020 unter Nennung von Fallujah und Al Qa’im Folgendes:

[…] Nach Schätzungen von Knights und Almeida hatte sich in weniger als anderthalb Jahren ab Ende 2018 die Zahl der Gebiete mit aktiven IS-Angriffszellen von 27 auf 47 fast verdoppelt. Nach Darstellung der Verfasser im März 2020 befanden sich diese 47 Gebiete in: „Al-Anbar: Akashat; Grenzbereich al-Qaim/Abu Kamal; Wadi Horan/Rutbah; Nukhayb; Korridor Rawah-Anah-Haditha; Hit; Ramadi und Lake Razazah; Karmah und südliches Thar und Fallujah/Amiriyat al-Fallujah. […] Knights und Almeida stellten im Mai 2020 fest, der ISIL unterhalte aktive Anschlagszellen in folgenden Gebieten der Provinz al-Anbar: Akashat; Grenzbereich al-Qa‘im/Abu Kamal; Wadi Horan/Rutbah; Nukhayb; Korridor Rawah-Anah-Haditha; Hit; Ramadi und Razazah-See; Karmah und südliches Thar und Falludscha/Amiriyat al-Fallujah. […]

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stellte in seinem Bericht vom Mai 2020 fest, dass ungeachtet der Hindernisse für eine Rückkehr in die fünf zuvor vom sog. IS kontrollierten Gouvernements: Salah Ad-Din, Anbar, Ninawa, Kirkuk und Diyala 2.375 Stabilisierungsprojekte unter anderem in den Bereichen Wohnraum, Existenzsicherung und Bildung abgeschlossen waren und weitere 215 durchgeführt wurden. Diese Projekte ermöglichten bis zum 29.2.2020 4,7 Millionen irakischen Binnenvertriebenen die Rückkehr in ihre Heimat.

Die irakische Nachrichten-Webseite, Shafaq News, berichtet im August 2020, dass drei Kinder bei der Explosion einer Granate westlich von Ramadi in Anbar von den Überresten des sog. IS in Al-Anbar getötet wurden.

Die Internationale Organisation für Migration publizierte im Jänner 2021 einen Bericht zur psychischen Gesundheit und psychosozialen Bedingungen in Anbar. Dabei wurde auch die subjektive Wahrnehmung von Eltern hinsichtlich der Sicherheit ihrer Kinder untersucht. - 19% der Eltern in Al Qa’im und 26% jener in Fallujah waren bezüglich der Sicherheit ihrer Kinder besorgt.

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass der Wiederaufbau in Anbar nur langsam voranschreitet. Die Hälfte aller Iraker, welche humanitäre Unterstützung brauchen, befindet sich in den beiden Provinzen Ninewa und Anbar. Anbar lag hinter Ninewa an der Spitze jener Provinzen mit dem höchsten Prozentsatz an Personen, die unter einem unzureichenden Lebensmittelkonsum litten.

Familien, die aus Lagern nach Fallujah und Al Qa’im zurückkehrten, gaben an, nicht über ausreichende Lebensmittel zur Abdeckung des Grundbedarfs verfügten – davon in Fallujah 72% und in Al Qa’im 64%. Hinsichtlich der Versorgung mit Trinkwasser gaben fast die Hälfte der Rückkehrer-Haushalte in Fallujah und Al Qa’im an, nicht ausreichend versorgt zu werden. Es gibt Projekte, damit der Mangel an Trinkwasser behoben wird. So hat IOM 2020 in Al-Tahadi in Fallujah eine neue Wasseraufbereitungsanlage für 2.500 Leute errichtet. Insbesondere Schulen scheinen für die Versorgung mit Trinkwasser wichtig zu sein. In Fallujah gaben 88% der Haushalte an (Ende 2019), dass ihre Kinder in der Schule ausreichend mit Trinkwasser versorgt werden.

In Bezug auf die Versorgung mit Hygieneartikeln gaben in Fallujah fast die Hälfte und in Al Qa’im fast 60% der Haushalte einen Mangel an.

UNHCR berichtet im Jänner 2021, dass sich trotz erheblicher administrativer Zugangsprobleme die Reichweite der humanitären Maßnahmen bereits im Jahr 2019 deutlich verbessert habe. Die Provinzen Ninewa und Anbar, wo regelmäßig mäßige bis starke Einschränkungen zu basalen Gütern gemeldet werden, liegen im Fokus von Hilfsprojekten.

Laut Quellen stellt das Public Distribution System (PDS) die Nahrungsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung nicht ausreichend sicher. Externe Projekte, wie jenes von USAID, versuchen etwa mittels Mehrzweck-Bargeldtransfers die Deckung des Bedarfs an Nahrungsmitteln und anderen Gütern zu sichern, insbesondere auch in der Provinz Anbar.

In einem gemeinsamen Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), des Welternährungsprogramms (WFP), der Weltbank und des Internationaler Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) angesichts der COVID-19-Krise wurde festgestellt, dass zwar die Zahl jener, die unter unzureichendem Nahrungsmittelkonsum litten um 200.000 abnahm, gleichzeitig aufgrund der Pandemie die Armutsrate von 20% auf 30% zunahm. Anbar lag hinter Ninewa an der Spitze jener Provinzen mit dem höchsten Prozentsatz an Personen, die unter einem unzureichenden Lebensmittelkonsum litten, nämlich 15%.

