Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
BVergG 2002 §177 Abs2Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa-Janovsky, über die Revision der Bewerbergemeinschaft bestehend aus 1. der K GmbH, 2. der P GmbH und 3. der E GmbH, alle in B und 4. der I GmbH in S, alle vertreten durch die Gerscha Rechtsanwalts GmbH in 1030 Wien, Rochusgasse 2, DG Top 27, gegen den Beschluss und das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April 2018, Zlen. W134 2191469-1/6E, W134 2190865-1/12E, W134 2191469-2/21E, W134 2190865-2/28E, W134 2191469-3/5E, W134 2190865-3/12E, W134 2191469-4/2E, W134 2190865-4/2E, W134 2191469-5/2E, W134 2190865-5/2E ua., betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch die Heid und Partner Rechtsanwälte GmbH in 1030 Wien, Kundmanngasse 21), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1.1. Mit Schriftsätzen vom 29. März 2018 brachte die Revisionswerberin beim Bundesverwaltungsgericht per E-Mail jeweils einen Nachprüfungsantrag, einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sowie einen Antrag auf Kostenersatz betreffend die Vergabeverfahren „PVA - Psychiatrische stationäre Rehabilitation in den Versorgungszonen Nord, Ost und West, Versorgungszone Ost“ und „PVA - Psychiatrische stationäre Rehabilitation in den Versorgungszonen Nord, Ost und West, Versorgungszone Nord“ ein.
2 1.2. Nachdem die Revisionswerberin vom Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen worden war, dass die Übermittlung der Schriftsätze per E-Mail keine zulässige Form der elektronischen Einbringung bilde, stellte sie am 11. April 2018 per Fax hinsichtlich beider Vergabeverfahren jeweils einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Unter einem brachte die Revisionswerberin jeweils einen Nachprüfungsantrag, einen Antrag auf einstweilige Verfügung und einen Antrag auf Kostenersatz ein.
3 Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden damit begründet, dass dem Rechtsvertreter der Revisionswerberin eine Einbringung per WEB ERV technisch nicht möglich gewesen sei, weil das Bundesverwaltungsgericht nicht als zuständiges/empfangendes Gericht habe angelegt werden können. Der Kanzleileiterin des Rechtsvertreters sei daraufhin auf Anfrage von der Einlaufstelle des Bundesverwaltungsgerichts die telefonische Auskunft erteilt worden, dass der Nachprüfungsantrag samt Beilagen an die Mailadresse „einlaufstelle@bvwg.gv.at“ übermittelt werden solle. Da § 13 AVG die Übermittlung von Anträgen in jeder technischen Form, auch per E-Mail vorsehe, habe kein Zweifel an der telefonischen Auskunft bestanden. Die Kanzleileiterin sei bisher immer zuverlässig gewesen.
4 1.3. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 24. April 2018 stellte das Bundesverwaltungsgericht zunächst das Verfahren über die beiden mit E-Mail eingebrachten Schriftsätze vom 29. März 2018 ein (Spruchpunkt I.A). Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies das Bundesverwaltungsgericht jeweils ab (Spruchpunkt II.A.1), die unter einem gestellten Nachprüfungsanträge und Anträge auf einstweilige Verfügung wurden als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkte II.A.2. und III.A.1), die (ebenso unter einem gestellten) Anträge auf Kostenersatz abgewiesen (Spruchpunkt III.A.2). Die ordentliche Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht jeweils für nicht zulässig.
5 In der Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass nach § 1 Abs. 1 letzter Satz BVwG-EVV ein E-Mail keine zulässige Form der Einbringung von Schriftsätzen im Sinn dieser Verordnung sei. Ein per E-Mail eingebrachter Schriftsatz könne daher keine Rechtswirkungen entfalten. Es sei daher weder ein Nachprüfungsantrag noch sonstige Anträge gestellt worden und auch keine Gebührenpflicht entstanden.
Hinsichtlich der Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hielt das Bundesverwaltungsgericht dem Vorbringen, der Kanzleileiterin sei eine falsche Auskunft erteilt worden, entgegen, dass am 29. März 2018 circa 50 Schriftsätze per WEB ERV beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht worden seien und das WEB ERV-System an diesem Tag uneingeschränkt nutzbar gewesen sei. Im Übrigen sei darauf zu verweisen, dass die Einlaufstelle des Bundesverwaltungsgerichts Rechtsanwälten und anderen Personen keinesfalls telefonische Auskünfte über die Einbringung von Schriftsätzen erteile. Aber selbst wenn eine solche falsche Auskunft erteilt worden wäre, käme ihr keine Bedeutung zu und sei ungeeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzulegen, weil jedenfalls der einschreitende Rechtsanwalt beurteilen müsse, in welcher Form und binnen welcher Frist eine Beschwerde bzw. ein Antrag beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen sei. Der Rechtsvertreter der Revisionswerberin sei offensichtlich selbst einem Rechtsirrtum unterlegen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Einbringung der Schriftsätze per Mail auf ein einmaliges unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zurückzuführen sei, weil nicht nur die Schriftsätze vom 29. März 2018, sondern auch die Urkundenvorlage vom 9. April 2018 per Mail eingebracht worden seien. Dass dem Revisionswerber bzw. dessen Rechtsvertreter an der Versäumung der Beschwerdefrist kein Verschulden oder lediglich ein minderer Grad des Versehens anzulasten sei, habe mit dem Wiedereinsetzungsantrag nicht dargetan werden können.
