Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch MMag. Christian Mertens, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 47.604,32 EUR sA und 3.137,45 EUR sA sowie (jeweils) Feststellung (Feststellungsinteresse 5.000 EUR), über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. Februar 2021, GZ 2 R 152/20z-40, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 30. September 2020, GZ 17 Cg 34/19w-34, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.250,18 EUR (darin enthalten 375,03 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Am 23. 9. 2016 wurden zwei bei der klagenden Sozialversicherungsanstalt versicherte Personen beim Einsturz eines von ihnen zur Jagdausübung benutzten Hochstands schwer verletzt.
[2] Die Klägerin begehrt vom Beklagten in dessen Eigenschaft als Jagdpächter und Jagdleiter Ersatz der von ihr an die beiden Versicherten erbrachten Leistungen im Gesamtbetrag von 50.741,77 EUR sowie die Festellung, dass der Beklagte für alle zukünftigen, aufgrund des Unfalls zu erbringenden Pflichtleistungen hafte. Der Beklagte sei seinen sich aus den § 1319 ABGB ergebenden sowie seinen vertraglichen Verkehrssicherungspflichten (infolge Ausstellung einer Jagderlaubnis) nicht nachgekommen.
[3] Der Beklagte bestritt. Der Hochstand sei sach- und fachgerecht errichtet worden. Auch bei einer umfassenden Sichtkontrolle sei die schadenskausale Stockfäule für einen Laien nicht erkennbar gewesen. Forderte man über die stattgefundene Sicht- und „Rüttelkontrolle“ des Hochstands hinaus dessen regelmäßige Kontrolle durch einen Sachverständigen, käme es zu einer Überspannung der einzuhaltenden Sorgfaltspflichten.
[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Rechtlich ging es davon aus, dass die Haftung des Beklagten nach § 1319 ABGB – unter Anlegung eines objektiven Maßstabs – jedenfalls die Erkennbarkeit oder doch Voraussehbarkeit der Gefahr voraussetze. Diese Voraussetzungen seien mangels jeglicher äußerlich sichtbarer Anzeichen am durch Stockfäule zersetzten Längstrageholzes nicht gegeben gewesen. Die von der Klägerin geforderte regelmäßige (rein vorsorgliche) Beiziehung eines Sachverständigen zur Kontrolle aller im Revier befindlichen Hochstände auf Stockfäule stelle eine Überspannung auch der vertraglichen Sorgfaltspflichten des Beklagten dar.
[6] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht mit der Begründung zugelassen, es bestehe keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, welche Sorgfaltsanforderungen an die Kontrolle der Standsicherheit jagdlicher Hochstände zu stellen seien.
[7]
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:
[8] 1. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellung, nach der der für den Hochstand verwendete Primär-(holz-)träger von Anfang an eine im Inneren ansetzende, für niemanden erkennbare Stockfäulnisbildung aufwies, die außergewöhnlich war und ohne die es nicht zum Einsturz gekommen wäre. Weiters steht fest, dass sich eine Stockfäulnisbildung auch innerhalb eines Jahres drastisch verschärfen kann und der Hochstand ohne Stockfäulnis eine längere Lebensdauer gehabt hätte. Im Hinblick auf diese Feststellungen begründet die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, nicht das Alter, sondern die Stockfäule habe zum Einsturz des Hochstands geführt, keine Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO (RS0043421; RS0043256).
[9] 2. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens infolge angeblicher Nichterledigung der Tatsachen- und Mängelrüge bzw Erledigung mit (aktenwidriger) Scheinbegründung (§ 503 Z 2 ZPO) wurde vom Obersten Gerichtshof geprüft und ist zu verneinen.
[10] 3.1 Das Berufungsgericht hat die zu § 1319 ABGB vorhandene Rechtsprechung zutreffend wiedergegeben. Diese lässt sich dahin zusammenfassen, dass § 1319 ABGB auf einen objektiven Sorgfaltsbegriff abstellt und eine Gefährdungshaftung normiert (RS0116783 [T1]). Von dieser kann sich der Halter bzw Besitzer durch den Beweis befreien, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet und alle Vorkehrungen getroffen zu haben, die vernünftigerweise nach den Umständen bzw der Auffassung des Verkehrs erwartet werden können (RS0030035 [T9]).
[11] 3.2 Die Erforderlichkeit der Maßnahmen und die Zumutbarkeit derselben bestimmt sich nach der Größe und Schwere der jeweils drohenden Gefahr. Diese Beurteilung kann immer nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls erfolgen (RS0030049 [T4]). Allein die jeweilige Lage der Umstände bedingt die vom Besitzer des Werks zu erfüllenden Anforderungen (RS0029991).
