Index
91 Post-und FernmeldewesenNorm
B-VG Art137 / sonstige zulässige KlagenLeitsatz
Zulässigkeit einer Staatshaftungsklage gegen den Bund wegen nichtordnungsgemäßer Umsetzung der Postrichtlinie durch eine - vomVerfassungsgerichtshof mittlerweile aufgehobene - Bestimmung desPostgesetzes betreffend die Verpflichtung des Gebäudeeigentümers zurErrichtung von Brieffachanlagen; Abweisung der Klage mangelsErlassung der Regelung in Umsetzung von Gemeinschaftsrecht;gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsschutz nur im Fall der Umsetzunggemeinschaftsrechtlicher RechtsakteSpruch
Das Klagebegehren wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Klägerin ist Eigentümerin mehrerer Liegenschaften samt den darauf errichteten und vermieteten Gebäuden. Im Hinblick auf die Bestimmung des §14 Postgesetz 1997 BGBl. 18/1998 idF BGBl. I 72/2003, welche vorsieht, dass Gebäudeeigentümer bis 1. Juli 2006 Brieffachanlagen zu errichten haben, welche so beschaffen sein müssen, dass jedenfalls die Abgabe von Postsendungen über einen ausreichend großen Einwurfschlitz ohne Schwierigkeiten gewährleistet ist und die Sendungen vor dem Zugriff Dritter geschützt sind, schrieb die Klägerin vor Veröffentlichung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 25. April 2006, G100/05, die Errichtung der neuen Brieffachanlagen EU-weit aus und erteilte für die Gebäude in Wien 1-12 und 14-22 der Firma A GmbH & Co KG, für die Gebäude in Wien 13 und 23 der Firma P GmbH den Zuschlag. Die Klägerin begehrt nun, den Bund aus dem Titel der Staatshaftung schuldig zu erkennen, ihr einen Betrag in der Höhe von netto € 6.415.712,83 samt 4% p.a. Zinsen seit Zustellung der Klage zu bezahlen und die Prozesskosten zu ersetzen.
Zur Klagslegitimation bringt die Klägerin vor, dass es sich um einen vermögensrechtlichen Anspruch (Schadenersatz) gegen den Bund handle. Die Klägerin könne den erlittenen Schaden, der durch die Gesetzgebung des Bundes verursacht worden sei, vor keinem Vollzugsorgan geltend machen. Mangels Schadenszufügung "in Vollziehung der Gesetze" liege kein Amtshaftungsanspruch vor. Der Verfassungsgerichtshof sei gemäß Art137 B-VG zuständig, über den behaupteten Staatshaftungsanspruch als Folge legislativen Unrechts zu entscheiden. Die aktive Klagslegitimation ergebe sich auch "...aus der Tatsache, daß das EU-weit geschützte Eigentumsrecht (Art1 1. ZPEMRK, in Österreich im Verfassungsrang) durch die fehlgeschlagene Umsetzung der EU-Richtlinie in Österreich verletzt wurde und der Klägerin dadurch ein erheblicher Schaden - Kostentragung für die Neuanschaffung und Neuinstallation der vorgeschriebenen Hausbrieffachanlagen - entstanden ist."
Die Klägerin bringt vor, dass der Richtlinie vom Gesetzgeber in Verkennung der europäischen Rechtslage ein Inhalt unterstellt worden sei, den die Richtlinie nicht habe. Der Gesetzgeber habe rechtswidrig gehandelt, weil er die "Postrichtlinie der EU" verfassungswidrig umgesetzt habe. Dies folge schon daraus, dass der Verfassungsgerichtshof die §14 Abs1 erster Satz und Abs5 Postgesetz 1997 (im Folgenden: PostG) in der Fassung BGBl. I 72/2003 mit Erkenntnis vom 25. April 2006, G100/05, aufgehoben habe. Zur fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie bringt die Klägerin Folgendes vor:
"Der Gesetzgeber des Postgesetzes hat die Richtlinie über die Liberalisierung der Postdienstleistungen (Richtlinie 97/67/EG, geändert durch die Richtlinie 2002/39/EG) in das innerstaatliche Recht umgesetzt. Dieser Hintergrund der Novelle erhellt auch aus den Materialien (s. Zitat EB oben).