Da die beiden Nachprüfungsanträge zurückgewiesen worden seien, habe der Revisionswerber nicht obsiegt und somit keinen Anspruch auf Ersatz der von ihm entrichteten Gebühren. Ebenso sei den beiden Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht stattgegeben worden. Der Revisionswerber habe somit auch hier keinen Anspruch auf Ersatz der Gebühren.
6 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
7 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 3.1. In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht auch dann berechtigt sei, Pauschalgebühren einzufordern, wenn der verfahrenseinleitende Schriftsatz wegen „Formungültigkeit“ keine wie immer gearteten Rechtswirkungen entfalte.
10 3.2. Mit diesem Vorbringen übersieht die Revision, dass der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung, ein als unzulässig zurückgewiesener Feststellungsantrag löse keine Verpflichtung zur Entrichtung der Pauschalgebühr aus, bereits klar entgegengetreten ist. Es bewirkt nämlich schon die Antragstellung das Entstehen der Gebührenschuld; ein Erlöschen dieser Schuld als Folge einer den Antrag zurückweisenden Entscheidung ist gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. VwGH 30.6.2004, 2004/04/0081; siehe idZ auch VwGH 16.12.2015, Ra 2015/07/0095). Auch hatte der Verwaltungsgerichtshof in einem weiteren Fall explizit keine Bedenken gegen die Zurückweisung des mit dem verspäteten Nachprüfungsantrag verbundenen Antrages auf Pauschalgebührenersatz (vgl. VwGH 1.7.2010, 2009/04/0256).
11 4.1. Bezüglich der Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bringt die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, dass die Einbringung der Anträge und die damit verbundene „Formungültigkeit“ ausschließlich auf die unrichtige Rechtsauskunft der Einlaufstelle des Bundesverwaltungsgerichts zurückzuführen sei. Zu diesem und vergleichbaren Sachverhalten liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor.
12 4.2. Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Rechtsirrtum ein Ereignis darstellen kann, das einen Antragsteller daran hindert, eine Frist zu wahren. Demnach kann ein Rechtsirrtum einen Wiedereinsetzungsgrund bilden, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder leichtes Verschulden, vorliegen. Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter stellt beispielsweise regelmäßig keinen minderen Grad des Versehens dar, doch könnten fallbezogen Umstände vorliegen, die ein grobes Verschulden ausschließen (vgl. etwa VwGH 28.2.2017, Ra 2017/16/0021, mwN; zum insoweit strengeren Maßstab bei beruflichen und rechtskundigen Parteienvertretern siehe VwGH 20.1.2021, Ra 2020/19/0394, mwN).
13 Ausgehend davon ist die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach im vorliegenden Fall selbst dann, wenn an die Kanzleileiterin des Rechtsvertreters eine falsche Auskunft erteilt worden wäre, dies keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darstelle, nicht zu beanstanden, zumal - wie auch vom Bundesverwaltungsgericht festgehalten - die Frage, binnen welcher Frist und in welcher Form ein Rechtsmittel einzubringen ist, jedenfalls einer Beurteilung durch den einschreitenden Rechtsanwalt bedarf (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0406).
14 Versteht man das obige Zulässigkeitsvorbringen hingegen dahin, dass die Kanzleileiterin im vorliegenden Fall selbständig vorgegangen ist und nach Erhalt der telefonischen Auskunft - ohne unmittelbare Einbindung des Rechtsvertreters - die Einbringung der Schriftsätze per E-Mail vorgenommen hat, so ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Verschulden von Kanzleikräften für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellt, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. erneut VwGH Ra 2018/19/0406, mwN). Dass es im vorliegenden Fall entsprechende Anweisungen des Vertreters an seine Kanzleikräfte bzw. Kontrollen für den Fall technischer Schwierigkeiten bei der Einbringung per WEB ERV gegeben hätte, wird gegenständlich gar nicht behauptet.
15 5. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 26. Juli 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018040147.L00Im RIS seit
20.08.2021Zuletzt aktualisiert am
14.09.2021