Entscheidungsdatum
09.07.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W124 1421313-2/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Verfahren vor dem Bundesasylamt
1.1 Der Beschwerdeführer (in der Folge BF) reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal in Österreich ein und stellte am XXXX vor der Polizeiinspektion XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 17, 23).
Eine EURODAC-Abfrage vom selben Tag verlief negativ (AS 15) und das Verfahren des BF wurde daraufhin vom Bundesasylamt durch Ausfolgen der Aufenthaltsberechtigungskarte am XXXX in Österreich zugelassen (AS 45).
Am XXXX wurde der BF von der genannten Polizeidienststelle unter Beteiligung eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi ersteinvernommen, wobei er u.a. angab, von XXXX nach XXXX eflogen und von dort auf dem Landweg über Griechenland, Mazedonien und Serbien nach Österreich gelangt zu sein (AS 17, 21).
Am XXXX wurde der BF vom Bundesasylamt, Außenstelle XXXX , unter Beteiligung einer Dolmetscherin in der Sprache Punjabi niederschriftlich einvernommen, wobei ihm die später im angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformationen nur teilweise zur Stellungnahme vorgehalten wurden (AS 47).
Mit Datum vom XXXX erließ das Bundesasylamt den Bescheid FZ. XXXX der dem BF am folgenden Tag persönlich übergeben wurde (AS 107) (im Folgenden: angefochtener Bescheid).
1.2. Mit diesem Bescheid wurde der Antrag des BF auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziff. 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 „idgF“ abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziff. 13 leg. cit. abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 leg. cit. wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
Zur Begründung führte das Bundesasylamt im Wesentlichen an, dass dem BF im Herkunftsstaat Indien keine Verfolgung drohe. Das Vorbringen des BF sei unglaubwürdig und es stehe ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (Spruchpunkt I.).
Ebenso bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der BF bei einer Rückkehr nach Indien Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder gar der Todesstrafe ausgesetzt zu sein. Es lägen auch keine Hinweise auf lebensbedrohende Erkrankungen vor (Spruchpunkt II.).
Eine Ausweisung aus Österreich sei, da kein Recht auf internationalen Schutz bestehe, gesetzlich indiziert und verletze auch nicht die Rechte des BF aus Art. 8 EMRK. Es liege nämlich kein Familienleben zu in Österreich dauernd aufenthaltsberechtigten Personen vor und ein Eingriff in das Privatleben des BF sei – so ein solcher überhaupt vorliege – gerechtfertigt (Spruchpunkt III.).
Zur politischen Lage in Indien hat sich das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid auf folgende Länderinformation gestützt:
? American Centre for Law and Justice: Religious Freedom Acts (26.06.2009)
? Amnesty International (Jahresbericht 2010) – Indien
? Bonn International Centre for Conversion (BICC): Länderportrait Indien (Oktober 2009)
? Brüser, Mag., landeskundlicher Sachverständiger, Gutachten vom 05.06.2008
? Deutsches Auswärtiges Amt: Länder- und Reiseinformation: Indien – Wirtschaft, (März 2011)
? Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht „über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien (19.01.2011)
? Deutsches Auswärtiges Amt, Indien – Innenpolitik (Februar 2011)
? Friedrich-Ebert-Stiftung, Renate Tenbusch: „Kastenlose wird Ministerpräsidentin im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens“ (Juni 2007)
? Freedom House: Freedom in the World – India 2010 (29.04.2010)
? Freedom House: Freedom in the World – Kashmir, India 2010
? Internationale Organisation für Migration (IOM): Länderinformationsblatt Indien (August 2010)
? INWENT, Martin Peter Houscht: Indien, Geschichte und Staat (Webseite, undatiert; Zugriff 06.05.2011)
? INWENT, Rangaswamy/Sujit: Schwerpunkt – Indische Schizophrenie (Webseite, undatiert, Zugriff 04.05.2011)
? Konrad-Adenauer-Stiftung: Indien „Parlamentswahlen in Indien: Wählervotum für klare politische Verhältnisse und einen säkularen Staat“ (05.06.2009)
? Konrad-Adenauer-Stiftung: Indien „Konfliktherd Kaschmir: Neue Wege zum Dialog?“ (27.09.2010)
? Österreichische Botschaft, New Delhi: Indien, Asylländerbericht (März 2010)
? Suedasien.info: Analysen – Politik & Recht – Indien: Pratibha Patikl ist neue Präsidentin Indiens (27.07.2007)
? Suedasien.info: Analysen – Politik & Recht – Indien: Machtwechsel in Jammu & Kaschmir (29.01.2009)
? Süddeutsche Zeitung vom 17.05.2009: „Wahlen in Indien – Das ist ein massives Mandat“
? UK Home Office: India – Operational Guidance Note (April 2008)
? UK Home Office: Country of Origin Report: India vom 21.09.2010
? Unique Identification Authority of India: Unique identification project – Background (Website undatiert; Zugriff 09.05.2011)
? US Department of State: Country Reports on Human Rights Practices – 2009 (Stand: 08.04.2011)
