TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/8 W251 2218012-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.07.2021
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Entscheidungsdatum

08.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W251 2218012-1/49E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Christian SCHMAUS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.03.2019, Zl. 1120361307 - 160887307, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

In Erledigung der Beschwerde werden Spruchpunkt II. bis VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 26.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Noch am selben Tag fand am 26.06.2016 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er seine Familie habe ernähren müssen und er habe die Schule beenden können. Er sehe für sich keine Zukunft in Afghanistan, da er dort keine Unterstützung bekommen habe. Er möchte eine bessere Zukunft und eine Ausbildung machen. Er habe keine Zukunftsperspektive in seinem Heimatland.

3. Am 21.11.2018 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass es bei der Erstbefragung zu Verständigungsschwierigkeiten sowie Übersetzungsfehlern gekommen sei, er generell kein Moslem mehr sein wolle und auf der Suche nach seiner Religion sei. Er und sein Vater seien von den Taliban wegen des Transports von Schulsachen festgenommen und entführt worden. Die Taliban haben den Beschwerdeführer gezwungen die Schule in der Nähe des Familienhauses, zu der der Vater das Schulmaterial habe bringen sollen, mit Benzin zu übergießen und anzuzünden, welches durch einen Freund des Vaters gerade noch verhindert worden sei. Die Taliban haben im Anschluss den Vater des Beschwerdeführers umgebracht und sei der Beschwerdeführer auch in Gefahr, wenn er nach Afghanistan zurückkehren sollte.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18.03.2019 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt IV und V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können, da insbesondere sein Vorbringen der Talibanverfolgung nicht genügend substantiiert und schlüssig, sowie widersprüchlich und nicht plausibel sei. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Es gebe keine Gruppenverfolgung von Hazara und sei der Beschwerdeführer ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, welcher sowohl im Herkunftsstaat als auch in Österreich Schulbildung erhalten und eine Kochlehre angefangen habe und somit bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine ausweglose Situation geraten würde. Die Herkunftsprovinz Ghazni des Bechwerdeführers sei volatil, doch könne sich der Beschwerdeführer auch in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht vollumfänglich Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass das Ermittlungsverfahren, die Feststellungen und die Beweiswürdigung des Bundesamtes mangelhaft seien und der Bescheid inhaltlich rechtswidrig sei. Der Beschwerdeführer sei zwar Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Schiiten, möchte jedoch nicht mehr dem Islam angehören. Der Beschwerdeführer gehöre der Minderheit der Hazara an und habe Angst getötet zu werden. Seinem Vater und ihm sei von den Taliban wegen des Transports der Schulsachen unterstellt worden für die Regierung zu arbeiten und werde er neben den Taliban auch von den Dorfbewohnern verfolgt, da er von den Taliban gezwungen worden sei zu versuchen die Schule anzuzünden. Er habe sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch Private und mangelnder Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit seines Heimatlandes sowie mangels einer tauglichen innerstaatlichen Fluchtalternative verlassen. Aufgrund des Abfalls vom Islam und durch die Verfolgung durch die Taliban drohe ihm der Tod in Afghanistan.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.02.2020 sowie am 09.09.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer als Partei sowie der Pfarrer des Beschwerdeführers (Z4), seine außerschulische Religionslehrerin (Z1) und eine enge Bezugsperson des Beschwerdeführers (Z3) als Zeugen einvernommen wurden. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung im Wesentlichen an, dass er römisch-katholischer Christ sei, vom Glauben überzeugt sei und diesen verinnerlicht habe und diesen überall ausüben möchte und nicht bereit sei den christlichen Glauben wieder abzulegen.

7. Der Beschwerdeführer legte am 12.02.2020, am 16.07.2020, am 02.09.2020, am 28.09.2020, am 20.10.2020, am 10.11.2020, am 02.12.2020, am 22.12.2020, am 12.01.2021, am 02.02.2021, am 23.02.2021, am 15.03.2021, am 07.04.2021, am 28.04.2021, am 19.05.2021 und am 09.06.2021 weitere Unterlagen zu seiner Konversion, insbesondere einen Taufschein vom 05.07.2020 und seine Fimkarte vom 23.05.2021 vor.

II. Entscheidungsgründe:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und spricht Dari als Muttersprache (AS 9, AS 137, AS 138, Verhandlungsprotokoll vom 19.02.2020, OZ 17, S. 6 - 7). Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Familienangehörigen aufgewachsen (OZ 17, S. 6, S. 8).

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer bekennt sich förmlich zum römisch-katholischen Glauben (OZ 17, S. 9-10), wobei er sich bereits seit 2019 als Christ fühlt (OZ 29 S.10). Er wurde am 05.07.2020 getauft.

Seit 2017 interessiert sich der Beschwerdeführer für das Christentum, ging mit seiner Lehrerin aus dem XXXX Frau XXXX mehrfach in die Messe und führte mit ihr, sowie einer engen Bezugspersonen (Z3) Gespräche über den Glauben und setzen sich mit zentralen Fragen des christlichen Glaubens auseinander (AS 102; OZ 17, S. 9; Verhandlungsprotokoll vom 09.09.2020, OZ 29, S 15 – 16; Beilage ./A und Beilage ./K).

