TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/8 W177 1438435-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.07.2021
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Entscheidungsdatum

08.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §13
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


W177 1438435-2/32E

W177 1438435-3/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den RA Mag. Martin SAUSENG, Jakominiplatz 16/II, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 25.11.2017, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den RA Mag. Martin SAUSENG, Jakominiplatz 16/II, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 12.11.2018, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz „BF“), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 11.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 11.07.2012 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er aus der Stadt Mazar-e Sharif, Provinz Balkh, stamme und als Polizist bzw. Soldat gearbeitet habe. Bei einer Feier habe er die dienstliche Anweisung erhalten, niemanden hineinzulassen. Ein namentlich genannter Parlamentsabgeordnete habe jedoch darauf bestanden, mit seinem Auto hineinzufahren. Es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen, bei dem der Fahrer des Abgeordneten am Bein verletzt worden sei. Daraufhin sei der BF von diesem Parlamentsabgeordneten mit dem Tod bedroht worden, weshalb er vor ca. fünf Monaten Afghanistan verlassen habe.

2. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 05.12.2012 gab der BF im Wesentlichen Folgendes an, er habe an einem Posten in der Provinz Balkh als Polizist gearbeitet. Am Feiertag „Ide Qurban“ im „achten Monat des Jahres 1389“ seien Leute zum Gebet in die Moschee gekommen. Der BF habe von seinem Vorgesetzten den Befehl erhalten, keine Autos hinein fahren zu lassen. Der namentlich genannte Parlamentsabgeordnete, der auch ein „großer“ Drogenhändler in Mazar-e Sharif sei, sei mit dem Auto vorgefahren. Der BF habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass niemand mit dem Auto durchfahren dürfe, und ihn an seinen namentlich genannten Kommandanten verwiesen. Der Parlamentsabgeordnete habe aber darauf bestanden, dass er mit seinem Auto weiterfahren könne. Dessen Leibwächter seien daraufhin ausgestiegen und es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen, bei der der BF geschlagen und an der linken Gesichtshälfte verletzt worden sei. Aus Notwehr habe der BF geschossen, wobei einer der Leibwächter am Bein verletzt worden sei. Aufgrund seiner Verletzungen sei der BF in diversen Krankenhäusern behandelt worden. Der Parlamentsabgeordnete habe seinem Kommandanten mitgeteilt, dass der Schuss des BF auf seinen Leibwächter so zu werten sei, als ob der BF auf den Parlamentsabgeordneten geschossen hätte. Nach ungefähr zwei Monaten habe der BF seinen Dienst als Soldat an einer anderen Dienststelle wieder fortgesetzt. Dort habe der BF einen Monat lang gearbeitet, wo er jedoch auch immer wieder telefonisch bedroht worden sei. Zusätzlich sei seinem Kameraden Geld geboten worden, damit er den BF verrate. Daraufhin sei der BF zu seiner Tante nach Kabul geflüchtet, wo er acht Monate lang versteckt gelebt habe. Auch dort sei er von dem Parlamentsabgeordneten gefunden worden. Darüber hinaus habe die afghanische Regierung nach ihm gesucht. Ein entsprechender Haftbefehl sei seinem Onkel in Kabul übergeben worden. Schließlich habe der BF Afghanistan endgültig verlassen.