1.3. Mit Fax vom XXXX legte der BF gegen den angefochtenen Bescheid Beschwerde beim Bundesasylamt ein.
Zur Begründung der Beschwerde führte der BF unter Zitierung aus zwei Zeitungsberichten im Wesentlichen an, die Entscheidung des Bundesasylamtes sei inhaltlich falsch und ebenso rechtswidrig aufgrund von mangelhafter Verfahrensführung.
Die Familie seiner Geliebten verfolge den BF, da er aus ärmlichen Verhältnissen stamme, während sie einer reichen Familie der XXXX -Volksgruppe angehöre. Außerdem werde er als Mitglied der Akali Dal von der Kongress-Partei verfolgt, welche in Indien sehr mächtig sei.
Der BF gab weiters an, er leide zwar nicht unter psychischen Problemen, sei jedoch durch die Ereignisse der letzten Monate unkonzentriert und habe sich daher in der Einvernahme nicht an alles erinnern können.
Es wurde gleichzeitig der Antrag auf (Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof gestellt.
1.4. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des AsylGH vom 14.08.2013 gemäß § 3 Abs. 1. 8 Abs. 1 sowie 10 AsylG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I
Nr. 38/2011 abgewiesen.
Festgestellt wurde, dass die Identität des BF nicht feststehe. Er sich XXXX nenne und am XXXX geboren sei. Er sei Staatsbürger von Indien und würde ledig sein. Seine Religion sei die der Sikhs. Der BF lebe vor dem Verlassen seiner Heimat in einem Ort im Bundesstaat Punjab mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern in einem gemeinsamen Haushalt. Sein Vater sei bereits verstorben. Neun Jahre lang habe er in Indien die Schule besucht. Der BF sei in einem allgemein guten Gesundheitszustand und arbeitsfähig. Der BF lebe seit zwei Jahren in Österreich. Er habe hier keine Verwandten und auch keine sonstigen besonders intensiven sozialen Beziehungen und sei mehr als ein halbes Jahr obdachlos gewesen.
Die Identität des BF habe mangels Dokumente nicht festgestellt werden können. Der Herkunftsstaat stehe jedoch insbesondere deshalb fest, weil der BF eine der Landessprachen spreche und über einschlägige Kenntnisse, z.B. über die Geografie Indiens, verfüge. Was die Bildung, die Berufserfahrung und die familiäre Situation des BF betreffe, so stütze der Asylgerichtshof seine Feststellungen ebenfalls auf die eigenen Angaben des BF. Was den Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit des BF betreffe, so seien im gesamten Verfahren keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen des BF hervorgekommen und habe er solche auch nach ausdrücklicher Aufforderung durch den Asylgerichtshof nicht vorgebracht.
Die Feststellungen zu seinem Leben in Österreich würden sich aus dem eigenen Vorbringen des BF ergeben. Dem Asylgerichtshof seien im Laufe des Verfahrens keine Umstände bekannt geworden, die Anlass dafür gegeben hätten, eine mittlerweile abweichende Sachlage zu vermuten und habe er eine solche auch selbst nach Aufforderung durch den Asylgerichtshof nicht vorgebracht.
Zur Feststellung, dass der BF im Heimatland von der Familie seiner Geliebten nicht verfolgt werden würde und sein Land verlassen habe, um im Ausland Geld für die Hochzeiten seiner Schwestern zu verdienen, würde sich hinsichtlich der insgesamt nicht überzeugenden Schilderung der Verfolgung durch die Familie seiner Geliebten ergeben. Hierzu sei zunächst festzustellen, dass der BF in der Erstbefragung vor dem Bundesasylamt zunächst angegeben habe, er sei lediglich aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich gekommen, da er Geld für die Hochzeit seiner Schwestern verdienen wolle und habe in Indien außer Armut keine Probleme.
