TE Vwgh Erkenntnis 1985/5/21 85/14/0001

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Veröffentlicht am 21.05.1985
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Index

EStG
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag
39/03 Doppelbesteuerung

Norm

DBAbk BRD 1955 Art15 Abs3
DBAbk BRD 1955 Art3
EStG 1972 §1 Abs1
EStG 1972 §41 Abs1 Z1
EStG 1972 §41 Abs2 Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Hnatek und Dr. Pokorny als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kowalski, über die Beschwerde des ML in O (BRD), vertreten durch Dr. Bernhard Humer, Rechtsanwalt in Linz, Graben 3, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich, Berufungssenat I, vom 19. September 1984, Zl. 12/53/1-BK/Sch-1981, betreffend Nichtveranlagung der Einkommensteuer für 1977 bis 1979, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein deutscher Staatsbürger, hatte in den Streitjahren im Inland einen Wohnsitz und den Mittelpunkt der Lebensinteressen. Er erzielte hier Einkünfte, von denen ein Steuerabzug vom Arbeitslohn vorzunehmen war.

Im Dezember 1979 reichte der Beschwerdeführer Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1977 und 1978, im Juli 1981 eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 1979 ein. In diesen Erklärungen wies er Überschüsse der Werbungskosten über die Einnahmen (Verluste) aus einem in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Mietobjekt - einem Einfamilienhaus - aus (1977 S 161.680,--, 1978 S 149.802,--, 1979 S 54.586,--). Der Beschwerdeführer beantragte die Durchführung von Veranlagungen gemäß § 41 EStG 1972 unter Berücksichtigung der negativen ausländischen Einkünfte bei der Ermittlung des zutreffenden Progressionssatzes.

Das Finanzamt verwehrte jedoch bescheidmäßig Veranlagungen gemäß § 41 EStG 1972. Es vertrat in diesen Bescheiden bzw. mit Berufungsvorentscheidung den Standpunkt, daß das deutsche Mietobjekt in absehbarer Zeit keine Einnahmenüberschüsse ermöglichen werde und die daraus erzielten Einkünfte (Verluste) daher steuerlich unbeachtlich wären.

Demgegenüber versuchte der Beschwerdeführer im Rechtsmittelverfahren aufzuzeigen, daß sehr wohl in absehbarer Zeit mit Einnahmenüberschüssen aus dem Mietobjekt zu rechnen sei. Er legte auch dar, daß das in Rede stehende Einfamilienhaus ausschließlich zur Vermietung und nicht zur Eigennutzung bestimmt wäre.

Die belangte Behörde gab den Berufung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge, wobei sie von der (unbestrittenen) unbeschränkten Steuerpflicht des Beschwerdeführers in den Streitjahren ausging. Weiters verwies die belangte Behörde in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Bescheides auf Art. 3 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern, BGBl. Nr. 221/1955 (DBA), und folgerte daraus, das Grundstück des Beschwerdeführers, das in der BRD liege und aus dem die Verluste aus Vermietung entstanden seien, wäre der österreichischen Steuerhoheit überhaupt entzogen, weil das Besteuerungsrecht eben der BRD zustehe. Ergänzend zu Art. 3 besage Art. 15 DBA, daß der Wohnsitzstaat kein Besteuerungsrecht habe, wenn es in den vorhergehenden Artikeln - somit auch Art. 3 - dem anderen Staate zugewiesen worden sei.

Dem Stufenbau der Rechtsordnung sei immanent, daß zwischenstaatliche Abkommen eine höhere Rangordnung einnähmen als die „internen“ Gesetze eines Staates. Sie schlössen somit die Anwendung der diesbezüglichen inländischen Normen aus.