Der Beschwerdeführer besuchte seit Oktober 2019 einen Religionsunterricht und bereitete sich mit dem Besuch des Taufvorbereitungskurs auf seine Taufe vor (OZ 17, S. 19, OZ 16 Beilage ./B und Beilage ./D, OZ 29 S 9).

Der Beschwerdeführer besuchte das Katechumenat (OZ 16 und OZ 25). Der Beschwerdeführer hat sich intensiv mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt (OZ 16, OZ 17, OZ 25, OZ 29, OZ 32, OZ 35, OZ 38 - OZ 40, OZ 42 - OZ 44, OZ 46, OZ 47).

Der Beschwerdeführer wurde am 21.06.2020 zur Taufe zugelassen und am 05.07.2020 getauft (OZ 25), sowie am 23.05.2021 nach erfolgreicher Firmvorbereitung gefirmt (OZ 48).

Der Beschwerdeführer besucht regelmäßig die Messe, betet regelmäßig, nimmt an Kirchenaktivitäten teil und beschäftigt sich auch in seinem Alltag mit dem Christentum (OZ 29, S. 9-10, OZ 32, OZ 35, OZ 38 - OZ 40, OZ 42 - OZ 44, OZ 46, OZ 47).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich aus innerer Überzeugung vom Islam zum Christentum konvertiert und nunmehr Angehöriger der römisch-katholischen Kirche. Der Beschwerdeführer ist praktizierender Katholik, er steht nach wie vor in intensivem Kontakt zur Pfarre, besucht die Sonntagsmessen, beschäftigt sich weiterhin mit Glaubensinhalten und nimmt nach wie vor aktiv am christlichen Leben in der Pfarre teil (OZ 29, Zeugeneinvernahme des Pfarrers S. 18 – 22).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom 05.07.2021).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hat den christlichen Glauben verinnerlicht, ist zum christlichen Glauben konvertiert und würde seinen christlichen Glauben auch im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat weiter ausüben (OZ 17 S. 18).

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret Lebensgefahr sowie ein Eingriff in seine körperliche Integrität aufgrund seiner Konversion und seiner Ausübung des römisch-katholischen Glaubens in Afghanistan.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:

?        Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan COI-CMS Version 4, letzte Änderung 11.06.2021 (LIB)

?        UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018 (UNHCR)

?        EASO Country Guidance Afghanistan, Dezember 2020 (EASO)

Religionen, Apostasie und Konversion:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden.

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt. Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul. Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde. Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; Personen, die vom Islam konvertieren riskieren die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe.

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Weder in der afghanischen Verfassung noch im Strafgesetzbuch wird Apostasie erörtert, und daher sollte Apostasie im Einklang mit der Scharia bestraft werden. Eine wichtige Bedingung ist, dass die Ablehnung des Islams und die Konversion freiwillig sein müssen, um als Apostasie zu gelten. Der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion gilt als Apostasie und ist sowohl nach der sunnitischen Hanafi-Rechtsprechung als auch nach der schiitischen Jafari-Rechtsprechung verboten. Die Scharia sieht die Verhängung der Todesstrafe gegen erwachsene, geistig gesunde Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen. Frauen werden sowohl nach der Hanafi- als auch nach der Jafari-Jurisprudenz anders bestraft als Männer, wobei beide die Auspeitschung und Schläge vorschreiben, um sie zur Rückkehr zum Islam zu bewegen.

Die Zahl der afghanischen Christen in Afghanistan ist höchst unsicher, die Schätzungen schwanken zwischen einigen Dutzend und mehreren Tausend. Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Den Islam zu verlassen und zu einer anderen Religion zu konvertieren bedeutet, gegen die gesellschaftlichen Kerninstitutionen und die soziale Ordnung zu rebellieren.

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum der Abtrünnigen konfiszieren und deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist.

Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers und des Pfarrers, der Religionslehrerin sowie einer engen Vertrauensperson des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die im Verfahren vorgelegten Urkunden und sonstigen Beilagen.

Dem Erkenntnis werden die EASO Country Guidance Afghanistan aus Dezember 2020 sowie die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 zugrunde gelegt.

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 9, AS 137, AS 138, Verhandlungsprotokoll vom 19.02.2020, OZ 17, S. 6 – 7). Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache und seinem Aufwachsen gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben (AS 9, AS 137, AS 138, OZ 17, S 6 – 8). Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Religionslehrerin, die Vertrauensperson und der Pfarrer gaben übereinstimmend und nachvollziehbar an, dass der Beschwerdeführer eine tiefe religiöse Überzeugung hat und er sich sehr stark mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt hat (OZ 17 und OZ 29).