In der Einvernahme vor dem Bundesasylamt habe er dann ausgesagt, er werde von der Familie seiner Freundin, die mit der Beziehung nicht einverstanden sei, weil die Familie wohlhabend sei, mit dem Tod bedroht. Auf Nachfrage habe er dann sein Vorbringen dahingehend erweitert, er habe auch Probleme wegen seiner politischen Einstellung, da die Familie seiner Freundin der Kongress-Partei nahestehe, während er der Akali Dal angehöre.
Auch wenn man in Betracht ziehe, dass die Erstbefragung nicht primär der Ermittlung der Fluchtgründe diene, so sei es nicht nachvollziehbar, dass der BF eine konkrete Bedrohung seines Lebens im Herkunftsstaat nicht einmal ansatzweise erwähne.
Es falle weiters auf, dass der BF sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens gesteigert habe, was darauf schließen lasse, dass er durch die Behauptung immer neuer Gefährdungsszenarien seinem Vorbringen mehr Gewicht zu verleihen versucht habe. Auch dies spreche gegen die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen.
Schließlich habe der BF lediglich sehr vage Angaben zu der behaupteten Verfolgung gemacht. So habe er nicht einmal den Namen der Geliebten und auch nicht jenen von deren Familie nennen können, sondern lediglich behauptet, seine Freundin stamme aus einer (nicht näher bezeichneten) reichen Familie der Volksgruppe der XXXX . Mehr wisse er nicht. Ebenso wenig habe der BF konkrete Angaben zu den angeblichen Angriffen auf ihn gemacht und diesbezüglich weder den Ort, den Zeitpunkt oder die näheren Umstände beschrieben, sondern sich darauf beschränkt zu behaupten, nicht näher bezeichnete „Burschen“ ihn bedroht zu haben, „zwei- bis dreimal“ (AS 51) verprügelt und ein Foto von ihm (irgendwo) veröffentlicht worden zu sein. Aus derart unsubstantiierten Angaben könne jedoch mangels jedweden anderen Beweismittel nicht abgeleitet werden, dass es tatsächlich Angriffe auf den BF gegeben habe.
Selbiges gelte für seine Behauptung, die Verfolgung durch die Familie seiner Geliebten habe auch einen politischen Aspekt, und der BF sei aufgrund einer Feindschaft zwischen zwei Parteien gefährdet. Auch dazu habe er lediglich vage und weitgehend unzusammenhängende Behauptungen aufgestellt.
Rechtlich wurde ausgeführt, dass dem BF kein Recht auf Asyl gemäß § 3 AsylG 2005 zustehe, da er kein Flüchtling gemäß Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 GFK sei. Es liege nämlich in seiner Person keine wohlbegründete Furcht vor, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung unmittelbar von staatlicher Seite oder von privater Seite ohne Aussicht auf staatlichen Schutz verfolgt zu werden. Es ergebe sich nämlich nicht, dass der BF schon zum für seine Flucht maßgeblichen Zeitpunkt von der Familie seiner Geliebten verfolgt worden sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass er nunmehr bei einer Rückkehr einer Verfolgung aus dem behaupteten oder aus einem anderen Grunde ausgesetzt sein könne. Einer Beurteilung, ob die Verfolgung mit einem der in der GFK niedergelegten Gründen in Zusammenhang stehen könne, bedürfe es daher nicht. Eine etwaige Furcht des BF, es könne ihm bei seiner Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung drohen, erscheine dem AsylGHdaher nicht als „wohlbegründet“ im Sinne der maßgeblichen Rechtsgrundlagen und deren Auslegung durch die Judikatur.
Das Bundesasylamt habe außerdem zu Recht erkannt, dass dem BF kein Recht auf subsidiären Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zustehe. Der Asylgerichtshof sei der Ansicht, dass im Fall der Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat weder Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) noch Art. 3 EMRK (Verbot der Folter oder unmenschlichen Behandlung) oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Es würden nämlich keine Hinweise auf Umstände bestehen, die eine Abschiebung aus den genannten Gründen unzulässig machen könnten. Es sei zum einen festzustellen, dass, auch wenn die Menschenrechtslage in Indien, insbesondere was die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden betreffe, weiterhin von Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet sei, sich daraus keine den BF konkret betreffende Gefahr herleiten lasse. Es könne nämlich zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Indien Gefahr laufe, Opfer willkürlicher Verhaftungen durch Sicherheitskräfte zu werden, doch sei die diesbezügliche Wahrscheinlichkeit – mangels jedweder Hinweise auf besondere Gefährdungsumstände in der Person des BF – eher gering. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich nämlich nicht, dass Übergriffe der genannten Art in Indien derart verbreitet seien, dass man dieser Gefahr kaum entkommen könne. Es sei zum anderen auch nicht davon auszugehen, dass der BF nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine derart ausweglose Lebenssituation geraten könne, dass dies einer unmenschlichen Behandlung gleichkäme oder sein Leben aus irgendeinem sonstigen Grunde gefährdet sein würde.
