Entscheidungsdatum
01.06.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W202 2171881-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard Schlaffer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2017, Zl. 1100516905-152062854, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.04.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 sowie 55 Abs. 1-3 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger Afghanistans, stellte nach unrechtmäßiger Einreise ins österreichische Bundesgebiet am 28.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Zuge der polizeilichen Erstbefragung vom 28.12.2015 gab der Beschwerdeführer an, er gehöre der Volksgruppe der Hazara an, bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam und stamme aus der Provinz Helmand. Er habe sieben Jahre eine Grundschule besucht und zuletzt als Hilfsarbeiter am Bau im Iran gearbeitet. In Helmand würden wieder die Taliban herrschen und der Beschwerdeführer selbst hätte dort nichts mehr, wovon er leben könnte.
3. Am 16.08.2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl („BFA“ oder „belangte Behörde“) statt, in welcher der Beschwerdeführer Integrationsunterlagen in Vorlage brachte und im Wesentlichen angab, dass er gesund sei und in Österreich nur entfernte Verwandte habe, zu denen kein Kontakt bestehe. In Afghanistan würden seine Eltern, vier Schwestern, ein Onkel und ein Bruder leben. Der BF sei sieben Jahre zur Schule gegangen und habe dann ein Jahr seinem Vater bei Warenlieferungen geholfen.
Afghanistan habe der Beschwerdeführer im Jahr 2012 verlassen, da er eines Tages von einem paschtunischen Mann in einem Lager vergewaltigt worden sei, als er für seinen Vater Waren an diesen Mann ausgeliefert habe. Der Mann habe gedroht, ihn umzubringen, wenn er davon erzählen würde. Daraufhin habe der Beschwerdeführer sich das Leben nehmen wollen, habe den Mut dazu aber nicht aufgebracht, weshalb er in der Folge in den Iran habe gehen wollen. Auch sonst sei es seiner Volksgruppe schlecht gegangen und die Herkunftsregion werde von den Taliban kontrolliert.
4. Mit Bescheid des BFA vom 11.09.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner damaligen Rechtsvertretung vom 21.09.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
6. Mit 13.10.2017 legte der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen vor.
7. Am 02.02.2021 lange beim BFA ein Aufnahmeersuchen auf Familienzusammenführung des minderjährigen Bruders des Beschwerdeführers aus Griechenland ein.
8. Am 28.04.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsberater erschien. Das BFA blieb der Beschwerdeverhandlung fern. Im Zuge der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen aus Afghanistan, seiner allfälligen Rückkehrsituation, seinem Privatleben und seiner Integration in Österreich befragt. Weiters wurden Integrationsunterlagen des Beschwerdeführers seitens seines Rechtsberaters in Vorlage gebracht und ihm eine vierzehntägige Frist zur Einbringung einer Stellungnahme eingeräumt.
Zur allgemeinen Situation in Afghanistan wurden das aktuelle Länderinformationsblatt zu Afghanistan, die EASO Country Guidance und die UNCHR-Richtlinien vorgehalten und kursorisch erörtert.
9. Mit Datum 12.05.2021 brachte der Beschwerdeführer eine ausführliche Stellungnahme zu seiner Rückkehrsituation in Afghanistan ein und legte einen ärztlichen Befundbericht sowie Integrationsunterlagen vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und volljährig. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist in der Provinz Helmand geboren, besuchte sieben Jahre eine Schule und arbeitete ein Jahr lang hilfsweise bei seinem Vater im Zuge dessen Erwerbstätigkeit als Warenlieferant.
Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan von einem ihm fremden Mann vergewaltigt, als er diesem Waren lieferte. Dieser Mann drohte dem Beschwerdeführer danach, ihn umzubringen, wenn er davon erzählen würde. In der Folge wollte der Beschwerdeführer Afghanistan unbedingt verlassen und ging in den Iran.
In Teheran, Iran, blieb der Beschwerdeführer drei Jahre, wo er illegal aufhältig und auf dem Bau tätig war. Er verdiente genug, um einen Schlepper für die Reise nach Europa zu bezahlen und seiner Familie in Afghanistan Geld zu schicken.
In Afghanistan hat der Beschwerdeführer zwei Schwestern, die mit ihren Familien zusammenleben. Der jüngere Bruder des Beschwerdeführers ist minderjährig und in Griechenland aufhältig, er stellte einen Antrag auf Familienzusammenführung mit dem Beschwerdeführer. Nicht festgestellt werden kann, dass die Eltern des Beschwerdeführers gestorben sind bzw. von Mitgliedern der Taliban umgebracht wurden.
1.2. Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan landesweit bedroht oder verfolgt wird und im Falle einer Rückkehr einer landesweiten Verfolgungsgefährdung von asylrelevanter Intensität ausgesetzt wäre.
Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in Mazar-e Sharif zur Verfügung; diesbezüglich wird auch auf die nachfolgenden Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (unten II.3.2.2.) verwiesen. Zusammengefasst ist diesbezüglich festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer in Anbetracht seiner persönlichen Umstände und der Sicherheits- sowie Versorgungslage eine Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif möglich und zumutbar ist. Zwar sind die wirtschaftlichen Bedingungen für Rückkehrer schwierig. Der Beschwerdeführer läuft jedoch im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Medikamente nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif ausschließen, können nicht festgestellt werden.
1.3. Beim Beschwerdeführer wurden mit ärztlichem Befundbericht vom 06.05.2021 eine posttraumatische Belastungs-, eine Angst- und eine Schlafstörung sowie eine Depression und eine chronische Cephalea diagnostiziert. Suizidgedanken oder kognitive Defizite konnten beim Beschwerdeführer nicht erkannt werden. Dem Beschwerdeführer wurde ärztlich empfohlen, Trittico einzunehmen, in drei bis vier Monaten zu einer Kontrolluntersuchung zu kommen und sich einer psychologischen Therapie zu unterziehen.
Ansonsten ist der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig.
Im Hinblick auf die Pandemie zum Corona-Virus SARS-CoV2 (COVID-19) ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer als junger Mann trotz seiner psychischen Probleme nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen bzw. der Personen mit einschlägigen Vorerkrankungen fällt und in der Folge daher keiner spezifischen Gefahr durch die Pandemie ausgesetzt ist. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 14.05.2021, 630.993 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 10.181 Todesfälle; in Afghanistan wurden bislang 63.045 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 2.721 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Der Beschwerdeführer ist nicht Angehöriger dieser Risikogruppe. Umgekehrt ist er als junger Mann selbst bei einer Infektion keiner erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Ausbruches einer schweren Erkrankung ausgesetzt.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten und bezieht Grundversorgung. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer gerne Fußball und besucht das Fitnesscenter. Der Beschwerdeführer besuchte Deutschkurse, hat aber bislang keine einzige Prüfung absolviert. Er hat in Österreich keine nahen Angehörigen und lebt in keiner Lebensgemeinschaft. Er hat Freunde sowie Bekannte und hilft bei der Pfarre in Oberwart in der Grünlandpflege aus, es besteht aber keine feste Verwurzelung in der österreichischen Gesellschaft. Dem Bundesverwaltungsgericht legte er eine Einstellungszusage eines Gastronomielokals vor.
1.4. Zur allgemeinen und politischen Lage in Afghanistan wird festgestellt:
Politische Lage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen (NSIA 6.2020) bis 39 Millionen Menschen (WoM 6.10.2020).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen, die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (CoA 26.2.2004; vgl. STDOK 7.2016, Casolino 2011).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (CoA 26.2.2004; vgl. Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
Im direkt gewählten Unterhaus der Nationalversammlung, der Wolesi Jirga (Haus des Volkes) mit 249 Sitzen, kandidieren die Abgeordneten für eine fünfjährige Amtszeit. In der Meshrano Jirga (House of Elders), dem Oberhaus mit 102 Sitzen, wählen die Provinzräte zwei Drittel der Mitglieder für eine Amtszeit von drei oder vier Jahren, und der Präsident ernennt das verbleibende Drittel für eine Amtszeit von fünf Jahren. Die Verfassung sieht die Wahl von Bezirksräten vor, die ebenfalls Mitglieder in die Meshrano Jirga entsenden würden, aber diese sind noch nicht eingerichtet worden. Zehn Sitze der Wolesi Jirga sind für die nomadische Gemeinschaft der Kutschi reserviert, darunter mindestens drei Frauen, und 65 der allgemeinen Sitze der Kammer sind für Frauen reserviert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit gelegentlich kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzesentwürfen die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Parlaments. Gleichzeitig werden aber die verfassungsmäßigen Rechte genutzt, um die Arbeit der Regierung gezielt zu behindern, Personalvorschläge der Regierung zum Teil über lange Zeiträume zu blockieren, und einzelne Abgeordnete lassen sich ihre Zustimmung mit Zugeständnissen - wohl auch finanzieller Art - belohnen. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaftspflicht der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 16.7.2020).
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (USDOS 11.3.2020). Es ist geplant die Wahlen in Ghazni im Oktober 2021 nachzuholen (AT 19.12.2020; vgl. TN 19.12.2020). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.9.2019 statt (RFE/RL 20.10.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, AA 1.10.2020).
Die ursprünglich für den 20.4.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, war keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Gültigkeit von Hunderttausenden von Stimmen (DW 18.2.2020; vgl. FH 4.3.2020) waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden (FH 4.3.2020). Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen bei einer geschätzten Bevölkerungszahl von 35 Millionen (DW 18.2.2020). Die umstrittene Entscheidungsfindung der Wahlkommission und deutlich verspätete Verkündung des endgültigen Wahlergebnisses der Präsidentschaftswahlen vertiefte die innenpolitische Krise. Amtsinhaber Ashraf Ghani wurde mit einer knappen Mehrheit zum Wahlsieger im ersten Urnengang erklärt. Sein wichtigster Herausforderer, Abdullah Abdullah erkannte das Wahlergebnis nicht an (AA 16.7.2020) und so ließen sich am 9.3.2020 sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Die daraus resultierende Regierungskrise wurde mit einem von beiden am 17.5.2020 unterzeichneten Abkommen zur gemeinsamen Regierungsbildung für beendet erklärt (AA 16.7.2020; vgl. NZZ 20.4.2020, DP 17.5.2020, TN 11.5.2020).