Weiters legte der BF folgende Unterlagen im Original vor: Seine Tazkira; seinen Polizeiausweis; Fotos, die den BF bei seiner Arbeit als Soldat zeigen; eine an den BF gerichtete Ladung des afghanischen Innenministeriums zum Vorfall mit diesem Parlamentsabgeordneten; einen vom afghanischen Innenministerium gegen den BF erlassenen Haftbefehl.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 i.d.F. BGBl. I. Nr. 87/2012, ab, erkannte ihm weder den Status eines Asylberechtigten noch jenen eines subsidiär Schutzberechtigten zu und wies ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem Bundesgebiet nach Afghanistan aus. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte das Bundesasylamt zur Person des BF aus, dass seine Identität nicht feststehe und er afghanischer Staatsangehöriger sei. Das Fluchtvorbringen beurteilte das Bundesasylamt als unglaubwürdig und führte dazu (nur) aus, dass sich der BF „auf allgemein gehaltene Darlegungen beschränk[e]“ und „keine konkreten oder detaillierten" Angaben habe machen können; aufgrund der „allgemeinen, spekulativen“ sowie widersprüchlichen Behauptungen sei davon auszugehen, dass das Vorbringen des BF eine „gedankliche Konstruktion“ darstelle. So sei der BF nicht in der Lage gewesen, seine behauptete langjährige Tätigkeit als Polizist, die die Ursache für die behaupteten Bedrohungen gewesen sei, darzustellen. Widersprüche bestünden in seinen zeitlichen Angaben sowie darin, dass man ihn an verschiedenen Orten in Afghanistan habe ausfindig machen können. Auch sei es nicht nachvollziehbar, dass Behörden „Suchbefehle“ an „irgendwelche“ Verwandte aushändigen würden. Überdies ließe sich aus dem Vorbringen, wegen Körperverletzung im Zuge einer Dienstausübung gesucht zu werden, „kein einem Konventionsgrund entsprechendes Vorbringen ableiten“. Die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten begründete das Bundesasylamt mit der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens. Zur Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesasylamt aus, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in keine dauerhaft aussichtslose Lage kommen würde. Abschließend begründete es seine Ausweisungsentscheidung.

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerechte Beschwerde, in der das Fluchtvorbringen wiederholt wird und im Wesentlichen zusätzlich Folgendes vorgebracht wird: Obwohl der BF zahlreiche Beweismittel vorgelegt habe und genaue Angaben zu den Geschehnissen in Afghanistan gemacht habe, gehe das Bundesasylamt dennoch von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aus. Die vermeintlichen zeitlichen Widersprüche resultierten daraus, dass seine Zeitangaben entweder falsch oder missverstanden protokolliert worden seien. Das „Recht“ der Blutrache gelte vor allem noch in ländlichen Landesteilen von Afghanistan. Der afghanische Staat könne den BF vor Verfolgung Dritter nicht schützen. Auch sei die Sicherheitslage in Afghanistan prekär.

6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge Kurz „BVwG“) vom 02.07.2015, GZ W227 1438435-1/7E, wurde in Erledigung der Beschwerde der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wurde in diesem Beschluss ausgeführt, dass nicht erkannt werden könne, dass der BF „sich auf allgemein gehaltene Darlegungen“ beschränkt habe und „keine konkreten oder detaillierten“ Angaben habe machen können bzw. „allgemein und spekulative Behauptungen“ gemacht habe. Der BF habe angesichts der Nennung von konkreten Personen, Orten und Daten sowie der vorgelegten Unterlagen, mit denen sich das Bundesasylamt überhaupt nicht auseinandergesetzt habe, das Gegenteil gemacht. Daher hatte das Bundesasylamt ausreichende Anhaltspunkte für eine Anfrage bei der Staatendokumentation oder für Erhebungen vor Ort, um nachvollziehbar feststellen zu können, ob die Angaben des BF tatsächlich unglaubwürdig seien.

Sollte das Fluchtvorbringen des BF glaubhaft sein, habe das Bundesasylamt einerseits zu prüfen, ob behördliche Maßnahmen gegen den BF als legitime Strafverfolgung („prosecution“) oder aber als asylrelevante Verfolgung („persecution“) zu qualifizieren seien (zur Abgrenzung von asylrechtlich relevanter Verfolgung von legitimer Strafverfolgung vgl. Putzer, Leitfaden Asylrecht, 2. Auflage [2011], Rz. 59 m.w.N.) bzw. subsidiär schutzrelevant wären. Andererseits sei zu ermitteln, ob Verfolgungen durch den namentlich genannten Parlamentsabgeordneten für Asyl oder subsidiären Schutz relevant seien.

Der Sachverhalt sei somit in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es könne auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden sei. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG seien somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

7. Am 01.03.2016 wurde der BF von der Grundversorgung abgemeldet, zumal er unbekannten Aufenthaltes sei.

8. Am 17.12.2016 wurde seitens eines Landesgerichts für Strafsachen mit Beschluss die Untersuchungshaft aufgrund der Haftgründe der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr gem. § 173 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 und Z3 lit b StPO verhängt.

9. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 13.01.2017 wurde der BF gemäß §§ 297 Abs. 1 2.DF StGB, § 107 Abs. 1 StGB, § 83 Abs. 1 StGB, § 125 StGB, § 105 Abs. 1 StGB, § 288 Abs. 1 StGB und § 297 Abs. 1 2.Strafsatz StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, neun davon unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt, verurteilt.

10. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 25.04.2017 wurde der BF gemäß § 107 Abs. 1 StGB als Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB zu seiner Verurteilung vom 13.01.2017 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

11. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 21.06.2017 wurde der BF gemäß § 27 Abs. 2a 2.Fall SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 2.Fall SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 2.Fall SMG, Abs. 2 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

12. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz „BFA“) am 26.01.2017 gab der BF an, dass er gesund und in der Lage sei, der Einvernahme zu folgen. In Mazar-e Sharif würden noch seine Mutter und ein Bruder leben. Die diesen Verwandten hatte er vor einem Jahr zuletzt Kontakt. In Kabul würden noch ein Onkel und eine Tante leben. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan habe er sich, abgesehen von einem Monat in Kabul, dauerhaft in Mazar-e Sharif aufgehalten. Er sei bei der Polizei gewesen und werde wahrscheinlich von der Regierung gesucht. Er habe Probleme mit einen Abgeordneten. Angesprochen auf seine strafrechtlichen Verurteilungen gab der BF an, dass er ihm leidtue und er schlechte Freunde gehabt hätte. Dass gegen ihn wegen terroristischer Straftaten ermittelt worden sei, sei aufgrund geposteter Fotos afghanischer Politikern passiert. Das Verfahren sei jedoch eingestellt worden. Es seien zwei beleibte Politiker aus Mazar-e Sharif, unter anderem der afghanische Vizepräsident, gewesen. Diese wären seine Vorbilder.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF im Wesentlichen aus, dass er bei einem Gebet des Opferfestes einen Checkpoint bewacht habe. Seine Aufgabe sei es gewesen, die Durchzufahrenden zu kontrollieren. Ein Parlamentsabgeordneter der Provinz Balkh habe mit seinen Männern ohne Kontrolle die Absperrungen durchqueren wollen. Es sei zu einer Auseinandersetzung mit einem Schusswechsel gekommen. Bei diesem habe er dem Fahrer ins Bein geschossen. Dieser sei ins Krankenhaus gebracht worden. Der BF sei an Ort und Stelle von diesem Parlamentsabgeordneten bedroht worden. Auch wenn er unter Polizeischutz gestanden sei, habe er das Land noch vor der Gerichtsverhandlung verlassen. Er habe wenige Tage nach dem Vorfall freibekommen und dies zur Flucht genützt. Er vertraue den afghanischen Gerichten nicht. Die verletzte Person habe ein Verfahren gegen ihn geführt. Vom Staat und der Regierung habe er nichts zu befürchten, jedoch gäbe in Afghanistan viel Korruption, sodass er sich vor diesem Abgeordneten fürchte. Er fürchte nun dessen Rache, weil er seinen Fahrer verletzt habe und er dadurch sein Feind geworden sei. Außerdem sei dieser auch ein in Kabul tätiger Geschäftsmann. Sein Mutter habe ihm geraten, dass er nicht nach Afghanistan zurückkommen solle. Er habe seinen Dienstausweis zwar nicht zurückbekommen, jedoch hätte sich seine Mutter beim Dorfältesten eine Bestätigung des Vorfalls und eine Beglaubigung aus Kabul ausstellen lassen. Er befürchte eine Verfolgung seitens dieses Parlamentariers, der sich auch den Taliban anschließen wolle. Er töte Menschen und die allgemeine Lage sei in Afghanistan auch schlecht. Diese Informationen habe er allesamt über Facebook erhalten. Auf Vorhalt der Länderfeststellungen gab der BF die Stellungnahme ab, dass Afghanistan generell unsicher sei und auch in Kabul immer wieder Anschläge passieren würden. Er habe noch immer Angst vor einem Racheakt im Falle seiner Rückkehr.