Zwar ergebe sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht, wie der BF im Heimatland seinen Lebensunterhalt bestritten habe. Er verfüge jedoch über eine Schulbildung. Der BF sei des weiteren als gesund anzusehen und könne daher nach seiner Rückkehr nach Indien grundsätzlich einer Beschäftigung nachgehen, die ihm den Lebensunterhalt sichere (siehe Länderfeststellungen Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).
Es würden auch keine Gründe dafür anzunehmen sein, dass die Ausweisung gemäß § 10 Abs. 2 oder 3 AsylG wegen Verstoßes gegen die EMRK unzulässig wäre. Was, erstens, eine mögliche Unzulässigkeit der Ausweisung gemäß § 10 Abs. 2 AsylG betreffe, so stelle der Asylgerichtshof fest, dass eine Ausweisung im vorliegenden Fall keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers (Art. 8 EMRK) darstelle. Da der BF in Österreich über keine familiären Bindungen verfüge, könne seine Ausweisung nach Indien nicht in den Schutzbereich des von Art. 8 Abs. 1 EMRK erfassten Familienlebens eingreifen. Bezüglich des Eingriffs in das Privatleben des BF gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK, sei zum einen festzustellen, dass er nicht als gesundheitlich schwer beeinträchtigt anzusehen sei, sodass die Ausweisung in Hinblick auf eine allenfalls dringend notwendige medizinische Behandlung in Österreich keinen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK darstelle.
Der BF lebe im Übrigen erst seit zwei Jahren in Österreich. Es sei daher eher unwahrscheinlich, dass eine Ausweisung nach Indien einen Eingriff in das Recht auf Achtung eines in Österreich mittlerweile aufgebauten Privatlebens darstellen könne. Im vorliegenden Fall sei ein solcher Eingriff aber ohnehin jedenfalls gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK unter Abwägung der betroffenen Interessen jedenfalls gerechtfertigt. Der BF sei nämlich illegal eingereist und habe sich seither in Österreich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts nach dem Asylgesetz in Österreich aufhalten können. Er sei sich also bereits von Beginn seines Aufenthaltes in Österreich an bewusst, dass ein etwaig aufzubauendes Privatleben hier nicht von Dauer sein könne. Der BF lebe zwar strafrechtlich unbescholten in Österreich und die Dauer des Aufenthaltes sei durch die Dauer des Asylverfahrens bedingt, die er nicht zu verantworten habe. Das Privatleben des BF in Österreich beschränke sich jedoch auf allenfalls lockere soziale Beziehungen, die nicht über das übliche Maß hinausgehen würden, so dass es insgesamt nicht als von besonderer Intensität gekennzeichnet erscheine. Schwerpunktmäßig sei im gegenständlichen Fall zu beachten, dass der 28-jährige BF den weit überwiegenden Teil seines Lebens in Indien verbracht habe und daher als im Wesentlichen in dieser Kultur sozialisiert anzusehen sei. Zudem würden dort jedenfalls noch seine Mutter und seine beiden Schwestern leben, sodass auch aus diesem Grunde eine weitaus stärkere menschliche und soziale Bindung an den Herkunftsstaat als an Österreich angenommen werden müsse.
Schließlich komme den Regeln über den Aufenthalt von Fremden aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nach ständiger Rechtsprechung allgemein ein hoher Stellenwert zu, sodass auch dies ein Grund sei, der bei der Abwägung der Interessen zu Lasten der Interessen des BF zu berücksichtigen sei. Insgesamt komme der AsylGH daher nach Abwägung der Interessen im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass eine Ausweisung nach Indien keinen Eingriff in das Privatleben des BF in Österreich darstelle und ein solcher, wenn er vorliegen würde, jedenfalls nicht als unverhältnismäßig anzusehen sei.