Diese Umsetzung in das nationale Recht war insoweit fehlerhaft, als die Verpflichtung zur Neuanschaffung von Hausbrieffachanlagen den Gebäudeeigentümern auferlegt wurde statt jenen Unternehmen, die von der Öffnung des Monopols profitieren könnten, oder den Konsumenten. Daran, daß diese Umsetzung fehlerhaft war, kann nach dem Erkenntnis des VfGH vom 25. April 2006, mit welchem dieser diese gesetzlichen Verpflichtungen aufhob (G100/05 u.a.), kein Zweifel bestehen.
In jenen Verfahren setzte sich der VfGH mit der Rechtfertigung der Bundesregierung für die angefochtenen Normen auseinander. Die Bundesregierung vertrat die Ansicht, daß die angefochtene gesetzliche Verpflichtung zur Neuanschaffung bestimmter Hausbrieffachanlagen eine notwendige Folge der gebotenen Umsetzung der genannten Richtlinie sei. Mit dieser Argumentation versuchte die Bundesregierung, ein öffentliches Interesse an dem Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrecht der belasteten Gebäudeeigentümer darzustellen. Diese Argumentation blieb aber erfolglos.
Die Richtlinie schreibt nichts zur Gestaltung der Hausbrieffachanlagen vor, schon gar nicht, daß die Gebäudeeigentümer die Kosten des Einbaus neuer Hausbrieffachanlagen tragen sollen."
Die fehlerhafte Umsetzung der Postrichtlinie lege den Gebäudeeigentümern ab dem Inkrafttreten der Novelle zum PostG idF BGBl. I 72/2003 schwerwiegende finanzielle Verpflichtungen auf, die in der umzusetzenden Richtlinie nicht vorgesehen und aus ihr nicht ableitbar gewesen seien. Gemäß §14 Abs5 PostG 1997 idF der Novelle habe der Einbau der neuen Brieffachanlagen bis 1. Juli 2006 erfolgen müssen, anderenfalls sei der Gebäudeeigentümer gemäß §29 Abs1 Z8 PostG 1997 (zuletzt geändert durch BGBl. I 2/2006) mit einer Geldstrafe zu bestrafen gewesen. Sie führt weiter aus:
"Die Richtlinie 2002/39/EG ist hinreichend bestimmt, weil sie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten festlegt, den Postmarkt bei Berücksichtigung der Belange der Endverbraucher kontrolliert zu liberalisieren. Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber jedoch versucht, die Liberalisierung des Marktes nur zu Lasten der unbeteiligten Gebäudeeigentümer, nicht einmal zu Lasten der Endverbraucher, zu verwirklichen.
Damit ist die Umsetzung nicht nur in innerstaatlicher, verfassungsrechtlicher Hinsicht fehlerhaft geblieben, sie bewirkte einen erheblichen, unmittelbar wirksamen und rechtswidrigen Eingriff in das subjektive Eigentumsrecht der Gebäudeeigentümer.
Die rechtswidrige Beschneidung subjektiver Rechte, die eine Richtlinie (indirekt) einräumt (welche nach der Judikatur zur Erhebung von Staatshaftungsansprüchen berechtigt, s. oben), ist der bei Umsetzung einer Richtlinie normierten Auferlegung zusätzlicher Verpflichtungen zu Lasten von Personen, welche von einer Richtlinie nicht betroffen sind, gleich zu halten. Es ist nämlich kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, warum zwischen der rechtswidrigen Verkürzung von Rechten (abgeleitet aus einer EU-Richtlinie) und der rechtswidrigen Auferlegung weiterer Verpflichtungen unterschieden werden soll, weil ja beides zu einer Verschlechterung bestehender Rechtsposition von EU-Normunterworfenen führt."