Er sei froh in Österreich zu sein und gelobe Besserung, falls er einen positiven Bescheid erhalte. Er spreche kein Deutsch und kenne nicht sehr viele Leute. In der Haft habe er gearbeitet. Jetzt lebe er von der Grundversorgung. Er werde sich in Zukunft ändern und integrieren. Der habe er hier keine Lebensgemeinschaft oder ein Abhängigkeitsverhältnis zu einer sonstigen Person. In Österreich habe er noch keine Bildungskurse besucht.

13. Mit Bescheid vom 25.11.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde festgehalten, dass der BF zwar sein Vorbringen auf einen gleichbleibenden Vorfall gestützt geschildert habe, er jedoch hierbei nicht glaubwürdig gewesen sei, zumal er sich in zahlreiche Widersprüche verwickelt habe. Er stellte den Schusswechsel, die Quittierung des Dienstes, seinen Aufenthaltsort und Drohungshandlungen durch seinen Verfolger unterschiedlich dar. In seiner zweiten niederschriftlichen Einvernahme führte der BF auch nahezu gänzlich unterschiedliche Beweismittel an, gab an, dass er seitens der staatlichen Behörden keine Verfolgung fürchte und er ein angeführtes Gerichtsverfahren nun nur mehr vermute. Auch über die Geschäfte seines Verfolgers habe er völlig unterschiedliche Angaben gemacht. In einer Gesamtbetrachtung sei das Vorbringen des BF, aufgrund seine vagen, oberflächlichen und unplausiblen Schilderungen, nicht glaubwürdig gewesen. Bezüglich der Beweismittel sei auszuführen, dass notorische bekannt sei, dass man diese in Afghanistan gegen eine Bezahlung leicht erlangen könne. Die staatlichen Behörden wären gerade in gegenständlichem Fall schutzwillig. Eine asylrechtlich relevante Verfolgung aufgrund der schlechten Sicherheitslage würde ebenfalls nicht vorliegen.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre dem BF eine Ansiedlung in Mazar-e Sharif und in Kabul zumutbar, zumal er dort überall über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Eine Gefahrenlage im Sinne des Art. 3 EMRK würde beim BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht vorliegen. Es bestünde daher im Falle seiner Rückkehr auch keine reale Gefahr, die einer Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würde. Der BF habe Schulbildung, Berufserfahrung und Kontakt zu seinen Verwandten sowie in Österreich in der Haft Arbeitserfahrung gesammelt. Auch rechtfertige der gesundheitliche Zustand des BF noch keine Gewährung von subsidiärem Schutz. Betreffend den Ausspruch einer Rückkehrentscheidung würden die öffentlichen Interessen, insbesondere wegen drei strafgerichtlichen Verurteilungen, überwiegen.

14. Mit Verfahrensanordnung vom 25.11.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren als Rechtsberatung zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 25.11.2017 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

15. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 29.12.2017 beim BFA eingelangte und fristgerecht durch seine rechtsfreundliche Vertretung in vollem Umfang erhobene Beschwerde. In dieser wurde eine Verletzung von Verfahrensvorschriften durch ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und mangelhafte Länderberichte geltend gemacht. Es wurde festgehalten, dass der BF sein Fluchtvorbringen konkret, nachvollziehbar und glaubwürdig dargelegt habe. Er würde auch unter das Risikoprofil von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden seien oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen würden. Ebenso sei er als Mitglied der afghanischen Polizei und aufgrund seiner Verwestlichung einem erhöhten Gefährdungsrisiko ausgesetzt. Es sei notorisch bekannt, dass es gegen die vom BF vorgebrachten Verfolgungshandlungen keinen ausreichenden staatlichen Schutz geben würde. Ebenso würden die angeführten Länderberichte die Sicherheitslage und Versorgungslage in Afghanistan nicht richtig darstellen, zumal diese auch in Kabul schlecht sei und der BF als Rückkehrer zu einer vulnerablen Personengruppe zähle. Unter Anführung zahlreicher Quellen und Rechtsprechung dargelegt wurde, dass die Sicherheitslage in Afghanistan derart schlecht sei, dass dem BF auch keine Rückkehr nach Kabul zumutbar sei. Es würde daher dem BF an einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative fehlen. Die belangte Behörde habe es verkannt, dass dem BF eine asylrechtlich relevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer in den UNHCR-Richtlinien als Risikoprofil geführten Gruppe drohe. Außerdem würde eine Abschiebung des BF nach Afghanistan nicht zumutbar sein, weshalb die Rückkehrentscheidung sohin für dauerhaft unzulässig erklärt hätte werden müssen. Ebenfalls wurde das Durchführen einer mündlichen Verhandlung beantragt.