Im Beschwerdefall wären die Voraussetzungen für eine Veranlagung gemäß § 41 Abs. 1 EStG 1972 nicht gegeben. Aber auch eine „Verlustveranlagung“ gemäß § 41 Abs. 2 EStG 1972 komme nicht in Betracht. Aus den Einkommensteuererklärungen des Beschwerdeführers ergebe sich nämlich, daß neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nur die Verluste aus dem vermieteten Einfamilienhaus des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin in der BRD vorlägen. Da nun aber. das Besteuerungsrecht dafür auf Grund des Art. 3 Abs. 1 DBA der BRD zustehe, könne die belangte Behörde diese Verluste keineswegs als solche im Sinne des § 41 EStG 1972 heranziehen. Verluste aus Einkunftsquellen, für die das Besteuerungsrecht auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen einem anderen Staat zustehe, seien nicht ausgleichsfähig. Es seien somit die Verluste aus der Vermietungstätigkeit in Deutschland nicht zu beachten. Da nun aber nur noch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zur Beurteilung vorlägen, bestünde keine Möglichkeit zu einer Veranlagung gemäß § 41 EStG 1972. Komme es aber mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 41 EStG 1972 zu keiner Veranlagung, seien sowohl der Ansatz von Sonderausgaben als auch die Berücksichtigung eines Progressionsvorbehaltes nicht möglich. Es erübrige sich somit, auf die vom Finanzamt dargelegte und vom Beschwerdeführer zu widerlegen versuchte Beurteilung der ausländischen negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung als Liebhaberei einzugehen. Nur nebenbei sei schließlich noch vermerkt, daß „infolge des Miteigentums der Ehegatten die Verluste ohne Gewinn“ (?) je zur Hälfte aufzuteilen gewesen wären.

Vorliegende Beschwerde macht sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides als auch dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Art. 3 DBA sieht für Einkünfte unbeweglichem Vermögen das Besteuerungsrecht des Quellenstaates (Belegenheitsstaates) vor. Dementsprechend sind auch im Rahmen dieser Einkünfte anfallende Verluste (Überschüsse der Werbungskosten über die Einnahmen) im Quellenstaat zu erfassen (und dort, falls möglich und zulässig, mit positiven Einkünften auszugleichen - vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. März 1984, Zl. 83/14/0107).

Andererseits hat der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach dargelegt, daß sich die Höhe der Einkommensteuer nach dem gesamten Einkommen zu richten hat. Einkommen ist aber gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1972 der Gesamtbetrag der Einkünfte nach Ausgleich mit Verlusten und nach Abzug der Sonderausgaben. Es ist dabei unerheblich, ob Einkünfte aus dem In- oder Ausland erfließen, da sich die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht auf sämtliche Einkünfte erstreckt (§ 1 Abs. 1 EStG 1972). Die Zuweisung des Besteuerungsrechtes - hier an Einkünften aus Vermietung und Verpachtung - an einen anderen Staat (Quellenstaat) bedeutet keine Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Gesamteinkünfte nach Ausgleich mit eventuellen Verlusten und nach Abzug von Sonderausgaben nach dem für dieses „Einkommen“ vorgesehenen Steuersatz der Steuer zu unterwerfen sind. Der Sinn und Zweck eines Abkommens zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen erschöpft sich nämlich darin, daß die Steuer lediglich von gewissen Einkommensteilen, hinsichtlich deren das Besteuerungsrecht wie hier der Bundesrepublik Deutschland zusteht, nicht von Österreich erhoben werden darf. Es soll aber nicht dazu dienen, einen im Inland unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen vor der Anwendung des progressiven Steuersatzes zu schützen. Ein solches Ergebnis würde auch dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen und gerade das Gegenteil von dem herbeiführen, was mit einem Vertrag zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bezweckt ist. Die aufgezeigte Rechtslage wird durch die Bestimmung des Art. 15 Abs. 3 DBA verdeutlicht, da damit dem Wohnsitzstaat das Recht zugestanden wird, die Steuern von den ihm zur Besteuerung überlassenen Einkünften nach dem Satz zu erheben, der dem gesamten Einkommen des Steuerpflichtigen entspricht (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Oktober 1960, Zl. 162/60, Slg. Nr. 2309/F, und vom 7. Juli 1967, Zl. 758/67, Slg. Nr. 3645/F).

Die Überlegungen, welche der Verwaltungsgerichtshof in den eben zitierten Erkenntnissen bezüglich positiver Einkünfte, an denen einem anderen Staat das Besteuerungsrecht zusteht, anstellte, gelten aber im Grunde auch für negative Einkünfte. Auch bezüglich dieser Einkünfte gebietet sowohl das aufgezeigte System des Einkommensteuerrechtes als auch der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine Berücksichtigung im Rahmen der inländischen Besteuerung, allerdings nicht im Wege eines (unmittelbaren) Verlustausgleiches (siehe nochmals die obigen Ausführungen zu Art. 3 DBA), wohl aber im Wege des sogenannten negativen Progressionsvorbehaltes (siehe abermals das Erkenntnis Zl. 83/14/0107 und das dort angeführte Schrifttum). Die Anerkennung des negativen Progressionsvorbehaltes war und ist erklärtes Anliegen des Beschwerdeführers. Die belangte Behörde hat diesem Anliegen mit dem angefochtenen Bescheid deshalb nicht entsprochen, weil ihrer Auffassung nach Verluste aus einer Einkunftsquelle, deren Besteuerung einem anderen Staat zukommt, keine im Sinne des § 41 Abs. 2 Z. 2 EStG 1972 beachtlichen Verluste wären. Der Verwaltungsgerichtshof teilt diese Meinung nicht.

