TE Vwgh Beschluss 2021/7/29 Ra 2020/06/0146

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Veröffentlicht am 29.07.2021
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Steiermark
L82000 Bauordnung
L82006 Bauordnung Steiermark
001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §66 Abs2
AVG §66 Abs4
AVG §8
BauG Stmk 1995 §26 Abs1
BauRallg
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwGVG 2014 §36
VwGVG 2014 §7 Abs3
VwRallg

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/06/0147

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache 1. der W GmbH in P und 2. der E L in S, beide vertreten durch die Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 23. März 2020, LVwG 41.17-2321/2019-24, betreffend Aufhebung eines Feststellungsbescheides über das Nichtbestehen der Parteistellung in einer Bausache (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Marktgemeinde Premstätten; mitbeteiligte Partei: Ing. W S in P, vertreten durch Dr. Gerhard Richter und Dr. Rudolf Zahlbruckner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Bürgergasse 13; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) aufgrund der Beschwerde des Mitbeteiligten die im gemeindebehördlichen Instanzenzug bestätigte Abweisung seines Antrags auf Zustellung einer (nachträglichen) Baubewilligung vom 12. Juli 2016, die den revisionswerbenden Parteien für das Grundstück Nr. X, KG O, erteilt worden war, und Feststellung, dass dem Mitbeteiligten keine Parteistellung im Verfahren zukomme, dahingehend ab, dass der erstinstanzliche Bescheid des Bürgermeisters behoben werde.

2        Begründend kam das LVwG nach Darstellung des Verfahrensganges und der eingeholten Sachverständigengutachten und detaillierter rechtlicher Beurteilung zum Schluss, dass ungeachtet der Entfernungen zwischen den betroffenen Grundstücken nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Mitbeteiligte als Eigentümer des im Allgemeinen Wohngebiet liegenden Grundstücks Nr. Y in seinem in § 26 Abs. 1 Stmk. BauG umschriebenen subjektiv-öffentlichen Recht auf Schutz vor unzulässigen Schallimmissionen berührt werde, weil vereinzelte Schallpegelspitzen von bis zu 55 dB gemessen worden seien. Maßgebend sei allein die Möglichkeit einer Verletzung der dem Nachbarn zustehenden subjektiv-öffentlichen Rechte. Nicht maßgebend sei für die Parteistellung, ob nachteilige Einwirkungen auch tatsächlich einträten.

3        Dem Mitbeteiligten komme daher im Baubewilligungsverfahren die Parteistellung zu.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        In der Zulässigkeitsbegründung ihrer Revision vertreten die revisionswerbenden Parteien die Rechtsauffassung, dass es in einem Verfahren wie dem vorliegenden, in dem die Zuerkennung der Parteistellung „bezüglich der Bewilligung einer nachträglichen Änderung“ beantragt werde, bereits möglich und im Sinne der Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie zwingend sei, gleich endgültig darüber abzusprechen, ob eine Beeinträchtigung von Nachbarinteressen bestehe. Es sei im Verfahren über die Zuerkennung der Parteistellung eines sich als übergangen erachtenden Nachbarn auch darüber endgültig abzusprechen, ob eine tatsächliche Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts vorliege, „wenn dies - nach den im Zuge der Ermittlung einer allfälligen Berührung von Nachbarinteressen zugleich schon gewonnenen Beweisergebnissen über deren Verletzung - möglich ist“.

9        Dies sei gerade bei Schalluntersuchungen regelmäßig der Fall. Wenn man die Ausbreitung von Schall untersuche, gelange man in aller Regel zu solchen physikalischen Ergebnissen, die nicht nur eine endgültige Aussage über die Berührung von Nachbarrechten auf Abwehr zu starken Schalls lieferten, sondern auch eine Aussage über deren Verletzung. Im vorliegenden Fall lägen „durchaus schalltechnische Messungen und Beurteilungen“ vor, die es dem LVwG nicht nur ermöglicht hätten, die Berührung des Anspruchs des Mitbeteiligten auf Abwehr unzumutbarer Schallimmissionen zu bejahen, sondern es ihm eo ipso auch ermöglicht hätten, die Verletzung dieses Anspruchs zu verneinen.