Die enge Vertrauensperson des Beschwerdeführers kennt den Beschwerdeführer seit April 2017 und begleitet ihn in Österreich seit Herbst 2017. Sie hat eine Art „Patenschaft“ über den Beschwerdeführer übernommen hat und Ihn seit der Corona-Krise bei sich zu Hause aufgenommen (OZ 29, S 15 u. S 16). Die Vertrauensperson hat daher einen guten Einblick in das Leben des Beschwerdeführers in Österreich und gab an, dass der Beschwerdeführer den christlichen Glauben verinnerlicht hat und diesen auch im Alltag durch den Besuch der Messe, durch das Praktizieren der christlichen Werte und der Gebote, ausübt. Nach Aussage der engen Vertrauensperson ist der Beschwerdeführer in das Christentum hineingewachsen, hat dort Wurzeln geschlagen und engagiert sich für die katholische Glaubensfamilie (OZ 29, S 16). Sie kann mit Sicherheit ausschließen, dass der Beschwerdeführer aus opportunistischen Gründen konvertiert (OZ 29, S 17). Die Hinwendung zum Christentum sowie die ernsthafte Konversion aus innerer Überzeugung wurden zudem ebenso von der Religionslehrerin (OZ 17, S. 19f) als auch vom Pfarrer des Beschwerdeführers (OZ 29, S. 19) bestätigt.

Der Beschwerdeführer konnte zudem glaubhaft darlegen, dass er aus Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist, er hat dies durch sein äußeres Verhalten, die Teilnahme an den kirchlichen Feierlichkeiten, den regelmäßigen Besuch der Messe, sowie die gewissenhafte Absolvierung des Katechumenats mit seiner anschließenden Taufe und der Firmung überzeugend dargetan. Die Taufe und die Firmung konnte er durch eine Urkunde belegen (OZ 25 und OZ 48).

Auch die vorgelegten Dokumente und Beilagen, insbesondere die zahlreichen schriftlichen Berichte des Beschwerdeführers über die Aktivitäten als Katholik (OZ 16, OZ 32, OZ 35, OZ 38 - OZ 40, OZ 42 - OZ 44, OZ 46, OZ 47) bestätigen, dass der Beschwerdeführer sich intensiv mit dem christlichen Glauben auseinandersetzt und er regelmäßig an der Messe sowie am Pfarrleben teilnimmt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, resultiert aus dem Strafregisterauszug vom 05.07.2021.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat und zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Der Beschwerdeführer ist als Person mit christlicher Überzeugung im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund seiner religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite - ohne dass ihm in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme - als auch von staatlicher Seite ausgesetzt. Bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf in Afghanistan befürchtet der Beschwerdeführer aufgrund seines Abfalles vom Islam von den Taliban verfolgt zu werden (OZ 17, S 18). Diese Befürchtungen sind vor dem Hintergrund der oben getroffenen Feststellungen keineswegs unwahrscheinlich, weswegen davon ausgegangen werden muss, dass der Beschwerdeführer nicht in seinen Herkunftsstaat zurückkehren kann.

Aus den beigezogenen Länderberichten ergibt sich, dass die gesellschaftliche Einstellung gegenüber konvertierten Christen ablehnend ist und Konversion als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam, der mit dem Tod bestraft wird, gesehen wird, sodass der Beschwerdeführer in ganz Afghanistan erhebliche Eingriffe in seine körperliche Integrität zu fürchten hätte. (LIB Afghanistan COI-CMS Version 4, letzte Änderung 11.06.2021)

Die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum würde den afghanischen Behörden oder anderen Personen in seinem familiären und sozialen Umfeld nicht verborgen bleiben, da der Beschwerdeführer glaubhaft und nachvollziehbar angab den christlichen Glauben verinnerlicht zu haben und diesen auch durch Besuche der Messe öffentlich ausüben zu wollen (OZ 19 S 9 ff S 18, OZ 29 S 5 ff).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1 Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

…“

3.1.2. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist). Gemäß § 3 Abs 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss zudem in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH vom 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, VwGH vom 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; 09.04.1997, 95/01/0555)

Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 23.07.1999, 99/20/0208; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

3.1.3. Der Beschwerdeführer ist aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen und zum Christentum konvertiert. Diese Überzeugung und Zuwendung zum Christentum würde der Beschwerdeführer auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan weiterhin ausleben. Er wird daher auf Grund seiner religiösen Überzeugung bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt.

Der afghanische Staat ist derzeit landesweit nicht in der Lage, den Beschwerdeführer vor der dargestellten Bedrohung hinreichend zu schützen bzw. stellt dieser selber den Verfolger dar.

Aufgrund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts nach der Scharia und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insbesondere gegenüber Konvertiten, und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ergibt. Es ist daher hinsichtlich dieses dargestellten Verfolgungsrisikos davon auszugehen, dass keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht.

Es kamen keine Asylendigungs- bzw. -ausschlussgründe hervor (Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK). Der Beschwerdeführer weist keine Verurteilungen auf.

Der Beschwerdeführer befindet sich daher aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner religiösen Überzeugung eines vom Islam zum Christentum konvertierten Mannes, verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans und er ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Es war daher der Beschwerde stattzugeben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung, mit der einem Fremden aufgrund eines Antrages auf internationalem Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Auf Grund der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten war Spruchpunkt II. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos – gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG (vgl. VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162) – zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Christentum Flüchtlingseigenschaft Konversion wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W251.2218012.1.00

Im RIS seit

20.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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