16. Die gegenständlich erste Beschwerde und der diesbezügliche bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem BVwG am 02.01.2018 vom BFA vorgelegt. Zugleich wurde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichtet.

17. Nachdem der BF am 13.04.2018 bei der Begehung eines Deliktes nach dem Suchtmittelgesetzt betreten wurde, wurde gegen ihn die Untersuchungshaft verhängt, Anklage erhoben und er per 14.04.2018 von der Grundversorgung abgemeldet.

18. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 13.06.2018 wurde der BF gemäß § 27 Abs. 2a SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 2.Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die bereits gewährte bedingte Strafnachsicht und die gewährte bedingte Entlassung seiner Vorverurteilungen wurden einhergehend mit Beschluss widerrufen. Ein Oberlandesgericht lehnte die Berufung gegen dieses Urteil mit eigenem Urteil vom 18.09.2018 ab.

19. Am 08.11.2018 erging die Mitteilung der belangten Behörde, dass der BF aufgrund seiner Straffälligkeit gemäß § 13 Abs. 2 AsylG per Verfahrensanordnung das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren habe.

20. Mit Bescheid vom 12.11.2017 hob das BFA gemäß § 68 Abs, 2 AVG die Spruchpunkte III. bis VI. des Bescheides vom 25.11.2017 von Amts wegen auf (Spruchpunkt I.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt II.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI). Gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG hat der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 18.04.2018 verloren (Spruchpunkt (VII.) Begründend wurde festgehalten, dass der BF mehrfach straffällig und inhaftiert worden sei und nicht einmal das erfahrene Haftübel ihn davon abgehalten habe, weiterhin einschlägig straffällig zu werden. Aus diesen Gründen habe auch keine positive Zukunftsprognose für den BF erstellt werden können. Aufgrund dieses Fehlverhaltens seien der Verlust des Aufenthaltsrechts und das auf acht Jahre befristete Einreiseverbot auch angemessen.

21. Mit Verfahrensanordnung vom 12.11.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren als Rechtsberatung zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 12.11.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

22. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 07.12.2018 beim BFA eingelangte und fristgerecht durch seine rechtsfreundliche Vertretung in vollem Umfang erhobene Beschwerde. In dieser wurde eine Verletzung von Verfahrensvorschriften durch ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und mangelhafte Länderberichte geltend gemacht. Es wurde festgehalten, dass aufgrund der vorherrschenden Lange eine Rückkehr für der BF nach Afghanistan nicht zumutbar sei. Ebenso sei die Dauer des verhängten Einreiseverbotes nicht verhältnismäßig gewesen und es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

23. Die gegenständlich zweite (offene) Beschwerde und der diesbezügliche bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem BVwG am 11.12.2018 vom BFA, mit dem Hinweis auf die neuen Tatsachen und dem bereits anhängigen Verwaltungsakt, vorgelegt.

24. Mit Schreiben vom 26.11.2019 erging eine Beschwerdevorlage, dass der BF im Zuge seiner Inhaftierung gearbeitet habe, er nach der Haftentlassung einen Wohnsitz genommen habe sowie er Termine bei der Bewährungshilfe und der Drogenberatung in Anspruch genommen hat.