Diese Situation hatte ebenfalls Auswirkungen auf den afghanischen Friedensprozess. Das Staatsministerium für Frieden konnte zwar im März bereits eine Verhandlungsdelegation benennen, die von den wichtigsten Akteuren akzeptiert wurde, aber erst mit dem Regierungsabkommen vom 17.5.2020 und der darin vorgesehenen Einsetzung eines Hohen Rates für Nationale Versöhnung, unter Vorsitz von Abdullah, wurde eine weitergehende Friedensarchitektur der afghanischen Regierung formal etabliert (AA 16.7.2020). Dr. Abdullah verfügt als Leiter des Nationalen Hohen Versöhnungsrates über die volle Autorität in Bezug auf Friedens- und Versöhnungsfragen, einschließlich Ernennungen in den Nationalen Hohen Versöhnungsrat und das Friedensministerium. Darüber hinaus ist Dr. Abdullah Abdullah befugt, dem Präsidenten Kandidaten für Ernennungen in den Regierungsabteilungen (Ministerien) mit 50% Anteil vorzustellen (RA KBL 12.10.2020).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 10.6.2020). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. CoA 26.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. CoA 26.1.2004, USDOS 20.6.2020). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (CoA 26.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 16.7.2020). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 16.7.2020; vgl. DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 16.7.2020).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein patrimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). 2020 fanden die ersten ernsthaften Verhandlungen zwischen allen Parteien des Afghanistan-Konflikts zur Beendigung des Krieges statt (HRW 13.1.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020, EASO 8.2020) - die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses (EASO 8.2020). Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nicht amerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020; REU 6.10.2020). Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa Al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020, EASO 8.2020). Die Kämpfe zwischen den afghanischen Regierungstruppen, den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen hielten jedoch an und forderten in den ersten neun Monaten des Jahres fast 6.000 zivile Opfer, ein deutlicher Rückgang gegenüber den Vorjahren (HRW 13.1.2021).
Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der am 29.2.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten, und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort. Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entspricht dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).
Im September 2020 starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (REU 6.10.2020; vgl. AJ 5.10.2020, BBC 22.9.2020). Die Gewalt hat jedoch nicht nachgelassen, selbst als afghanische Unterhändler zum ersten Mal in direkte Gespräche verwickelt wurden (AJ 5.10.2020). Insbesondere im Süden, herrscht trotz des Beginns der Friedensverhandlungen weiterhin ein hohes Maß an Gewalt, was weiterhin zu einer hohen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung führt (UNGASC 9.12.2020). Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung (BBC 22.9.2020; vgl. EASO 8.2020) wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben (REU 6.10.2020). Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Die Taliban sind wiederholt danach gefragt worden und haben wiederholt darauf bestanden, dass Frauen und Mädchen alle Rechte erhalten, die "innerhalb des Islam" vorgesehen sind (BBC 22.9.2020). Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (AJ 5.10.2020).
Am Tag der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Doha am 5.1.2021 sei in mindestens 22 von 34 Provinzen des Landes gekämpft worden, sagte das Verteidigungsministerium in Kabul (Ruttig 12.1.2021; vgl. TN 9.1.2021).
Die neue amerikanische Regierung warf den Taliban im Januar 2021 vor, gegen das im Februar 2020 geschlossene Friedensabkommen zu verstoßen und sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, ihre Gewaltakte zu reduzieren und ihre Verbindungen zum Extremistennetzwerk Al-Qaida zu kappen. Ein Pentagon-Sprecher gab an, dass sich der neue Präsident Joe Biden dennoch an dem Abkommen mit den Taliban festhält, betonte aber auch, solange die Taliban ihre Verpflichtungen nicht erfüllten, sei es für deren Verhandlungspartner "schwierig", sich an ihre eigenen Zusagen zu halten (FAZ 29.1.2020; vgl. DZ 29.1.2021). Jedoch noch vor der Vereidigung des US-Präsidenten Joe Biden am 19.1.2021 hatte der designierte amerikanische Außenminister signalisiert, dass er das mit den Taliban unterzeichnete Abkommen neu evaluieren möchte (DW 29.1.2020; vgl. BBC 23.1.2021).
Nach einer mehr als einmonatigen Verzögerung inmitten eskalierender Gewalt sind die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung am 22.2.2021 in Katar wieder aufgenommen worden (RFE/RL 23.2.2021b.; vgl. AP 23.2.2021).