Durch die gewählte Umsetzung sei der Klägerin ein ersatzpflichtiger Schaden entstanden. Die richtlinien- und gemeinschaftsrechtswidrige Umsetzung der Postrichtlinie durch den Gesetzgeber sei unmittelbar kausal für den Schaden gewesen und die Klägerin sei sowohl in ihren verfassungsgesetzlich als auch europäisch garantierten Individualrechten verletzt. Der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht sei aufgrund der Verletzung der österreichischen und gemeinschaftlichen Grundrechte (Gleichheitsgrundsatz und Schutz des Eigentums) offenkundig und gravierend.
2. Der Bund erstattete eine Gegenschrift und stellte den Antrag, die Klage als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen. Nach der Meinung des Bundes ist das Klagsvorbringen - soweit es sich nur auf die vom Verfassungsgerichtshof festgestellte Verfassungswidrigkeit des §14 Abs1 erster Satz und Abs5 Postgesetz 1997 beziehe - unzulässig. Dies deshalb, da sich das behauptete legislative Unrecht vor Eintritt des behaupteten Schadens bereits im Wege eines Gesetzesprüfungsverfahrens nach Art140 B-VG hätte beseitigen lassen. Darüber hinaus wird die Zulässigkeit der Klage insofern bestritten, als dass die behauptete Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer innerstaatlichen Norm in der Klage selbst nicht hinreichend substantiiert sei und schließlich die Klägerin selbst eingestehe, dass ihr durch die Postrichtlinie keine subjektiven Rechte eingeräumt werden würden.
Der Bund bestreitet weiters das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und führt dazu aus:
"Hinsichtlich der behaupteten fehlerhaften Richtlinienumsetzung sind die Staathaftungsvoraussetzungen nach Meinung des Bundes schon deshalb nicht gegeben, weil die Richtlinie der Klägerin keine subjektiven Rechte verleiht. Das Vorbringen, aus der Richtlinie lasse sich ein Recht der Klägerin ableiten, durch die Umsetzung ins nationale Recht 'unbelastet zu bleiben', ist schon deshalb unzutreffend, weil die Tragung der Kosten für Hausbrieffachanlagen in der Richtlinie überhaupt nicht geregelt wird.
Die Klägerin verkennt, dass die EMRK nicht als solche Bestandteil des Gemeinschaftsrechts ist, sondern im Zusammenhang mit der Gewährleistung eines angemessenen Grundrechtsschutzes durch den EuGH als Rechtserkenntnisquelle dient (vgl. Art6 Abs2 EUV und dazu Streinz, Kommentar EUV/EGV, Art6 EUV, Rz 8 ff.). Die vom EuGH als Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu wahrenden Gemeinschaftsgrundrechte (vgl. zB Rs 11/70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125, Rz 4; Rs 4/73, Nold, Slg. 1974, 491, Rz 13) sind daher mit den Grundrechten der EMRK, wie sie in Österreich auch als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte garantiert sind, nicht ohne Weiteres gleichzusetzen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH können die Gemeinschaftsgrundrechte keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Die Ausübung dieser Rechte kann daher Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den mit den Beschränkungen verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die geschützten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. zB Rs C-112/00, Schmidberger, Slg. 2003, I-05659, Rz 80 mwH; verb. Rs C-154/04 und C-155/04, Alliance for Natural Health ua., Slg. 2005,I-06451, Rz 126).
Stellt sich die Frage, wie die Erfordernisse des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaft mit den aus einer im Vertrag verankerten Grundfreiheit - im konkreten Fall insbesondere der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit - erfließenden Erfordernissen in Einklang gebracht werden können, so sind die bestehenden Interessen abzuwägen und es ist anhand sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls festzustellen, ob das rechte Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gewahrt worden ist (zB Rs C-112/00, Schmidberger, Rz 77 ff.).
Nach Auffassung des Bundes hat diese gemeinschaftsrechtlich gebotene Abwägung angesichts des spezifischen Charakters der Gemeinschaftsgrundrechte nicht zwingend gleich auszufallen wie eine Beurteilung im Hinblick auf die im nationalen Recht verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte.