10       Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Rechtsprechung zur (im Verwaltungsverfahren) übergangenen Partei seit dem Inkrafttreten des VwGVG der übergangenen Partei im Hinblick auf § 7 Abs. 3 VwGVG auch die sofortige Berufungs- und Beschwerdemöglichkeit einräumt und damit die Möglichkeit der Klärung der strittigen Parteistellung, ohne den „Umweg“ über Anträge auf Zuerkennung der Parteistellung bzw. Zustellung des Bescheids gehen zu müssen, eröffnet (vgl. VwGH 14.4.2016, Ra 2014/06/0017, VwGH 30.3.2017, Ro 2015/03/0036, und VwGH 27.3.2018, Ra 2015/06/0011). Der VwGH hat in dem zuletzt genannten Erkenntnis zu einem Sachverhalt, bei dem es nicht zur Entsprechung eines Zustellersuchens gekommen war, das weitere Bestehen eines Rechtsschutzinteresses an der Erlassung eines Bescheids über die Parteistellung angenommen.

11       Im Revisionsfall wurde von der Verwaltungsbehörde sowohl (durch Abweisung) inhaltlich über den Antrag auf Zustellung des erstinstanzlichen Bescheids abgesprochen als auch die Feststellung vorgenommen, dass dem Mitbeteiligten keine Parteistellung zukomme.

12       Bei dieser Sachlage ist die Beschwerdelegitimation des Mitbeteiligten vor dem LVwG jedenfalls zu bejahen, da er ein Rechtsschutzinteresse an der Beseitigung der Abweisung des Antrags auf Zustellung (in Verbindung mit der tragenden Begründung, dass ihm keine Parteistellung zukomme) und der weiters ausdrücklich getroffenen negativen Feststellung über das Fehlen seiner Parteistellung hat (vgl. auch VwGH 15.6.2018, Ro 2017/11/0006, Ra 2017/11/0160 und Ra 2017/11/0053).

13       Das LVwG hat wohl zutreffend erkannt, dass „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem LVwG (im Revisionsfall auch vor der Berufungsbehörde) allein die Frage der Parteistellung des Mitbeteiligten im zugrundeliegenden Bauverfahren war. Das LVwG hat aber übersehen, dass es grundsätzlich gemäß § 28 VwGVG gehalten gewesen wäre, inhaltlich über den Parteiantrag abzusprechen, also gegebenenfalls dem Antrag stattzugeben bzw. die Feststellung, dass dem Mitbeteiligten die Parteistellung zukomme, zu treffen gehabt hätte. Das VwG hat auch in jenen Fällen, in denen es einen gemeindeinternen Instanzenzug gibt, im Fall einer zulässigen Beschwerde in der Regel in der (Verwaltungs-)Sache zu entscheiden (§ 28 Abs. 2 und 3 iVm § 36 VwGVG). Auch in diesen Fällen ist weder die Kognitionsbefugnis des VwG auf die bloße Kassation des gemeindebehördlichen Berufungsbescheids beschränkt noch ergibt sich aus § 66 Abs. 4 AVG eine Beschränkung der Kognitionsbefugnis der Berufungsbehörde, die zu einer Einschränkung der Entscheidungsbefugnis des VwG führen würde. Mit der (nicht unter Hinweis auf § 66 Abs. 2 AVG erfolgten) Aufhebung des Bescheids des Bürgermeisters wurde die Sache (der Antrag des Mitbeteiligten) endgültig erledigt, ohne dass über dessen verfahrenseinleitenden Antrag entschieden worden wäre. Rechtsfolge der Aufhebung des vor dem VwG bekämpften Bescheids, ohne dass das Verfahren an die Behörde zurückverwiesen würde, ist, sofern nicht einer der Ausnahmefälle (wie die Aufhebung einer unzulässigerweise erfolgten Zurückweisung oder der Entscheidung einer unzuständigen Behörde) vorliegt, dass jedwede Entscheidung der Verwaltungsbehörde in der Sache ausgeschlossen ist (vgl. zu den Wirkungen einer ersatzlosen Aufhebung VwGH 25.3.2015, Ro 2015/12/0003). Gleiches gilt aber auch, wenn - wie hier erfolgt - ein Berufungsbescheid dahingehend abgeändert wird, dass ohne Bezugnahme auf § 66 Abs. 2 AVG ausgesprochen wird, dass der mit Berufung bekämpfte Bescheid aufgehoben werde. Von einer solchen im Ergebnis ersatzlosen Aufhebung ist der VwGH im Erkenntnis vom 23. Mai 2017, Ra 2016/05/0122, im Falle eines aufhebenden Erkenntnisses eines VwG ausgegangen, in dem ein im innergemeindlichen Instanzenzug ergangener Berufungsbescheid dahingehend abgeändert wurde, dass der mit Berufung bekämpfte Bescheid des Bürgermeisters „aufgehoben“ werde. Auch in diesem Fall erfolgte die Aufhebung nicht unter Zitierung des Abs. 2 des § 66 AVG, welche Bestimmung weder im Spruch noch in der Begründung des abgeänderten Berufungsbescheides (und auch nicht im angefochtenen Erkenntnis) genannt wurde.