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).
Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht (SIGAR 30.7.2020).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).
Die Sicherheitslage im Jahr 2020
Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 verzeichnete UNAMA die niedrigste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, so dass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020).
Die Taliban starteten wie üblich eine Frühjahrsoffensive, wenn auch unangekündigt, und verursachten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 43 Prozent aller zivilen Opfer, ein größerer Anteil als 2019 und auch mehr in absoluten Zahlen (AAN 16.8.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020). Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden von den Taliban durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu (HRW 13.1.2021; vgl. AAN 16.8.2020).
In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (AA 14.1.2021, vgl. AIHRC 28.1.2021).
Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat, scheint es eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (AAN 16.8.2020).
Zivile Opfer
Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021; vgl. AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021).
Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (UNAMA 2.2021).
Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.1.2021).
Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (AIHRC 28.1.2021).
Während des gesamten Jahres 2020 dokumentierte UNAMA Schwankungen in der Zahl der zivilen Opfer parallel zu den sich entwickelnden politischen Ereignissen. Die "Woche der Gewaltreduzierung" vor der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban in Doha am 29.2.2020 zeigte, dass die Konfliktparteien die Macht haben, Schaden an der Zivilbevölkerung zu verhindern und zu begrenzen, wenn sie sich dazu entschließen, dies zu tun. Ab März wuchs dann die Besorgnis über ein steigendes Maß an Gewalt, da UNAMA zu Beginn des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie eine steigende Zahl von zivilen Opfern und Angriffen auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen dokumentierte. Regierungsfeindliche Elemente verursachten mit 62% weiterhin die Mehrzahl der zivilen Opfer im Jahr 2020. Während UNAMA weniger zivile Opfer dem Islamischen Staat im Irak und in der Levante - Provinz Chorasan (ISIL-KP, ISKP) und den Taliban zuschrieb, hat sich die Zahl der zivilen Opfer, die durch nicht näher bestimmte regierungsfeindliche Elemente verursacht wurden (diejenigen, die UNAMA keiner bestimmten regierungsfeindlichen Gruppe zuordnen konnte), im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt (UNAMA 2.2021; vgl. AAN 16.8.2020). Pro-Regierungskräfte verursachten ein Viertel der getöteten und verletzten Zivilisten im Jahr 2020 (UNAMA 2.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Nach den Erkenntnissen der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) sind von allen zivilen Opfern in Afghanistan im Jahr 2020 die Taliban für 53 % verantwortlich, regierungsnahe und verbündete internationale Kräfte für 15 % und ISKP (ISIS) für fünf Prozent. Bei 25 % der zivilen Opfer sind die Täter unbekannt und 2 % der zivilen Opfer wurden durch pakistanischen Raketenbeschuss in Kunar, Chost, Paktika und Kandahar verursacht (AIHRC 28.1.2021).
High-Profile Angriffe (HPAs)
Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 1.7.2020). Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019). Angriffe auf hochrangige Ziele setzen sich im Jahr 2021 fort (BAMF 18.1.2021).
Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten 'green-on-blue-attack': der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020). Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein (UNGASC 17.3.2020).
Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten
Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).
Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (TN 26.3.2020; vgl. BBC 25.3.2020, USDOD 1.7.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 26.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020, USDOD 1.7.2020). Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger waren im Jahr 2020 ein häufiges Ziel gezielter Anschläge (AIHRC 28.1.2021).
Opiumproduktion und die Sicherheitslage
Afghanistan ist das Land, in dem weltweit das meiste Opium produziert wird. In den letzten fünf Jahren entfielen etwa 84 % der globalen Opiumproduktion auf Afghanistan. Im Jahr 2019 ging die Anbaufläche für Schlafmohn zurück, während der Ernteertrag in etwa dem des Jahres 2018 entsprach (UNODC 6.2020; vgl. ONDCP 7.2.2020). Der größte Teil des Schlafmohns in Afghanistan wird im Großraum Kandahar (d.h. Kandahar und Helmand) im Südwesten des Landes angebaut (AAN 25.6.2020). Opium ist eine Einnahmequelle für Aufständische sowie eine Quelle der Korruption innerhalb der afghanischen Regierung (WP 9.12.2019); der Opiumanbau gedeiht unter Bedingungen der Staatenlosigkeit und Gesetzlosigkeit wie in Afghanistan (Bradford 2019; vgl. ONDCP 7.2.2020).
Helmand
Die Provinz Helmand liegt im Süden Afghanistans und grenzt an die Provinzen Nimroz und Farah im Westen, Ghor und Daikundi im Norden sowie Uruzgan und Kandahar im Osten. Im Süden teilt sich Helmand eine 162 Kilometer lange Grenze mit Pakistan entlang der Durandlinie (PAJ Helmand o.D.). Helmand ist die größte Provinz Afghanistans (TD 31.5.2016) und gliedert sich in die Distrikte Baghran, Dishu, Garm Ser, Kajaki, Lashkargah, Musa Qala, Nad Ali, Marja (ehemals Teil von Nad Ali (AAN 23.4.2020)), Nahr-e-Saraj, Nawa-e-Barikzayi, Nawamish, Nawzad, Reg-e-Khan Nishin, Sangin und Washer. Die Provinzhauptstadt von Helmand ist Lashkargah (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Helmand 2019).