1.5. Im Zuge eines Verkehrsunfalles wurde der BF einer Personenkontrolle unterzogen und dieser auf freiem Fuß gemäß § 120 FPG angezeigt. In der mit dem BF vor dem BFA am XXXX aufgenommenen Niederschrift gab dieser u.a. an, dass er Österreich verlassen würde, wenn sich seine Probleme erledigt haben würden. Sein Fall sei von den indischen Behörden nicht geprüft worden.
1.6. Mit Bescheid vom XXXX wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AslyG nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei 8spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wird gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt 8Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 und 7 FPG wurde gegen den ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI).
Zugestellt wurde der Bescheid mit Hinterlegung vom XXXX .
1.7. Am XXXX wurde der BF im Zuge einer sogenannten Schwerpunktataktion im 17. Wiener Gemeindebezirk von Organen der Sicherheitsbehörde betreten. Im Zuge einer Personendurchsuchung des BF wurde im Socken verstecktes Suchtgift aufgefunden. Außerdem wurde der BF gem. § 120 Abs. 1a FPG iVm §§ 31 Abs. 1 a, 31 Abs. 1 FPG 2005 angezeigt.
In der niederschriftlichen Einvernahme gab der BF auf Vorhalt, dass es sich bei seiner Unterkunft scheinbar um ein Massenquartier handeln würde und er über keinen Schlüssel verfügen würde an, dass er dort wohnen und der Mietvertrag auf seinen Namen laufen würde. Seit dem Jahr 2011 würde er sich im Bundesgebiet aufhalten. Auf Vorhalt, dass der BF schon damals ausreisen hätte sollen, gab dieser an sich einen Anwalt genommen zu haben, welcher ihm gesagt habe, dass er in Österreich bleiben dürfe. Den Bescheid vom XXXX habe er sich nicht geholt, weil er nichts bekommen habe.
In Österreich würde er derzeit als Zeitungszusteller arbeiten, für diese Tätigkeit angemeldet sein und ca. 400.- Euro monatlich vefrdienen. Über Barmittel würde der BF nicht verfügen. Familienangehörige des BF würde in Österreich nicht leben. Die Eltern und ein Bruder des BF würden in Jammu, in Indien leben.
2.1. Während dieser Einvernahme wurde geleichzeitig ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. In der mit dem BF am XXXX aufgenommenen Niederschrift gab dieser an, dass seine alten Fluchtgründe weiterhin aufrecht bleiben würden und er nunmehr niemanden mehr in Indien haben würde. Er würde in Indien nichts haben und es Auseinandersetzungen geben. Seit 10 Jahren sei er in Österreich aufrecht gemeldet und würde der Wohnungsvertrag auf den BF laufen. Er würde in der Nacht als Zeitungszusteller arbeiten.
Eine entsprechende Ladung zur Einvernahme am XXXX vor dem BFA bzw. einem Rückkehrberatungsgespräch wurde dem BF durch persönliche Übergabe an seiner gemeldeten Zustelladresse ausgefolgt.
2.2. Am XXXX teilte die Staatsanwaltschaft Wien mit, dass von der Verfolgung (vorläufig) gegen den BF wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 und § 27 Abs. 2 SMG zurückgetreten werde.
2.3. Mit Bescheid vom XXXX wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.
Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass sein gesamtes Vorbringen im Asylverfahren XXXX sich auf einem nicht glaubhaften bzw. asylrelevanten Sachverhalt beruhen würde. Dies würde sich aus dem Erkenntnis des AsylGH vom XXXX ergeben. Trotz dieses Erkenntnisses sei der BF beharrlich im Bundesgebiet verblieben. Der Bescheid vom XXXX sei am XXXX nach Hinterlegung in Rechtskraft erwachsen.
Im gegenständlichen Verfahren habe sich der BF im Zuge der Erstbefragung lediglich auf seine bisherigen Angaben bezüglich der Fluchtgründe bezogen. Neue Gründe, außer, dass er niemanden in Indien haben würde, habe er nicht vorgebracht. Im Falle einer Rückkehr nach Indien könne alles passieren. Befragt zu Änderungen der Situation bzw. dessen Fluchtgründe habe dieser gemeint, dass diese „seitdem ich hier bin“ bestehen würden.