Die Klägerin hat aber jegliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen unterlassen. Sie hat insbesondere nicht dargetan, dass der österreichische Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht offenkundig und erheblich überschritten hätte. Nach Ansicht des Bundes ist ein Staatshaftungsanspruch daher nicht gegeben."
Zur Begründetheit des Klagebegehrens bringt der Bund im Wesentlichen vor, dass ein Verstoß gegen Sekundärrecht mangels Ausführungen durch die Klägerin für den Bund nicht nachvollziehbar sei bzw. hätte die Klägerin einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Sekundärrecht nicht dargetan.
3. Die Klägerin erstattete einen weiteren Schriftsatz. In der Verhandlung beantragte der Klagsvertreter, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH) folgende Frage gemäß Art234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im Folgenden: EGV) vorzulegen:
"Entspricht es den Postrichtlinien 97/67/EG und 2002/39 EG, wenn ein Mitgliedsstaat die Kosten der Herstellung von Hausbrieffachanlagen den Liegenschaftseigentümern auferlegt und nicht den aus der Postrichtlinie berechtigten Person (alternativer Anbieter) oder den bisherigen alleinigen Anbietern; oder können Eigentümer von Gebäuden auf der Grundlage der Postrichtlinie davon ausgehen, daß sie mit den Kosten der Neuerrichtung von Hausbrieffachanlagen - zur Ermöglichung der Zustellungen durch alternative Postdienstleister - unbelastet bleiben?"
Ferner verwies der Klagevertreter bei der Beantwortung der Frage, gegen welche konkreten Richtlinienbestimmungen das Postgesetz verstoße, auf Bestimmungen, die sich - nach seinen Ausführungen - mit der Lastenverteilung beschäftigen, nämlich Art9 Abs4 der Richtlinie 97/67/EG und Erwägungsgrund 26 der Richtlinie 2002/39/EG.
II. Zur Zulässigkeit der Klage:
1. Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.
2. Mit der vorliegenden Klage wird ein vermögensrechtlicher Anspruch an den Bund geltend gemacht. Die Klägerin gründet den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz auf den Titel der Staatshaftung. Der Schaden sei durch die nicht korrekte Umsetzung einer Richtlinie durch den Bundesgesetzgeber entstanden.
Die Klägerin macht somit "legislatives Unrecht" geltend.
Es besteht keine Vorschrift, wonach über diesen Anspruch durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde oder durch ein Gericht zu entscheiden ist. Die behauptete unkorrekte Umsetzung der Richtlinie wäre also unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen. Da auch die anderen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung in der Sache zuständig (vgl. VfSlg. 17.002/2003). Das Argument des Bundes, der behauptete Schaden hätte durch Ausschöpfung innerstaatlicher Rechtsschutzmöglichkeiten verhindert werden können, betrifft eine materiell-rechtliche Frage, nämlich die Schadensverhinderungspflicht der Klägerin, und hindert nicht die Zulässigkeit der Klage.
III. Materiell kommt der Klage aus folgenden Erwägungen keine Berechtigung zu:
1. Voraussetzung einer Staatshaftung ist es, dass es durch das Verhalten von Organen eines Mitgliedstaats zur Verletzung einer gemeinschaftsrechtlichen Norm gekommen ist, die bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, und dass ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem Einzelnen entstanden ist (vgl. EuGH 5.3.1996, Rs. C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pecheur, Slg. 1996, I-1029 (Rz 51); 23.5.1996, Rs. C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553 (Rz 32); 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler (Rz 51)). Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht dabei aber keine reine Unrechtshaftung; vielmehr ist ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht nur dann haftungsbegründend, wenn er "hinreichend qualifiziert" ist (EuGH 5.3.1996, Brasserie du Pecheur, Slg. 1996, I-1029 (Rz 55); 8.10.1996, Rs. C-178/94 ua., Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845 (Rz 21 ff.); 17.10.1996, Rs. C-283/94 ua., Denkavit, Slg. 1996, I-5063 (Rz 48, 50 ff.); uva.).