Nach Angaben des afghanischen Statistikamts (NSIA) sind Marja und Nawamish sogenannte „temporäre“ Distrikte (NSIA 1.6.2020), da sie nach Verabschiedung der Verfassung von 2004 durch den Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, aber (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.8.2018). Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish der Provinz Daikundi zugeordnet (AAN 16.8.2018), bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde (Mobasher 2019). 2018 wurden die Parlamentswahlen in Nawamish jedoch von Lashkargah aus durchgeführt, was Proteste im Distrikt hervorrief (AAN 16.8.2018; vgl. PAJ 29.7.2018). Zeitungsberichte vom Mai und Juli 2019 zählten Nawamish wieder zu Daikundi (RY 11.7.2019; vgl. PAJ 10.5.2019). Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus (Mobasher 2019).
Die NSIA schätzt die Bevölkerung in Helmand im Zeitraum 2020-21 auf
Helmand ist von geostrategischer Bedeutung (PAJ Helmand o.D.), da ein Abschnitt der Ring Road durch die Distrikte Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer verläuft (AAN 10.3.2016), welcher das Bevölkerungszentrum Herat im Westen mit Kandahar im Osten und schließlich der Hauptstadt Kabul verbindet (TD 31.5.2016; vgl. AAN 10.3.2016). Es wird von Straßenkontrollen der Taliban und Sprengfallen entlang der Ring Road, wie auch auf Nebenstraßen berichtet (AST 3.11.2020; vgl. RY 28.6.2020). In Lashkargah gibt es einen Regionalflughafen (Bost, BST) mit Linienflugbetrieb (Kam Air Helmand o.D.; STDOK 25.3.2019).
Die Region Helmand ist der größte Opiumproduzent weltweit. Im Jahr 2019 wurden in Groß-Kandahar - wozu auch Helmand zählt - 4.920 Tonnen Opium produziert, was mehr als zwei Drittel der gesamten afghanischen Opiumproduktion des Jahres ausmacht (AAN 25.6.2020). Die zentrale Rolle der Provinz als Schlafmohnanbaugebiet trägt erheblich zu ihrer strategischen Bedeutung für die Taliban bei: Wer Helmand kontrolliert, wird mit umfangreichen Einnahmen belohnt (AREU 5.2019; vgl. N-TV 23.12.2015, GN 26.12.2015, AAN 10.3.2016).
Die Provinz Helmand, die lange Zeit als das Kernland der Taliban galt und aufgrund der Opiumproduktion wichtig für ihre Finanzierung ist (NYT 30.8.2020; vgl. AST 3.11.2020), wird überwiegend von der aufständischen Gruppe kontrolliert, obwohl bewaffnete Machthaber und unterschiedliche Stammeszugehörigkeiten dafür sorgen, dass viele Loyalitäten und Zielsetzungen in der Region undurchsichtig sind (NYT 30.8.2020). Die Präsenz der afghanischen Regierungstruppen ist dort meist auf die Provinzhauptstadt Lashkargah und einige Dörfer beschränkt, die als Distriktzentren dienen (NYT 30.8.2020; vgl. MT 18.10.2020, AAN 23.4.2020). Einschätzungen des Long War Journal zufolge standen die Distrikte Baghran, Musa Qala, Nawzad und Sangin im Norden der Provinz und Dishu sowie Reg-e-Khan Nishin im Süden mit Stand Oktober 2020 unter Talibankontrolle, während die übrigen Distrikte als umkämpft galten (LWJ o.D.).
Al-Qaida ist in Helmand verdeckt aktiv (UNSC 27.5.2020; vgl. TN 30.7.2020). Usbekische Kämpfer sind im Norden der Provinz präsent (UNSC 27.5.2020) und der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) unterhält US-Geheimdienstinformationen zufolge eine kleinere Zelle in Helmand (VOA 20.3.2020) [es konnten jedoch keine weiteren Quellen zur angeblichen ISKP-Präsenz gefunden werden, Anm.].