Eine Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs habe nicht stattfinden können, da der BF trotz nachweislicher Übernahme der Ladung für eine entsprechende Einvernahme bei der Behörde nicht erschienen sei. Weder von Seiten des BF noch von Seiten der rechtlichen Vertretung sei eine Information eingelangt, aus welchem Grunde der BF an der Teilnahme bei der Einvernahme verhindert gewesen sei. Angesichts des bisherigen Verhaltens (beharrlicher Verbleib im Bundesgebiet trotz Rückkehrentscheidung seit XXXX ) sei es nicht verwunderlich, dass der BF der behördlichen Aufforderung nicht nachgekommen sei. Er habe seine Pflicht zur Mitwirkung auf das Gröbste verletzt.
Dass der BF keine näheren Angaben machen hätte wollen, lasse darauf schließen, dass sein Fluchtvorbringen nicht sehr relevant sein dürfte. Bereits in seinem Vorverfahren sei diesem jede Glaubwürdigkeit bzw. Asylrelevanz abgesprochen worden. Indem der BF als neuen Grund angegeben habe, dass er in Indien nichts mehr und niemanden mehr haben würde, stehe entgegen, dass er in der Einvernahme vor der Regionaldirektion Wien am XXXX ausgeführt habe, dass seine Eltern und ein Bruder in Indien leben würden. Überdies habe der BF in seinem ersten Asylantrag im Jahr 2011 behauptet zwei Schwestern in Indien zu haben. Am XXXX habe der BF bei der Einvernahme vor dem BFA zudem angegeben zu seiner in Indien lebenden Familie Kontakt zu haben. Bezüglich seines seit 10 Jahren in Österreich bestehenden Aufenthaltes und seiner Tätigkeit als Zeitungszusteller sei anzumerken, dass sein Verbleib in Österreich und seiner Arbeit seit der rechtskräftigen Entscheidung im XXXX unrechtmäßig sein würde.
Zusammengefasst könne auf Grund des Vorbringens des BF von keiner glaubhaften Bedrohung ausgegangen werden, zumal der BF sich damit vollinhaltlich auf seinen Fluchtgrund vom Vorverfahren beziehen würde. Diesem sei bereits im ersten Verfahren jede Glaubhaftigkeit abgesprochen worden. Es sei festzuhalten, dass im gegenständlichen Verfahren kein nach Rechtskraft des Erstverfahrens neu entstandener Sachverhalt vorgebracht worden sei, zumal der BF selbst angegeben habe, dass Änderungen der Situation bzw. der Fluchtgründe nicht vorliegen würden. Diese würden bestehen, seit sich der BF in Österreich aufhalten würde. Dem als neu vorgebrachten Fluchtgrund, dass der BF in Indien niemanden und nichts mehr haben würde, stehe seine eigene Angabe aus der Einvernahme vom XXXX und vom XXXX dimetral entgegen.
Zum jetzigen Zeitpunkt hätten sich auch hinsichtlich der im Vorverfahren getroffenen Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien keine Änderungen ergeben und seien diese nach wie vor für zulässig erachtet worden. Konkret zu seinen Rückkehrbefürchtungen habe der BF ebenfalls keine ihn persönlich betreffende Bedrohungen glaubhaft gemacht, sondern lediglich pauschal ausgeführt, dass alles passieren könne. Im nunmehrigen Asylantrag habe der BF offenbar die wiederholte Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt.
Außerdem bestehe keine besondere Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich gegenüber. Dies würde sich aus dem Umstand ergeben, dass der BF seit seiner illegalen Einreise nach Österreich zu keinem Zeitpunkt seines Aufenthaltes in Österreich davon ausgehen habe können, dass ihm ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommen würde. Der BF habe nicht dargelegt, dass in seinem Fall besonders gewichtige Interessen an einem Verbleib in Österreich bestehen würden.
Weder aus seinem Vorbringen im gegenständlichen Verfahren noch aus den im Erstverfahren zugrunde gelegten Feststellungen zu seinem Heimatland, unter Berücksichtigung von aktualisierten Versionen des im ersten Verfahrens verwendeten Quellenmaterials, hätten sich Hinweise auf eine sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens maßgeblich geänderten Lage in seinem Heimatland ergeben.
Das erste Verfahren des BF sei bereits am XXXX rechtkräftig abgeschlossen worden. In diesem Verfahren seien alle bis zur Entscheidung dieses Asylverfahrens entstandenen Sachverhalte berücksichtigt worden, sodass darüber im gegenständlichen Verfahren nicht mehr neuerlich zu entscheiden sei.