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (EuGH 5.3.1996, Brasserie du Pecheur, Slg. 1996, I-1029 (Rz 55)) sind folgende Voraussetzungen zur Geltendmachung eines Staatshaftungsanspruchs erforderlich:
"... Ist ein Verstoss eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Gesetzgeber zuzurechnen, der auf einem Gebiet taetig wird, auf dem er im Hinblick auf normative Entscheidungen über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, so hat der Geschädigte einen Entschädigungsanspruch, sofern die verletzte gemeinschaftsrechtliche Vorschrift bezweckt, ihm Rechte zu verleihen, der Verstoss hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoss und dem dem einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. ..."
3. Die Klägerin stützt ihren Staatshaftungsanspruch darauf, dass der Bundesgesetzgeber die Richtlinie 97/67/EG über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstqualität, ABl. L 14,
S 14, geändert durch die Richtlinie 2002/39/EG zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die weitere Liberalisierung des Marktes für Postdienste in der Gemeinschaft, ABl. L 176, S 21 (Postrichtlinie), nicht korrekt umgesetzt hätte. Sie behauptet,
"Die Klägerin konnte aufgrund des gesamten Regelungsinhalts der Richtlinie (s. oben Abs26) davon ausgehen, daß deren Umsetzung in Vsterreich ihre Rechtstellung nicht verändern werde. Die Postrichtlinie räumte der klagenden Partei das Recht ein, durch eine Umsetzung in die nationale Rechtsordnung unbelastet zu bleiben. Die Rechtstellung der klagenden Partei wurde aber durch die rechtswidrige Umsetzung der Richtlinie durch die Novelle zu ihrem Nachteil verschlechtert, weil ihr als Gebäudeeigentümerin die Belastung mit den Kosten der Neuanschaffung der Brieffachanlagen auferlegt wurde, obwohl sie aufgrund des normativen Inhalts der Postrichtlinie zu Recht davon ausgehen konnte und durfte, aus ihrer Umsetzung in Österreich keinen finanziellen Nachteil erfahren zu müssen."
Der Verfassungsgerichtshof vermag diese Rechtsauffassung nicht zu teilen:
Gemäß den Erwägungen der Postrichtlinie ist die Förderung der stufenweise und kontrollierten Liberalisierung des Postmarktes ein Hauptziel der Gemeinschaftspolitik; mit der Postrichtlinie wurde ein Rechtsrahmen für den Postsektor geschaffen, der auf die Garantie eines Universaldienstes und eine weitere Öffnung des Marktes für den Wettbewerb abzielt. Die Postrichtlinie regelt nur das notwendige Mindestmaß zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Postsektor. Gemäß den Erwägungen der Richtlinie sind Maßnahmen zur Liberalisierung des Marktes notwendig, um gemeinschaftsweit das freie Angebot von Diensten im Postsektor unter Beachtung der Pflichten und Rechte der Anbieter von Universaldienstleistungen zu gewähren. Ziel des Universaldienstes ist es, allen Nutzern einen leichten Zugang zum Postnetz zu ermöglichen. Die Richtlinie enthält gemeinsame Vorschriften für die Bereitstellung eines postalischen Universaldienstes, über reservierbare Dienste, über die Tarifierungsgrundsätze und Transparenz der Rechnungslegung für die Erbringung von Universaldienstleistungen, über die Festlegung von Qualitätsnormen für die Erbringung dieser Leistung, über die Harmonisierung der technischen Normen sowie über die Einrichtung unabhängiger Regulierungsbehörden.