2. Sind (wie im Beschwerdefall) im Einkommen Einkünfte enthalten, von denen ein Steuerabzug vom Arbeitslohn vorzunehmen ist, so wird der Steuerpflichtige gemäß § 41 Abs. 1 EStG 1972 nur veranlagt, wenn

1. die anderen Einkünfte, ausgenommen die steuerabzugspflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen, mehr als S 10.000,-- betragen haben ...

Schrifttum und Rechtsprechung sind übereinstimmend der Aufassung, daß bei unbeschränkt Steuerpflichtigen zu den „anderen Einkünften“ im Sinne des § 41 Abs. 1 Z. 1 EStG 1972 auch solche zählen, die zwar einem anderen Staat zur Besteuerung zugewiesen, bei der österreichischen Besteuerung jedoch im Interesse ihrer Gleichmäßigkeit im Wege des Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen sind (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 758/67 zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 93 Abs. 1 lit. b EStG 1953 sowie Philipp-Loukota-Pollak, Internationales Steuerrecht2, Z. 23, Tz. 16).

Gemäß § 41 Abs. 2 Z. 2 EStG 1972 findet eine Veranlagung (nur) auf Antrag des Steuerpflichtigen statt, wenn die Summe der Einkünfte im Sinne des Abs. 1 Z. 1 einen Verlust ergeben hat. Einkünfte im Sinne des Abs. 1 Z. 1 des § 41 EStG 1972 sind aber nach dem eben Gesagten auch solche, welche (lediglich) auf Grund des Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen sind. Im Sinne des mehrfach zitierten Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und entsprechend dem aufgezeigten System des Einkommensteuerrechtes begründen demnach auch ausländische Einkünfte, die einen durch negativen Progressionsvorbehalt zu berücksichtigenden Verlust ergeben haben, als „Einkünfte i.S. des Abs. 1 Z. 1“ ein Veranlagungsrecht des Steuerpflichtigen und eine korrespondierende Veranlagungspflicht auf seiten der Abgabenbehörde. Diese Auffassung liegt erkennbar auch dem mehrmals erwähnten Erkenntnis Zl. 83/14/0107 zugrunde.

3. In der zur Beschwerde erstatteten Gegenschrift stellt die belangte Behörde letztlich nicht mehr in Abrede, daß auch Verluste aus einem anderen Staat zur Besteuerung überlassenen Quellen zu einer Veranlagung zwecks Vornahme des negativen Progressionsvorbehaltes führen können. Sie meint aber, daß den in der BRD erlittenen Verlusten des Beschwerdeführers aus Vermietung und Verpachtung aus den vom Finanzamt vertretenen Gründen - also mangels Eignung des Mietobjektes, auf Dauer gesehen Einnahmenüberschüsse abzuwerfen - nicht im Wege des negativen Progressionsvorbehaltes Rechnung getragen werden könne. Der Hinweis der belangten Behörde in der Gegenschrift auf die für das Finanzamt entscheidungswesentlichen Gründe geht jedoch allein schon deshalb fehl, weil der angefochtene Bescheid in keiner Weise erkennen läßt, daß sich die belangte Behörde die Argumentation des Finanzamtes zu eigen machen wollte und die Einwände des Beschwerdeführers gegen die Annahme einer „Liebhaberei“ nicht für stichhältig erachtete. Dazu kommt, daß der Beschwerdeführer dem Standpunkt des Finanzamtes im weiteren Berufungsverfahren (insbesondere im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und in den folgenden Schriftsätzen) durch verschiedene Sachverhaltsangaben untermauerte Einreden entgegensetzte - so etwa, daß schon ab 1980 bzw. bald nach 1980 mit laufenden (steigenden) Einnahmenüberschüssen zu rechnen wäre -, die bisher noch keinerlei Würdigung gefunden haben. Der Hinweis auf die Überlegungen des Finanzamtes ist also nicht geeignet, den angefochtenen Bescheid unbeschadet des in den Punkten 1 und 2 dieses Erkenntnisses aufgezeigten Rechtsirrtums der belangten Behörde als rechtmäßig zu bestätigen. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.

Wien, am 21. Mai 1985

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1985:1985140001.X00

Im RIS seit

20.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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