Hinsichtlich der zu § 8 AsylG zu berücksichtigenden Aspekte sei anzumerken, dass sich im gegenständlichen Verfahren ebenso keine Hinweise auf einen seit Rechtskraft seines Erstverfahrens entscheidungsrelevanten geänderten Sachverhalt ergeben habe. Weder im Hinblick auf seine persönliche Situation noch im Hinblick auf die allgemeine Lage in Indien.
Die aktuelle COVID 19 Pandemie erfordere nicht die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung. Eine Epidemie im Herkunftsstaat eines Fremden sei zwar grundsätzlich unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK beachtlich. Da es sich aber eben nicht nur um eine Epidemie im Herkunftsstaat des BF handle, sondern um eine Pandemie, sei das allgemeine Lebensrisiko am Erreger SARS-CoV-2 zu erkranken weltweit, d.h. sowohl im Herkunftsstaat als auch in Österreich erhöht.
Wie bereits in der Beweiswürdigung angeführt, sei anzumerken, dass die vom BF vorgebrachten Gründe für die neuerliche Antragstellung bereits zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Erstverfahrens bestanden hätten und sich seither kein entscheidungsrelevanter Sachverhalt im Sinne des § 68 AVG ergeben habe. Da weder in der maßgeblichen Sachlage noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lasse, stehe die Rechtskraft des ergangenen Bescheides vom XXXX einem neuerlichen Antrag entgegen, weswegen das BFA zu einer Zurückweisung verpflichtet sei.
Da dem BF gegenüber eine vorherige mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung noch aufrecht sei, sei eine neuerliche Rückkehrentscheidung nicht zu erlassen gewesen (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082). Mit Bescheid vom XXXX , rechtskräftig mit XXXX , sei gegen den BF ein Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren erlassen worden. Der BF sei zur unverzüglichen Ausreise weiterhin zur Ausreise verpflichtet.
2.4. In der dagegen eingebrachten Beschwerde wurde moniert, dass seit dem Abschluss des Vorverfahrens neue Verfolgungsmomente eingetreten seien, hinsichtlich derer der BF Angst um sein Leben auf Grund der begründeten Furcht vor politischer Verfolgung haben würde. Außerdem habe dieser infolge seines langen Aufenthaltes bereits jegliche Bindung zu Indien verloren und könne dieser im Falle der Abschiebung keine menschenwürdige Existenz führen.
Das BFA habe es versäumt zu prüfen, ob eine Ausweisung gegen Art 2 oder Art 3 EMRK bzw. Art 8 EMRK verstoßen würde.
Der BF sei seiner Ladung am XXXX nachgekommen und sei diesem gesagt worden, dass der Termin an diesem Tage nicht stattfinden würde und er eine neue Ladung erhalten würde. Ihm eine mangelnde Mitwirkungspflicht vorzuwerfen sei nicht nachvollziehbar. Es hätte sich allenfalls um ein Missverständnis gehandelt.
Ein maßgeblich veränderter Sachverhalt hätte angesichts der eigenen Länderberichte und der persönlichen Verhältnisse des BF festgestellt werden müssen, wenn eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages nicht unterlassen worden wäre. Die Berichte würden deutlich zeigen, dass die Lage von Personen, die nach Europa geflüchtet seien und den familiären bzw. sozialen Bezug verloren hätten, keine Zukunftsperspektive in Indien mehr haben würden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative würde nicht zur Verfügung stehen.
Der BF habe ausführlich erklärt, worin die Neuerungen der Verfolgung bestehen würden, die zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Vorverfahrens noch nicht bestanden hätten. Der bloße Verweis, dass der BF seine Fluchtgründe schon im Vorverfahren hätte angeben müssen, sei daher nicht ausreichend.
Es seien keinerlei Recherchen zu den Fluchtgründen getätigt worden. Zentrale Teile des Vorbringens von der Behörde seien nicht in die Beurteilung des Falles einbezogen worden. Hinsichtlich der vorgebrachten Fluchtgründe des BF habe keinerlei erkennbare Beurteilung von Seiten des Bundesamtes stattgefunden. Es könne nicht angenommen werden, dass das Vorbringen keinen glaubwürdigen Kern, der eine Neubeurteilung erforderlich mache, enthalte. Des weiteres wurde auszugsweise auf das Erkenntnis des VwGH vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 verwiesen.