Die Postrichtlinie enthält bezüglich der Errichtung und Finanzierung von Hausbrieffächern jedoch überhaupt keine Vorgaben. Die Klägerin führt selbst in der Klage aus, "Die Richtlinie schreibt nichts zur Gestaltung der Hausbrieffachanlagen vor, schon gar nicht, daß die Gebäudeeigentümer die Kosten des Einbaus neuer Hausbrieffachanlagen tragen sollen." Das bedeutet, dass mit den - mittlerweile aufgehobenen - innerstaatlichen Vorschriften des PostG, welche die Errichtung von Hausbrieffächern durch die Hauseigentümer vorgesehen haben, keine Bestimmung der Postrichtlinie umgesetzt wurde, die der Gesetzgeber hätte verletzen können.
Art 9 Abs4 der Richtlinie 97/67/EG betrifft die Schaffung eines Ausgleichsfonds zum Ausgleich einer unverhältnismäßigen finanziellen Belastung für den Anbieter von Universaldienstleistungen. Nach Erwägungsgrund 26 der Richtlinie 2002/39/EG besteht die Möglichkeit, die Erteilung von Lizenzen an Wettbewerber an die Bedingung zu knüpfen, dass diese einen Betrag zur Bereitstellung des Universaldienstes leisten. Eine Kostentragungsregelung für die Errichtung neuer Hausbrieffachanlagen ist darin nicht zu erblicken.
Die von der Klägerin als Begründung für einen Staatshaftungsanspruch herangezogene behauptete Gemeinschaftsrechtswidrigkeit aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung der Postrichtlinie durch den Gesetzgeber geht daher ins Leere.
4. Insoweit die Klägerin die Verletzung des Art5 StGG behauptet, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung nicht Teil des Gemeinschaftsrechts ist.
5. Ferner führt die Klägerin aus, dass das gemeinschaftsrechtlich verankerte Eigentumsrecht (Art1 des 1. ZPEMRK) durch die fehlgeschlagene Umsetzung der Postrichtlinie in Österreich verletzt worden sei und der Klägerin dadurch ein erheblicher Schaden entstanden sei. Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, dass der Eigentumsschutz Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, also des Primärrechts der EG ist und hiebei der EMRK besondere Bedeutung zukommt. Dennoch ist, wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 17.002/2003 aussprach, aus einer Norm der EMRK, die Teil des österreichischen Verfassungsrechts ist, ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch als solcher nicht unmittelbar abzuleiten, unter anderem schon deshalb, weil sich der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsschutz nach der Rechtsprechung des EuGH auf mitgliedstaatliche Rechtsakte nur bezieht, soweit sie gemeinschaftsrechtliche Rechtsakte umsetzen (vgl. EuGH 11.6.1985, Rs. 60 und 61/84, Cinetheque, und EuGH 29.5.1997, Rs. C-299/95, Kremzow). Die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Bestimmung des Postgesetzes ist - wie bereits unter Pkt. III. 3 oben ausgeführt - nicht in Umsetzung von Gemeinschaftsrecht erlassen worden, sondern sie ist eine Regelung des Parlaments eines Mitgliedstaates, die autonom bloß aus Anlass anderer gesetzlicher Änderungen, die Gemeinschaftsrecht umsetzten, ergangen ist.
Damit erübrigt sich auch, auf die in der mündlichen Verhandlung erörterte Frage einzugehen, ob die Klägerin den von ihr behaupteten Schaden durch rechtzeitige Ergreifung der innerstaatlichen Rechtsschutzmöglichkeiten, wie sie etwa die Antragsteller zu G100/05 ergriffen haben, hätte abwenden können.
6. Der mit Schriftsatz vom 10. Jänner 2007 von der Klägerin eingebrachte Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteils, weil der beklagte Bund innerhalb der achtwöchigen Frist keine Klagebeantwortung (Gegenschrift) erstattet habe, wurde zurückgezogen.
7. Die beklagte Partei hat keinen Kostenersatz beantragt, weshalb auch keine Kosten zuzusprechen waren.
Schlagworte
VfGH / Klagen, Staatshaftung, Post- und Fernmelderecht, Briefkasten,EU-Recht Richtlinie, Schadenersatz, RechtsgrundsätzeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2007:A20.2006Zuletzt aktualisiert am
30.01.2009