14       Die ersatzlose Aufhebung des den Antrag des Mitbeteiligten abweisenden Bescheids des Bürgermeisters vom 12. Juli 2016 war somit rechtswidrig.

15       Aus dieser rechtswidrigen Vorgangsweise, aufgrund derer der Antrag des Mitbeteiligten unerledigt bleibt, folgt zwar noch nicht, dass die revisionswerbenden Parteien als Bauwerber in dem Verfahren, in dem der Mitbeteiligte seine Parteistellung beanspruchte, in ihren Rechten verletzt sein könnten.

16       Die Revisionswerber machen als Revisionspunkte geltend, im Recht, dass nicht die Parteistellung des Mitbeteiligten angenommen werde, im Recht auf Durchführung eines gesetzmäßigen Verfahrens und im „Recht auf Aufrechterhaltung einer rechtmäßig und rechtskräftig erteilten Baubewilligung ohne Beteiligung von Personen ohne Nachbareigenschaft“ verletzt worden zu sein.

17       Es kann jedoch dahin gestellt bleiben, ob bei einer Konstellation wie der vorliegenden die Konsenswerber in einem Bauverfahren auch ohne dass eine spruchmäßige Feststellung der Parteistellung vorliegt (vgl. etwa VwGH 26.6.2018, Ra 2018/05/0022) durch die ersatzlose Aufhebung eines die Parteistellung verneinenden Bescheids mit der Begründung, die Parteistellung sei sehr wohl gegeben, aufgrund einer anzunehmenden Bindungswirkung der Begründung des Erkenntnisses in Rechten verletzt sein könnten, da mit den Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision keine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt wird.

18       Bei der Beurteilung der Parteistellung im Baubewilligungsverfahren kommt es nämlich tatsächlich nur auf die Möglichkeit der Beeinträchtigung in einem der in § 26 Abs. 1 Stmk. BauG genannten Interessen an. Ob subjektive Rechte einer Partei bei Erteilung der von den revisionswerbenden Parteien beantragten Bewilligung verletzt würden (also ob die Bewilligung grundsätzlich erteilt werden kann oder unter welchen Auflagen eine Erteilung in Frage kommt), ist Frage der inhaltlichen Erledigung des verfahrenseinleitenden Antrags (hier auf Erteilung der Änderungsbewilligung). Daran ändert auch nichts der von den revisionswerbenden Parteien herausgestellte Umstand, dass es im vorliegenden Verfahren um die nachträgliche Erteilung einer Baubewilligung für ein bereits errichtetes Bauwerk und um eine zunächst nicht dem Verfahren beigezogene Partei geht.

19       Es ist im Gegenteil festzuhalten, dass bei übergangenen Parteien schon voraussetzungsgemäß keine Möglichkeit besteht, über von ihnen erhobene Einwendungen zu entscheiden, da sie noch gar keine Gelegenheit hatten, solche zu erheben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung, von der abzugehen kein Anlass besteht, das Recht auf Zustellung des Bescheids der Verwaltungsbehörde oder - nunmehr - aufgrund § 7 Abs. 3 VwGVG zur Erhebung der Beschwerde an das VwG zuerkannt (vgl. VwGH 30.3.2017, Ro 2015/03/0036, und dazu Forster in Köhler/Brandtner/Schmelz, VwGVG, § 7 VwGVG Rn 18), ohne dass danach zu differenzieren wäre, ob und welcher Kenntnisstand (hinsichtlich der im Ergebnis tatsächlich vorliegenden oder nicht vorliegenden Verletzung ihrer Rechte) im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag gegeben ist. § 7 Abs. 3 VwGVG eröffnet der übergangenen Partei jedoch nur die Möglichkeit, Beschwerde zu erheben, verpflichtet sie aber nicht dazu (vgl. VwGH 15.6.2018, Ra 2017/11/0006, und neuerlich Forster, aaO, § 7 VwGVG Rn 21).

20       Die in der Zulässigkeitsbegründung angesprochene Frage ist insofern in der bisherigen Rechtsprechung zu den Rechten übergangener Parteien bereits beantwortet.

21       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 29. Juli 2021

Schlagworte

Baubewilligung BauRallg6 Baurecht Nachbar

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020060146.L00

Im RIS seit

20.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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