Der BF habe zwar in seiner Einvernahme in XXXX angegeben, inwieweit er durch die Situation in seinem Heimatland gezwungen gewesen sei nach Österreich zu flüchten, jedoch habe von Seiten des BFA kein Interesse daran bestanden den Sachverhalt aufzuklären. Ein bloßer Verweis auf eine angeblich bestehende innerstaatliche Fluchtalternative und auf das rechtskräftig abgeschlossene Vorverfahren könne eine eigentliche Beschäftigung mit dem Vorbringen des BF nicht ersetzen.
Unter Verweis auf das Erkenntnis des VwGH, Zl. 2011/23/0064, wurde ausgeführt, dass die heimatlichen Behörden dem BF gegenüber weder schutzwillig noch schutzfähig sein würden. Gegenteiliges sei nicht behauptet worden.
Die Abwägung des BFA zwischen den öffentlichen Interessen Österreichs und dem Privat-, und Familienleben des BF sei unrichtig. Hinsichtlich der Integrationsanstrengungen habe sich zweifelllos eine Änderung ergeben, die eine Neubeurteilung erforderlich machen würde.
Das Vorbringen des BF würde der Wahrheit entsprechen, glaubwürdig sein, in sich konsistent und durch die Länderberichte belegt sein. Dem BF drohe in seiner Heimat Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Allenfalls wäre dem BF subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen oder die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären. Unverständlich sei die Erlassung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ohne Prüfung auf den konkreten Einzelfall des BF einzugehen.
Es stelle eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens dar, dass die Behörde es verabsäumt habe sich mit der konkreten Situation des BF und der aktuellen Situation in seinem Heimatland auseinanderzusetzen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Feststellungen:
Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
Zur Person des BF:
Der BF ist Staatsangehöriger von Indien. Seine Identität steht in Ermangelung identitätsbezogener Dokumente nicht fest. Er ist volljährig, ledig, kinderlos, bekennt sich zur Religion der Sikhs.
Der BF reiste spätestens im XXXX illegal in das Bundesgebiet ein und stellte mittlerweile insgesamt zwei Anträge auf internationalen Schutz.
Der BF verfügte zu keinem Zeitpunkt über einen regulären österreichischen Aufenthaltstitel und war nur während der Dauer seiner Asylverfahren zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.
Der BF ist jung, gesund, erwerbsfähig.
Der BF hat in Indien neun Jahre lang die Grundschule besucht und mit seinen Geschwistern im Elternhaus seiner Eltern gelebt. Er verfügt in seiner Heimat nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte.
Es existieren unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine in der Person des BF gelegene Umstände, welche einer Rückkehr nach Indien entgegenstehen würden.
Der BF ist in Österreich nicht strafrechtlich unter den von ihm geführten Namen in Erscheinung getreten.
Gegen den BF besteht ein aufrechtes zweijähriges Einreiseverbot.
Zu den Fluchtmotiven des BF:
Zwischen rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens mit XXXX und der Zurückweisung des gegenständlichen Folgeantrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache mit Bescheid vom XXXX ist keine wesentliche Änderung der Sach-, oder Rechtslage eingetreten.
Der BF brachte im gegenständlichen Asylverfahren keine entscheidungsrelevanten neuen Fluchtgründe vor, denen zumindest ein glaubhafter Kern innewohnt.
1.3 Zu den Feststellungen zur Lage in Indien:
Länderspezifische Anmerkungen
COVID-19
Letzte Änderung: 21.05.2021
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).
Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).
Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).
Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).
Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).
Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).
Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).
Quellen:
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021
? FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021
? GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021
? HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021
? TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021
? WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021
Politische Lage
Letzte Änderung: 21.05.2021
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).
Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).
Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).
Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).
Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis "National Democratic Alliance (NDA)", mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).
Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).
Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).
Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 15.10.2020
? AA – Auswärtiges Amt (11.2.2021): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 6.5.2021
? BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 23.3.2021
? CIA - Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 6.5.2021
? DS Der Standard (3.5.2021): Indien: Regionalwahl-Schlappe für Modi inmitten steigender Corona-Zahlen, https://www.derstandard.at/story/2000126330932/indienregionalwahl-schlappe-fuer-modi-inmitten-steigender-corona-faelle, Zugriff 6.5.2021
? DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020
? FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020
? FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 6.5.2021
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.5.2021
? KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626, Zugriff 14.2.2020
? ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 20.2.2020
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf, Zugriff 11.5.2021
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf, Zugriff 18.2.2020
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/, Zugriff 16.1.2020
? TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-project-bjp-citizenship-law, Zugriff 28.2.2020
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff am 6.5.2021
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 28.05.2021
Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).
Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) un