Auf Regierungsseite befindet sich Helmand im Verantwortungsbereich des 215. ANA "Maiwand" Corps, das der Task Force Southwest untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2020; AAN 23.4.2020). Im Jahr 2017 wurden US-Marines wieder in Helmand stationiert, um afghanischen Regierungstruppen von Militärstützpunkten aus zu beraten und um Luftangriffe zu verstärken (LAT 15.11.2017; vgl. AAN 23.4.2020, NYTM 12.5.2020) und auch 2020 unterhalten die US-Streitkräfte ein regionales Zentrum in Helmand (USDOD 1.7.2020). Weiters führt die so genannte Kandahar Strike Force (KSF) oder NDS 03 Operationen in Helmand durch. Die Streitkraft untersteht laut Human Rights Watch zwar nominell dem afghanischen Geheimdienst National Directorate of Security (NDS), obliegt aber nicht der üblichen Befehlskette des NDS, des afghanischen Militärs oder der US-Streitkräfte. Seine Mitglieder werden größtenteils von der CIA rekrutiert, trainiert, ausgerüstet und beaufsichtigt (HRW 31.10.2019; vgl. AAN 31.10.2019). Zudem gibt es in Helmand eine Streitkraft mit dem Namen Sangorian, die aufseiten der Regierung kämpft und vom NDS unterstützt wird (TN 14.10.2020). Sie besteht aus rund 2.000 Kämpfern (SI 15.10.2020) und wurde 2016 in Helmand als verdeckte anti-Taliban Miliz mit dem Ziel gegründet, die Taliban zu infiltrieren und von innen zu schwächen. Die Sangorian-Kämpfer sind Einheimische, Taliban-Dissidenten und ehemalige Taliban-Aufständische (JF 11.1.2019). Im Oktober 2020 wurde berichtet, dass die Sangorian auch für die Sicherheit auf dem Streckenabschnitt Helmand-Kandahar der Ring Road und im Sicherheitsgürtel von Lashkargah zuständig waren (TN 14.10.2020).
Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 410 zivile Opfer (214 Tote und 196 Verletzte) in der Provinz Helmand. Dies entspricht einem Rückgang von 39% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) und Luftangriffen (UNAMA 2.2021). Im Gegensatz zu den letzten Jahren gehörte die Provinz Helmand im Jahr 2020 nicht zu den fünf Provinzen mit den meisten zivilen Opfern. UNAMA verzeichnete einen deutlichen Rückgang der zivilen Opfer in der Provinz, was hauptsächlich auf einen Rückgang der zivilen Opfer durch Luftangriffe und IEDs (ohne Selbstmordattentate) zurückzuführen ist (UNAMA 2.2021; vgl. UNAMA 7.2020). Im Juni 2020 wurde von einem Vorfall mit rund 50 zivilen Opfern (19 Tote, 31 Verletzte) im Distrikt Sangin berichtet, bei welchem Mörsergranaten der Regierung einen belebten Markt anstelle einer Position der Taliban hinter dem Markt trafen (UNAMA 7.2020; vgl. ABC 29.6.2020).
Helmand zählte 2020 zu den konfliktintensivsten Provinzen Afghanistans (UNGASC 17.6.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020, UNGASC 18.8.2020). Es kommt zu Kämpfen (UNOCHA 3.1.2021; BNA 2.9.2020; BNA 25.8.2020; XI 16.6.2020) und Angriffen der Taliban (PAJ 22.3.2020, LWJ 10.3.2020), beispielsweise auf Sicherheitsposten der Regierung (NYT 12.10.2020, XI 10.9.2020, TDP 4.3.2020). Die Regierungstruppen führen Operationen durch (XI 11.10.2020; PAJ 22.3.2020; AN 8.2.2020; TN 10.1.2020). Unter anderem leisten die US-Streitkräfte durch Luftangriffe Unterstützung (TN 12.10.2020, TDP 4.3.2020, UNOCHA 3.1.2021). Die anhaltenden Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen sowie US-Streitkräften haben Tausende Zivilisten zur Flucht gezwungen (SIGAR 30.1.2021).
Im Oktober 2020 führten die Taliban eine Offensive auf Lashkargah durch (WP 14.10.2020; vgl. NYT 12.10.2020). Dabei fanden in der Stadt und umliegenden Gebieten mehrere Tage hindurch Kämpfe statt (TN 14.10.2020). Unter anderem führten die US-Streitkräfte zur Unterstützung der afghanischen Streitkräfte Luftangriffe durch (MT 12.10.2020; vgl. TN 12.10.2020). Schließlich erklärten sich die Taliban bereit, ihre Operationen auszusetzen - laut den Taliban, nachdem die Amerikaner versprochen hatten, alle Luftangriffe und nächtlichen Razzien in Übereinstimmung mit dem Friedensabkommen, das die USA im Februar mit den Aufständischen unterzeichnet hatten, einzustellen (MT 18.10.2020). Im November 2020 wurden die Kämpfe in Lashkargah und benachbarten Distrikten Berichten zufolge jedoch fortgesetzt (BAMF 9.11.2020; vgl. TN 31.10.2020) und halten auch im Jahr 2021 weiter an (UNOCHA 3.1.2021).
Weiters wurde über Vorfälle mit IEDs berichtet, beispielsweise Explosionen von an Fahrzeugen angebrachten IEDs (VBIEDs) (UNOCHA 3.1.2021; KP 1.10.2020; UNI 22.7.2020; ABC 29.6.2020; GW 4.5.2020; VOA 8.2.2020) und Sprengfallen am Straßenrand (PAJ 10.10.2020; DN 29.6.2020; PAJ 25.3.2020).