25. Mit Schriftsatz vom 09.06.2020 erfolgte die Vollmachtsbekanntgabe, dass der BF nunmehr von Rechtsanwalt Mag. Martin SAUSENG in gegenständlichem Verfahren vertreten ist. Seitens der Rechtsvertretung des BF erfolgte zugleich das höfliche Ersuchen zur Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

26. Mit Urteil eines Bezirksgerichts vom 16.02.2021 wurde der BF gemäß § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, unter der Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

27. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.02.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der bisher zuständigen Gerichtsabteilung W258 abgenommen und der Gerichtsabteilung W177 neu zugewiesen.

28. Mit Schreiben vom 14.05.2021 teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass gegen den BF wegen § 83 Abs. 1 StGB Anklage erhoben wurde.

29. Mit Schriftsatz vom 26.05.2021 entschuldigte sich der Rechtsvertreter des BF für das Fernbleiben an der Verhandlung vom 27.05.2021, weil keine notwendige Rücksprache mit dem BF im Sinne der Beauftragung stattgefunden habe. Sämtliche bisher gestellten Anträge würde jedoch vollinhaltlich aufrecht bleiben.

30. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 27.05.2021, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF unentschuldigt und seine Rechtsvertretung entschuldigt nicht erschienen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete, mit den Schreiben vom 05.05.2021 und 12.05.2021 entschuldigt, auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Es wurde das Beweisverfahren eröffnet und auf die Verlesung der für das Ermittlungsverfahren wesentlichen Aktenteile verzichtet und die Aktenteile seitens des erkennenden Richters zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und zum Inhalt der heutigen Niederschrift erklärt. Danach erfolgte die vorläufige Beurteilung über die politische und menschenrechtliche Situation in seinem Herkunftsstaat, auch unter der Berücksichtigung von COVID-19.

Nach Erörterung der Situation im Falle einer Rückkehr wurden die strafrechtlichen Verurteilungen und ein aktueller Abschlussbericht der XXXX wegen des Verdachtes auf Körperverletzung verlesen. Es wurde festgehalten, dass der Sachverhalt feststehe und das Vorbringen des BF nicht glaubwürdig gewesen sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob der BF tatsächlich Polizist gewesen sei, zumal das Vorbringen des BF in sich widersprüchlich gewesen sei. Auf dies habe das BFA mit zutreffenden Argumenten hingewiesen. Abgesehen von der Unglaubwürdigkeit mangle es dieser privaten Bedrohungssituation mittlerweile an Aktualität. Die zahlreichen strafgerichtlichen Verurteilungen würden zeigen, dass sich der BF mit den rechtlichen Werten nicht verbunden fühlen würde. Er sei ebenfalls ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mensch, dem in Mazar-e Sharif oder Herat auch ohne vorhandenem sozialem Netz eine Wiederansiedlung zumutbar sei. Eine außergewöhnliche Integration des BF sei ebenfalls nicht erkennbar gewesen.

Danach wurde die mündliche Verhandlung geschlossen.

31. Mit Schriftsatz vom 01.06.2021 erfolgte seitens der Rechtsvertretung des BF eine Vollmachtsauflösung zu beiden Geschäftszahlen.

32. Mit Schriftsatz vom 08.06.2021 erfolgte seitens der ehemaligen Rechtsvertretung des BF, Mag. Martin SAUSENG, eine neuerliche Vollmachtsbekanntgabe. Ebenso wurde auch der Antrag neuerliche Anberaumung und Durchführung einer neuerlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gestellt. Begründet wurde dies dahingehend, dass der BF am 07.06.2021 beim Rechtsvertreter vorstellig gewesen sei. Er konnte darlegen, dass sämtliche Schriftstücke seines Rechtsvertreters bedauerlicherweise postalisch nicht zugegangen seien. Ein Grund hierfür sei dem BF, der immer aufrecht gemeldet gewesen sei, nicht bekannt. Er sei daher in Unkenntnis der Verhandlung zu dieser nicht erschienen, wobei weder den BF noch deren neuerlicher Rechtsvertretung ein Verschulden treffen würde.

33. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Afghanische Tazkira

?        Afghanischer Polizeiausweis

?        Fotos, die den BF bei seiner Arbeit als Soldat zeigen

?        Eine an den BF gerichtete Ladung des afghanischen Innenministeriums zum Vorfall mit diesem Parlamentsabgeordneten

?        Einen vom afghanischen Innenministerium gegen den BF erlassenen Haftbefehl

?        Meldezettel

?        Arbeitsbestätigung in einer Haftanstalt

?        Terminbestätigungen der Bewährungshilfe und der Drogenberatung

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

1.1.    Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und gehört der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.

Der BF wurde nach seinen Angaben in Afghanistan geboren und ging elf Jahre in die Schule. Er hat Berufserfahrung als Spengler und im Wachdienst gesammelt. Während der Zeit in Afghanistan hat sich der BF in Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh aufgehalten. In seinem Heimatland sind noch seine Mutter und sein Bruder aufhältig. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF ist in seinem Herkunftsstaat auch nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv. Der BF ist in Österreich fünfmal vorbestraft, darunter auch zwei einschlägige Verurteilungen wegen der Begehung von Suchtmitteldelikten.

Der BF ist nach seiner Ausreise aus Afghanistan über den Iran und die Türkei, in Griechenland auf das Gebiet der EU eingereist. Am 11.07.2012 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF stellte am 11.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er sein Heimatland verlassen habe, weil er als Polizist bzw. Soldat gearbeitet habe. Bei einer Feier habe er die dienstliche Anweisung erhalten, niemanden hineinzulassen. Ein namentlich genannter Parlamentsabgeordnete habe jedoch darauf bestanden, mit seinem Auto hineinzufahren. Es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen, bei dem der Fahrer des Abgeordneten am Bein verletzt worden sei. Daraufhin sei der BF von diesem Parlamentsabgeordneten mit dem Tod bedroht worden, weshalb er vor ca. fünf Monaten Afghanistan verlassen habe. Im Zuge des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens berief sich der BF weiterhin auf dieses Vorbringen.

Der BF wurde weder von Privatpersonen noch von den Taliban noch einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung entführt, festgehalten oder von diesen oder dieser bedroht noch wird er von den staatlichen Behörden gesucht. Der BF wurde seitens Privatpersonen, der Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung nicht aufgefordert mit diesen oder dieser zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der BF wurde von den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung weder angesprochen noch angeworben noch sonst in irgendeiner Weise bedroht. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung, er wird von diesen oder dieser auch nicht gesucht.

Festgestellt wird, dass der BF in Afghanistan keiner landesweiten Verfolgung ausgesetzt ist.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Privatpersonen oder durch Mitglieder der Taliban oder durch eine sonstige regierungsfeindliche Gruppierung oder durch staatliche Behörden.

Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten oder zur Volksgruppe der Tadschiken oder der Zugehörigkeit zu einer sonstigen sozialen Gruppe konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Es kann daher festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.

1.3.    Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Dem BF ist eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Balkh. Da diese Provinz nicht zu den volatilen Provinzen Afghanistans zählt, ist eine Rückkehr in diese möglich. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan ist dem BF auch noch – neben einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif –, die Ansiedlung in einer der größeren Städten Afghanistans, insbesondere der Stadt Herat, zumutbar. Bei einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde; er ist gesund. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF. Der BF ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Die in Mazar-e Sharif lebenden Verwandten des BF können ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan zumindest vorübergehend finanziell und mit Wohnraum unterstützen.

Der BF hat jedenfalls die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.

Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und einer Sprache seines Herkunftsstaates als Muttersprache vertraut, weil er in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen ist. Er hat in Afghanistan elf Jahre lang die Schule besucht und in seinem Heimatland jahrelang Berufserfahrung als Spengler und im Wachdienst gesammelt.

1.4.    Zum Leben in Österreich:

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 11.07.2012 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 11.07.2012 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich. Beim BF finden sich keine besonderen Merkmale der Abhängigkeit zu sonstigen in Österreich lebenden Personen.

Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und anderen Asylwerbern. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und ist auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften ist er kein Mitglied in sonstigen Vereinen.

Er besuchte weder eine Schule noch Deutschkurse und er ist daher bestenfalls in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. Der BF konnte seine geringen Deutschkenntnisse auch nicht durch aktuelle Teilnahmebestätigungen oder Prüfungszertifikate darlegen.

