Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei V*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Herausgabe, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 15. Oktober 2020, GZ 3 R 248/20y-14, womit das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 8. Juli 2020, GZ 16 C 103/20z-10, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der Ehegatte der Klägerin schloss als Versicherungsnehmer mit der Beklagten eine „temporäre Ablebensversicherung auf zwei Leben“. Als versicherte Personen waren der Versicherungsnehmer und die Klägerin angeführt. Für den Ablebensfall während der Vertragslaufzeit wurde eine Versicherungssumme von 7.000 EUR vereinbart. Bezugsberechtigte Person im Ablebensfall war der überlebende Versicherte. Der Versicherungsnehmer verstarb am 9. Mai 2015.
[2] Mit Schreiben vom 24. Juli 2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, im Rahmen der Leistungsüberprüfung habe sich herausgestellt, dass der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags falsche Angaben in Bezug auf seinen Gesundheitszustand gemacht habe. Gemäß § 8 Abs 4 und Abs 5 der dem Vertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen werde der Vertrag aufgrund arglistiger Täuschung angefochten und der tarifliche Rückkaufwert in Höhe von 519,77 EUR geleistet.
[3] Die Klagevertreterin forderte von der Beklagten mit Schreiben vom 8. Oktober 2015 unter Bezugnahme auf § 3 VersVG die Übermittlung des Versicherungsantrags, der Versicherungspolizze, des Klauselverzeichnisses, des Langtextes der Klauseln, der vereinbarten Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen, der bisherigen Korrespondenz und eine Aufstellung der bisher geleisteten Prämienzahlungen.
[4] Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 14. Oktober 2015 ab, weil die Rechte des § 3 VersVG nur dem Versicherungsnehmer zustünden.
[5] Die Klägerin verfügt über eine Kopie der Versicherungspolizze.
[6] Mit der am 14. Februar 2020 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin soweit noch im Revisionsverfahren relevant die Herausgabe des Versicherungsantrags. Da der Versicherungsnehmer verstorben sei, sei die Klägerin als Versicherte gemäß § 75 Abs 2 VersVG aktiv legitimiert. Ihr stehe ein Anspruch auf Herausgabe gemäß § 3 Abs 3 VersVG zu, weil sie einen Leistungsanspruch gegenüber der Beklagten habe und diese ihre Leistungspflicht wegen angeblich unrichtiger Angaben des Versicherungsnehmers im Antrag ablehne. Die Ansprüche der Klägerin seien auch noch nicht verjährt, weil die Verjährungsfrist gehemmt sei.
[7] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, sie habe mit Schreiben vom 24. Juli 2015 die Leistung begründet abgelehnt, sodass die Ansprüche der Klägerin gemäß § 12 Abs 1 VersVG spätestens mit Ablauf des 24. Juli 2018 verjährt seien. Die Nebenleistungspflicht gemäß § 3 Abs 3 VersVG bestehe nur so lange, solange die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag noch nicht verjährt seien.
[8] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Herausgabe des Versicherungsantrags, weil die Klägerin den Versicherungsantrag noch nicht erhalten habe und diesen für die Vornahme von Handlungen gegenüber der Beklagten benötige. Eine Verjährung der Ansprüche sei wegen der Hemmung des Laufs der Verjährungsfrist nach § 3 Abs 3 letzter Satz VersVG nicht eingetreten.
[9] Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die in § 3 VersVG geregelte Auskunftspflicht bestehe als Nebenleistungspflicht nur so lange, wie noch Hauptleistungspflichten aus dem Vertrag bestünden und verjähre mit diesen. Ein allfälliger Herausgabeanspruch sei daher gemäß § 12 Abs 1 VersVG bereits verjährt. Die Geltendmachung einer Leistung nach Eintritt des Versicherungsfalls sei keine Rechtshandlung im Sinne des § 3 Abs 3 letzter Satz VersVG, sodass eine Fristenhemmung nicht eingetreten sei. Der von der Beklagten erhobene Einwand der Verjährung verstoße aufgrund der mehr als vier Jahre andauernden Untätigkeit der Klägerin auch nicht gegen Treu und Glauben.
[10] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige. Es ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob es sich bei der einer Verjährungsfrist unterliegenden Geltendmachung einer Versicherungsleistung um eine „Handlung gegen den Versicherer“ im Sinn des § 3 Abs 3 letzter Satz VersVG handle, was eine Fristenhemmung bis zum Einlangen der Abschrift zur Folge hätte.
[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[12] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[14] 1. Das Berufungsgericht hat über den Wert des Entscheidungsgegenstands abzusprechen. Es ist dabei nicht an die Bewertung des Klägers gebunden. Diese Bewertung ist grundsätzlich unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof bindend, es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende gesetzliche Bewertungsvorschriften verletzt oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042450 [T7, T8, T19]; RS0042437 [T8]). Bestehen – wie hier – keine zwingenden Bewertungsvorschriften, so hat sich die Bewertung am objektiven Wert der Streitsache zu orientieren; nur eine offenkundige Fehlbeurteilung wäre aufzugreifen (RS0118748 [T1]; RS0042515 [T7]).
[15] Wenn das Berufungsgericht für die Bewertung des Anspruchs auf Herausgabe des Versicherungsantrags die Versicherungssumme herangezogen hat, weil die Kenntnis des Versicherungsantrags für die Prüfung des Leistungsanspruchs der bezugsberechtigten Klägerin entscheidend sei, liegt darin – entgegen der Ansicht der Beklagten in der Revisionsbeantwortung – keine offenkundige Überbewertung. Das Berufungsgericht hat daher den ihm eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten.