Balkh
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA Balkh 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Balkh 2019).
Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1,509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif (NSIA 1.6.2020). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) (PAJ Balkh o.D.; vgl. NPS Balkh o.D.) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird (AAN 8.7.2020).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Ring Road (auch Highway 1 genannt) verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul (TD 5.12.2017). Rund 30 km östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway (NH) 89 von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab (OSM o.D.; vgl. TD 5.12.2017). Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan (LCA 4.7.2018).
Entlang des Highway 1 westlich der Stadt Balkh in Richtung der Provinz Jawzjan befindet sich der volatilste Straßenabschnitt in der Provinz Balkh, es kommt dort beinahe täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Auch besteht auf diesem Abschnitt in der Nähe der Posten der Regierungstruppen ein erhöhtes Risiko von IEDs - nicht nur entlang des Highway 1, sondern auch auf den Regionalstraßen (STDOK 21.7.2020). In Gegenden mit Talibanpräsenz, wie zum Beispiel in den südlichen Distrikten Zari (AAN 23.5.2020), Kishindeh und Sholgara, ist das Risiko, auf Straßenkontrollen der Taliban zu stoßen, höher (STDOK 21.7.2020; vgl. TN 20.12.2019).
In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (Kam Air Balkh o.D.; STDOK 25.3.2019).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählte zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert (KP 10.2.2020, STDOK 21.7.2020), da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen (KP 10.2.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz, wobei mit Stand Oktober 2019 keine städtischen Zentren unter ihrer Kontrolle standen (STDOK 21.7.2020). Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari umkämpft waren (LWJ o.D.). Im Jahr 2020 gehörte Balkh zu den konfliktreichsten Provinzen des Landes (UNGASC 9.12.2020, UNGASC 17.6.2020, UNGASC 17.3.2020; vgl. LWJ 10.3.2020) und in der Hauptstadt und den Distrikten kommt es weiterhin zu sicherheitsrelevanten Vorfällen (ACCORD 27.1.2021, KP 3.3.2021).
Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, jedoch fanden 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Bewohner der Stadt berichteten insbesondere von bewaffneten Raubüberfällen (STDOK 21.7.2020). Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften (NYT 16.12.2019, REU 14.3.2019).
Auf Regierungsseite befindet sich Balkh im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) "Shaheen" Corps (USDOD 1.7.2020, TN 22.4.2018), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020). Das Hauptquartier des 209. Afghan National Army (ANA) "Shaheen" Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Die meisten Soldaten der deutschen Bundeswehr sind in Camp Marmal stationiert (SP 7.4.2019). Weiters unterhalten die US-amerikanischen Streitkräfte eine regionale Drehscheibe in der Provinz (USDOD 1.7.2020).
Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 712 zivile Opfer (263 Tote und 449 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 157% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2021). Ungeachtet der Friedensgespäche finden weiterhin sicherheitsrelevante Vorfälle in der Hauptstadt und den Distrikten statt (KP 3.3.2021, ACCORD 27.1.2021)
Der UN-Generalsekretär zählte Balkh in seinen quartalsweise erscheinenden Berichten über die Sicherheitslage in Afghanistan im Jahr 2020 zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes (UNGASC 9.12.2020, UNGASC 17.6.2020, UNGASC 17.3.2020; vgl. LWJ 10.3.2020) und auch im September 2020 galt Balkh als eine der Provinzen mit den schwersten Talibanangriffen im Land (BAMF 14.9.2020). Es kommt zu direkten Kämpfen (KP 3.3.2021, UNOCHA 23.9.2020, AJ 1.5.2020, DH 8.4.2020) und Angriffen der Taliban auf Distriktzentren (UNOCHA 23.7.2020, REU 1.5.2020, UNOCHA 26.2.2020) oder Sicherheitsposten (ANI 6.3.2021, NYTM 1.10.2020, NYTM 28.8.2020, AnA 18.3.2020, XI 7.1.2020). Die Regierungskräfte führen Räumungsoperationen durch (KP 3.3.2021, AN 25.6.2020, MENAFN 24.3.2020, AA 18.3.2020, XI 25.1.2020).
Ebenso wurde von IED-Explosionen, beispielsweise durch Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 28.8.2020), aber auch an Fahrzeugen befestigten Sprengkörpern (vehicle-borne IEDs, VBIEDs) (TN 25.8.2020, RFE/RL 25.8.2020; vgl. NYTM 28.8.2020) sowie Selbstmordanschlägen berichtet (TN 25.8.2020, RFE/RL 25.8.2020, RFE/RL 19.9.2020). Auch in Mazar-e Sharif kam es wiederholt zu IED-Anschlägen (ACCORD 27.1.2021, NYTM 1.10.2020, AN 19.9.2020, TN 1.7.2020, AP 14.1.2020, TN 4.1.2020) sowie Angriffen auf bzw. die Tötung von Sicherheitskräften (KP 3.3.2021, ANI 6.3.2021, ACCORD 27.1.2021, BAMF 18.1.2021; vgl. PAJ 12.1.2021, AT 12.1.2021). Zudem wird von der Entführung (TN 13.3.2021, DH 8.4.2020) und Ermordung von Zivilisten in der Provinz berichtet (KP 3.3.2021, ACCORD 27.1.2021, NYTM 1.10.2020, DH 8.4.2020).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019).