[12] 3.3 Fragen des Entlastungsbeweises gemäß § 1319 letzter Halbsatz ABGB bilden wegen der über den jeweiligen Einzelfall nicht hinausgehenden Bedeutung daher keine erhebliche Rechtsfrage, schließt doch die Kasuistik des Einzelfalls in der Regel eine beispielgebende Entscheidung aus. Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des bei Hochständen (im Allgemeinen) anzuwendenden Sorgfaltsmaßstabs ist daher nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu begründen.
[13] 4.1 Fragen des Entlastungsbeweises nach § 1319 ABGB wären nur bei einer auffallenden (und deshalb korrekturbedürftigen) Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen (2 Ob 243/14 mwN). Davon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen:
[14] 4.2 Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfalt jedenfalls die Erkennbarkeit oder doch Vorhersehbarkeit der drohenden Gefahr voraus (RS0030035 [T12]). War der Defekt mit freiem Auge für einen Laien nicht erkennbar, liegt daher keine Fehlbeurteilung darin, dass das Berufungsgericht keine über die bloßen Sicht- und „Rüttelkontrollen“ durch den Jagdleiter und die Jagdberechtigten hinausgehenden Überprüfungen veranlasste (1 Ob 11/19b). Verlangt die Revisionswerberin zusätzlich eine jährliche Kontrolle aller (zwanzig) im Revier befindlichen Hochstände durch einen Sachverständigen, stellt dies schon deshalb eine Überspannung der einzuhaltenden Sorgfaltspflichten dar, weil einem Sachverständigen eine definitive Beurteilung nur nach Zerlegung des Hochstands und Herausschneiden der Träger – somit nur nach Zerstörung des Hochstands – möglich wäre.
[15] 4.3 Im Hinblick darauf, dass die übliche Lebensdauer des für den schadenskausalen Träger verwendeten Holzstücks nicht feststellbar war, gehen die Revisionsausführungen, der Hochstand sei zum Unfallszeitpunkt bereits „am Ende seiner Lebensdauer“ gewesen und sei nur wegen der langandauernden Witterungseinflüsse eingestürzt, nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.
[16] 5.1 Soweit sich die Klägerin auf eine Haftung wegen Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten stützt, gelten dafür ähnliche Grundsätze, wie für die Haftung nach § 1319 ABGB. Auch vertragliche Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden und finden ihre Grenzen in der Zumutbarkeit (RS0023487 [T17]; RS0023397). Für deren Ausmaß ist ebenfalls entscheidend, ob eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle bestand (RS0023487 [T6]). Wann die Grenze der Zumutbarkeit von (auch vertraglichen) Verkehrssicherungspflichten erreicht ist, hängt wieder von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0111380; RS0023487 [T20]). Steht fest, dass die Stockfäule außergewöhnlich war und nicht feststellbar ist, wie oft es grundsätzlich zu Stockfäule kommt, hält sich die Verneinung auch der vertraglichen Haftung im Rahmen des den Vorinstanzen zukommenden Beurteilungsspielraums.
[17] 5.2 Zur Beweislastverteilung im Zusammenhang mit einer Vertragshaftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ist bei Nicht-Feststellbarkeit eines objektiv vertragswidrigen Verhaltens des Schädigers die (lediglich das Verschulden betreffende) Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB nur dann anwendbar, wenn der Geschädigte beweist, dass nach aller Erfahrung die Schadensentstehung auf ein wenigstens objektiv fehlerhaftes (vertragswidriges) Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist (RS0026290). Die (eingeschränkte) Beweislastumkehr findet somit nur dann statt, wenn dem Geschädigten der Nachweis eines Schadens und der Kausalität sowie zumindest eines – ein rechtswidriges Verhalten indizierendes – objektiv rechtswidrigen Zustands gelungen ist (RS0026290).
[18] 5.3 Soweit die Revisionswerberin dieses objektiv rechtswidrige, einen Schaden indizierende Verhalten in einer nicht ausreichenden Organisation und Dokumentation der vom Beklagten und den Jagdberechtigten durchgeführten Kontroll- und Reparaturmaßnahmen an den Hochständen sieht, setzt sie sich darüber hinweg, dass diese Unterlassung nicht schadenskausal war, weil feststeht, dass der Hochstand vor dem Unfall zu Beginn der Jagdsaison vom Beklagten persönlich kontrolliert worden war.
[19] 6. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.
[20] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E132460European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00029.21M.0624.000Im RIS seit
20.08.2021Zuletzt aktualisiert am
25.10.2021