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak – UNAMI berichtet Ende August 2020 über die Sanierung des Fallujah Teaching Hospitals in Fallujah durch das UN Entwicklungsprogramm. Das Fallujah Teaching Hospital ist eines der größten Krankenhäuser im Bezirk und das wichtigste Krankenhaus der Stadt. Es versorgt mehr als 275.000 Einwohner. Seit 2017 wurden mit Unterstützung von UNDP Irak erhebliche Schäden, die während der IS-Herrschaft entstanden sind, repariert und wichtige Geräte ersetzt. Jetzt ist das Krankenhaus auch mit zehn Isolationsbetten für luftübertragbare Infektionskrankheiten ausgestattet und wartet auf die Lieferung wichtiger medizinischer Geräte.

Im jährlich erscheinenden Menschenrechtsbericht des US-amerikanischen Außenministeriums (USDOS) vom 11.3.2020 heißt es, dass im Irak alle Bürger berechtigt sind, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden setzten jedoch das PDS sporadisch und unregelmäßig um, mit begrenztem Zugang in kürzlich befreiten Gebieten.

UNHCR berichtet im Rahmen einer Projektplanung Ende Jänner 2020, dass sich trotz erheblicher administrativer Zugangsprobleme die Reichweite der humanitären Maßnahmen im Jahr 2019 deutlich verbessert habe, mit einer Verdreifachung der geografischen Reichweite im Vergleich zu 2018. Etwa 51 Prozent der humanitären Organisationen führten Aktivitäten in Distrikten mit mäßigen bis starken Zugangsbeschränkungen durch, wobei 85 Prozent der erreichten Begünstigten in den Gouvernoraten Ninewa und Anbar liegen, wo regelmäßig mäßige bis starke Zugangsbeschränkungen gemeldet werden. Die Karte illustriert, dass die Provinz Anbar nach Ninewa am meisten Unterstützung braucht (siehe Größe des Kreises). Ein Viertel der Betroffenen in Anbar befindet sich in einer akuten Notlage.

Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak, UNAMI, berichtet im Herbst 2020, dass die Internationale Organisation für Migration (IOM) die Wasseraufbereitungsanlage Al-Tahadi in Fallujah, welche während des Konflikts mit dem IS beschädigt wurde, wodurch 2.500 Personen betroffen waren, mit finanzieller Unterstützung des U.S. Department of State: Bureau of Population, Refugees, and Migration sanierte und so den Wasserfluss und die Wasserqualität verbesserte. Damit wurde der Gemeinde der Zugang zu trinkbarem Wasser ermöglichte.

Eine Bedarfsaufstellung zu Wasser, Sanitärversorgung, Hygiene (WASH) in der Provinz Anbar ergab Ende 2019, dass im Distrikt Fallujah (Anm.: Al Qa’im wurde nicht berücksichtigt) 88 % der Haushalte angaben, dass ihre Kinder Trinkwasser aus einer in der Schule verfügbaren Wasserquelle hatten. 100 % der Haushalte gaben an, dass ihre Kinder in der Regel Zugang zu Trinkwasser aus einer verbesserten Wasserquelle in der Schule haben. 78% der Haushalte empfanden die Wasserqualität des Trinkwassers, das normalerweise an der Schule ihrer Kinder zur Verfügung steht, als akzeptabel. 93 % der Haushalte gaben an, dass sich die Hauptwasserquelle an der Schule ihrer Kinder auf dem Schulgelände befindet. 100 % der Haushalte gaben an, dass ihre Kinder die Möglichkeit haben, ihre Hände in der Schule zu waschen. Davon berichteten 97%, dass Wasser und Seife verfügbar waren. 100 % der Haushalte gaben an, dass ihre Kinder Zugang zu einer verbesserten Sanitäreinrichtung in der Schule haben, von denen alle angaben, dass eine Toilette mit Wasserspülung oder Gießkanne der am häufigsten verwendete Typ ist.

Die humanitäre Hilfsorganisation REACH berichtete im Jänner 2019 Folgendes über die Lage in der Stadt Fallujah hinsichtlich des Schulwesens: Besondere Herausforderungen im Bildungssystem waren die gestiegenen Kosten für Bildung, ein Mangel an Lehrern und Material, überfüllte Klassenzimmer und lange Schulwege in Kombination mit schlechten Straßen, wodurch die Schulen für die Schüler schwer zu erreichen waren. Die Entfernung zur Schule wurde von mehr als der Hälfte der Gemeindeleiter für Grund- und Mittelschüler und von zwei Dritteln der Gemeindeleiter für Gymnasiasten als Hindernis für den Zugang zu Bildung genannt. Es stehen zahlreiche Schulen unterschiedlichen Typus zur Verfügung, nicht zuletzt infolge des Wiederaufbaus durch UNDP-Projekte. Alle Gemeindeleiter berichteten, dass die Schulen über sanitäre Einrichtungen verfügten, einige gaben jedoch an, dass diese nicht gut funktionierten und gewartet werden müssten. Außerdem berichtete etwa die Hälfte der Gemeindeleiter, dass in den Schulen kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung steht, weil die Filtersysteme nicht gewartet wurden.

Die Internationale Organisation für Migration publizierte im Jänner 2021 einen Bericht zur psychischen Gesundheit und psychosozialen Bedingungen in Anbar, speziell in Fallujah und Al Qa’im, auf der Basis von Interviews mit Betroffenen. In Al-Qaim waren die dringendsten Bedürfnisse die Bereitstellung von psychosozialen Unterstützungsdiensten, Freizeitaktivitäten, wie der Bau von Parks und Kindergärten; die Eröffnung von Bildungs- u

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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