Taliban
Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020). Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt (EASO 8.2020c; vgl. USIP 11.2019) und haben sich zu einem lokalen Regierungsakteur im Land entwickelt, indem sie Territorium halten und damit eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften übernehmen (EASO 8.2020c; vgl. USIP 4.2020). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020).
Das wichtigste offizielle politische Büro der Taliban befindet sich in Katar (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.5.2020, AnA 28.7.2020) - Stellvertreter sind der Erste Stellvertreter Sirajuddin Jalaluddin Haqqani (Leiter des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020) und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020).
Mitte Juni 2020 berichtete das Magazin Foreign Policy, dass Akhundzada und Jalaluddin Haqqani und andere hochrangige Taliban-Führer sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt hätten und dass einige von ihnen möglicherweise sogar gestorben seien sowie dass Mullah Mohammad Yaqoob Taliban- und Haqqani-Operationen leiten würde. Die Taliban dementierten diese Berichte (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020, RFE/RL 2.6.2020).
Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020). Während der US-Taliban-Verhandlungen war die Führung der Taliban in der Lage, die Einheit innerhalb der Basis aufrechtzuerhalten, obwohl sich Spaltungen wegen des Abbruchs der Beziehungen zu Al-Qaida vertieft haben (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban-Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami (Islamische Gouverneurspartei oder Islamische Vormundschaftspartei) bekannt ist (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Die Gruppe ist gegen den US-Taliban-Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 9.6.2020). Eine gespaltene Führung bei der Umsetzung des US-Taliban-Abkommens und Machtkämpfe innerhalb der Organisation könnten den möglichen Friedensprozess beeinträchtigen (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020).
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017).
Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen absolviert haben und ethnische Paschtunen sind (EASO 8.2020c; vgl. Osman 1.6.2020). Schätzungen der aktiven Kämpfer der Taliban reichen von 40.000 bis 80.000 (EASO 8.2020c; vgl. NYT 12.9.2019) oder 55.000 bis 85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf bis zu 100.000 ansteigt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020, UNSC 27.5.2020). Obwohl die Mehrheit der Taliban immer noch Paschtunen sind, gibt es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) innerhalb der Taliban (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger in acht Provinzen haben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Sar-e Pul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).
Nach Erkenntnissen von AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) sind die durch Taliban-Angriffe verursachten zivilen Opfer im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 um 40 Prozent zurückgegangen. Der Hauptgrund für diesen Rückgang könnte sein, dass keine komplexen und Selbstmordattentate in den großen Städten des Landes durchgeführt werden. Im Jahr 2020 wurden in Afghanistan insgesamt 4.567 Zivilisten durch Taliban-Angriffe getötet oder verletzt, während im gleichen Zeitraum 2019 die Gesamtzahl der durch Taliban-Angriffe verursachten zivilen Opfer bei 7.727 lag (AIHRC 28.1.2021).
Haqqani-Netzwerk
Das formell 1996 gegründete Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation (ASP 1.9.2020), Bestandteil der Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.5.2020). Es verfügt über Kontakte zum IS/ISKP (EASO 8.2020c; vgl RA KBL 12.10.2020). Das Netzwerk ist nach seinem Gründer Jalaluddin Haqqani benannt (CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist sein Sohn Serajuddin Haqqani [auch Sirajuddin Haqqani] (EASO 8.2020c; cf. UNSC 27.5.2020).
Als von den US-Truppen und der afghanischen Armee als "tödlichste und ausgefeilteste Aufständischengruppe in Afghanistan" (ASP 1.9.2020) bzw. "gefährlichster" Arm der Taliban bezeichnet, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019). Das Netzwerk ist vor allem in den südlichen und östlichen Teilen des Landes und in den Provinzen Paktika, Helmand, Kandahar und Khost (RA KBL 12.10.2020; vgl. EASO 8.2020) sowie in Paktia und Teilen Ghaznis aktiv (ASP 1.9.2020; vgl. TD 31.12.2019).
Die afghanische Regierung entließ drei führende Mitglieder des Netzwerks im Zuge des Gefangenenaustauschs im November 2019 (RA KBL 12.10.2020; vgl. NYT 19.11.2019, BBC 19.11.2019).
Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIK/Daesh), Islamischer Staat Kohrasan Provinz (ISKP)
Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Der IS in Afghanistan bezeichnet sich selbst als Khorasan-Zweig des IS (ISKP). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019) bzw. 4.000 und 5.000 Kämpfern (EASO 8.2020c). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der