Der BF lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt auch über keine Einstellungszusage. Er hat sich auch nicht in gemeinnützigen bzw. ehrenamtlichen Projekten engagiert. Eine wirtschaftliche Integration ist dem BF nicht gelungen.

Im Strafregister der Republik Österreich scheinen fünf, teils aufgrund der Begehung von Suchtmitteldelikten einschlägige, strafrechtliche Verurteilung des BF auf:

1) Mit Urteil eines Landesgerichts vom 13.01.2017 wurde der BF gemäß §§ 297 Abs. 1 2.DF StGB, § 107 Abs. 1 StGB, § 83 Abs. 1 StGB, § 125 StGB, § 105 Abs. 1 StGB, § 288 Abs. 1 StGB und § 297 Abs. 1 2.Strafsatz StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, neun davon unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt, verurteilt.

2) Mit Urteil eines Landesgerichts vom 25.04.2017 wurde der BF gemäß § 107 Abs. 1 StGB als Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB zu seiner Verurteilung vom 13.01.2017 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

3) Mit Urteil eines Landesgerichts vom 21.06.2017 wurde der BF gemäß § 27 Abs. 2a 2.Fall SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 2.Fall SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 2.Fall SMG, Abs. 2 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

4) Mit Urteil eines Landesgerichts vom 13.06.2018 wurde der BF gemäß § 27 Abs. 2a SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 2.Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die bereits gewährte bedingte Strafnachsicht und die gewährte bedingte Entlassung seiner Vorverurteilungen wurden einhergehend mit Beschluss widerrufen.

5) Mit Urteil eines Bezirksgerichts vom 16.02.2021 wurde der BF gemäß § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, unter der Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

Es wird festgestellt, dass mit Schreiben vom 14.05.2021 die Staatsanwaltschaft mitteilte, dass gegen den BF wegen § 83 Abs. 1 StGB Anklage erhoben wurde.

1.5.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020 in der Aktualisierung vom 02.04.2021 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Länderspezifische Anmerkungen

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann.

Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.

Die hier gesammelten Informationen sollen daher die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (3.2021) wiedergeben. Es sei zu beachten, dass sich bestimmte Sachverhalte (zum Beispiel Flugverbindungen bzw. die Öffnung und Schließung von Flughäfen oder etwaige Lockdown-Maßnahmen) kurzfristig ändern können.

Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Themengebieten sind den jeweiligen Kapiteln zu entnehmen.

COVID-19

Letzte Änderung: 31.03.2021

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl. UNOCHA19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; cf. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 [Anmerkung: offizielle] Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19- Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; cf. IOM 18.3.2021).

Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.03.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021)

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern". Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch langanhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5 % geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Frauen und Kinder

Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete an, alle Schulen im März 2020 zu schließen (IOM 23.9.2020), und die CBE-Klassen (gemeindebasierte Bildung-Klassen) konnten erst vor Kurzem wieder geöffnet werden (IPS 12.11.2020). In öffentlichen Schulen sind nur die oberen Schulklassen (für Kinder im Alter von 15 bis 18 Jahren) geöffnet. Alle Klassen der Primär- und unteren Sekundarschulen sind bis auf Weiteres geschlossen (IOM 23.9.2020). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, sahen sich nun auch einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber der Rekrutierung durch die Konfliktparteien ausgesetzt (IPS 12.11.2020; cf. UNAMA 10.8.2020). Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (UNOCHA 19.12.2020; cf. IPS 12.11.2020, UNAMA 10.8.2020). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt (HRW 13.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, AAN 1.10.2020). Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (Martins/Parto 11.2020; vgl. HRW 13.1.2021, AAN 1.10.2020).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 18.3.2021). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021).

0.       Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. §3 Abs 4a AsylG

Erläuterung

Bei der Erstellung des vorliegenden LIB wurde die im §3 Abs 4a AsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse „wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind“, berücksichtigt. Hierbei wurden die im vorliegenden LIB verwendeten Informationen mit jenen im vorhergehenden LIB abgeglichen und auf relevante, im o.g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht.

Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden einer durch Qualitätssicherung abgesicherten Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt II). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprech

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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