[16] 2. Neben den für einen Vertrag typischen wesentlichen Hauptleistungspflichten treten auch Nebenleistungspflichten, welche die Vorbereitung und reibungslose Abwicklung der Hauptleistung ermöglichen sollen (RS0013999). Derartige Nebenleistungspflichten sind auch die in § 3 VersVG geregelten Auskunftspflichten (hier: Abschriften gemäß § 3 Abs 3 Satz 1 VersVG). Sie sollen garantieren, dass sich der Versicherungsnehmer über die relevanten Bestimmungen seines Versicherungsvertrags informieren und seine Rechte wahren kann (7 Ob 221/17a).
[17] Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht der Nebenleistungsanspruch nach § 3 VersVG während des Vertrags jederzeit, nach seiner Beendigung nur bis zur vollständigen Abwicklung, also so lange, bis keine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag mehr geltend gemacht werden können, solche also noch nicht verjährt sind. Der Versicherungsnehmer muss in der Klage darlegen, dass ihm noch ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag zusteht (RS0132316).
[18] 3. Die Klägerin ist der Ansicht, die Verjährungsfrist zur Geltendmachung der Versicherungsleistung (§ 12 Abs 1 VersVG) sei eine Frist nach § 3 Abs 3 letzter Satz VersVG. Diese sei durch ihren Antrag vom 8. Oktober 2015 auf Ausfolgung von Abschriften bis zu deren Einlangen gehemmt. Sie seien der Klägerin bis jetzt nicht zugekommen. Dies habe zur Folge, dass weder der Hauptanspruch noch der Auskunftsanspruch verjährt seien.
[19] 3.1. § 3 Abs 3 letzter Satz VersVG ordnet an, dass dann, wenn der Versicherungsnehmer Abschriften für die Vornahme von Handlungen gegenüber dem Versicherer braucht, die an eine bestimmte Frist gebunden sind, und diese ihm nicht schon früher vom Versicherer ausgehändigt worden sind, der Lauf der Frist von der Stellung des Begehrens bis zum Einlangen der Abschriften gehemmt ist. Diese Vorschrift bezieht sich auf „fristgebundene Handlungen“ dem Versicherer gegenüber. Dazu zählen Klagen nicht (vgl im Ergebnis Fenyves in Fenyves/Perner/Riedler § 3 Rz 16, 18). Klagen selbst sind nicht fristgebunden. Es verjährt nicht die Klage, sondern das Recht selbst (vgl § 1451 ABGB). Diese Auslegung wird auch durch § 12 VersVG gestützt.
[20] 3.2. § 12 Abs 1 VersVG enthält eine die Verjährung von Versicherungsansprüchen regelnde Sonderbestimmung (RS0080075). Danach verjähren Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in drei Jahren. Die Bestimmung umfasst alle Ansprüche, die ihre Grundlage im Versicherungsvertrag haben, die also ihrer Rechtsnatur nach auf dem Versicherungsvertrag beruhen (7 Ob 221/17a mwN; 7 Ob 137/18z).
[21] 3.3. § 12 Abs 2 VersVG sieht ausdrücklich eine Hemmung der Verjährungsfrist für den Zeitraum zwischen der Geltendmachung des Versicherungsanspruchs und der schriftlichen Entscheidung des Versicherers darüber, ob Versicherungsschutz bestehe, vor (Fortlaufhemmung: RS0114507 [T2]). Es ist nicht erkennbar, dass das VersVG einen zusätzlichen Hemmungsgrund für den Anspruch aus dem Versicherungsvertrag normieren will. Dies kann auch nicht durch § 3 VersVG konterkariert werden.
[22] 3.4. Der Klägerin steht daher der geltend gemachte Anspruch nach § 3 VersVG nur zu, wenn sie – wie oben ausgeführt – darlegt, dass ihr noch ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag zusteht.
[23] 4.1. Unter der schriftlichen Entscheidung im Sinne des § 12 Abs 2 VersVG ist die abschließende Stellungnahme des Versicherers zur Entschädigungspflicht zu verstehen (RS0080149). Ein die Deckungspflicht ganz oder teilweise ablehnendes Schreiben des Versicherers beseitigt die Hemmung der Verjährung nur dann, wenn darin auch die Begründung enthalten ist, welche Tatsache und welche gesetzliche oder vertragliche Bestimmung dafür maßgeblich waren (RS0080149 [T9]). Sie wird durch die endgültige Ablehnung ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Ablehnung in Lauf gesetzt (RS0080317). Sie muss keine Belehrung über die Verjährung enthalten (RS0080182).
[24] 4.2. Schon das Schreiben der Beklagten vom 24. Juli 2015 ist eine begründete Ablehnung des Deckungsanspruchs nach Eintritt des Versicherungsfalls. Das bedeutet, dass die Hemmung der Verjährungsfrist durch den Antrag der versicherten Klägerin mit dem begründeten Ablehnungsschreiben der Beklagten endet und der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag im Zeitpunkt der Klagseinbringung am 14. Februar 2020 bereits verjährt ist. Damit besteht auch der geltend gemachte Nebenanspruch nach § 3 VersVG nicht. Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt.
[25] 5. Die Revision der Klägerin ist somit nicht berechtigt.
[26] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E132469European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00016.21K.0630.000Im RIS seit
20.08.2021Zuletzt aktualisiert am
30.12.2021